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GEGENWIND/869: Humanitäre Regelungen für abgelehnte Flüchtlinge und Geduldete - Lösung oder Gnadenfrist?


Gegenwind Nr. 379 - April 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

FLUCHT & ASYL
Humanitäre Regelungen für abgelehnte Flüchtlinge und Geduldete: Lösung oder Gnadenfrist?

von Reinhard Pohl


Die Ausbildungsduldung als Möglichkeit für einige

Seit langer, langer Zeit gibt es Diskussionen über die "Duldung". In der Theorie sollen Ausländerinnen oder Ausländer entweder eine Aufenthaltserlaubnis erhalten oder ausreisen - mit der Drohung, sie ansonsten abzuschieben. Im "Zuwanderungsgesetz" sah die Regierung das als Idealfall vor, abgefedert durch eine "Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen" (§ 25, Absatz 5 Aufenthaltsgesetz). Eine Duldung gab es im Entwurf des Aufenthaltsrechts nicht mehr, weil niemand übrig bleiben sollte - sie wurde dann im letzten Moment doch noch eingefügt, heißt deshalb § 60a im Aufenthaltsgesetz. Und dieser Nicht-Status betrifft mehr oder weniger eine Viertel Million Menschen, die weder bleiben dürfen noch ausreisen können.

Auch diese Duldungs-Regelungen erwiesen sich seit 2005 als völlig unzureichend. Deshalb gab es immer wieder Änderungen, Ausnahmeregelungen, neue Durchführungsbestimmungen. Es gab regelmäßig Altfallregelungen - mal betrafen sie Menschen aus dem Kosovo, mal ging es um Menschen mit mehreren Jahren Aufenthalt, immer war es kompliziert, immer umstritten, und keine wirkliche Lösung der Lebenslüge dabei. Ein Durchbruch stellten die §§ 25a (für Jugendliche) und 25b (für Altfälle) dar, weil sie nicht mehr abgeschlossene Gruppe zum Ziel hatten, sondern Neu-Einwanderer hineinwachsen können.

Seit 2016 haben wir zusätzlich die "Ausbildungsduldung". Sie stellt eine Art Auswahl nach Nützlichkeit dar: Wer einen Beruf lernt und sich später selbst sein Einkommen verdienen kann, darf bleiben. Wer nicht, eben nicht. Diese Ausbildungsduldung wurde zum 1. Januar neu gefasst, in einen eigenen Paragraphen gepackt, teils verschärft, teils erleichtert. Da viele darauf hoffen, soll die Regelung hier zusammenfassend dargestellt werden.

Dennoch sei darauf hingewiesen: Wer die Regelung in Anspruch nehmen will, sollte sich individuell beraten lassen. Das können Artikel in einer Zeitschrift oder Veranstaltungen nicht ersetzen, schon gar nicht Tipps von Bekannten. Aber eine Orientierung kann ein solcher Artikel bieten.

Grundsätzliche Konstruktion

Die Regelung richtet sich an alle, die kein Aufenthaltsrecht haben und auf anderen Wegen keines bekommen können. Es geht also nicht um AsylantragstellerInnen im Verfahren, solange sie noch Hoffnung auf eine positive Entscheidung haben. Es geht um diejenigen, die alle Verfahren verloren haben - das können Asylverfahren sein, aber auch abgelehnte Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis nach Scheitern einer Ehe oder Scheitern eines Studiums.

Man muss einen Ausbildungsplatz finden, einen Vertrag abschließen und diesen registrieren lassen. Nach einer normalerweise dreijährigen Ausbildung muss man Arbeit im gewählten Beruf finden (dazu gibt es nochmal eine sechsmonatige Duldung), danach bekommt man eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Aufenthaltsgesetz (früher: § 18a). Die ist zwei Jahre an die Arbeit in diesem Beruf gebunden, nach der ersten Verlängerung nicht mehr.

Die gleiche Aufenthaltserlaubnis kann man auch bekommen, wenn man mit anerkannter Qualifikation aus dem Ausland zwei Jahre gearbeitet hat oder ohne Anerkennung drei Jahre qualifiziert gearbeitet hat.

Klärung der Identität

Eine Voraussetzung für diese Duldung ist eine geklärte Identität. Das kann im Einzelfall schwierig sein, wenn Somalierinnen und Somalier oder im Iran aufgewachsene Afghaninnen oder Afghanen keine behördlichen Ansprechpartner haben, um diese Klärung herbeizuführen.

Hintergrund der Vorschrift ist: Sie sollen vor Erhalt der Ausbildungsduldung oder der Aufenthaltserlaubnis abschiebbar gewesen sein, also selbst daran mitgewirkt haben, eine solche Abschiebung möglich zu machen. Wenn Sie diese Klärungen verzögert oder behindert haben, sollen Sie keine Ausbildungsduldung oder Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Für diejenigen, die bereits 2018 oder 2019 eine Ausbildungsduldung erhalten haben: Als neue Drohung wurde der § 60b geschaffen, eine Duldung für Menschen ohne geklärte Identität. Wer diese Duldung erhält, darf nicht arbeiten, also auch eine begonnene Ausbildung nicht fortsetzen. Das Gesetz enthält hier eine Übergangsfrist: Diese Duldung darf einer Inhaberin oder einem Inhaber einer Ausbildungsduldung zwar angedroht werden, aber erst ab dem 1. Juli 2020 gegeben werden. Wer also jetzt eine entsprechende Aufforderung der Ausländerbehörde bekommt, die Identität zu klären, die Botschaft aufzusuchen, Ausweispapiere zu beantragen und vorzulegen, sollte das ernst nehmen und keinesfalls vor sich herschieben.

Für alle, die ihre Identität nicht klären können: Sie müssen den Nachweis führen, dass Sie alles versucht haben, um ihre Mitwirkungspflicht zu erfüllen. Das heißt, Sie dürfen nicht nur telefonieren oder nur behaupten, es wäre nicht möglich - Sie müssen mit Einschreibebriefen, Besuchen und Zeugenaussagen belegen, was Sie unternommen haben, und es müssen entsprechend ernsthafte Versuche sein.

Bei Unsicherheiten sollte immer die Unterstützung einer Beratungsstelle in Anspruch genommen werden.

Anspruch?

Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, besteht ein Anspruch auf die Ausbildungsduldung.

Wenn alle Voraussetzungen bis auf die Klärung der Identität erfüllt sind, kann die Ausländerbehörde die Ausbildungsduldung auf dem Wege des Ermessens geben.

Wer während des Asylverfahrens eine Ausbildung startet, soll nach rechtskräftiger Ablehnung direkt eine Ausbildungsduldung erhalten. Wird die Ausbildung erst später aufgenommen, wenn bereits eine Duldung nach § 60a besteht, muss diese Duldung drei Monate alt sein. Das bedeutet faktisch eine "Probezeit" für die Ausländerbehörde: Sie kann dann nach Ablehnung des Asylantrages und Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise, die normalerweise einen Monat beträgt, die Abschiebung versuchen, bevor sie die Ausbildungsduldung erteilt.

Falls ein Asylantrag als "unzulässig" abgelehnt und die Rücküberstellung (Abschiebung) in ein anderes europäisches Land angedroht wird, wird keine Ausbildungsduldung gegeben. Normalerweise wird auch keine Beschäftigungserlaubnis gegeben.

Ausgeschlossen sind auch alle, die aus einem der acht "sicheren Herkunftsstaaten" kommen. Das sind die sechs Westbalkan-Staaten, dazu Ghana und Senegal. Bei unbegleiteten Minderjährigen sind auch hier Ausnahmen möglich.

Für was gibt es die Duldung?

Die Duldung bekommt man, wenn man einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf lernt. Die Ausbildung soll mindestens zwei Jahre betragen. Der Nachweis ist die Eintragung des Ausbildungsvertrages bei der Kammer.

Möglich ist auch eine Assistenz- oder Helferausbildung, die später als Voraussetzung für eine Ausbildung dienen kann. Es muss sich allerdings um einen Mangelberuf handeln, das bestätigt die BA, geplant ist eine Positivliste der EU-Kommission.

Nach den Anwendungshinweisen des BMI soll auch ein duales Studium, in dem also Studium und Berufsausbildung gleichzeitig absolviert werden, zu einer Ausbildungsduldung führen.

Sonstige Bedingungen

Das Alter der Antragstellerin oder des Antragstellers spielt keine Rolle. Es ist vermutlich so, dass alle über 35 Jahre Probleme haben werden, einen Ausbildungsplatz zu finden. Es gibt aber keine gesetzliche Grenze für die Ausbildungsduldung.

Die "Berufsvorbereitenden Maßnahmen" oder Deutschkurse zur Vorbereitung auf eine Ausbildung, zum Beispiel B2-Kurse, führen nicht zu einer Ausbildungsduldung.

Wer eine Assistenz- oder Helferausbildung machen will, muss die Bestätigung vorweisen, wo anschließend die Ausbildung absolviert wird.

Wann kann die Ausbildungsduldung beantragt und gegeben werden?

Wer während der Ausbildung die Ablehnung des Asylantrages bekommt, kann sofort die Ausbildungsduldung beantragen und bekommen, damit die Ausbildung ohne Unterbrechung weiterläuft.

Wer abgelehnt wurde und erst danach eine Ausbildung findet, muss drei Monate die "normale" Duldung nach § 60a gehabt haben und darf danach die Ausbildungsduldung bekommen. Ausnahme: Wer vor dem 31.12.2016 eingereist ist und die Ausbildung vor dem 2.10.2020 startet, kann die Ausbildungsduldung sofort beantragen und bekommen.

Ansonsten kann der Antrag 7 Monate vor Ausbildungsbeginn gestellt und 6 Monate vor Ausbildungsbeginn bewilligt werden.

Abschiebung schon eingeleitet?

Wurde die Abschiebung schon konkret eingeleitet, wird die Ausbildungsduldung abgelehnt. Das ist der Fall, (wenn die Reisefähigkeitsprüfung durch den Amtsarzt schon organisiert wurde, wenn Mittel zur freiwilligen Ausreise schon beantragt wurden oder wenn der Abschiebeflug schon gebucht wurde.

Das ist ein Fortschritt zur bisherigen Regelung, die bis Ende 2019 galt. Damals galt nämlich jede "Vorbereitung" der Ausländerbehörde auf eine Abschiebung als Ausschlussgrund. Jetzt sind es nur noch die drei klar genannten Punkte. Hat die Ausländerbehörde zum Beispiel bei der Botschaft nach einem Ersatzpass gefragt, ist das noch keine konkrete Vorbereitung.

Identitätsklärung

Die oben genannten Regelungen, die Identität bis zum 30. Juni zu klären, gelten für alle, die schon hier sind oder schon in Ausbildung sind.

Für die Zukunft gilt: Die Identität muss immer sechs Monate nach der Einreise geklärt sein, bei laufendem Asylantrag bis sechs Monate nach der endgültigen Ablehnung. Wird diese Frist versäumt, kann später eine Ausbildungsduldung gegeben werden. Man hat aber den Anspruch darauf verloren.

Bei Minderjährigen muss die Identitätsklärung ebenfalls nach endgültiger Ablehnung eines Asylantrages geschehen. Falls ein Asylantrag während der Minderjährigkeit abgelehnt wurde, können die allerdings viele Schritte gar nicht einleiten. In solchen Fällen muss die Identität innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit (nach deutschen Regeln, also mit 18 Jahren) geklärt werden.

Die Identitätsklärung muss nicht darin münden, dass man einen Pass vorlegen kann. Wenn das nicht möglich ist, soll man aber versuchen, mit einer Kombination von Geburtsurkunde, Führerschein, Schulzeugnisses und anderen Unterlagen seine Mitwirkung nachzuweisen. Manchmal ist es auch möglich, zumindest Fotos von entsprechenden Urkunden aus dem Herkunftsland zu übermitteln.

Keine Ausbildungsduldung

bekommen diejenigen, die Vorstrafen haben, das muss 50 Tagessätze (bei ausländerrechtlichen Straftaten 90 Tagessätze) übersteigen.

Nicht entschieden wird, wenn Anklage erhoben wurde, dann wartet die Ausländerbehörde den Abschluss des Verfahrens ab. Ebenso kann es eine Sicherheitsüberprüfung gegen, um die Beteiligung oder Unterstützung von Terrorismus oder Extremismus aufzudecken, auch das kann zur Ablehnung führen.

Man verliert die Ausbildungsduldung, wenn solche Bezüge während der Ausbildung herauskommen oder eine Verurteilung erfolgt.

Ebenso verliert man die Ausbildungsduldung, wenn man die Ausbildung abbricht. Man bekommt dann aber eine neue Duldung für sechs Monate, um einen neuen Ausbildungsplatz zu finden. Das ist aber nur einmal möglich - wenn jemand zum zweiten Mal abbricht, ist Schluss. Das sollte man auch bedenken, wenn man selbst die Ausbildung kündigen und eine andere Ausbildung anfangen will. Es geht einmal, nicht zweimal.

Familienangehörige

Ist die oder der Auszubildende minderjährig, können Eltern und minderjährige Geschwister ebenfalls eine Duldung erhalten. Die Erteilung richtet sich nach § 60a, Absatz 2, Satz 3. Diese Duldung "schützt" Angehörige nur so lange, wie sie zur Familie gehören. Minderjährige Geschwister scheiden aus, wenn sie selbst volljährig werden. Die ganze Familie scheidet aus, wenn der Stammberechtigte volljährig wird.

Ist die oder der Auszubildende volljährig, können EhepartnerIn und minderjährige Kinder ebenfalls eine Duldung erhalten. Die Erteilung richtet sich nach § 60a, Absatz 2, Satz 3. Hier vertreten aber das BMI und einige Bundesländer die Position, dass diese Duldung nicht gegeben werden muss, wenn die Abschiebung möglich ist. Die "Einheit der Familie", die unter dem Schutz des Grundgesetzes steht, wird nach dieser Auffassung nicht von der Abschiebung gefährdet, sondern von dem Antrag auf Ausbildungsduldung. Das kann bedeuten: Ein Ehepaar mit zwei Kindern soll und kann abgeschoben werden. Die Frau tritt eine Ausbildung an und beantragt eine Ausbildungsduldung. Dann kann die Ausländerbehörde entscheiden, der Frau eine Ausbildungsduldung zu geben und Mann mit Kindern abzuschieben - dann hat sich die Frau durch ihren Antrag von der Familie getrennt, sie hätte sich ja mit abschieben lassen können.

Da es hier keinen klaren Rechtsanspruch gibt, sollte man in solchen Fällen rechtzeitig eine Beratungsstelle konsultieren, die die übliche Praxis der Ausländerbehörde kennt.

Es kann helfen, wenn die anderen Familienangehörigen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen.

Fazit

Die Ausbildungsduldung ist eine Möglichkeit für junge Leute, die Abschiebung zu vermeiden und einen sicheren Aufenthalt in Deutschland zu bekommen. Sie benötigen dafür eine Schulbildung, gute Deutschkenntnisse und die Fähigkeit, die Ausbildung erfolgreich zu bestehen.

Es gibt allerdings eine Reihe von humanitären Lösungen, man sollte sich über alle informieren. Die meisten sind allerdings dazu bestimmt, die "nützlichen" Menschen mit einer Duldung herauszufiltern.

Wichtig ist: Es bleibt eine Duldung. Man hat zwar während der laufenden Ausbildung die Sicherheit, nicht abgeschoben zu werden. Aber auch die Ausbildungsduldung erlischt mit Verlassen von Deutschland. Auslandsreisen sind also ausgeschlossen, wenn man nicht plant, Deutschland endgültig zu verlassen.

Allerdings wurde im Herbst 2019 das Asylbewerberleistungsgesetz geändert: Wer eine Ausbildung aufnimmt, aber eine Gestattung oder eine Duldung hat, bekommt weiterhin alle Leistungen zum Lebensunterhalt (einschließlich der Kosten der Unterkunft). Die Vergütung für die Ausbildung wird natürlich angerechnet.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 379 - April 2020, Seite 10 - 13
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2020

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