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GEGENWIND/835: Weibliche Beschneidung - Erfahrungen aus Eritrea und der Schweiz


Gegenwind Nr. 373 - Oktober 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Weibliche Beschneidung: Erfahrungen aus Eritrea und der Schweiz

von Reinhard Pohl


Die Autorin ist Ärztin und kommt selbst aus Eritrea. Sie hat schon ihre Doktorarbeit zur weiblichen Genitalbeschneidung geschrieben, und jetzt hat sie dieses Buch dazu veröffentlicht.

Sie kann sachkundiger dazu schreiben als viele deutsche Autorinnen und Autoren, denn sie hat einen direkteren und vertrauensvolleren Zugang zu Patientinnen. Sie schränkt aber im Buch selbst ein, dass sie über andere Länder in Westafrika oder Ostafrika nicht aus eigener Anschauung schreibt, sondern Literatur herangezogen hat.

So startet sie mit einer Übersicht zur Eritrea. In dem relativ kleinen Land in Ostafrika leben neun Völker, das Land hat auch neun offizielle Sprachen, und acht Völker praktizieren die Genitalbeschneidung. Mit der Religion hat es nichts zu tun, denn die Völker sind zur Hälfte christlich, zur Hälfte muslimisch. Allerdings ist in der Vergangenheit die Beschneidung zum Teil in die Religion eingebaut worden. So wurde es in der koptischen Kirche, der fast alle Christinnen und Christen des Landes angehören, üblich, Kinder am 80. Tag nach der Geburt zu taufen. Und entsprechend werden oder wurden Mädchen auch am 80. Tag nach der Geburt genital beschnitten, das gehörte also über lange Zeit zur Taufe dazu.

Auch in Eritrea wurde über Jahrhunderte "beschnitten" oder "verschlossen", wenn Mädchen mit der Beschneidung auch vermählt wurden, mit "anständig" gleichgesetzt. Nicht beschnittene Frauen standen in dem Ruf, ihre Sexualität nicht kontrollieren zu können, während beschnittene und insbesondere vermählte Frauen als "Jungfrauen" galten und insofern leichter zu verheiraten waren.

Diese Werte haben sich nach Ansicht der Autorin, belegt durch einige Untersuchungen und Umfragen, in der Zeit des Befreiungskrieges zwischen 1961 und 1991 verschoben. In der Befreiungsbewegung wurde Wert darauf gelegt, dass Frauen und Männer als KämpferInnen gleichberechtigt sind, und viele genossen eine militärische Ausbildung im Ausland - führende Kader in China, andere dann zumindest im Südjemen. Schnell galt es als modern, aber auch als militärisch sinnvoll, die Beschneidung zu bekämpfen. Denn beschnittene, insbesondere aber zusätzlich vermählte Frauen leiden oft unter Komplikationen, sowohl Harn als auch Blut (während der Periode) können nicht oder nur unzureichend abfließen, es kommt leichter zu Infektionen. Selbst wenn es nicht immer um die Menschenrechte ging, so ging es der Führung der EPLF während des Befreiungskrieges doch um die Kampfkraft: Unbeschnittene Frauen können im Kampf rund um die Uhr und den gesamten Monat über eingesetzt werden, so ist es sinnvoll, die Beschneidung zu bekämpfen.

Die Autorin, wie gesagt selbst Ärztin, beschreibt auch ausführlich andere mögliche Komplikationen, die sie aus der Arbeit in der Schweiz und aus späteren Studienreisen durch Eritrea kennt. Das sind neben den Komplikationen im Alltag insbesondere Komplikationen bei der ersten Geburt, manchmal auch bei weiteren Geburten, außerdem Störungen der Sexualität und damit des Familienlebens und die Folgen der frühkindlichen Traumatisierung.

In Eritrea hat die Autorin mit der staatlichen Frauenorganisation zusammen gearbeitet, deren Arbeit und Zahlen natürlich etwas problematisch sind, weil die Organisation an die Vorgaben der Diktatur zu einem möglichst positiven Bild gebunden ist. Die Autorin kritisiert die Regierung nicht offen, vermutlich auch um die weitere Zusammenarbeit mit der staatlichen Frauenorganisation nicht zu gefährden. Sie stellt einfach verschiedene Zahlen verschiedener Untersuchungen nebeneinander, so dass man weiß, dass die offiziellen Zahlen nicht alles sind. Offiziell wird die Zahl beschnittener Frauen mit rund 5 Prozent angegeben - die Studien der Autorin zum Zeitpunkt der Doktorarbeit (2006) legen eher eine Zahl von 85 Prozent Betroffener nahe.

Klar ist aber, und daran lässt die Autorin auch keinen Zweifel: In der Periode des Befreiungskampfes ist die Rate der Beschneidungen drastisch gesunken, aber es gibt sie noch in einem erheblichen Umfang.

In weiteren Kapiteln schildert die Autorin die gesetzlichen Bestimmungen in der Schweiz und in Deutschland und ihre Behandlung Betroffener, auch die Beratung der Frauen, die hier schwanger werden. Da die öffentlichen Stellungnahmen gegen die Beschneidung in Eritrea erhebliche Verbreitung haben, kennen fast alle hier ankommenden Flüchtlinge die Problematik und sind nicht so überrascht zu erfahren, dass die Praxis hier verboten ist. Sie plädiert aber entschieden dafür, in der Beratung kultursensibel vorzugehen, also nicht Betroffene zu stigmatisieren oder zu kriminalisieren, sondern aufzuklären und zu informieren. So gibt man ihnen die Möglichkeit, für die hier geborenen Kinder selbst die besten Entscheidungen zu fällen, und zwar aus Einsicht und nicht wegen einer Strafandrohnung.

Am Schluss beschreibt sie die Interviews, die sie mit Frauen in Eritrea geführt an.


Fana Asefaw: Weibliche Genitalbeschneidung.
Hintergründe, gesundheitliche Folgen und nachhaltige Prävention.

boox-verlag, Urnäsch (Schweiz) 2017, 171 Seiten, 19 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 373 - Oktober 2019, Seite 51 - 52
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2019

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