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GEGENWIND/807: Raub und Rückgabe


Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Raub und Rückgabe
Wissenschaftler*innen des Humboldt Tanzania Lab befassten sich mit Kriegsbeute aus Deutsch-Ostafrika

von Rainer Beuthel


In den Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem (ehemals Königliches Museum für Völkerkunde) lagern unter vielen anderen Objekten ca. 10.000 aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania, Burundi und Ruanda). "Erworben" wurden sie von Kolonialbeamten, "Schutztruppen"Offizieren, Missionaren, PlantagenbesitzerInnen, Forschungsreisenden, allgemein gesagt: von Angehörigen des Gesamtsystems kolonialistischer Herrschaft, die ihre Machtposition benutzten, um sich Gegenstände afrikanischer Kultur anzueignen, zumeist um sie nach Deutschland zu schaffen.


Als ideologische Begründung diente die Vorstellung, man wolle einen Beitrag zur Rettung afrikanischer Kulturen leisten (bzw. eine zukünftige Erinnerung an sie sicherzustellen), an Kulturen, deren Minderwertigkeit als erwiesen zu gelten habe, und deren Untergang zwangsläufig bevorstehe. In der Logik der Kolonisatoren resultierte diese Zwangsläufigkeit nicht zuletzt aus zahlreichen "Strafexpeditionen" gegen die in der Kolonie lebenden "Stämme", die sich der "Kulturmission" einer "Hebung des Afrikaners", seiner Bekehrung zum Christentum, dem "Kampf gegen Sklaverei und Vielweiberei" zu widersetzen wagten, realpolitisch: die sich gegen die Etablierung kolonialistischer Herrschaft zur Wehr setzten.

Nachdem bereits 1888/89 unter Befehl des "Reichskommissars" Hermann von Wissmann ein Aufstand der Küstenbevölkerung blutig niedergeschlagen worden war, verging seit der offiziellen Übernahme des Territoriums als "Schutzgebiet" durch das Deutsche Reich 1891 kein Jahr ohne größere oder kleinere Militäraktionen der "Schutztruppe" gegen die afrikanische Bevölkerung. Genannt sei der Vernichtungsfeldzug gegen die Wahehe unter ihrem Anführer Mkwawa in den Jahren 1891 bis 1898 mit mehreren tausend Toten. Schauriger Höhepunkt der "Befriedung" war der Maji-Maji-Krieg (1905-1907) im südlichen Teil der Kolonie, dessen Strategie der "Verbrannten Erde" 250.000 bis 300.000 Todesopfer forderte, ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Kriegsgebiet.(1)

Ein Großteil der einst in der Berliner Sammlung vorhandenen Objekte aus Deutsch-Ostafrika wurde in Kriegszeiten geraubt.(2) Nachdem das Museum für Völkerkunde 1889 laut Bundesratsbeschluss zur zentralen Sammelstelle für "ethnografische" Objekte avancierte, die Bestimmungen dieses Beschlusses seit 1896 "auch auf die Angehörigen der Schutztruppen und auf die in den Schutzgebieten befindlichen kommandierenden Offiziere ausgedehnt" wurde, wuchsen die Bestände der Abteilung "Afrika" erheblich an. 1914 verzeichnete der Bestandskatalog 55.079 Nummern (1880 noch 3361).(3)

Der Umgang der Berliner Ethnologen mit den explizit als "Kriegsbeute" deklarierten Objekten war grundsätzlich von einer Ideologie eurozentristischer Überlegenheit gegenüber afrikanischen Kulturen geprägt. Gegenstände, die nicht dem Bild unberührter "Naturvölker" entsprachen, galten häufig als museal "minderwertig", wurden aussortiert, an lokale Museen weiterverschenkt, oder verschwanden wissenschaftlich nicht bearbeitet im Depot Felix von Luschan, seit 1904 Direktor der Afrika-Abteilung des Museums, beschwerte sich "über den angeblich geringen wissenschaftlichen Wert der im Maji-Maji-Krieg in großen Mengen erbeuteten und an das Museum gesandten Objekte." Es waren zu einem Großteil Waffen, nachdem der Völkerkundler Karl Weule in Dar-es-Salaam bereits hunderte von Schusswaffen (Vorderlader) selektiert hatte. Diese waren entweder aus dem arabischen Raum importiert oder in Afrika hergestellt werden, entsprachen von vornherein nicht dem kanonisierten Bild eines geschichtslosen, von primitiven Völkern besiedelten Kontinents, und wurden erst gar nicht nach Berlin geliefert.

Im Rahmen des Forschungsprojekts "Humboldt Tanzania Lab" haben sich in den Jahren 2016 bis 2018 Wissenschaftler*innen aus Tanzania und Deutschland intensiv mit 94 Objekten aus der "Kriegsbeute" des Ethnologischen Museum befaßt, deren kulturelle Bedeutung von deutscher Seite teilweise bisher überhaupt nicht verstanden worden war. Zum Beispiel ein Metallteller aus einer Kupferlegierung aus dem Besitz von Hassan bin Omari Makunganya aus Machakama bei Kilwa, im Südosten Deutsch-Ostafrikas. Dieser leistete ab 1890 wirksamen Widerstand gegen die Kolonialmacht und wurde 1895 mit seinen Anhängern hingerichtet. Der Teller gelangte 1896 in den Besitz des Museums und wurde nie gründlich untersucht oder ausgestellt. Im Katalog wird er als "Kriegsblech" bezeichnet, "mit anscheinend sinnlosen Zauberformeln in arabischer Schritt."(5) Nun wurde herausgefunden, dass die Inschrift einer Koransure entstammt, worin der Prophet Mohammed die Muslime auffordert, trotz ihrer Unterzahl den Kampf gegen die Ungläubigen nicht aufzugeben, sie würden die Schlacht trotzdem gewinnen - ein klarer Hinweis auf den Widerstandskampf gegen die Kolonisatoren.

Zweites Beispiel: ein "Zaubersack" mit einer Reihe von Objekten, die teilweise in Verbindung mit der Maji-Maji-Ideologie zur Vorbereitung des großen Aufstandes stehen. Der Sack wurde höchstwahrscheinlich kurz vor Beginn oder während des Krieges in Mohoro "gesammelt". Hier wurden zu fraglicher Zeit mehrere "Zauberer" verhaftet und hingerichtet. Nicht weit von dort begann im Juli 1905 der Aufstand.

Mit dem Plan, das Berliner Ethnologische Museum aus Dahlem ins "Humboldt-Forum" im anstelle des Palastes der Republik wiedererrichteten Stadtschloss zu verlegen, ist eine breite Debatte darüber entstanden, wie "Völkerkundliche" Objekte bzw. Raubkunst und Kriegsbeute aus der deutschen Kolonialzeit zukünftig präsentiert werden sollen. Ob es ausreicht, als Ergebnis von "Provenienzforschung", da wo sie zu Erkenntnissen führt, lediglich auf die genaue Herkunft der Objekte zu verweisen und ansonsten alles beim alten zu lassen, muss bezweifelt werden. Ebenso die Vorstellung, man solle in einem Gebäude, das durch seine bloße architektonische Präsenz den preußisch-wilhelminischen Größenwahn und somit auch die Idee eines kolonialistischen "Platzes an der Sonne" repräsentiert, einen Gedenkraum für die Opfer des Kolonialismus einzurichten, vielleicht dekoriert mit ein paar "gesammelten" Beutestücken... Solch ein Raum hinter einer Fassade Stein gewordenen Herrschaftswissens diente eher als Alibi, denn der wirklichen Aufarbeitung der finsteren Epoche.

Notwendig wäre eine eigene zentrale Gedenkstätte, die die Kolonialepoche umfassend kritisch aufarbeitet, sozusagen ein auf den Kopf gestelltes Kolonialmuseum aus Sicht der Opfer. Und der größte Teil der geraubten Objekte aus Dahlem müsste zurückgebracht werden, an die Tatorte.

Anmerkungen

(1) Gwassa, Gilbert Clement Kamana: The Outbreak and Development of the Maji Maji War 1905-1907.- Köln: Köppe, 2005.- S. 219.
Kuß, Susanne: Kriegführung ohne hemmende Kulturschranke. Die deutschen Kolonialkriege in Südwestafrika (1904-1907) und Ostafrika (1905-1908). - in: Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Hamburg: Hamburger Edition, 2006. - S. 216

(2) Vgl. Humboldt Lab Tanzania. Objekte aus den Kolonialkriegen im Ethnologischen Museum, Berlin - Ein tansanisch-deutscher Dialog. Berlin: Reimer, 2018.

(3) Ebda. S. 68

(4) Ebda. S. 78

(5) Ebda. S. 232

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Quelle:
Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019, Seite 25 - 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2019

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