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GEGENWIND/716: Atommüll in Brunsbüttel lagern?


Gegenwind Nr. 346 - Juli 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Atommüll in Brunsbüttel lagern?
Ergebnisse des Erörterungstermins zum Neuantrag des atomaren Zwischenlagers

von Karsten Hinrichs, Initiative Brokdorf-akut


Verfahrensverlauf

Das Oberverwaltungsgericht Schleswig (OVG) hatte dem atomaren Standortzwischenlager in Brunsbüttel (SZL) die Genehmigung am 19.6.2013 entzogen, weil der Schutz gegen einen herbeigeführten Flugzeugabsturz (Flab) und einen Beschuss mit Panzer brechenden Waffen nicht nachgewiesen war. Das Urteil wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 8.1.2015 bestätigt.

Die Atomaufsichtsbehörde in Kiel (MELUR) verfügte sofort eine Duldung, mit der die 9 bereits im SZL stehenden Castorbehälter bis zum 16.1.2018 im genehmigungslosen SZL bleiben durften Vattenfall wurde verpflichtet, einen Neuantrag für das SZL zu stellen.

Dazu wurde eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. In den spärlichen Antragsunterlagen gab es keinerlei Hinweis, wie dem Urteil des OVG abgeholfen werden sollte. Deshalb formulierte die Initiative Brokdorf-akut eine Sammeleinwendung, die von ca. 280 Personen unterschrieben wurde. Insgesamt gingen ca. 300 Einwendungen bei der Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für nukleare Entsorgungssicherheit (BfE), ein.

Einschub: Bereitstellung von Castoren im SZL das keine Genehmigung hat

Bereits am 1.11.2012 hatte Vattenfall beim MELUR einen Antrag auf Rückbau des AKW Brunsbüttel (KKB) gestellt. Dafür sollten sich im KKB keine Brennelemente (BE) befinden.

Da das SZL seine Genehmigung verloren hatte, fragte Vattenfall beim MELUR an, ob das MELUR rechtliche Bedenken habe, wenn die 517 sich noch im Reaktordruckbehälter (RDB) befindenden BE dennoch im SZL gelagert würden. Das MELUR erfand für dieses Vorgehen den Begriff "Bereitstellung". Mittlerweile befinden sich alle 517 BE aus dem RDB in weiteren 11 Castoren im SZL, das weiterhin über keine Genehmigung verfügt.

Greenpeace beauftragte den Hamburger Rechtsanwalt Wollenteit mit einem Gutachten zu der Frage, ob dieser juristische "Taschenspielertrick" zulässig sei. Ra.Wollenteit kam zu dem Ergebnis, dass er rechtswidrig sei. Auch Behörden hätten sich an geltendes Recht zu halten. Greenpeace erkannte ein strafbares Handeln von Minister Habeck. Allerdings erhoben weder Greenpeace noch Anwohner noch Umweltverbände Klage. So blieb die Missachtung des Urteils des OVG ohne gerichtliche Klärung.

Um für zukünftige Klagen zumindest finanziell gerüstet zu sein, befindet sich ein Rechtshilfefonds "Atomerbe SH" in Gründung.

Genehmigungsbehörde (BE) befangen?

Zu Beginn des Erörterungstermins (EÖT) wurde das BfE gefragt, ob es den Neuantrag für das SZL überhaupt ergebnisoffen beurteilen könne; denn alle benötigten 20 Castoren wären ja bereits im SZL. Außerdem habe das BfE Aufsichtsbehörde für das MELUR das MELUR nicht aufgefordert, die Bereitstellung zu untersagen. Nun sei das BfE im Zugzwang, die unrechtmäßige Nutzung des SZL durch eine Neugenehmigung aus der Welt zu schaffen. Das BfE widersprach; denn beide Verfahren hätten nichts miteinander zu tun.

Der anwesende Vertreter des MELUR erklärte, dass die BE im (ungenehmigten) SZL sicherer stünden als im RDB und dies auch zum Wohle der Anwohner erfolgt sei.

Der anwesende Vertreter des Bundesumweltministeriums (EMU) entgegnete, dass das EMU schon seit Ende der 1990er Jahre keine Länderatomaufsichtbehörde mehr angewiesen habe. Die Einwender*innen erklärten, dass derartige Eingriffe in das Rechtssystem (Missachtung eines BVerw-Urteils) unzulässig seien, und es verständlich wäre, wenn immer mehr Bürger*innen das Vertrauen in staatliches Handeln verlieren würden.

Missachtung geltenden Rechts

Nach Meinung der Einwender*innen wird das Urteil des OVG ausgehebelt, da der Flugzeugabsturz im Neuantrag gar nicht berücksichtigt wird. Das BfE betonte dazu, dass das OVG-Urteil tatsächlich keine Rolle spiele; denn die Genehmigungsfähigkeit des Antrags werde gemäß SEWD-Richtlinie (Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter) beurteilt. In dieser Richtlinie werden Lastannahmen definiert, gegen die der Antragsteller Vorsorge zu treffen hat. Während der Beschuss mit Panzer brechenden Waffen dazugehört (hiergegen werden sog. Härtungen vorgenommen), gehört der Absturz eines Airbus A 380 NICHT dazu. Auch der "Länderausschuss für Atomkernenergie-Hauptausschuss" und die Reaktorsicherheitskommission halten es für ausreichend, den A 340 zu betrachten, der nur halb so groß ist wie der A 380. Das Bundesverwaltungsgericht und das OVG Schleswig haben dagegen geurteilt, dass der A 380 unstreitig dazugehört. Einwender*innen halten dieses Vorgehen von Bundesbehörden für rechtswidrig. Die aktuelle Rechtslage wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Bürgerbeteiligung als Farce

Auch in diesem Verfahren (wie bei den Rückbauanträgen für das AKW Brunsbüttel und das Atomforschungszentrum Geesthacht, und so soll es deutschlandweit bei atomrechtlichen Verfahren sein) wurde die verfassungsrechtlich verankerte Mitwirkung der Bürger*innen weitgehend verhindert. Es wurden für die entscheidenden Themen so inhaltsleere Unterlagen ausgelegt, dass detaillierte Einwendungen unmöglich waren. Das MELUR hatte sich - als es um den Rückbau des AKW Brunsbüttel ging - sogar zu der Behauptung verstiegen, ein Mehr an Informationen würde die Einwender*innen nur verwirren. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1979 ausgeführt, dass die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Vorverlegung des Rechtsschutzes der Bürger*innen liege.

Die Strategie von Behörden und Antragstellern ist nur zu offensichtlich: Durch die Verweigerung der Vorlage konkreter Unterlagen werden Bürger*innen und Umweltverbände gezwungen, ihre Argumente vor Gericht vorzutragen. Wegen der damit verbundenen Kosten wird das Anrufen der Gerichte jedoch oftmals unterlassen.

Auf dem EÖT wurde deutlich, dass Vattenfall bereits wesentlich aussagekräftigere Unterlagen erarbeitet hat, die mit Billigung des BfE einfach nicht vorgelegt wurden.

BUND: Probleme erkannt

Der Bundesverband Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) war auf dem EÖT mit geballtem rechtlichen und technischen Sachverstand sowie Vorstandsmitgliedern vertreten. Das hat geholfen, die Mängel im Neuantrag für das SZL zu identifizieren. Z. B. wurde die Genehmigung nur bis zum Jahr 2046 beantragt; dann wird es aber noch kein atomares Endlager geben. Was passiert in dem für 80 Castorbehälter ausgelegten SZL, wenn nur für ca. 21 Castoren Platz benötigt wird? Für Reparaturen an den Castoren ist keine "Heiße Zelle" beantragt. Einen Bauantrag zum Schutz gegen Flugzeugabsturz gibt es nicht. Wie soll es mit der Zwischenlagerung weitergehen, welche Nachrüstungen sind erforderlich, müssen die alten SZL nach Genehmigungsablauf durch Neubauten ersetzt werden?

Auch der BUND bemängelte die mangelnde Transparenz und die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte der Bürger*innen; dies werde von den Behörden bundesweit praktiziert. Das sei eine schwere Hypothek für die zugesagte Partizipation und Mitbestimmung bei der Endlagersuche.

Durch die erhobenen Einwendungen wird die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung einer erteilten Genehmigung, die schon für Ende 2017 erwartet wird, offen gehalten. Eine Verbandsklage ist zulässig.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 346 - Juli 2017, Seite 54 - 55
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2017

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