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GEGENWIND/690: Buchbesprechung - Werftarbeiter, U-Boote, Torpedos und Spione


Gegenwind Nr. 339 - Dezember 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Buchvorstellung
Kiel am Vorabend des 1. Weltkrieges:
Werftarbeiter, U-Boote, Torpedos und Spione

von Günther Stamer


Bevor in zwei Jahren Kiel sich als "ein Geburtsort der deutschen Demokratie" feiern will (so das offizielle "Motto der städtischen Veranstaltungen zum 100. Jahrestag des "Matrosenaufstandes"), lohnt ein Blick auf die Vorgeschichte dieses Ereignisses.


Am 4. August 1906 gleitet das erste U-Boot der kaiserlichen Marine auf der Kieler Kruppschen Germaniawerft ins Wasser. Damit sind die Deutschen "spät dran", denn die anderen imperialen Großmächte (Franzosen, Briten, Russen und US-Amerikaner) haben bereits mehrere davon. Kaiser Wilhelm II. und sein Großadmiral Alfred von Tirpitz setzten lange Zeit auf den Bau großer Panzerschiffe beim Wettstreit mit den anderen Kolonialmächten um den "Platz an der Sonne". Doch drei Jahre später ist der U-Boot-Bau auch in Kiel in vollem Gange - in Kombination mit einer Weiterentwicklung der Torpedotechnik.

Hier setzt der Krimi "Kieler Schatten" von Kay Jacobs an. Sommer 1909: Josef Rosenbaum - aus Berlin zwangsversetzt - soll in Kiel die Arbeit der Kriminalpolizei auf den neuesten Stand bringen und sein erster Fall lässt nicht lange auf sich warten. Ein Werftarbeiter meldet, dass er nachts Schüsse auf dem Gelände der Germaniawerft gehört habe. Rosenbaum und seine Mitarbeiter fragen auf der Werft nach und erhalten zur Antwort, dass der Kranführer Hermann Fricke von seinem Arbeitsgerät gestürzt sei und sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen habe - von Schüssen wüsste man nichts. Vor Ort ergibt sich jedoch ein anderes Bild, denn zahlreiche Blutspuren deuten auf eine Auseinandersetzung hin, so dass Rosenbaum die " Obduktion der Leiche beantragt. Dabei stellt sich heraus, dass Fricke erschossen wurde. Gleich mehrere Menschen in Frickes Umfeld haben ein Motiv.

Nun entwickelt Kay Jacobs in drei Erzählsträngen das Geschehen. Neben der Darstellung der Ermittlungen von Rosenbaum und seinem Team berichten ein Commander der Royal Navy dem britischen Secret Service Bureau (SSB) die Ereignisse jener Nacht, in der Fricke starb. Gleiches gilt für einen Mitarbeiter des Marinenachrichtendienstes (MND), der der Abteilung IIIb des Großen Generalstabes in Berlin berichten muss. So laufen die Erzählungen von Rosenbaum, dem SSB und dem MND parallel. Da sowohl der SSB wie auch der MND für ihre Spione und Gegenspione jeweils mit Decknamen arbeiten, muss man allerdings aufmerksam lesen, um die Personen letztlich dechifrieren zu können.

Wir haben es bei diesem Buch also um einen kombinierten Kriminal- und Spionageroman zu tun. Wer seine literarische Messlatte nun an Romanen von Graham Greene oder John le Carrè anlegt, wird enttäuscht sein. Der Spannungsbogen hält sich in Grenzen, manche Dialoge sind philosophisch weitschweifig und nicht zielführend und einige ermittlerische Slapstick-Einlagen sind sicher auch nicht jedermanns Geschmack.

Lesenswert ist das Buch aus drei Gründen:

1. Das Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg

Vor allem wegen seines historischen Themas, des Aufstiegs Kiels zum Kriegshafen und zur Rüstungsschmiede. Die deutsche Kriegsmarine war von Danzig nach Kiel verlegt worden; strategisch dafür ausschlaggebend war vor allem, dass die in Kiel stationierten Einheiten der Hochseeflotte seit dem Bau des Kaiser-Wilhelm-Kanals innerhalb kürzester Zeit mit den Geschwadern aus Wilhelmshaven vereinigt werden konnten. Dies und vor allem die deutsche Torpedotechnologie rufen das Interesse des britischen Geheimdienstes auf den Plan. Der Krimi beschreibt somit die Vorgeschichte des Aufrüstens im Vorfeld des Ersten Weltkrieges, Feinheiten bei der Entwicklung von Unterseebooten sowie der Torpedotechnik werden in dem Roman selbst für Laien verständlich dargestellt.

2. Kiel im Jahre 1909

Der Krimi gibt einen Einblick darüber, wie sich Kiel im Zuge der Entwicklung zum Kriegshafen rasant verändert: Wohnungsbau für die Wertarbeiter, Bau der Gablenzbrücke um Ost- und Westufer zusammenzuführen und es werden (in eingeschränktem Umfang und teilweise klischeehaft) Einblicke in den damaligen Alltag der Kieler Werftarbeiter gegeben, vor allem deren Wohnsituation in Gaarden.

Daneben erfährt der Leser etwas darüber, wie Polizeiarbeit anno 1909 aussah: Das Kieler Polizeipräsidium ist gerade in die neu erbaute "Blume" eingezogen und Rosenbaum vermisst z.B. die Telefone auf den Schreibtischen (wie er es aus Berlin kennt). Nur der "Chef" hat eins - ansonsten gibt es nur Fernsprecher in den Fluren.

3. Kriminalobersekretär Josef Rosenbaum

Mit Josef Rosenbaum hat der Autor Kay Jacobs einen interessanten Ermittler "erfunden". Aus Berlin nach Kiel "zwangsversetzt" (aus welchem Grund bleibt ein Geheimnis), Jude, Sozialist und auf der Suche nach seiner sexuellen Orientierung.

Josef Rosenbaum, Kriminalobersekretär. Diese Titel "war das Eingeständnis von Ungleichheit und Ungerechtigkeit und Antisemitismus. Rosenbaum war Jude, und Juden wurden im deutschen Kaiserreich nicht zu Kommissaren ernannt. Ein Jude wurde im Kaiserreich nicht Offizier, nicht Richter und nicht Kommissar, sondern notgedrungen Schauspieler, Arzt, Anwalt, Bankier, Kaufmann, Politiker" - oder Kriminalobersekretär als für Juden höchstmögliche Stufe im Kriminaldienst.

Und Rosenbaum ist mit Karl Liebknecht befreundet. Als Zwölfjährige hatten sich beide über ihre Väter kennengelernt und angefreundet. "Sie diskutierten viel über den herrschenden Militarismus, die Klassengesellschaft, die Ausbeutung der Arbeiterschaft, den Imperialismus und was man dagegen tun konnte. Sie waren fast immer einer Meinung, nur dass Rosenbaum nie wirklich etwas gegen die herrschenden Zustände getan hatte. Rosenbaum war im Geiste immer Sozi geblieben, aber er hatte es nicht gewagt, in die SPD einzutreten."

Es bleibt also spannend, wie der Autor den Kriminalobersekretär Rosenbaum durch die kommenden turbulenten Kieler Jahre führen wird. Der Folgeband ("Kieler Dämmerung"), der im Jahre 1911 spielt, ist bereits erschienen.


Kay Jacobs, Kieler Schatten.
Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2015, 311 Seiten, 11,99 EUR


Kay Jacobs,

Jahrgang 1961, studierte Jura, Philosophie und Volkswirtschaft in Tübingen und Kiel. Viele Jahre als Rechtsanwalt tätig lebt er mit seiner Familie in Norddeutschland.

Am 19. Januar 2017 um 19 Uhr liest er in der Stadtteilbücherei Gaarden, Elisabethstrasse 64 aus seinem aktuellen Krimi "Kieler Dämmerung".

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Quelle:
Gegenwind Nr. 339 - Dezember 2016, Seite 67 - 68
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2016

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