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GEGENWIND/652: Musik - Bernd Köhler "...dass ihr euch endlich besinnt..."


Gegenwind Nr. 328 - Januar 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

MUSIK "...dass ihr euch endlich besinnt und dafür sorgt, dass die Spirale aus Hass und Gewalt, Elend und Not, ein Ende nimmt, endlich ein Ende nimmt"

Von Günther Stamer


Tornados fliegen ab Januar über Syrien - aus Jagel (bei Schleswig) sind vier Maschinen des Typs ECR (Electronic Combat Reconnaissance (zu deutsch: elektronischer Kampf und Aufklärung) dabei, um angeblich das geschundene Land von der IS-Terrormiliz zu "befreien". Der Bundeswehreinsatz soll - so die Bundesregierung - "ein Signal an die Menschen in Syrien" senden. Der Begriff "Krieg" wird wohlweislich - noch - vermieden. Das Einsatzgebiet der Bundeswehr "in dem bewaffneten Konflikt" soll neben Syrien und dem Irak auch das östliche Mittelmeer, das Rote Meer, den Persischen Golf sowie "angrenzende Seegebiete" umfassen.


Das in Jagel stationierte Taktische Luftwaffengeschwader 51 "Immelmann" (benannt nach einem deutschen Jagdpiloten des 1. Weltkrieges) mit seinen Tornados setzt dabei auf Erfahrung. Denn die Rolle als Aufklärer "im Kampf gegen den Terror", die es nun über Syrien/Irak übernehmen soll, ist seit Jahrzehnten seine Hauptaufgabe. Die ERC-Tornados haben schon von 1995 bis 2001 über Ex-Jugoslawien und von 2007 bis 2010 über Afghanistan für gestochen scharfe Bilder der Geschehnisse am Boden gesorgt (in der Folge mit verheerenden "Kollateralschäden" an unzähligen unbeteiligten Zivilpersonen). "In der Version ECR sind die Maschinen für die elektronische Kriegführung optimiert und können mit speziellen Luft-Boden-Waffen radargestützte Flugabwehrsysteme bekämpfen. (...) Ein Einsatz der deutschen Jets in dieser Rolle ist in Syrien allerdings nicht vorgesehen, es sollen nur Fotos gemacht werden." (Flensburger Tageblatt 1.12.15). Das Bomben übernehmen dann vorerst - aufgrund der Fotos - andere. Kampfjet-Experte Thomas Wassmann im Interview mit NDR-online (4.12.15): "Beim Aufklärungsfliegen sind sie schon in der ersten Reihe, also ganz vorne mit dabei, weil sie ja letztendlich zu den Zielen fliegen, die wahrscheinlich später angegriffen werden."

Ich habe sie gesch 'n in Bahrain
die Militärbasen
mit den Jagdfliegerkommandos
Bomberstaffeln und Awacs-Afklärern
die sind nicht zum Spaß da

Und unter den spitzen Knickflügeln
hängen scharfe Bomben und
die Piloten sind gut dressiert
Ein Haufen toller Hunde der wartet nur darauf
endlich mal von der Leine gelassen zu werden
(...)
Und auf Kommando hauen die bedenkenlos
jede x-beliebige Stadt in Schutt.


In dieser Straße - das Waterboarding-Syndrom

So der Titel des Albums von Bernd Köhler und ewo2, dem diese Zeilen entnommen sind. Dieses Album - Anfang 2015 produziert - bildet quasi den Soundtrack zum gegenwärtigen Akt des "Kampfes gegen den Terror". Im Mittelpunkt steht eine Lieder-Trilogie (Das Waterboarding-Syndrom) zum Thema Anti-Terror-Krieg, die Hintergründe, Nutznießer sowie deren Akteure.

Die Spuren der Kriege, so schreibt Bernd Köhler in der Cover-Innenseite, ziehen sich dabei bis in das Land, die Stadt, die Straße, in der du wohnst. Wegsehen hilft nicht, die Einschläge kommen näher. Es wird Zeit, dass wir zur Besinnung kommen und uns dem Lauf der Dinge widersetzen.

Zum Beispiel der nette Familienvater von nebenan: Er ist ein "Legalized Killingman", unterwegs für Sicherheitsdienste auf der ganzen Welt.

Auf jeden Fall sei sein Job gut bezahlt da unten
- wo - keine Ahnung, Afrika, Asien,
Afghanistan, er habe schon überall
'ne Karte geschrieben -
habe die ganze Welt geseh'n, sei
schwer rum gekommen -
was er das mache, wisse man auch nicht genau, aber
he 'll do it and he can
he is a legalized killing man.

Das Lied "Ich habe sie gesehn", schlägt den Bogen von Ramstein, nach Abu Ghraib und erzählt über den für viele Bundesbürger fernen und doch spürbaren Zusammenhang der Geschichte des "Kampfes gegen den Terror" und der herrschenden Weltordnung. "Der Terrorismus ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die vom Imperialismus verwüstet wurde" hat die indische Schriftstellerin Arundhati Roy einmal geschrieben. Auf dieser CD wird uns diese Erkenntnis noch einmal ausdrucksstark musikalisch vor Augen geführt.

Der Drei-Song-Zyklus des "Waterboarding Syndroms" kommt - der Sache entsprechend - düster daher. Daneben sind auf dem Album aber auch optimistische Stücke zu hören, die mal an Hannes Wader und mal an Franz-Josef Degenhardt erinnern.

Ein Leben beginnt, brüderlich gleich und frei
Keiner duckt mehr den Rücken krumm
Die Erde, sie wird von uns instand besetzt
Dass allen Menschen gleich, sie Heimat sei.


Bernd Köhler und EWO2

In den 70er und 80er Jahren wurde Bernd Köhler, Mannheimer Liedermacher, durch Auftritte unter seinem Spitznamen "Schlauch" bundesweit bekannt. Er spielte bei außerparlamentarischen Aktionen und Demos, bei gewerkschaftlichen und betrieblichen Kämpfen, linken Festivals und trieb dabei "manches Folk-Festival an den Rand des Wahnsinns, wenn er sich auf der Bühne abarbeitete. Nicht mit Steinen und Sturmmaske - seine Waffe war schärfer: Seine Gitarre und seine erbarmungslosen Texte waren bei Freunden beliebt und bei seinen Gegnern gefürchtet" hieß es einmal in einer Konzertkritik. Die "Wende" und das verschwinden des "Realsozialismus" ließen ihn dann erst einmal verstummen. 2007 veröffentlichte er nach langer Pause eine vielbeachtete Solo-CD. 2009 erhielt er mit der Gruppe ewo2 ifir die Produktionen "avanti popolo" den "Preis der deutschen Schallplattenkritik". Neben Eigenkompositionen zählen vor allem Bearbeitungen historischer Lieder der internationalen Arbeiterbewegung zu seinem Repertoire.

Ewo 2 das sind neben Bernd Köhler (Gesang), Hans Reffert und Jan Lindqvist (Gitarren), Laurent Leroi (Akkordeon) und Adax Dörsam (diverse Saiteninstrumente), Christiane Schmied (Synthesizer) sowie Joachim Romeis (Geige) und Margit Romeis (Gesang). Wer also angesichts der Abkürzung (ewo2 - das kleine elektronische weltorchester) Musik im postmodernen Elektro-Sound erwartet, täuscht sich: Die Instrumentierung ist klassisch-liedermacherisch.

Das hier besprochene aktuelle Album von Bernd Köhler und ewo2 wurde im Mai 2015 zur CD des Monats der Liederbestenliste gewählt. (Diese "Liedermacher-Charts" gibt es seit 1984; bis 2003 angesiedelt beim öffentlich-rechtlichen SWF / SWR, wird sie seitdem vom Deutschsprachige Musik e.V. getragen. www.liederbestenliste.de).

In der Begründung der Jury heißt es: "Dass Bernd Köhler seine überwiegend linkspolitischen und antimilitaristischen Meinungen noch immer bemerkenswert frisch präsentieren kann, ist gleichermaßen seinem geschärften Blick wie der tagesaktuellen Lage zu verdanken. Denn die Einschläge, wer mag ihm da widersprechen, kommen tatsächlich näher. Und sie werden derzeit mehr, nicht weniger. (...) Ja, es ist kaum abzustreiten, viele von uns haben sich längst einlullen lassen, zurückgezogen in uns selbst hocken wir in unseren Wohnungen, haben kapituliert, kommen kaum noch heraus. Nicht aus uns selbst und schon gar nicht mehr auf die Straße."

Das zu ändern, ist ein Anliegen dieser CD: "... dass ihr euch endlich besinnt und dafür sorgt, dass die Spirale aus Hass und Gewalt, Elend und Not, ein Ende nimmt, endlich ein Ende nimmt."


Bernd Köhler und ewo2. in dieser Straße - das waterboarding-syndrom JumpUp Record, 15,00 Euro zzgl. Versandkosten. Alle Texte sind in einem 32-seitigen Booklet

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Quelle:
Gegenwind Nr. 328 - Januar 2016, Seite 44-46
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2016

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