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GEGENWIND/637: Rückbau des Atomkraftwerks Brunsbüttel ja - aber sicher!


Gegenwind Nr. 323 - August 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

ATOM
Rückbau des Atomkraftwerks Brunsbüttel ja - aber sicher!
EinwenderInnen verlassen die Erörterung unter Protest

Von Rainer Guschel und Karsten Hinrichsen


Zum Glück fallen nicht alle auf die warmen Sprüche unseres Umweltministers rein: "Um den Atomausstieg unumkehrbar zu machen, müssen wir das Kernkraftwerk zurückbauen." Da irrt Minister Habeck. Für den Atomausstieg ist das sofortige Abschalten aller Atomanlagen erforderlich!


Der von Vattenfall gestellte Rückbauantrag stellt eine Provokation dar. Für weitere 15 bis 20 Jahre können Menschen und Natur mit unnötig hoher radioaktiver Strahlung verseucht werden! Denn die beantragte Ableitung von radioaktiven Stäuben in die Luft und in die Elbe sollen ca. 100fach höher sein als die im Leistungsbetrieb getätigten Emissionen. Und das, obwohl die atomare Kettenreaktion schon seit dem Jahr 2007 erloschen ist. Niemand, der die Erörterung am 6. und 7. Juli miterlebt hat, wird Minister Habeck zutrauen, diese dreisten Freisetzungsmengen um 99% zu senken.

Die sogenannte Freimessung von großen Mengen an radioaktiven Stoffen könnte durch die Festsetzung von um den Faktor 10 niedrigere Grenzwerte als beantragt gesenkt werden. Die im AKW Brunsbüttel vorhandenen radioaktiven Materialien dürften als ganz normales Baumaterial oder Schrott in den Wirtschaftskreislauf entlassen werden, wenn bestimmte nach der jetzigen Strahlenschutzverordnung geltende Grenzwerte unterschritten werden.

Diese vom damaligen Bundesumweltminister Trittin betriebene Novellierung stellt eine erhebliche Verwässerung des Minimierungsgebots in der Strahlenschutzverordnung dar. In der Begründung heißt es dazu entlarvend: "Dabei müssen auch wirtschaftliche Erwägungen, z. B. die Kosten einer Endlagerung, einbezogen werden." Deshalb fordern die EinwenderInnen: "Der Umweltminister muss sich entscheiden: Will er Vattenfall einen billigen Abriss genehmigen, oder Menschen und Umwelt vor völlig unnötiger Strahlenbelastung bewahren." Ersteres erspart dem 100%igen schwedischen Staatskonzern Endlagerkosten; letzteres erspart vielen Menschen Krebs und andere Krankheiten. (Es fehlt eine Abschätzung, in der dargestellt wird, wie teuer eine Reduktion der Strahlenbelastung um z. B. 50% wäre, i. a. Worten: was ist Vattenfall ein Menschenleben wert.)

Es ist geplant, die auf Deponien abzulagernden radioaktiven Stoffe "gerecht" auf schleswig-holsteinischen Müllkippen zu verteilen.

Die EinwenderInnen fordern Minister Habeck auf, sich für einen wesentlich verbesserten Strahlenschutz einzusetzen.

Fakt ist, dass Minister Habeck durch sein oft propagiertes atompolitisches Hauptziel - den Rückbau - erpressbar geworden ist. Vattenfall hat angekündigt, eine Genehmigung, die zu weit vom Antrag abweicht, nicht nutzen zu wollen. Das ist ein Deutschland weit bestehendes Problem; denn im Atomgesetz fehlt eine Rückbauverpflichtung. Deshalb können die Antragsteller den Atomaufsichtsbehörden auf der Nase herumtanzen.

Minister Habeck hatte mit einem entsprechenden Gesetzentwurf versuchtdiese Lücke im Atomgesetz zu schließen. Leider fand er dafür im Bundesrat keine Mehrheit. (Möglicherweise, weil er auch den "Sicheren Einschluss" verbieten wollte, was aber in bestimmten Situationen aus Strahlenschutzgründen kontraproduktiv sein könnte.) Es ist wichtig, dass er einen erneuten Vorstoß unternimmt.

Die in vier Bundesländern von Grünen geleiteten Atomaufsichtsbehörden (zusätzlich Bayern) versuchen in einem abgestimmten Vorgehen, die Öffentlichkeit weitgehend aus den Verfahren zum Rückbau der AKW auszuschließen. Es hätte einen Sturm der Entrüstung gegeben, falls das Minister der CDU gemacht hätten.

Nach den Erfahrungen aus dem Erörterungstermin in Brunsbüttel ist die erschreckende Erkenntnis erwachsen, dass trotz der ständig wiederholten Zusage von Umweltminister Habeck von "größtmöglicher Transparenz" entweder überhaupt keine Transparenz möglich ist (weil Vattenfall das nicht zulässt) oder Transparenz vom Umweltminister nicht ernsthaft gewollt ist. Befürchtet er, dass dadurch der Rückbau verzögert werden könnte? Ein schneller Rückbau ist jedenfalls nur bei großer Transparenz möglich.

Die Reaktoraufsichtsbehörde rechtfertigt das Zurückhalten von Unterlagen wörtlich damit, dass "die Menge der Informationen den Fokus vom Wesentlichen abrücken" könnte. Dagegen vertritt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum AKW Mühlheim-Kärlich vom 22.12.1979 die Position, dass die Erörterung dem wirksamen Rechtsschutz des Bürgers dient.

Von ca. 40 bis 50 von Vattenfall vorzulegenden Antragsunterlagen sind der Öffentlichkeit nur zwei vorgelegt worden: der Sicherheitsbericht und die Umweltverträglichkeitsuntersuchung. Über das im AKW vorhandene radioaktive Inventar wurden keinerlei Angaben gemacht. Ohne diese Unterlagen erfolgte die Erörterung im Blindflug.

Viele EinwenderInnen hatten den Eindruck, dass es statt der üblicherweise drei Parteien bei einer Erörterung diesmal nur zwei gab: die EinwenderInnen und die Vattenfallplus-Genehmigungsbehörde.

Nach reiflicher Überlegung stellten die EinwenderInnen den Antrag auf Beendigung der Erörterung und Neuauflage nach Vorliegen aller Unterlagen. Nachdem der Versammlungsleiter das mit einem schon vorbereiteten Schriftstück abgelehnt hatte, verließen die noch anwesenden EinwenderInnen den Saal.

Die Bitte um ein Nachgespräch hat Minister Habeck bis heute (17. Juli) nicht beantwortet. Dafür hat Vattenfall einen "Runden Tisch" angekündigt, jetzt, nachdem die rechtlich relevante Beteiligung der Öffentlichkeit beendet ist.

Die EinwenderInnen wollen den Rückbau. Sollte er aber mit nur kosmetischen Änderungen gegenüber dem Antrag genehmigt werden, wäre ein "Sicherer Einschluss" aus Strahlenschutzgründen vorzuziehen.

Die gerichtliche Prüfung der für Anfang 2017 angekündigten Genehmigung behalten sich die EinwenderInnen (unter ihnen der BUND-SH) vor.


Rainer Guschel, BUND-SH
Karsten Hinrichsen, Brokdorf-akut

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Quelle:
Gegenwind Nr. 323 - August 2015, Seite 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2015

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