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GEGENWIND/617: Cyberkrieg im Informationszeitalter


Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Krieg & Frieden
Cyberkrieg im Informationszeitalter

Von Ralf Cüppers



Die jetzt für die Bundeswehr geplanten Kampfdrohnen, die in Jagel stationiert werden sollen, sind nur ein Baustein einer auf elektronischer Kommunikation und Datenverbindung gestützten Militärtechnologie mit dem Fachbegriff Network-Centric Warfare (Netzwerkzentrierte Kriegsführung).


Die Bundeswehr nennt ihr Konzept Vernetzte Operationsführung.

Mit der Vernetzten Operationsführung soll eine Steigerung der militärischen Kampfstärke gegenüber der konventionellen Kriegsführung erreicht werden. Dies geschieht durch die Vernetzung aller relevanten Bestandteile. Die elektronische Funkaufklärung der Elektronischen Kampfführung wird mit auf Datenerfassung und Datenverarbeitung gestützter Informatik und den entsprechenden Kriegswaffen, zum Beispiel Kampfflugzeugen und Kampfdrohnen verbunden.

Durch diese Vernetzung können die bisherigen Begrenzungen der militärischen Reichweite im Einsatzgebiet überwunden werden, die Genauigkeit der Informationen verbessert werden und militärische Reaktionsgeschwindigkeiten erhöht werden. Die digitale Datenübertragung ermöglicht eine Verteilung von Informationen fast ohne Zeit- und Qualitätsverlust. Um Datenverbindungen mit großer Bandbreite zur Verfügung zu haben, die für die Vielzahl der militärischen Operationen umsetzbar sind, ist die Aufrüstung mit Satelliten mit hohen militärischen Beschaffungskosten erforderlich.

Die Informationsüberlastung, die eine Folge des Verbundsystems ist, soll durch die Installierung von Wissensmanagementsystemen und "künstlicher Intelligenz" vermieden werden, deren Aufgabe es ist, Informationsflut in Wissen umzuwandeln und entsprechend zu verteilen.

Diese Militärtechnologie umfaßt auch die Optronik, eine lasergestützte 3-D-Darstellung von feindlichen Operationsgebieten und militärischen Zielen. Sie kann dazu benutzt werden, dem militärischen Gegner scheinbare Ziele zu präsentieren und den militärischen Gegner durch die Vorgabe falscher Ziele oder falscher Mannschaftsstärke zu täuschen, um die Waffenwirkung des militärischen Gegners zu reduzieren. Sie kann aber auch dazu verwendet werden, der Öffentlichkeit Szenarien vorzuspielen, die so nicht stattgefunden haben oder auch gar nicht stattgefunden haben können.

An militärischen Beispielen kann erläutert werden, wie sich durch die Vernetzung der unterschiedlichen Systeme und Methoden die militärische Reichweite, die Genauigkeit und die militärische Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen:

Ein Soldat verfügt über seine menschlichen Sinnesorgane zur Aufnahme von Informationen über seine Umgebung. Er kann sie mit Hilfe einer Funkverbindung oder einer Datenverbindung mit anderen Soldaten erweitern. Mit dem Einsatz aller verfügbaren elektronischen und digitalen Möglichkeiten kann er auf die Sinneswahrnehmung vieler anderer Soldaten außerhalb seiner beschränkten Reichweite zurückgreifen. So können sich alle Soldaten im Einsatzgebiet in das Blickfeld eines anderen Soldaten einblenden. Durch die enge Vernetzung in nahezu Echtzeit würden die Soldaten zu einer kollektiv agierenden Entität verschmelzen. So können sie ihre Entscheidungen und militärischen Handlungen aufeinander abstimmen. Eine Synchronisation aller Beteiligten kann erreicht werden, so daß eine schnellere militärische Reaktion erfolgt.

Wenn feindliche Flugzeuge funktechnisch aufgeklärt werden, richten die Luftraumüberwachungsradarsysteme und die Abfangjäger ihre Sensoren auf die feindlichen Flugzeuge. Die Daten von allen Sensoren werden verarbeitet und fusioniert an alle militärischen Verteidigungssysteme übertragen. Dadurch verfügen die Boden-Luft-Raketensysteme und die Abfangjäger über eine überwältigende Menge von Daten über die militärischen Ziele und können entsprechend schnell militärisch reagieren.

Tomahawk-Marschflugkörper überfliegen ein Gefechtsgebiet und warten auf Befehle. Plötzlich entdeckt eine Aufklärungsdrohne eine Boden-Luftraketenstellung mit deaktiviertem Radar, deren Koordinaten nicht als eigene Stellung in ihre Datenbank einprogrammiert sind. Die Marschflugkörper befinden sich bereits in der Nähe der Boden-Luftraketenstellung und in wenigen Sekunden werden die GPS-Koordinaten durch einen gesicherten Kanal von der Drohne an die Marschflugkörper übertragen mit dem automatisierten Befehl, das Ziel zu vernichten. Wenn die Bundeswehr über Kampfdrohnen verfügt, kann sie die militärische Reaktionszeit noch weiter verkürzen, weil bei Kampfdrohnen die Zeit der Informationsübertragung von Aufklärungsdrohne zum Marschflugkörper entfällt.

Kein Mensch hätte die Möglichkeit, den automatisierten Vernichtungsbefehl auch nur zu beurteilen, zu kontrollieren oder zu stoppen, etwa wenn er wüsste, dass es sich doch um eine eigene Stellung handelt, deren Koordinaten nur noch nicht in die Datenbank hinein aktualisiert wurden.

Im Konzept der Vernetzten Operationsführung stellt jede Einheit alle für sie relevanten Informationen allen Teilnehmern zur Verfügung, auch über die Grenzender Teilstreitkräfte und auch über die Grenzen von nationalen Streitkräften hinweg fast ohne zeitliche Verschiebung. Gemäß der Metcalf Regel, die besagt, dass der Nutzen eines Netzes mit der Zahl der Teilnehmer steigt, hat die umfassende Weiterentwicklung der Vernetzten Operationsführung einen Rückkopplungseffekt auf das Ergebnis der Vernetzung. Aber kein Teilnehmer, auch kein politisch legitimierter oder militärischer Befehlshaber, könnte über das Ergebnis der Vernetzung willentlich bestimmen, denn dieses wäre nur ein Ergebnis der einprogrammierten Algorithmen. Die Programme wurden aber vorher abstrakt geschrieben ohne Möglichkeit der Kenntnis einer konkret bestimmten politischen oder militärischen Lage, die in der Zukunft eintreten könnte. Danach können die Teilnehmer nur noch einzelne Detailinformationen eingeben, ohne dass sie wissen könnten, wie sie mit ihrer Information das Ergebnis der automatisierten Informationsverarbeitung beeinflussen würden.

Diese militärische Entwicklung hat die weitere Entkoppelung militärischer Entscheidungen und militärischer Reaktionen von parlamentarischen Entscheidungen über Kriegseinsätze zur Folge, da die Kommunikation und die militärischen Entscheidungen in beinahe Echtzeit automatisch innerhalb des vernetzten Systems verläuft, aus dem Menschen als Entscheidungsträger ausgeschlossen sind.

Es ist logisch unmöglich, dass mathematisch abstrakte Algorithmen der Zielerfassung von zu vernichtenden Objekten nach einer menschlichen Logik erstellt werden, in die bekanntlich auch intuitive und emotionale und ethisch moralische oder spirituelle Faktoren oder humanistische Wertvorstellungen eingehen würden. Die Kriege des 21. Jahrhunderts werden im Geheimen vorbereitet und auch durchgeführt. Ihre Ziele und Interessen werden nicht offen gelegt und auch nicht mehr diskutiert. Damit wäre die Bundeswehr nicht mehr nur auf dem Weg "Staat im Staat" zu werden und militärische Interessen im Verbundsystem NATO wahrzunehmen ohne nationale demokratische Kontrolle. Vielmehr würde auch eine militärischeFührung, die noch aus menschlichen Generälen und Admirälen bestünde, durch eine von niemandem mehr beeinflußbare abstrakte Roboterlogik ersetzt, wenn sie denn einmal installiert ist.

Genausowenig, wie man aus der chemischen Zusammensetzung eines Blattes Papier schließen könnte, ob auf diesem ein militärischer Mordbefehl geschrieben steht oder ein Liebesgedicht, so kann man aus der Frequenz einer elektromagnetischen Welle auf militärische oder zivile Inhalte schließen. Nachdem die Taliban in Afghanistan wiederholt mit Sprengfallen erfolgreich waren, die mittels Anwahl einer Mobiltelefonnummer gezündet wurden, war die Gegenmaßnahme der Elektronischen Kampfführung der Einsatz sogenannter "Jammer" die die elektromagnetischen Wellen stören, die zur Zündung der Sprengfalle führt. Die Nebenwirkung, dass beim "Jammer"-Einsatz niemand mehr mit seinem Mobiltelefon Gespräche führen kann, wäre vielleicht in Kauf zu nehmen, jedoch wurden auch die elektromagnetischen Wellen gestört, die zur Steuerung von Herzschrittmachern, in medizinischen Geräten auf Intensivstationen, bei der Steuerung von Staudämmen und Atomkraftwerken und jeglicher ziviler Infrastruktur benötigt werden. Ein Computervirus, der mit dem militärischen Ziel in Umlauf gebracht wird, die militärische Infrastruktur des Gegners zu sabotieren, kann durch nichts daran gehindert werden, auch die Computer der zivilen Anwender zu befallen. Amerikanische Geheimdienste hatten mit israelischer, britischer und deutscher Beteiligung und einem Aufwand von mehreren Millionen Dollar einen Computerwurm "Stuxnet" entwickelt, der den Iran militärisch schwächen sollte. Ziel war das Atomprogramm des Iran. Die Geschwindigkeit der Zentrifugen der Urananreicherungsanlage in Natanz wurde so manipuliert, dass sie beschädigt wurden. Diese eine Atomanlage war zwar eine zivile, der Angriff wurde aber noch mit der Gefahr der militärischen Nutzung begründet. Aber der Computerwurm hatte neben diesem einen "militärischen" Ziel vor allem in Asien auch etwa sechs Millionen zivile Computer befallen und etwa tausend Industrieanlagen, unter anderem auch Infrastrukturen wie Energie- und Wasserversorgung.

Das globale Positionssystem GPS unterliegt ebenso wie das Internet dem Zugriff des US-amerikanischen Militärs und wird von uns nur zivil mitgenutzt.

Als das amerikanische Militär zu Übungszwecken das GPS-System um einige 100 m gegenüber den geophysischen Koordinaten verschoben hat, liefen kurz nacheinander alle beide zivilen Fähren im Oslofjord auf Grund, so daß der Urlaubsverkehr nach Skandinavien über das Skagerrak völlig zum Erliegen kam. Sicherlich kann man den Schiffsoffizieren der beiden Fähren vorwerfen, dass sie sich ausschließlich auf ihren GPS-Rechner verließen, ohne die Schiffsposition wenigstens durch eine einfache Kompaßpeilung zu überprüfen, der Fall zeigt jedoch, wie sehr sich unsere Zivilisation von einer elektronischen und digitalen Infrastruktur abhängig gemacht hatte, die vom Militär im direkten Zugriff manipuliert werden kann.

Im kalten Krieg wurde von beiden Militärblöcken ein großer Aufwand betrieben, die Position der gegnerischen militärischen Anlagen auszuspionieren. Heute reicht dafür ein Mausklick in die Satellitenbilder von Google Earth. Auch der EloKa-Standort Bramstedtlund ist erstaunlich detailgetreu abgebildet, in der besten Auflösung sind die einzelnen Antennen zu sehen. Ein Blogger wurde im Internet bekannt, weil er mit Google Earth Stellungen der ISIS Truppen identifizierte, die vom NATO-Militär bislang wohl übersehen wurden. Katharina Ziolkowski, als Rechtsreferentin im Verteidigungsministerium zuständig für Cyber-Völkerrecht, sagte im NDR: "Wenn der Krieg darum gehen würde, möglichst viele Informationen zu sammeln, um dadurch einen Informationsvorsprung zu haben, (...) dann wäre der größte Kriegsteilnehmer dieser Welt eine private Firma namens Google."

Dieser US-Konzern, verfügt über so viele - auch sicherheitsrelevante - Informationen wie keine andere Organisation und auch kein Staat. Da selbst in der Bundeswehr viel "gegoogelt" werde, verfüge das amerikanische Unternehmen über zahlreiche Informationen auch über deutsche Militärs, denn die Suchanfragen der Nutzer werden von Google ausgewertet. Sage mir, wonach Du suchst, und ich weiß, wer Du bist und womit Du dich gerade beschäftigst. So erstellt Google Persönlichkeitsprofile seiner Nutzer. Der US-amerikanische Konzern muss nach US-amerikanischer Gesetzgebung seine sicherheitsrelevanten Informationen den Sicherheitsbehörden, auch dem Militär der USA zur Verfügung stellen, da gibt es keinen Datenschutz. Und da die wichtigsten Server des Internets in der Hand US-amerikanischer Konzerne sind, wären diese auch in der Lage, das Internet abzuschalten. Im Cyberkrieg würden sie das auch tun müssen, um etwa die über das Internet abrufbaren Positionen ihres Militärs wieder zu verbergen. Das Abschalten des Internets hätte massive zivile und wirtschaftliche Auswirkungen: Die großen Konzerne haben Intranets, die über dieselben Internetverbindungen laufen und könnten nicht mehr arbeiten. Behörden und Verwaltungen würden zusammenbrechen.

Technik für den Cyberkrieg

Die Beschaffung der Technik für den Cyberkrieg erfolgt in geringer Stückzahl bei Firmen, die auch Geheimdienste ausrüsten und deren Produktpalette nicht transparent ist. Über die Vielzahl der aktuellen Antennen, Funkempfänger, elektronischer und digitaler Überwachungssysteme gibt es keinen Überblick, auch nicht über die Beschaffungskosten. Sie werden oft als Ausstattung von Kriegsgerät geführt. Sie erscheinen nirgendwo als Beschaffungsmaterial, es gibt auch keine Transparenz, wo sie sich befinden. Es wird keine parlamentarische oder öffentliche Diskussion über die Methoden der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung geführt und sie ist auch nicht erwünscht.

Die Luftgestützte Unbemannte Nahaufklärungsausstattung (LUNA) beispielsweise liefert Live-Bilder aus einer maximalen Flughöhe von vier Kilometern bei einer Entfernung von bis zu 80 Kilometern. Per Livestream liefert die Aufklärungsdrohne ihre Bilder direkt zur Bodenkontrollstation und zur Luftbildauswertung. Hersteller ist die mittelständische EMT in Penzberg Oberbayern.

Cyberkrieg ist teuer: Für die Kosten der militärischen Spionagesatelliten "Helios 2" hätten wir 33.000 Ärzten ein Jahr lang Tariflohn zahlen können. Zum Vergleich: Ein Eurofighter kostete etwa 4.000 Jahresgehälter für Erzieherinnen. Die Heliossatelliten sollen durch MUSIS-Satelliten (multilateral space based system) ersetzt werden. Die Auflösung der Helios-Satelliten aus 700 km Höhe wird mit 1 m angegeben, die MUSIS-Satelliten sollen noch kleinere Ziele identifizieren können mit einer Auflösung von 5 cm, die reiche aber nicht zum Lesen von Autonummernschildern oder zur Identifizierung von Personen aus, so werden wir beruhigt. MUSIS soll eine größere Anzahl von Bildern verarbeiten und an die Entscheidungsträger weitergeben können und das auch noch schneller, die Kosten sollen 795 Millionen Euro betragen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014, Seite 11 - 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2015


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