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GEGENWIND/585: Zum elften Geburtstag der Abschiebungshaft in Rendsburg


Gegenwind Nr. 305 - Februar 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Zum elften Geburtstag der Abschiebungshaft in Rendsburg

von Pastor Dr. Martin Hagenmaier



Die Abschiebungshaft hatte am 17.1.2014 elften Geburtstag. Daran wird sichtbar, dass sie noch besteht. Obwohl sich im Inneren ein paar Dinge verändert haben, ist das wieder kein Tag zum Feiern. Immer noch werden Menschen dort in unserem Namen - im Namen des Volkes - festgehalten, bis sie das Land auf dem Weg verlassen können, das die europäische Bürokratie ihnen vorschreibt. Die deutsche Gesetzgebung ist auch hier ein Teil Europas. Sicher ist es in der Haft nicht so gefährlich wie im Mittelmeer, wo die illegalen "Reisebüros" ihre abgängigen Boote unter Lebensgefahr für die MigrantInnen und mit höchsten Einnahmen für sich beim Transport entsorgen. Eine derartig zynische Nutzung der menschlichen Not hat die Welt lange nicht gesehen. Dabei können diese so genannten Schlepper darauf hoffen, dass ihr risikoloses Einkommen noch lange garantiert bleibt und höher ausfällt als beim Rauschgifthandel.


Denn wir Europäer finden immer noch keine Möglichkeit, legalen Zugang zu organisieren. Flüchtlinge aus Syrien z.B. müssten dann nämlich in den riesigen Kreuzfahrtschiffen in den Mittelmeerhäfen abgeholt werden, statt sie den Schleppern zu überlassen. Stattdessen missbrauchen wir Europäer lieber weiterhin das Asylrecht zur Abwehr von Migration. Das Asylrecht ist dafür nicht geeignet. Es ist kein Zuwanderungsverhinderungsrecht und auch kein Zuwanderungsrecht, sondern ein Rechtsinstitut für ganz bestimmte definierte Verfolgungstatbestände, bei denen die Herkunftsländer den Menschen ihren Schutz verweigern oder sie gar eigenhändig verfolgen. Nun muss man sich nicht darüber täuschen, dass viele Regierungen der Welt nicht daran denken, sich als Schutz- und Förderungsmacht für ihre Einwohner zu verstehen. Sie nutzen ihre Macht für andere Ziele. Manche bilden sich ihre Macht auch nur ein. Ein Schutz - Idyll gibt es in einigen Staaten Europas und vielleicht in Nordamerika, auch wenn man im Blick auf die USA nicht ganz sicher sein kann, was Schutz und was Kontrolle ist. Massive Zuwanderung - so die verräterische Furcht - könnte das Idyll gefährden und es als Illusion erweisen.

Wer dann unter dem Einsatz seines Lebens und seiner oder seiner Familie letzten Ressourcen mit irregulären Mitteln durch irgendwelche Zufälle in Schleswig-Holstein landet, wird - wie anderswo auch - eingesperrt. Da ist es nett, dass man in dieser Haft seine eigene Kleidung tragen darf, ein Handy und einen Gebetsraum benutzen kann, dass man sich auch mal selbst etwas kochen kann, seine Wäsche waschen darf, dass man Besuch von einigen freundlichen und solidarischen Nachbarn bekommt, dass man beraten wird und dass die Menschen, die die Hafteinrichtung betreiben, einen guten Job machen. Aber einen Unterschied macht es nicht, ob Abschiebungshaft als Hochsicherheitstrakt oder als geschlossenes Wohnheim geführt wird, wenn man ihren Haftcharakter betrachtet. Besonders erbost die Eingesperrten regelmäßig, dass sie diese Haft auch noch bezahlen müssen. Für diesen Zweck darf die Bundespolizei ihnen das mitgeführte Geld legal wegnehmen und einbehalten.

Auch wenn zuzugeben ist, dass die meisten Migranten, die in der Abschiebungshaft landen, in der Tat von Anfang an irregulär unterwegs waren, so fragt sich auch jetzt wieder, warum eine Landesregierung nicht in der Lage ist, darüber zu entscheiden, was mit diesen Menschen geschehen soll. Wenn in Schleswig-Holstein die Überzeugung herrschen sollte, dass die dreihundert Männer, die das Land entgegen der Regel durchqueren, niemanden gefährden noch irgendwelche Unsicherheit erzeugen, dann könnte niemand dieser Einsicht folgen. Unsere Landesregierung hat Möglichkeiten dieser Art erwogen, sieht sich aber durch Gesetze daran gehindert, ihre Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Der Rechtsstaat wirkt also auch so, dass neue Einsichten nicht einfach realisiert werden können, selbst wenn sie der Menschenwürde eher entsprächen.

Die MitarbeiterInnen der Abschiebungshafteinrichtung fühlen sich durch die politische Zielformulierung "Schließung der Abschiebungshafteinrichtung" gestört, wenig geschätzt oder sogar kritisiert. Sie verstehen die entsprechenden Diskussionen oder Verlautbarungen als ein "Ja, aber..." gegenüber ihrer durchaus stressigen Arbeit. Offenbar kann Demokratie mit der öffentlichen Diskussion über politische Zielsetzungen wie etwa "menschenwürdige Behandlung" aller für diejenigen, die an der Ausführungsfront stehen, ziemlich anstrengend sein. Zum Teil rührt dieser Stress jedoch daher, dass bei der Suche nach Alternativen auch schlechtere Modelle ins Kalkül gezogen wurden. Natürlich würde es niemandem einleuchten, wenn unter Stichwort "Abschaffung der Abschiebungshaft" einfach nur eine Alternative durch Auslagerung in andere Bundesländer (die es bereits gegeben hat) geplant würde. Da müsste Schleswig-Holstein schon zu seinen politischen Plänen einer Verbesserung im Sinne der Menschenwürde oder der Menschenrechte stehen und notfalls auch Konsequenzen unangenehmer Art aus dem Bund oder aus Europa ertragen.

Vielleicht helfen auch andere mit. Die Abschiebungshaft wird durch Gerichte verhängt. Wenn die entscheidenden Richter den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip der Menschenwürde bei ihren Entscheidungen nicht nur berücksichtigten, sondern zugrunde legten, könnte sicher manche Abschiebungshaft vermieden werden. Dann wäre der Regierung insofern geholfen; dass sie die Abschiebungshafteinrichtung gar nicht mehr braucht. Aber ich weiß natürlich, dass das ein unseriöser Antrag an die Gerichte ist. Sie sollen Recht sprechen und nicht der Regierung aus der Patsche helfen. Vielleicht aber gibt es bei näherem Zusehen doch die Möglichkeit, die Abschiebungshaft rechtlich anders zu bewerten: "Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann." (§ 62 I AufentG) Die Abschiebungshäftlinge in Schleswig-Holstein sind zu mindestens 90 Prozent auf der Durchreise. Sie reisen zu lassen, würde den Zweck der Haft von selbst erfüllen. Niemand wird bestreiten, dass das ein milderes Mittel zur Zielerreichung darstellt. Außerdem steht hier im Wortlaut nichts anderes als der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber hat mit dem Wort "unzulässig" eine ziemlich deutliche Absicht geäußert. Der Rechtsstaat wird nicht außer Kraft gesetzt, wenn man den Absichten des Gesetzgebers ausnahmsweise mal folgen sollte.

Also dann alles Gute zum 11. Geburtstag!

Pastor Dr. Martin Hagenmaier
Seelsorger in der JVA Kiel und der AHE Rendsburg

gefaengnisseelsorge-kiel@t-online.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 305 - Februar 2014, Seite 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2014