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GEGENWIND/548: Kiel - 9000 neue Wohnungen werden bis 2013 gebraucht


Gegenwind Nr. 295 - April 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

9000 neue Wohnungen werden bis 2031 gebraucht
Ein Diskurs über eine bedeutende Zahl

von Ulrike Hunold



In den letzten Monaten spielt die Zahl 9000 in den Verlautbarungen der Stadt eine immer gewichtigere Rolle. Sei es, dass es um die Ausweisung von neuen Baugebieten im Kieler Süden geht oder das MfG-5 Gelände in Kiel Holtenau zur Überplanung ansteht. Aber auch, wenn es um die Fällung der über 100jährigen Eiche an der Feuerwache oder der Überplanung von alten Bäumen an der Schauenburger Straße geht wird Maximalbebauung genehmigt. Immer ist das Totschlagargument gegen den Naturerhalt oder behutsames Vorgehen die drohende Wohnungsnot. 9000 neu zu schaffende Wohnungen brauchen mehr Platz als Lückenbebauung oder Konversionsflächenumwandlung bieten können - sie sind eine Bedrohung für Grüngürtel, Kleingärten und freiräumige Landschaft!


Deswegen macht es Sinn die Entstehung dieser Zahl zu beleuchten:

Sie stammt aus der Prognose des Amtes für Statistik aus dem Jahre 2011 (abrufbar unter http://www.kiel.de/rathaus/statistik/index.php Stat Bericht Nt 214). Diese ist mit dem Programm ProPlan GIS erzeugt. In dem Bericht heißt es wörtlich: ProPlan GIS prognostiziert diese Bevölkerungsentwicklung zum einen anhand der in der Vergangenheit beobachteten Veränderungen an den verschiedenen Adressen. Zudem anhand der fortgeschriebenen regionalisierten Fertilität und der regionalisierten Neubauplanungen für Neubaugebiete. ... Die Software berücksichtigt mit der Einbindung der Neubauplanung aber auch, dass es einer Kommune möglich ist über dieses Planungsinstrument auf die Bevölkerungsentwicklung mittelbar Einfluss zu nehmen. Daher wird in ProPlan GIS diese Neubauplanung als eine "Stellsehraube" für die Bevölkerungsprognose genutzt.... Aufgrund der sehr günstigen Finanzierungsmöglichkeiten, die derzeit am Immobilienmarkt herrschen und der ungebrochenen Immobiliennachfrage in den Neubaugebieten der Landeshauptstadt Kiel wird auch das Szenarium "nur die Hälfte der aktuellen Neubauplanungen" nicht weiterverfolgt (4000 in 10 Jahren ist der Ausgangswert). So kommt man dann auf ein Bevölkerungszuwachs von 12.000 Menschen bis 2031.

Daraus folgt, dass bei diesem Programm automatisch mit dem Ansetzen von hohen Neubauzahlen auch viel Bevölkerungszuwachs prognostiziert wird, vollkommen unabhängig vom Angebot an Arbeitsplätzen / Wirtschaftlicher Entwicklung. Das heißt z.B., dass die ganzen Bauruinen vom irischen Bauboom statistisch Bevölkerungswachstum erzeugen konnten! Zudem spielt die Entwicklung in den Nachbargemeinden gar nicht in die Prognosen hinein. Altenholz, Kronshagen, aber auch Klausdorf/Schwentine oder Heikendorf werden aber garantiert nicht tatenlos zu sehen, was sich in Kiel tut, um ihre Bevölkerung wegzuschnappen.

Denn eine Voraussetzung ist klar: der demographische Wandel wird - das sagen Bevölkerungsprognosen in Deutschland voraus - mit einer Verminderung der deutschen Bevölkerung trotz Zuwanderung einhergehen. Die GEWOS stellte dann bei einer Veranstaltung im Kieler Rathaus am 14.3.13 auch klar, dass Zuwanderung nach Kiel v.a. als Bildungsmigration in der Altersgruppe 18- bis 25-Jähriger stattfinden wird. Jedoch werden die Studentenzahlen etwa ab 2016 deutlich geringer zunehmen, aber nicht mehr unter das Niveau von 2016 fallen. Aktuell geht die GEWOS, deren Auftraggeber übrigens vorrangig in der Bauwirtschaft sowie im Finanz- und Versicherungswesen zu finden sind (http://www.gewos.de/index.php?id=44) von einem Wohnungsüberschuss von ca. 1200 aus. Bei der gleichen Veranstaltung widersprachen Vertreter von Haus und Grund und der IHK Kiel/Wankendorfer Baugenossenschaft klar der Vorstellung einer allgemeinen Wohnungsnot; es könne allenfalls von Wohnraumverknappung in einzelnen Stadtteilen oder im Niedrigpreissegment gesprochen werden. Der aktuelle Wohnungsüberschuss wurde von Haus&Grund mit etwa 5000 angegeben.

Zwei weitere Studien der letzten Jahre, Wegweiser Kommune der Bertelsmann Stiftung sowie die des Landes gehen ebenfalls von einem Kieler Bevölkerungswachstum aus, jedoch auf weniger: 246.360 im Jahre 2030 bzw. 247.710 im Jahr 2025, das Land kommt hier auf 248.200 (2025). Die 5 Jahre jüngere Vorläuferstudie von Bertelsmann ging nur von 240.668 Bewohnern in 2025 aus. Im Gegensatz dazu steht eine Untersuchung des Bundesamtes für Bauordnung und Raumwesen für Ganzdeutschland aus dem Jahr 2008, die von einem Bevölkerungsrückgang von ca. 10.000 Menschen bis zum Jahr 2025 ausgeht.
(www.bbsr.bund.de/nn_287484/BBSR/DE/...pdf/DL_2_2008.pdf bei Google eingeben).

Bei der o.g. Veranstaltung wurde diese Studie abgetan mit der Bemerkung "aus der Adlerperspektive" - der eigenen, lokalen Studie sollte mehr Glauben geschenkt werden.

Unter dem Aspekt der insgesamt schrumpfenden Bevölkerung erscheint dieses Argument aber nicht stichfest.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass von solchen Prognosen insbesondere große Baugesellschaften sowie die Geldwirtschaft profitieren, da typischwerweise große Baugebiete nicht an Einzelpersonen verkauft werden. Natürlich finden solche Baugebiete Zuzug, aber das nur, weil andere Stadtteile insbesondere für junge Familien an Attraktivität verlieren. Dies zeigen die deutlichen Bevölkerungszunahmen im Süden Kiels bei gleichzeitiger Bevölkerungsschrumpfung im Norden. Eine generelle Bevölkerungszunahme in Kiel in dieser Größenordnung erscheint höchst zweifelhaft.

Deswegen erscheint maßvolle Lücken- und Konversionsflächenbebauung unter Beibehalt von vorhandenem Grün zur Steigerung der Lebensqualität zur Zeit erst einmal ausreichend. Durch Schaffung attraktiver Wohnformen Für Alter und Förderung von Einliegerwohnungskonzepten in Einfamilienneubauten >100qm könnte zudem eine bessere Wohnraumnutzung erreicht werden mit dem Nebeneffekt eines Zusatzeinkommens nach Auszug der Kinder. Zudem muss vorrangig die Attraktivität der weiteren Innenstadt zumindest erhalten bleiben und darf nicht durch die fortschreitende Zerstörung des Grüngürtels und der Kleingärten weiter beeinträchtigt werden.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 295 - April 2013, Seite 50-51
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2013