Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/523: Netzentwicklungsplan Strom


Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Informationsveranstaltung der Bundesnetzagentur in Hamburg
Netzentwicklungsplan Strom
Das Land Schleswig-Holstein hat sich die Freiheit genommen, den Planungsprozess zu unterlaufen

von Klaus Peters



Der Netzentwicklungsplan für den weiteren Ausbau der Stromtrassen in der Bundesrepublik ist ein hochkomplexes Gebilde, das im Herbst dieses Jahres den interessierten Verbänden, Institutionen und der Öffentlichkeit auf mehreren Informationsveranstaltungen vorgestellt worden ist. Der mehrere hundert Seiten umfassende zweite Entwurf des Netzentwicklungsplans wird durch einen ebenso umfangreichen Umweltbericht ergänzt. Eine Veranstaltung fand am 2. Oktober in Hamburg statt.

Der gesamte Verfahrensablauf zur Vorbereitung und zum Bau neuer Stromtrassen, die durch die Abschaltung der Atomkraftwerke und den weiter beabsichtigten massiven Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlich werden, ist für Nichtfachleute kaum zu durchschauen und zu bewerten. Betroffene oder Interessierte müssen viel Zeit investieren, um halbwegs fundierte Stellungnahmen abgeben zu können oder auf andere Art und Weise Einfluss zu nehmen, um gravierende Fehler und vermeidbare negative Folgen für Mensch und Umwelt zu verhindern.


Vielfältige und unübersichtliche Zuständigkeiten

Zunächst einmal muss man sich die Struktur des Verfahrensablaufs klar machen, die auch auf der Veranstaltung in Hamburg im Haus der Patriotischen Gesellschaft erst auf Nachfrage einigermaßen vollständig bekannt gemacht worden ist. Die Bundesnetzagentur befasst sich als Prüfbehörde im Wesentlichen mit dem Netzentwicklungsplan für das landseitige Übertragungsnetz. Zudem ist sie die federführende Behörde für länderübergreifende Raumordnungs- und Planfeststellungsbeschlüsse. Für das untergeordnete Verteilungsnetz der regionalen Stromanbieter sind die Landesbehörden zuständig. Für die Planungen und Genehmigungen im Offshore-Bereich ist die Bundesanstalt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg federführend. Dies gilt z.B. auch für das geplante Seekabel zwischen Norwegen und Deutschland. Im gesamten Planungsprozess ist zudem zu berücksichtigen, dass durch das Energieleitungsgesetz, dass vor der "Energiewende" verabschiedet worden ist, bereits Planungen und Baumaßnahmen eingeleitet, in geringem Umfang auch abgeschlossen worden sind. Hinzu kommt noch, dass ein EU-Netzentwicklungsplan vorbereitet wird, der Ten Years Network Development Plan (TYNDP). Das Land Schleswig-Holstein hat durch Vereinbarungen die Planungen für den Netzentwicklungsplan einseitig vorangetrieben und die sich aus der Aufstellung des gesamten Netzentwicklungsplanes einschließlich des Umweltberichts ergebende Gesamtplanung nicht abgewartet. Dieses Vorgehen wurde der Öffentlichkeit als vorgezogene Bürgerbeteiligung verkauft.


Vom Szenario zum Startnetz

Der Planungsprozess für den deutschen Netzentwicklungsplan ist 2011 durch die Erstellung eines Szenariorahmens für das Jahr 2022 durch die Netzbetreiber eingeleitet und nach einem ersten Beteiligungsschritt bereits im Dezember 2011 genehmigt worden. Dieser Szenariorahmen der 4 Betreiber (TenneT, 50Hertz, Ampion und TransnetBW) des Übertragungsnetzes (Höchstspannungsnetz) ist jährlich fortzuschreiben. Der Szenarienrahmen enthält drei Leitszenarien, von denen das Leitszenario B (Zubau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, hoher Anteil der Stromerzeugung durch Gaskraftwerke) als das wahrscheinlichste ausgewählt und bis 2032 fortgeschrieben worden ist. Auf diesem Szenario basiert der Netzentwicklungsplan (NEP). Das Szenario geht von einem Bedarf von 3800 km neuen Trassen, 2800 km neuen Leitungen auf bestehenden Trassen und von 1800 km Trassen aus, die ertüchtigt werden müssen. Grundsätzlich soll für alle Planungen und deren Umsetzung das NOVA-Prinzip gelten (zuerst Optimierung, dann Verstärkung, danach Ausbau). Inzwischen liegt bereits ein Entwurf für einen Szenariorahmen 2013 vor.

Der Netzentwicklungsplan wird auch als Startnetz bezeichnet, da sich grundsätzlich offenbar in jedem Stadium noch Änderungen ergeben können. Einen ersten Entwurf des Netzentwicklungsplans hatten die Netzbetreiber im Mai 2012 vorgelegt. Zu diesem Entwurf konnte die Öffentlichkeit in einem sogenannten Konsultationsverfahren auch Stellungnahmen abgeben. Nach der Einarbeitung von Stellungnahmen oder Anteilen von diesen, die der Bundesnetzagentur geeignet erschienen, ist der zweite Entwurf des NEP erarbeitet worden. Diese Fassung des NEP, auch Bundesbedarfsplan-Entwurf, stellte die Bundesnetzagentur dann im September und Oktober auf insgesamt 6 öffentlichen Veranstaltungen vor. Zu diesem Entwurf konnten wiederum schriftliche Stellungnahmen, jetzt gegenüber der Netzagentur bis zum 2. November, abgegeben werden. Die Bundesnetzagentur hatte ein Begleitdokument, eine Zusammenfassung des Umweltberichts und CDs der Dokumente zur Verfügung gestellt.

In Schleswig-Holstein fanden keine Informationsveranstaltungen mehr statt, nachdem dort bereits, ohne die Entwürfe des NEP und des Umweltberichts abzuwarten, in regionalen Veranstaltungen der zuständigen Gebietskörperschaften (Land und betroffene Kreise) und der Betreiber Trassenverläufe, das heißt Korridore (gewählte Breite 500 bis 1000 Meter), vorgestellt und zur Diskussion gestellt worden waren.

Nach dem zweiten Konsultationsverfahren zum Gesamtplan wird dieser mit dem Umweltbericht von der Bundesnetzagentur abschließend überarbeitet. Die Bundesnetzagentur hat dann die Aufgabe, den "Bundesbedarfsplan" fertig zu stellen. Die Prüfung und abschließende Bearbeitung des Netzplans wird durch externe Experten unterstützt. Die Erstellung des Umweltberichts ist ebenfalls durch externe Experten unterstützt worden. An der Prüfung des Netzplans ist zudem die Technische Universität Graz maßgeblich beteiligt. Netzplan und Bundesbedarfsplan enthalten, wie bereits erwähnt, keine Trassenverläufe und auch noch keine Korridore, sondern lediglich ellipsenförmige Untersuchungsräume, die jeweils den Bereich zwischen zwei Knotenpunkten (oft Umspannwerke) abdecken. Korridore werden dann nach einem regulären Planungsverlauf im Rahmen von Raumordnungsverfahren und die konkreten Trassenverläufe, einschließlich der Positionierung von Masten, in Planfeststellungsverfahren festgelegt. Ob in jedem Fall auch Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, ist offen, liegt weitgehend im Ermessen der zuständigen Behörden. Werden keine Grenzen von Bundesländern überschritten, führen die zuständigen Landesbehörden die Verfahren durch. Im Fall Schleswig-Holstein sollen aus vorgenannten Gründen vor der Einleitung regulärer Verfahren bereits Grundstückverhandlungen geführt worden sein.


Förmlicher Beschluss des Gesetzgebers 2013 zu erwarten

Der von der Bundesnetzagentur erarbeitete Bundesbedarfsplan wird der Bundesregierung übermittelt und muss dann von Bundestag und Bundesrat genehmigt werden. Es ist zu erwarten, dass der vorgelegte Bundesbedarfsplan, insbesondere auch wegen fehlender Fachkompetenzen, "durchgewunken" werden wird. Nach Genehmigung des Bedarfsplans kann formal mit der Bundesfachplanung (Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren) begonnen werden. An diesen Verfahren sind die Behörden, Träger öffentlicher Belange (TÖB), die Umweltverbände und Betroffene zu beteiligen. Die Beteiligung ist auch für Interessierte möglich, diese können allerdings nicht juristisch gegen einen Beschluss der Genehmigungsbehörde vorgehen. An der dem Stellungnahmeverfahren nachfolgenden Anhörung können nur diejenigen teilnehmen, die eine Einwendung abgegeben haben.


Zwischenfazit und offene Fragen (Auswahl):

Die massive Nutzung erneuerbarer Energien führt zu einem hohen Nord-Süd-Ausbaubedarf. Es sind Hochspannungsgleichstromübertragungstrassen (HGÜ) vorgesehen. Eine stärkere Regionalisierung des Verbrauchs wird nicht für möglich erachtet. Große Speicherkapazitäten stehen nicht zur Verfügung. Durch das Herunterfahren von Lastspitzen ergibt sich ein relativ geringes Einsparpotenzial. Es wird wie prinzipiell bisher ein sicherer Betrieb auch bei Netz- und Kraftwerksausfällen geplant, allerdings kann keine absolute Sicherheit gewährleistet werden. Für die Offshore-Anbindung wird diese Sicherheit nicht vorgesehen. Das finanzielle Risiko bei Ausfall der Anbindung sollen darüber hinaus die Verbraucher tragen.

Im Umweltbericht ist eine Berücksichtigung potenzieller Schutzgebiete, von noch nicht vorhandenen Biotopverbundachsen, historischer Kulturlandschaften nicht erkennbar.

Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen werden nicht benannt, dies soll vermutlich erst nach nachfolgenden Verfahren erfolgen.

Die Realisierung der Erdkabeloption ist ebenfalls nicht explizit abgehandelt worden. Auf der Informationsveranstaltung sind seitens der Bundesnetzagentur die bekannten Vorbehalte vorgebracht worden: zu teuer, technische Probleme.

Auswirkungen einer geplanten Nordseeseekabelverbindung Niedersachsen - Norwegen auf das Speicherpotenzial noch unklar.

Berücksichtigung von Sparpotenzialen offenbar kein Schwerpunkt von Szenarien und Auswirkungen weiterer Potenziale von Leistungsregelungen, auch in Verbindung mit finanziellen Anreizen werden explizit nicht berücksichtigt. Die Bundesnetzagentur geht gegenwärtig von einem Potenzial in der Größenordnung von 3 GW aus, ca. 3 Prozent des angenommenen maximalen Gesamtbedarfs (87 GW).

Auswirkungen des EU-Netzplans sind noch unklar (Potenziale des Stromaustausches und Inanspruchnahme dieser Potenziale). Im Szenariorahmen ist, ausgehend von der derzeitigen Situation, bereits ein Import aus Skandinavien und insgesamt ein Exportüberschuss vorgesehen.

Nutzung der Bündelungsoptionen von Leitungstrassen, Grenzen, Auswirkungen auf Mensch und Umwelt schwer zu beurteilen.

Potenziale der gemeinsamen Nutzung vorhandener oder noch zu erstellender Bahnstromtrassen offenbar bislang nicht berücksichtigt.

Vogelverluste: unwidersprochene Angaben bisher 30 Millionen pro Jahr, Anstieg um 1,5 Millionen zu erwarten. Besonders relevant ist, inwieweit gefährdete Arten betroffen sind.

Bau von Umspannwerken und der Verteilnetzausbau kommen hinzu.

Vollständige Datensätze, die den Szenarien und den Planungen zugrunde liegen, sind, wenn berechtigte Interessen vorliegen, auf Anforderung von der Bundesnetzagentur zu erhalten.


Besondere Betroffenheit

Nach dem bisherigen Planungsstand sind einige Teilregionen durch die Netzplanungen massiv betroffen. In Schleswig-Holstein sind dies Gebiete insbesondere im Kreis Dithmarschen (Marne/St. Michaelisdonn) und Gebiete im Raum Quickborn-Kaltenkirchen, hier haben sich auch schon Bürgerinitiativen gegründet ("Westküste Trassenfrei" und "Unter Hochspannung"). In Dithmarschen treffen vorhandene und geplante Hochspannungstrassen und die Landanbindung des Offshore-Kabels mit dem zugehörigen Knotenpunkten bzw. Umspannwerken zusammen. Im Raum Quickborn kommt es nach der jetzigen Planung ebenfalls zu einer Konzentration und zu Überschneidungen von Stromtrassen. Stärker betroffen ist neben der gesamten Westküste auch das Umland von Lübeck. Die betroffenen Bürger kämpfen um Verlegung, größere Abstände und Entschädigung. Auch nahe an Gebäuden vorbeiführende Erdkabel sind verständlicherweise nicht erwünscht.

KASTEN
Bundesnetzagentur

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) ist zuständig für Stromnetze, Gasnetze, Telekommunikationsnetze, Post und Eisenbahnen.
Die Behörde ist fachlich dem Bundesministerium für Wirtschaft unterstellt, für den Bereich Eisenbahnen liegt die fachliche Zuständigkeit beim Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung.
Im Jahr 2011 hatte die Behörde ca. 2500 Mitarbeiter. Der Dienstsitz ist Berlin.
Ein Beirat, 16 Mitglieder des Bundestages und 16 Mitglieder des Bundesrats, soll eine Art Aufsichtsratsfunktion ausüben. Die Bundesnetzagentur gibt die Namen ihrer Mitglieder auf ihrer Internetpräsentation nicht an. Zusätzlich ist für den Netzausbau noch ein Fachplanungsbeirat eingerichtet worden.
www.bundesnetzagentur.de


Wichtige Gesetze:
  • Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) vom 05.07.2005
  • Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen (Energieleitungsausbaugesetz - EnLAG) vom 21.08.2009
  • Neuausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) vom 28.07.2011

Adressen von Bürgerinitiativen:

www.westküste-trassenfrei.de
www.unter-hochspannung.de

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012, Seite 18-20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2012