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GEGENWIND/503: Freiheit auf der Basis von Gerechtigkeit


Gegenwind Nr. 283 - April 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Freiheit auf der Basis von Gerechtigkeit
Kleinbürgerliches Denken blockiert gesellschaftliche Emanzipation

von Klaus Peters



"Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht." - Die deutsche Ideologie. Marx/Engels, MEW 3, S. 46, 1846/1932
Jakob Augstein in "der Freitag" vom 23.02.2012 in einem Beitrag mit dem Titel "Protestanten im Dienst": "Der 18. März ... muss auch ein Tag sein, an dem die Politik begriffen hat, dass die Menschen ein Unbehagen im Angesicht des kapitalistischen Terrors erfasst."
Jutta Ditfurth, Soziologin, Ökologische Linke, rf-news, 21.02.2012: "Mit Christian Wulff hat sich die politische Klasse eines lästig gewordenen kleinbürgerlichen Aufsteigers entledigt, während die viel größeren Geschäftemacher der Parteien weiter ungestört ihren Interessen nachgehen können. Um die Peinlichkeit zu übertünchen, wurde mit Joachim Gauck, der Prediger der verrohenden Mittelschicht, gerufen. Dass CDU/SPD/FDP und Grüne ihn gemeinsam aufstellen, verrät uns, dass uns noch mehr Sozialstaatzerstörung, noch mehr Kriege und noch weniger Demokratie drohen. Einen wie ihn holt man, um den Leuten die Ohren vollzuquatschen."


Der Rücktritt des bisherigen Bundespräsidenten, die Findung eines neuen Kandidaten und die bekannten politischen Positionen des neuen Bundespräsidenten haben die politische Debatte in Deutschland ohne Zweifel stark belebt. Andere Themen gerieten dadurch zwangsläufig in den Hintergrund. Die Finanzpolitik und die Energiewende stehen allerdings weiterhin ganz oben auf der Agenda. Wie kann es gelingen, andere wichtige Themen nach vorn zu bringen, wie lassen sich wirkliche Reformen einleiten, wie lässt sich eine sozial gerechte Gesellschaft gestalten? Von Joachim Gauck waren vor der Wahl nicht besonders emanzipatorische Äußerungen bekannt geworden, so lobte er "seine" Freiheit und äußerte sich kritisch gegenüber Protestbewegungen. Freiheit auf der Basis sozialer Gerechtigkeit muss noch erkämpft werden. Die Landtagswahlen im Schleswig-Holstein und im Saarland werden, unabhängig vom Wahlausgang, zu einigen Veränderungen führen. Abgesehen von personellen Veränderungen sind, wie nach anderen Wahlen, organisatorische Veränderungen zu erwarten. Oberzauberlehrlinge fordern ein Energieministerium! Den finanziellen Spielraum haben sich die neoliberalen Parteien klein gehalten, zumal das Potenzial an Einsparungen oder weiterer Privatisierungen schon erheblich geschrumpft ist. Nur wenn die Linksparteien die Mehrheit erlangten, wäre kurz- und mittelfristig eine Umverteilung von oben nach unten zu erwarten.


Weshalb werden sich die Verhältnisse nicht wesentlich ändern? Weshalb wählen die Bürger in ihrer Mehrheit immer wieder neoliberale Parteien, die sogar ihre eigenen Lebensbedingungen verschlechtert haben und weiter verschlechtern oder aber nicht wesentlich verbessern? Diese Frage wird in den bürgerlichen, eben auch neoliberalen Medien aus systemimmanenten Gründen nicht gestellt und schon gar nicht beantwortet. Die überwiegende Mehrheit der Politiker und andere sogenannte Repräsentanten der Wirtschaft oder der Gesellschaft verhalten sich genauso.


Kleinbürgerliches Denken als Ausdruck des Neoliberalismus

Die Bürger und Wähler sind permanenter Beeinflussung ausgesetzt, die sie von grundlegenden Fragestellungen ablenkt und sie zu systemkonformen Denken und Verhalten erzieht. In den neoliberal geprägten Gesellschaften dominiert das "kleinbürgerliche Denken", mit seinem aus Egoismus und Gruppenegoismus gebildeten Kern. Aus diesem Denkschema können sich sie meisten Menschen nicht ohne weiteres befreien. Abgesehen von Medien, Politik, gesellschaftlichen Persönlichkeiten oder Schulen und Vorgesetzten üben auch die durch diese ebenfalls beeinflussten Familien, Freunde, Kollegen und Nachbarn Einfluss und sogar Druck auf das Denken und Handeln des einzelnen Menschen aus. Dieses System der Beeinflussung herrscht weltweit zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus in seiner heutigen Form als Neoliberalismus und hat vielfältige Fassetten.


Kleinbürger nach Wikipedia
(überarbeitet)

Kleinbürger hießen ursprünglich jene Angehörige des Bürgertums, die dessen unterster Schicht angehörten, wie Handwerker, kleine Kaufleute, Volksschullehrer u.ä.

Kleinbürger stehen ökonomisch und vom Marxismus her gesehen zwischen den Lohnarbeitern und den Kapitalisten. Kleinbürger bilden eine Zwischenschicht. Sie müssen heute überwiegend wie Lohnarbeiter, im Gegensatz zu Kapitalisten, die ihre eigenen Produktionsmittel benutzen, von eigener Arbeit leben. Die zum Kleinbürgertum zählenden Angehörigen des Bürgertums sind prinzipiell ständig vom Absinken ins Proletariat bedroht. Sie versuchen jedoch, sich durch ihren Lebensstil vom Proletariat abzugrenzen. Der Begriff "kleinbürgerlich" steht heute für eine beschränkte, nur auf die eigene kleine Welt bezogene Weltsicht.


Umgang mit Sprache, Umdeutung der Begriffe

Wir wissen, dass sich die Sprache weiter entwickelt. In jedem Jahr wird das Wort des Jahres gesucht, das ein Ereignis oder einen Trend kennzeichnen soll. Einige Begriffe sind aus geschichtlichen Gründen negativ besetzt, werden nicht oder nur selten verwendet. Andere Begriffe werden aus politischen Gründen umgedeutet. Positiv besetzte Begriffe werden für problematische Entscheidungen oder Entwicklungen verwendet. Da täglich neue Informationen produziert und aufgenommen werden, ist es nicht immer leicht, tatsächliche Veränderungen des Sprachgebrauchs wahrzunehmen. Dies vor allem auch deshalb, weil die neoliberalen Massenmedien in der Regel eng mit der politischen Klasse kooperieren.

Der Begriff Reformen war beispielsweise lange positiv besetzt. Spätestens durch die rot-grüne Regierung wurde dies genutzt, indem sie die von ihr beschlossenen Hartz-IV-Gesetze, die sich negativ auf die Mehrheit der betroffenen Personen auswirkten, der Öffentlichkeit als "Reform" verkaufte. Gleiches gilt für die Erhöhung des Rentenalters. Die Begründung der Beteiligung an den Kriegen in Jugoslawien oder in Afghanistan basierte, wie dies eigentlich bei kriegerischen Auseinandersetzungen immer der Fall ist, ebenfalls auf Irreführungen der Bevölkerung, indem von "humanitären" oder "friedenserhaltenden Einsätzen" die Rede war. Hinzu kamen faustdicke Lügen wie die angebliche gezielte Tötung von Unschuldigen bis hin zu Säuglingen oder Bedrohung durch einen strategisch ungeheuer gefährlichen "Hufeisenplan". Bei den Kriegen gegen den Irak und Libyen, die toleriert und indirekt unterstützt worden sind, dienten angeblich vorhandene Massenvernichtungswaffen oder ungeprüfte Berichte über angebliche Angriffe auf unschuldige, unbewaffnete Bürger als Kriegsgrund. Über die Opfer des Bürgerkriegs in Syrien wird zumindest auch einseitig berichtet. Die Rebellen sind, egal was geschieht, eigentlich immer die Guten. Über die Opfer der Gegenseite wird kaum berichtet.

In der rot-grünen Koalition und in der rot-grünen Regierung waren übrigens mehrere Konvertierte vertreten, wie das ehemalige K-Gruppen-Mitglied Jürgen Trittin. Zwar ist die Vorvergangenheit dieser Politiker nicht besonders bekannt, ihr besonderer auch unterschwelliger Einfluss auf das politische Bewusstsein darf dennoch nicht unterschätzt werden. Joschka Fischer hatte zuvor publizistisch, äußerst akribisch begründet, insgesamt dann aber doch recht pauschal, das Versagen des Sozialismus beschrieben. Damit, mit diesem "modernen" Antikommunismus(1) war auch das "kleinbürgerliche Denken" als Mittel der Politik neu belebt worden. Pauschalierungen und unterschiedliche Interpretationen sind übrigens auch bei linken politischen Organisationen nicht unüblich, werden immer wieder gerne gepflegt, um sich voneinander abzugrenzen.


Weitere Formen der Beeinflussung

Die Beeinflussung der Öffentlichkeit geschieht aber nicht nur bei besonderen Ereignissen und nicht immer einseitig. Immerhin muss gelegentlich die "Medien- und Meinungsvielfalt" nachgewiesen werden. Daher werden sogar systemkritische Meinungen veröffentlicht. Allerdings werden diese dann auch sehr schnell wieder von Mainstreampositionen überlagert. Die scheinbare Vielfalt dient wiederum auch dazu, ein gewisses Maß an Unsicherheit und Verwirrung aufrecht zu erhalten. Schließlich sollen die nächsten Ausgaben und Sendungen auch noch interessant bleiben. Da aber auch diese oft keine Klarheit bringen, weil sie bewusst grundlegende Fragen und Antworten ausklammern, gesellt sich zu Unsicherheit und Verwirrung noch Verdrängung, Gleichgültigkeit und Resignation. Und das alles geschieht nicht nur mit großem Aufwand, nicht nur intelligent, sondern oft auch sehr sympathisch.

Für das Auffangen der auf Verdrängung, Gleichgültigkeit und Resignation getrimmten Menschen sind dann die Unterhaltungsprogramme oder die Touristikanbieter, aber auch Volkshochschulen und Sportvereine, in besonderen Fällen sogar Psychologen und Psychiater zuständig. Spaß muss sein, aber auch emanzipatorische Angebote wären möglich.


Wege aus der neoliberalen Falle

Einige wenige Medien, wie die "junge Welt" und andere antikapitalistische Zeitungen, Internetseiten wie "Wikipedia" oder die "NachDenkSeiten" können helfen, der neoliberalen Falle zu entkommen. Wichtig ist allerdings auch, sich Klarheit über die Ursachen und die systemischen Zusammenhänge von Entwicklungen und Verhältnissen zu verschaffen. Diverse Bücher bieten die Grundlagen, diese Zusammenhänge zu erkennen. Da Bücher in der Regel aber nicht ständig zur Hand genommen werden und die entgegengesetzte Beeinflussung nicht abreißt, ist es sinnvoll, sich in Gruppen auszutauschen und aufzubauen. In solchen Studiengruppen können verschiedenen Teilaspekte der Beeinflussung und Gegenstrategien diskutiert werden. Selbstverständlich macht es auch Sinn, sich selbst aktiv als Aufklärer und Veränderer zu betätigen, durch Leserbriefe, eigene Veröffentlichungen, Anfragen an öffentliche und private Einrichtungen, Teilnehmer an Kundgebungen usw. Die Möglichkeiten von Einzelnen sind allerdings - in der Regel - begrenzt, dies sollte man sich klar machen, auch um Enttäuschungen zu vermeiden. Deshalb sollte natürlich immer auch eine Mitarbeit in einer, besser noch in mehreren zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen angestrebt werden, die jedoch das Engagement Einzelner keineswegs völlig ersetzt. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten sich wiederum vernetzen. Gewarnt werden muss aber auch vor der Instrumentalisierung, vor Alibifunktionen und vor der Vernachlässigung der eigenen Lebenssituation. Für die Beschaffung und Sicherung individueller Arbeitsplätze fühlen sich zumindest Neoliberale nicht zuständig.


Literaturhinweise:
- Stefan Engel: Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution (2011)
- Derrick Jensen: Das Öko-Manifest (2006/2009)

Kontakt:
Studiengruppen gibt es beispielsweise in Kiel, Lübeck, Hamburg und Husum, Information: nord-west@mlpd.de, Tel.: 040/605 769 18

Anmerkungen:
(1)‍ ‍Thomas Mann bezeichnete den Antikommunismus als "... Grundtorheit unserer Epoche". S.a. Wikipedia "Antikommunismus".

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Quelle:
Gegenwind Nr. 283 - April 2012, Seite 51-53
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2012