Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/502: Eine moderne linke Finanzpolitik für Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 283 - April 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Eine moderne linke Finanzpolitik für Schleswig-Holstein

von Thomas Herrmann



Finanzpolitik entscheidet über die Einnahmen und Ausgaben eines Staatshaushaltes. Geht man von dieser Definition aus, kann von einer Finanzpolitik in Schleswig-Holstein nicht die Rede sein. Die Einnahmeseite ist kaum beeinflussbar: Da gibt es ein paar Stellschrauben bei der Grunderwerbssteuer, bei der Förderabgabe und beim Küstenschutz. Daneben kann eine Landesregierung kleinere Beträge über Abgaben und Gebühren erheben und im Bundesrat für die Erhöhung der Vermögens-, Erbschafts- und Einkommenssteuer streiten. Und auch auf der Ausgabenseite sind die realen Entscheidungsräume sehr klein. Denn nur die rechtlich nicht festgelegten Ausgaben sind disponibel. Die Finanzgeschichte des Landes ist eine Geschichte der Einengung der finanziellen Spielräume.


Finanzminister Asmussen schrieb bereits 1985 in seinen Finanzplan 1985-1989: "Die Konsolidierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben bei Bund, Ländern und Gemeinden deutliche Erfolge gebracht. ... Trotz abnehmender Defizite muss die Finanzpolitik weiterhin an einem maßvollen Konsolidierungskurs festhalten". (S. 5)

Bereits im Finanzplan 1998-2002 bezifferte der damalige Finanzminister Möller die nicht gebundenen Ausgaben auf 4,8% des Haushaltes (S. 12). Aufgrund der damaligen Konsolidierungspolitik schmolz dieser Anteil wie Schnee im Frühling auf 2,6% im Finanzplan 2000-2004 (S. 18). Auf der dann folgenden Seite 19 sind die folgenden Sätze zu lesen: "Die Notwendigkeit einer weiteren restriktiven Ausgabepolitik mit umfangreichen strukturellen Einsparungen ergibt sich somit nicht nur aufgrund der Steuersenkungen, sondern allein schon wegen der Entwicklung der Versorgungslasten. Mit dem Haushalt 2001 werden die bisherigen strukturellen Einschnitte fortgesetzt. Die Ausgaben für Förderprogramme wurden um ca. 70 Mio. DM reduziert, die Tarifsteigerungen im Personalhaushalt werden ohne zusätzliche Haushaltsmittel finanziert."

Im Finanzplan 2001-2005 (S. 12) wird dann das erste Mal ein Plan entwickelt die Neuverschuldung auf null zu senken.

Stets wurde konsolidiert und die Folge war ein ungehemmter Schuldenaufbau. Das bedeutet aber, dass weder der Vorsatz entscheidend ist noch die Verfassung, nach der auch damals viele Entscheidungen zur Kreditaufnahme rechtswidrig waren. Vielmehr hängt die Verschuldung mit einer Politik zusammen, die sich selbst schrittweise aufgibt, mit der Ausrede, die Wirtschaft könne es besser.

Finanzpolitik so zu ökonomisieren, heißt Unsicherheit durch Entpolitisierung zu steigern. Vielmehr ist Finanzpolitik die Beantwortung finanzieller Fragen mit politischen Mitteln. "Das Budget ist ein quantitativ messbarer politischer Plan", formuliert Herbert Sultan im Handbuch der Finanzwissenschaft 1952. Ein politischer Plan setzt an den jeweiligen Gestaltungsaufgaben an. Darum muss gestritten werden. Das ist die Frage der politischen Willensbildung: Vor welchen Aufgaben steht das Land, welche finanziellen Mittel werden dafür benötigt und wie werden diese besorgt? Erst wenn diese Fragen politisch verhandelbar sind, können Entscheidungen gefällt werden, ob z.B. die Deutsche Einheit oder die Bankenrettung aus höheren Steuern oder aus Kreditaufnahme zu bezahlen sind.

Linke Finanzpolitik folgt dem Weg, die politischen Aufgaben im Land zu bestimmen und daraus Finanzpläne und Haushaltsaufstellungen abzuleiten. Das ist kein "Wünsch-Dir-was"-Programm, sondern die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Entwicklungsmöglichkeiten des Landes. Links sein heißt heute das Politische geltend zu machen. Das bedeutet nicht das Kind mit dem politischen Bade ausschütten und nun Alles für politisch determinierbar zu halten. Vielmehr ist das Moderne der Gesellschaft, dass politische Macht, das Geld der Wirtschaft, wissenschaftliche Wahrheit und Recht funktional ausdifferenziert sind. Linke Politik hat auch diese funktionale Differenzierung zu schützen und die Entwicklung in einen ökonomischen Privattotalitarismus zu bekämpfen, der wirtschaftlichen Reichtum und politische Macht zur Einheit bringt, die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien bestellt und die Rechtssetzung durch Lobbyisten in den Ministerien bestimmt.

Die Aufgabe des politischen Terrains und der Weg zum innerstaatlichen Wirtschaftsimperialismus wurden in Schleswig-Holstein von der Landesregierung schon vor knapp zwei Jahren deutlich markiert, als sie ihr "Konsolidierungskonzept" der Presse vorstellte. Auf die Frage, welche politischen Ziele die Landesregierung denn verfolgen würde, kam die Antwort, man würde nur noch Geld für die Wirtschaft ausgeben wollen. Das heißt im Klartext: für "befreundete" Unternehmer.


Des Marktschreiers neue Kleider

Anstelle von Politik trat dann die gezielte Verunsicherung der Bevölkerung über das Thema "Staatsschulden". Es ist so, dass immer mehr Menschen von funktionierenden Staatsfinanzen abhängen. Das sind nicht nur die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die Transferempfänger und Unternehmen, die darauf angewiesen sind, dass die öffentlichen Investitionen laufen und bezahlt werden. Fast alle hängen indirekt an der Staatsfinanzierung. Der Staat ist auch der größte Konsument, Arbeitgeber, Investor und Kreditnehmer in Deutschland und spielt so auch für die Wirtschaft eine zentrale Rolle. In der Folge hatten die Parolen: "Wir wollen nicht wie Griechenland werden" und "charakterlose Schuldenmacherei" durchaus Chancen gehört zu werden. Nur: Die Sorge um die Verschuldung ist nicht zentral. Die Verschuldung erklärt sich aus einer verfehlten Umverteilungspolitik von unten nach oben. Wenn diese nicht verändert wird, ist es sinnfrei an Entschuldung zu glauben. Weniger Schulden heißt immer weniger Vermögen und nackten Leuten kann man nicht in die Tasche greifen.

Es ist auch eine Folge der unverschämten Besicherung der Vermögen, dass das Land auf allerbeste Finanzierungsbedingungen trifft, die mindestens noch drei Jahre fortwähren (das ist der Zeitraum billigen Geldes in Europa). Die historisch niedrigen Zinsen unterhalb der Inflationsrate sorgen allein für eine Entschuldung der Haushalte. Der Druck zu Steuererhöhungen breitet sich von der europäischen Peripherie ins Zentrum aus.

Und: die Schuldenschreierei ist einfach nur unglaubwürdig. Als die Schuldenbremse 2009 im Bund eingeführt wurde, wurden zugleich die Rettungspakete für Banken angenommen. Man nahm also zur Bankenrettung hohe neue Defizite in Kauf - von 2008 = 1,5 Billionen Euro stieg die staatliche Gesamtschuld auf über 2 Billionen im Jahr 2012. Das Defizit Schleswig-Holsteins erreichte 2009 unter Finanzminister Wiegard die schwindelerregende Höhe von 3,4 Milliarden Euro, wenn man das Haushaltsdefizit und die Kreditaufnahme zur HSH-Nordbank-Rettung addiert.

Und das läuft noch immer: Das in der Folge der Finanzkrise vollständig vernichtete Eigenkapital der europäischen Banken wird mit staatlichen Geldern wieder aufgebaut, ohne dass es zu entsprechenden Eigentumstransfers in die öffentliche Hand kommt. Zugleich werden Milliarden aus den Sozialhaushalten gekürzt. Und so können alle wie durch eine gläserne Decke sehen, dass sich die Einzelinteressen keineswegs zum Wunder eines Gesamtwohles zusammenfinden. Sichtbar werden die Rücksichtslosigkeit und die Gemeinheit, mit der Privatinteressen auf Kosten des Gemeinwohls durchgesetzt werden.

So hat die Rede: "Privat gut - öffentlich schlecht" oder "Der Markt regelt alles zum Besten" seine Glaubwürdigkeit vollständig eingebüßt. Und genau an diese Stelle tritt jetzt die Staatsverschuldung, als das neue Kleid des Marktschreiers.


Schleswig-Holstein - up ewig schuldgedeelt?

Der Aufschrei gegen die Staatsschuld fand in Schleswig-Holstein Gehör und, weil doppelt besser hält, verankerte der Landtag gegen die Stimmen der LINKEN eine eigene Schuldenbremse in der Landesverfassung. Die selbst erzeugte Angst vor imaginierter Überschuldung ist allerdings kein guter Ratgeber. Wenn der Sozius auf dem Motorrad Angst bekommt, sollte er nicht noch auf einer eigenen Bremse bestehen.

Der Landtag musste jetzt ein eigenes Ausführungsgesetz zur Landes-Schuldenbremse verabschieden. Das ist minderbedeutend, weil der nächste Landtag dieses Gesetz mit einfacher Mehrheit ändern kann und ändern wird. Der Finanzminister möchte gern die Demokratie suspendieren, indem er in den letzten Tagen seiner Amtszeit das finanzpolitische Regierungshandeln der nächsten acht Jahre vorwegnehmen will. Das ist Marktschreierei pur.

Jetzt wird allerdings deutlich, dass es sowohl unterhalb der Bundes-Schuldenbremse als auch unterhalb der Landes-Schuldenbremse durchaus unterschiedliche Wege gibt. Die Bundesschuldenbremse unterwirft die Konsolidierungsländer einer Finanzaufsicht. Diese wird vom Stabilitätsrat besorgt, der das strukturelle Defizit des Landes und den Abbaupfad definiert. In einer Erklärung hat die Landesregierung hierzu Einverständnis zu Protokoll gegeben.

Zu den von mir bereits vor einem Jahr thematisierten Problemen(1) gehört die Festlegung der Höhe des strukturellen Defizites und damit auch des konjunkturellen Defizits. Der Finanzminister hatte zunächst 1,25 Milliarden Euro strukturelles Defizit gesagt und will jetzt 1,12 Milliarden im Ausführungsgesetz festlegen. Der Stabilitätsrat sagt nach wie vor 1,32 Milliarden Euro. Wie Achim Truger und Henner Will in der kürzlich erschienen Studie, IMK working paper 88: "Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse" zeigen, gibt es im weit gesteckten Rahmen des wissenschaftlich Zulässigen allein 36, in Worten: sechsunddreißig (S. 17)‍ ‍unterschiedliche Verfahren zur Bestimmung des strukturellen Defizits. Es kann nicht verwundern, dass diese Verfahren für politische Zwecke instrumentalisiert werden.

Eine weitere Schwierigkeit besteht in der richtigen Einberechnung der 2009‍ ‍auf Bundesebene beschlossenen temporären antizyklischen Defizite in der Folge der Konjunkturpakete. Diese sind einerseits zeitlich begrenzt und andererseits mit beträchtlichen Einnahmeverbesserungen auch auf Landesebene verbunden. In der Folge stellte der Finanzminister denn auch auf seiner Homepage fest: "818 Millionen Euro weniger neue Schulden". Das ist der Differenzbetrag zwischen Haushaltsplanung 2011 und Jahresabschluss, der sich nur durch Mehreinnahmen für das Land durch die jetzt auslaufenden Konjunkturpakete erklären lässt.

Im Abschwung sind durchaus - wie auch immer errechnete - höhere konjunkturelle Defizite zulässig. Diese müssen über ein Kontrollkonto im Aufschwung abgebaut werden. Dieses Kontrollkonto muss ab sofort geführt werden und sowohl negative als auch positive Werte registrieren. Das Kontrollkonto sollte einen Wert von zehn Prozent der durchschnittlichen jährlichen Steuereinnahmen der letzten fünf Jahre nicht überschreiten.

Aber: Weder die mangelhaften finanzwirtschaftlichen Kenntnisse eines Finanzministers noch die politische Instrumentalisierung unterschiedlicher Verfahren sind wichtig, sondern die Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Land entscheiden über die Konsolidierungshilfen in Höhe von 80 Millionen Euro pro Jahr für den Landeshaushalt.

Wie hoch die tatsächlichen Steuereinnahmen Schleswig-Holsteins und seiner Kommunen im Jahr 2020 sein werden, ist nicht abschätzbar. Im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 haben sich die Langfristeinschätzungen mehrfach drastisch verändert. Dabei ist nicht berücksichtigt, dass die erwartete Trendwachstumsrate denkbare Steuerrechtsänderungen nicht mit einbezieht. Nicht erfasst sind die erwartbaren Wechselbeziehungen zwischen Wachstum und der Preis- und Lohnentwicklung sowie die Kosten der Haushaltskürzungen im Detail.

Da die Einhaltung der Schuldenbremse zwingend eine stabile Einnahmebasis voraussetzt, sollte sich die Kreditaufnahmegrenze automatisch um den durch Rechtsänderungen auf der Bundesebene eintretenden einnahmemindernden Betrag erhöhen.

Hinzu kommen eine nicht auszuschließende Nachschusspflicht in der Causa HSH Nordbank, der sich das Land kaum entziehen kann oder heftige konjunkturelle Einbrüche in der Folge einer durch Kürzungspolitik herbeigeführten europäischen Depression, die sich auf die Finanzlage aller Bundesländer negativ auswirken würde. Es ist also offensichtlich, dass ein absoluter Projektionswert für das Jahr 2020 leicht in die Irre führt und fatale Signale für die Finanzpolitik aussendet.

Angesichts dieser Tatsache ist behutsames Vorgehen angeraten. Es ist sinnvoll, alle zwei Jahre mit der Neuaufstellung des Doppelhaushaltes die Schuldenbremse zu evaluieren. Insbesondere muss geprüft werden, ob die Schuldenbremse die Erwartungen an die Zukunftssicherung erfüllt. Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge muss gewährleistet bleiben. Die Nettoinvestitionsquote des Landes darf nicht negativ werden.

Das beliebte Argument, Staatschulden seien im Interesse zukünftiger Generationen zu vermeiden, trägt nicht. Ein Kreditverbot für öffentliche Investitionen erspart den kommenden Generationen zwar die Last der Staatsverschuldung. Aber auch der Nutzen aus einem höheren öffentlichen Kapitalstock, damit einer höheren Produktivität und verbesserten Einnahmemöglichkeiten sowie ein höheres Wachstum entgehen den kommenden Generationen. Die LINKE wird weiter für die Abschaffung der Schuldenbremse werben.

Wenn Sparen ernstgemeint sein soll, müssen Öffentlich-Private-Projekte in Schleswig-Holstein verboten werden. Die Kosten dieser Projekte liegen bei den Kapitalkosten um 70 Prozent höher als bei rein staatlichen Finanzierungen. Effizienzvorteile gibt es überhaupt nicht. Die Betriebskosten dieser Projekte liegen bei privaten Betreibern sogar deutlich höher als bei staatlichen. Besonders problematisch ist die lange Vertragsdauer dieser Projekte, die keinerlei Flexibilität zulassen und Anpassungen an veränderte Nutzungsbedingungen horrend teuer machen. Die laufenden Projekte werden so schnell wie möglich abgewickelt. Im Einzelnen müssen bei allen laufenden ÖPP Prüfungen auf Rechtskonsistenz und Korruption durchgeführt werden.

Die zukünftige Landesregierung bleibt aufgefordert sich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer über Bundesratsinitiativen einzusetzen um einen sofortigen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 700 Millionen Euro pro Jahr zu erreichen (bei einer Vermögenssteuer nur für Private (nicht Unternehmen!), einem Satz von 5 Prozent und erst ab einer Million Euro aufwärts.)


Thomas Herrmann
Wissenschaftlicher Referent für Wirtschaft und Finanzen der Fraktion "Die LINKE" im Schleswig-Holsteinischen Landtag

Anmerkung:
(1)‍ ‍http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/gegew468.html

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 283 - April 2012, Seite 54-56
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012