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GEFANGENEN INFO/093: Ausgabe 356, Juli 2010


Gefangenen Info

Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989.

Nr. 356, Juli 2010


Inhalt dieser Ausgabe

Seite 3

- "Es ist notwendig, gemeinsam gegen die repressive Entwicklung vorzugehen."

Schwerpunkt

- Zwischen Radios und Terror
- "Wir lachen ihnen ins Gesicht..."
- "Wir werden Sie weiter befragen, auch wenn das für Sie eine Qual ist"
- Bericht Aktionstag gegen den §129b

Inland

- Zum Anti-Knast-Aktionstag
- Verhaftung kurdischer Jugendlicher
- Razzien wegen Interim und Radikal
- Zur Lage der Abschiebehäftlinge

International

- Solidaritätskampagne für Marina
- Durch die Gefängnismauern
- Kampagne für Marco Camenisch
- Knastkämpfe in Nordirland
- Verhaftung von TAYAD-Angehörigen
- *Rechtsstaat - hahaha!*

Dossier

- Knast und Kapitalismus (1)
- Vor Mailands Knasttoren

Feuilleton

- Aus einem Graffiti-Workshop
- Rezension: "Der Tag des Spatzen"

Gefangene

- Briefe aus den Knästen
- Gefangenenadressen


*


Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

mittlerweile wurden im Stuttgarter §129b-Prozess die letzten Urteile gefällt. Während die ersten Urteile gegen Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas und Hasan Subasi bereits im letzten Jahr gefällt worden waren, verkündete der Senat am 15. Juli nach ganzen 168 Verhandlungstagen die Urteile gegen Ahmet Düzgün Yüksel und Devrim Güler. Sowohl die Urteile als auch der gelaufene Aktionstag für die Freiheit der §129b-Gefangenen haben uns dazu bewogen, dieses Thema zum Schwerpunkt dieses Ausgabe zu machen. Den von uns angekündigten Schwerpunkt zu den Gefangenenkollektiven werden wir deswegen vorerst aufschieben und die Entwicklungen diesbezüglich in unseren kommenden Ausgaben veröffentlichen.

An dieser Stelle möchten wir uns dafür entschuldigen, dass wir diesmal mehrere Briefe von Gefangenen wegen Platzproblemen nicht abdrucken konnten. Wir werden das nachholen, wollen im Vorwort aber kurz auf zwei Briefe eingehen. Faruk Ereren schrieb uns am 30. Juni zur Richtigstellung, dass er "wegen des Militärputsches in der Türkei am 12. September 1980 verhaftet" worden sei. Er schreibt weiter: "Ich bin zwar zu 9 Jahren Haft verurteilt worden, aber war 'nur' 6 Jahre und 8 Monate weggesperrt. Außerdem wurde ich weitere fünfmal von der Polizei festgenommen und bin dabei mehrere Male gefoltert worden (...)". Bezüglich des Verfahrens gegen das GI, wo das Berufungsverfahren wahrscheinlich in diesem Quartal stattfinden wird, schrieb Nurhan Erdem: "Über das Urteil gegen das "Gefangenen Info" habe ich Artikel und eure Prozesserklärung gelesen. Wir wissen, warum so ein Bericht über das §129b-Verfahren vom letzten Jahr für das Gericht soviel "Unruhen" verursacht, dass ihr dafür verurteilt worden seid. Ziel der Justiz dabei ist, dadurch die Solidarität mit den Gefangenen zu brechen und zerstören. Das werden sie aber niemals erreichen, denn wir werden immer ein Teil von den Kämpfen draußen sein! Eure Arbeit wird weiter Früchte tragen. Seit 20 Jahren hat das Info viele Repressionsschläge in Form von Angriffen durch Justiz, Polizei und Geheimdienste überstanden. Auch zukünftig wird Eure konsequente Haltung allen Schlägen widerstehen." Wir danken Nurhan für diese aufmunternden Worte und senden kämpferische Grüße in die Knäste.

In der JVA Leipzig kam es zeitweise zur Beschlagnahmung von drei Gefangenen Infos. In der kommenden Ausgabe werden wir auch dazu näher eingehen. Mit dieser Ausgabe starten wir eine weitere Textreihe, die uns seit längerem auf den Nägeln brennt. Es geht dabei um den Themenkomplex "Knast und Kapitalismus". Wir haben deswegen einen Auftaktbeitrag des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen abgedruckt, dem weitere folgen werden. Im übrigen haben einige Redaktionsmitglieder einige Erfahrungen von Anti-Knast-Aktionen aus Mailand dokumentiert, die ebenfalls gut in dieses Thema passen und deshalb in der selben Rubrik gelandet sind.

Unser In- und Auslandteil enthält weitestgehend Berichte und Informationen über Repressionsschläge, wie z.B. die Razzien in mehreren Info- und Buchläden in Berlin und München. Wir schließen uns den Worten der Betroffenen an und rufen hiermit zur Solidarität mit dem Buchladen Schwarze Risse, dem OH21 und M99 in Berlin und dem Kafe Marat in München auf.

Und abschließend wieder unser Aufruf, den Gefangenen zu schreiben. Wie in jeder zweiten GI-Ausgabe ist auch in dieser wieder eine aktuelle Liste der politischen Gefangenen in der BRD aufgelistet, denen ihr Postkarten, Briefe und Informationen schicken könnt.

Solidarität muss praktisch werden!

Die Redaktion


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Seite 3

"Es ist notwendig, gemeinsam gegen die repressive Entwicklung vorzugehen."

www.no129.info

Wir haben zum Ende des Stammheimer Prozesses ein Interview mit zwei VertreterInnen des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen - Stuttgart über ihre Erfahrungen und Perspektiven der Soli-Arbeit geführt.

Gefangenen Info: Die zwei Gefangenen wurden nach knapp 2 ½ Jahren Verfahrensdauer verurteilt. Könnt ihr uns etwas über die Urteile sagen und wie diese einzuschätzen sind?

Rosa: Zwischen der Anklageerhebung und der Verurteilung lagen 168 Prozesstage auf eine Dauer von knapp 2 ½ Jahren verteilt. Nicht übersetzte Akten, einen verurteilten Doppelagenten als Hauptbelastungszeugen, Folterer im Zeugenstand und Ungereimtheiten am laufenden Band prägten dabei die Verhandlung.

Schließlich wurde dann Devrim zu 4 Jahren und 10 Monaten als Regionsverantwortlicher der Organisation verurteilt. In der Strafe wurde eine ausstehende Bewährungsstrafe miteinberechnet. Ahmet wurde als Gebietsverantwortlicher zu 5 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Die Verteidigung wird gegen das Urteil in Revision gehen. Da beide einen türkischen Pass besitzen, sind sie mit diesem Urteil akut von der Abschiebung bedroht. Was das für sie bedeutet ist klar: Repression, Folter, Haft bis zu ihrem Tod.

Richard: Konnte das Urteil gegen die in dem Verfahren ursprünglich mitangeklagten Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas und Hasan Subasi nur durch Einlassungen und einem ausgehandelten Deal gefällt werden, wurde mit diesem Urteilsspruch nun das erste reguläre Urteil mit Hilfe des §129b gegen eine linke Organisation gefällt. Die Tragweite des Ganzen ist natürlich kaum abschätzbar. Wir können aber davon ausgehen, dass sich kommende §129b Verfahren auf den Stammheimer Prozess berufen werden.

GI: Zum Ende hat Ahmet ja noch eine sehr ausführliche Erklärung abgegeben. Ihr hattet auch darauf mobilisiert. Wieviele Leute waren denn da und warum habt ihr gerade auf diesen Tag mobilisiert?

Richard: Mit der Verurteilung und dem Ende des Prozesses ist den Gefangenen letztlich auch die letzte Öffentlichkeit - bis auf das Briefe schreiben - entzogen. Daher wollten wir ihnen ein letztes Mal noch die größtmögliche Öffentlichkeit bieten, die dafür zu mobilisieren ist, um ihnen damit auch Gehör zu verschaffen. Mit 70 Personen an einem Werktag, darunter welche aus Berlin, Düsseldorf, Freiburg, Magdeburg, München, Paris und Stuttgart, ist uns das auch ganz gut gelungen.

Rosa: Wir wollten zum Abschluss des Verfahrens nochmal ein Zeichen der Solidarität an die Gefangenen senden und gleichzeitig den Tag dafür nutzen, die Inhalte und insbesondere die Tragweite und die Bedeutung des §129b zu transportieren.

Leider konnte Ahmet seine doch sehr umfangreiche Erklärung an diesem Tag nicht beenden. Wir planen aber, seine Erklärung zu veröffentlichen.

GI: Könnt ihr ein kurzes Resümee eurer Arbeit ziehen? Insbesondere was die Solidarität angeht?

Rosa: Ein endgültiges Resümee können und wollen wir momentan natürlich noch nicht ziehen. Wir werden uns nach dem Ende des Prozesses Zeit nehmen, um den Verlauf des Ganzen nochmal Revue passieren zu lassen und daraus unser Resümee zu ziehen.

Allgemein kann gesagt werden, dass es bei einem Prozess, der sich über 2 Jahre zieht und der an 168 Prozesstagen verhandelt wurde, schwierig ist am Ball zu bleiben und immer die richtige Antwort auf die Situation zu finden. Insbesondere wenn es sich um einen Präzedenzfall handelt, die Informations- und Datenflut derart unüberschaubar ist, dass selbst die Anwälte uns manchmal nicht weiterhelfen konnten. In einem solchen Prozess über einen so langen Zeitraum gibt es dann natürlich immer auf und abs. Wir mussten feststellen, dass es uns über lange Strecken kaum gelungen ist den Prozess aus der Isolation herauszubringen und ihn an eine breitere - linksradikale - Öffentlichkeit zu bringen. Erst nach gut zwei Jahren Arbeit beschäftigen sich einige Gruppen mit der Thematik und wollen dazu arbeiten. Das sehen wir definitiv als etwas sehr positives an.

Richard: Im Gesamten müssen wir aber leider auch sagen, dass die Solidarität in keinem Verhältnis zu dem Ausmaß der Repression und zu dem Ausmaß der Konsequenzen, die dieser §129b haben wird, steht.

So denken wir, dass die Justiz mit dem §129b und den nun geschaffenen Präzedenzfällen sich ein sehr wirkungsvolles Mittel geschaffen hat zur Verfolgung der migrantischen Linken - und das ohne größeren Widerstand und abseits der Öffentlichkeit. Auch die Bedeutung für die hiesige Linke darf nicht unterschätzt werden, da der §129b eben auch Potential zur Kriminalisierung jeglicher internationalistischen Arbeit birgt.

GI: Wie wollt ihr in Zukunft weitermachen?

Richard: Die Prozesse in Düsseldorf einerseits gegen Faruk Ereren und andererseits gegen Nurhan Erdem, Ahmet Istanbullu und Cengiz Oban laufen weiter. Es gab dieses Jahr bereits weitere zwei Verhaftungen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKPC. In diesem Zusammenhang wurde Sadi Naci Özpolat in Frankreich verhaftet und Anfang Juli nach Deutschland überstellt.

Im Mai diesen Jahres wurde eine Person mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der tamilischen Organisation LTTE (Liberation Tigers Tamil Eelam) verhaftet. Diese Beispiele zeigen, dass die Anwendung des §129b sich weiter ausdehnen wird, dementsprechend setzen wir unsere Arbeit natürlich fort - versuchen weiterhin darüber zu informieren und Widerstand dagegen zu organisieren.

Rosa: Dazu sind Devrim und Ahmet, wie auch Faruk von der Abschiebung bedroht. Wir werden auch dagegen vorgehen und versuchen diese Abschiebungen zu verhindern.

Richard: Wir wollen mit unserer Arbeit vor allem auch eine Nachhaltigkeit erreichen, es erreichen, dass möglichst viele kontinuierlich gegen die repressive Entwicklung vorgehen. Der Aktionstag am 19.6. und die Delegation zur Erklärung von Ahmet waren Schritte in die richtige Richtung. Verschiedene Städte haben sich zum Thema verhalten und sich damit auch mit der Thematik auseinandergesetzt.

Bei der momentanen Situation der deutschen Linken ist es unserer Meinung nach unbedingt notwendig, dass sich verschiedene Organisationen zusammentun und gemeinsam gegen diese Entwicklung vorgehen. Gerade angesichts dessen, dass die Repression im Kampf gegen die revolutionäre Linke geschlossen zusammensteht, müssen wir umso geschlossener und gemeinsam agieren.

Rosa: Das zu Prozessbeginn gegründete Komitee gegen §§129 haben wir mittlerweile zur Stuttgarter Sektion des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen weiterentwickelt. Es ermöglicht uns, den von uns formulierten Ansprüchen besser gerecht zu werden, flexibler zu sein, überregional und bundesweit effektiver und organisierter zu arbeiten und uns nicht auf die §§129-Prozesse beschränken zu müssen.

In Stuttgart haben wir zusammen mit türkisch/ kurdischen und deutschen Organisationen die Stuttgarter Plattform "Weg mit den §§129! Gegen die Kriminalisierung von MigrantInnen" gegründet. Wir sehen das als ein Mittel an, um uns zukünftig gemeinsam gegen die Angriffe, denen wir ausgesetzt sind, wehren zu können. An diesen Ansätzen werden wir weiterarbeiten.


*


Schwerpunkt

Zwischen Radios und Terror
Zur Urteilsverkündung im Stammheimer Verfahren

Am Donnerstag, den 15. Juli, wurde nach 168 Verhandlungstagen und nach einer Prozessdauer von 2 1/2 Jahren, das Urteil gegen Devrim und Ahmet gefällt. Der Senat setzte das Urteil für Devrim auf 4 Jahre und 10 Monate (seine Bewährungsstrafe inbegriffen) fest und für Ahmet auf 5 Jahre und 4 Monate wegen (angeblichen) Mitgliedschaften in der DHKPC. Beide sind weiterhin in Haft und ihnen droht die Abschiebung.

Der 168. Verhandlungstag begann mit etwas Verzögerung, da verschiedene Vertreter der Presse und der Medien erst noch Bilder von dem Senat, den Angeklagten und dem Gerichtssaal schießen mussten, in dem, vermutlich um dem Schein eines "Terrorprozesses" gerecht zu werden, zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses 8 Hundertschaftspolizisten Platz genommen hatten. Die Medien waren an diesem Verhandlungstag anwesend, da an diesem Tag das Urteil gegen Devrim Güler und Ahmet D. Yüksel gefällt werden würde.

Das Urteil fiel wie folgt aus: Devrim Güler wurde als Regionsverantwortlicher zu 4 Jahren und 10 Monaten und Ahmet Düzgün Yüksel als Rechtsberater der Organisation und als Gebietsverantwortlicher zu 5 Jahren und 4 Monaten verurteilt.

Sie sollen für die DHKP-C Spenden gesammelt, legale Zeitungen verkauft und Informationsveranstaltungen u.a. über den Todesfastenwiderstand organisiert und durchgeführt haben.

Devrim soll auch an der Vorbereitung des den Gefangenen vorgeworfenen Waffenschmuggels beteiligt gewesen sein, sowie über den Aufenthaltsort von "Radios" - was laut Spitzfindigkeit des Senats ein Codewort für Waffen sei - Bescheid gewusst haben.

Ahmet soll als Intellektueller innerhalb der Organisation gewirkt haben, der Schulungen organisiert und durchgeführt habe und sich auch um den Druck der Zeitungen gekümmert habe.

Des weiteren wurde Ahmet wegen der anwaltlichen Vertretung des langjährigen Generalssekretärs der DHKP-C, Dursun Karatas, sowie seiner Tätigkeit als Anwalt des Rechtsbüro des Volkes in der Türkei, eine politische Nähe zur Organisation nachgesagt.

In seiner Begründung stützte der Senat sich auf die Aussagen von Hüseyin Hiram, dem psychisch kranken Doppelagenten, und auf die Aussagen von Serdar Bayraktutan, dem Leiter der Abteilung DHKP-C der Istanbuler Polizei, gegen den in der Türkei wegen mehrerer Foltervorwürfe Ermittlungen laufen. Der Senat bestand aber darauf, dass nur sachliche Angaben des Folterers in das Urteil mit eingeflossen seien und keine menschlichen Angaben, da Folter zwar einerseits verfahrensirrelevant sei, aber andererseits dann doch beachtet worden sei.

Eine weitere Begründung des Richters waren die Lebensläufe der beiden und die Tatsache, dass sie trotz vorheriger Verurteilung, die zur Bewährung ausgesetzt worden war, weiterhin politisch aktiv waren. Dabei berücksichtigte der vorsitzende Richter Wieland zu Gunsten von Devrim Güler, dass dieser bereits in frühen Jahren von der Organisation "ideologisch indoktriniert" worden sei. Weiter bezeichnete der Senat in seiner Begründung sowohl die Anatolische Föderation, als auch verschiedene anatolische Vereine, darunter auch das Anatolische Kunst- und Kulturhaus in Stuttgart mehrmals als "Tarnvereine und Tarnorganisationen der DHKP-C" und bezeichnete die legal hier erscheinenden Zeitungen als "Parteizeitungen", was auf nichts anderes abzielt als auf die Kriminalisierung jeglicher Betätigung von politisch aktiven MigrantInnen.

Mit der Verurteilung sind sowohl Devrim, als auch Ahmet von der Abschiebung bedroht. Was das bedeutet hat nicht unlängst Faruk Ereren, der ebenfalls von der Abschiebung bedroht ist, in einem seiner Briefe ausgedrückt: "Was mich erwartet wenn ich in die Türkei ausgeliefiert werden sollte, ist Repression, Folter und Haft bis zum Tod. Der faschistische Staat in der Türkei hat eh schon zur Sprache gebracht, mich bis zu meinem Tod ins Gefängnis stecken zu wollen."

Wann mit einer Entscheidung hinsichtlich der Abschiebung zu rechnen ist bleibt unklar. Weiter hat die Verurteilung zur Folge, dass die Angeklagten die Kosten des Verfahrens tragen, die sich ohne die Ermittlungskosten einberechnet, auf 2,4 Millionen Euro belaufen. Das Urteil war - wie nicht anders zu erwarten - nur ein Spiegelbild des ganzen Prozesses, in dem die Verurteilung von Anfang an fest stand und damit eine weitere Manifestation der Klassenjustiz ist. (red.)


*


"Wir lachen ihnen ins Gesicht..."
Bericht zur Delegation zum Ende des §129b Prozesses in Stammheim

Aufruf des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen zu der Delegation zum §129b Prozess in Stuttgart-Stammheim. Es beteiligten sich Personen aus Berlin, Düsseldorf, Freiburg, Magdeburg, München, Paris und Stuttgart. Hintergrund der Delegation war das bevorstehende Ende des Prozesses.

In der Verhandlung hielt die Verteidigung ihre Abschlussplädoyers, in denen sie auf die zahlreichen Widersprüche im Verfahren einging, sowie auf die dürftige Beweislast. Sie plädierten für die Einstellung des Verfahrens. Nach Beendigung der Plädoyers der Verteidigung haben die Gefangenen die Möglichkeit Schlussworte zu halten. Ahmet machte von diesem Recht Gebrauch und begann seine ausführliche Erklärung zu verlesen. In seiner Erklärung forderte er seine Freilassung, sowie die Freilassung aller §129b-Gefangenen. Er ging in seiner Erklärung auf verschiedene historische Aspekte der türkischen/osmanischen Geschichte ein - unter anderem auf die Ursprünge des Konfliktes um Kurdistan, wie auch auf den Genozid an den Armeniern -, thematisierte die Folter in der Türkei, ging auf die Ergenekon Anklage und die Ursprünge Ergenekons ein und zerlegte Stück für Stück die Anklageschrift. Durch die Länge der Erklärung konnte er diese erst am folgenden Prozesstag beenden.

In der Mittagspause fand eine spontan angemeldete Kundgebung vor dem Knastgebäude statt, bei der in Reden des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen, der Stuttgarter Plattform "Weg mit den §§129! Gegen die Kriminalisierung von MigrantInnen!" und von Tayad nochmals auf die Hintergründe der Verfahren, sowie die Notwendigkeit der Solidarität eingegangen wurde. Dazu wurde ein Grußwort des Gefangenen Thomas Meyer-Falk verlesen.

Mit einem Infotisch, auf dem es Essen und Getränke gab, sowie mit Gesang und dem Tanzen des türkischen Volkstanzes Halay gelang es auch andere Besucher von JVA Häftlingen zur Kundgebung zu bringen.

Da die Kundgebung vor Ort spontan angemeldet wurde, wurden jetzt Ermittlungen wegen "Verstoßes gegen das Versammlungsrecht" gegen den Anmelder aufgenommen.

Weitere Bilder, die Reden und die leider zu spät angekommenen Grußwörter der Roten Hilfe International, sowie der GenossInnen für den Aufbau einer Roten Hilfe Italien sind auf www.no129.info zu finden. (red.)


Worte zum Prozess gegen Ahmet und Devrim in Stammheim, Juli 2010

Wie Kugeln in ihren Gewehrläufen werden von Bundesanwaltschaft und Oberlandesgericht die erfolterten Aussagen aus türkischen Kerkern eingesetzt. Leitende Polizeibeamte aus der Türkei wie selbstverständlich als Belastungszeugen geladen, als wäre die Türkei noch nie wegen Folter verurteilt worden.

Nun, niemand erwartet ernstlich von der deutschen Justiz irgendetwas anderes! Sie halten ihre Gewehre auf uns gerichtet, ob in der Türkei, in Deutschland, Palästina oder anderswo. Allzeit bereit zu feuern.

Aber der Mensch ist frei geschaffen; alles in ihm drängt sich zur Freiheit und so kann auch noch so harte Repression den Befreiungskampf nicht zum schweigen bringen.

All das hat nichts mit Märtyrertum zu tun, sondern mit einer aufrechten, ungebeugten Haltung. Wir lachen ihnen ins Gesicht, denn unsere Solidarität und Wärme untereinander gibt Kraft, Mut und Stärke.

Freiheit für Ahmet und Devrim!
Freiheit für Nurhan, Cengiz, Faruk sowie Ahmet Istanbullu!


Thomas Meyer-Falk


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Schwerpunkt

"Wir werden Sie weiter befragen, auch wenn das für Sie eine Qual ist"

Der Prozess gegen die Düsseldorf 3 geht in die Sommerpause. Wesentlicher Teil der Anklage vom EuGH einkassiert. Beugehaftandrohung gegen Ilhan Demirtas.

Am Mittwoch endete vor dem OLG Düsseldorf der letzte Gerichtstag des seit März diesen Jahres laufenden Prozesses gegen drei türkische Linke vor der Sommerpause, die bis zum 23. August andauern wird. Nurhan Erdem, Ahmet Istanbullu und Cengiz Oban wird vorgeworfen, Mitglieder der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) zu sein und als solche durch Schulungen und Spendenkampagnen für politische Gefangene in der Türkei und andere politische Aktivitäten die Organisation bei schwersten Straftaten, wie dem Verüben von Anschlägen und Attentaten in der Türkei, unterstützt zu haben. Den Angeklagten wurde zu Beginn des Prozesses der Vorwurf des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetzes (AWG §34 Abs.4) und den §129b (Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) gemacht. Nach diesem Paragraphen steht z.B. das Sammeln von Spenden für Gefangene und jeweilige weitere Unterstützung einer politischen Organisation unter Strafe, soweit diese per EU-Ministerratsbeschluss zur terroristischen Organisation erklärt wurde. Dies war bei der DHKP-C der Fall. Die politischen Gruppen, Parteien oder Einzelpersonen, die auf der sogenannten EU-Terrorliste landeten, wurden sofort politisch und wirtschaftlich isoliert. Den Gelisteten wurde auf Grundlage von juristisch nicht überprüfbaren Geheimdienstinformationen die Existenzgrundlage entzogen. Jeder Kontakt mit der Außenwelt wurde geheimdienstlich durchleuchtet. Die Konten der Betroffenen wurden gesperrt. Diese Maßnahmen wurden auch innerhalb der EU-Administration scharf kritisiert. Der Sonderermittler der EU, Dick Marty, sprach in Bezug auf den praktischen Umgang mit dieser Liste von einer zivilen Todesstrafe.

Dieser Praxis konnte erst am 29. Juni durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs Einhalt geboten werden. In dem Urteil des EuGH heißt es: "Die Beschlüsse des Rates, mit denen die DHKP-C vor Juni 2007 unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien in Listen aufgenommen wurde, (...) können nicht dazu beitragen, die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der genannten Organisation zu stützen(...)" Diese, von den Anwälten in diesem Verfahren erzwungene Klarstellung vor dem EuGH kann somit im Sinne der Angeklagten als Erfolg gewertet werden. Die Verteidigung ist seither der Auffassung, dass aufgrund des Urteils des EuGH der Strafvorwurf insgesamt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Außerdem beruhe die Anklage der Bundesanwaltschaft zum Teil lediglich auf unhinterfragbaren Aussagen und Vermerken von Geheimdienstlern. Eine Zeugin des BND wollte nicht ausschließen, dass Erkenntnisse, die sie durch Protokolle aus der Türkei erlangt habe, auch durch Folter zustande gekommen sein können. Der BND könne auch keine Verantwortlichkeit europäischer Funktionäre für Vorgänge oder Anschläge in der Türkei beweisen. Da die Verteidigung auch der Verwertbarkeit digitaler Beweise, auf die sich ein weiterer Teil der Anklage stützt, aufgrund deren Unnachvollziehbarkeit widersprachen, steht nun die gesamte Anklage auf tönernen Füßen. Die Anwälte beantragten deswegen die Freilassung der Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Der Senat schmetterte einen entsprechenden Antrag, wie jeden anderen inhaltlichen Antrag der Verteidigung auch, ohne konsistente Begründung ab. Das betrifft auch einen Antrag der Verteidigung auf ein Gegengutachten zu den Lageberichten des Auswärtigen Amtes bezüglich der Situation in der Türkei. Dies ist eigentlich in jedem Verwaltungsgerichtsverfahren (Asylverfahren) üblich, da dort von der unzureichenden Einschätzung der Lageberichte Kenntnis herrscht.

Statt die Gefangenen freizulassen und das Verfahren gegen sie auszusetzen, hält das Gericht an seiner aggressiven Haltung gegenüber den Angeklagten fest. "Die Richter begegnen jedem sachlichen Widerspruch zu einer etwaigen Schuld der Angeklagten oft in ausfallender, provokativer oder chauvinistischer Weise ablehnend", so eine Prozessbeobachterin. In den letzten fünf Monaten sagten lediglich Mitarbeiter des BKA, des BND, sowie Verfassungsschützer aus. Für den 7. Juli war Ilhan Demirtas als Zeuge geladen, der bereits vom OLG Stuttgart-Stammheim wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilt wurde und mittlerweile wieder auf freiem Fuß ist. Der Betroffene ist psychisch krank, leidet unter paranoiden Vorstellungen und Verfolgungsängsten. Er bekommt seit drei Jahren starke Psychopharmaka. Ein offenbar willfähriger Gutachter bescheinigte dem Gericht trotzdem die Verhandlungsfähigkeit, schloss aber die Auslösung von psychotischen Schüben durch die Befragung nicht aus. Im Gerichtssaal wurde schnell deutlich, dass sich Ilhan kaum differenziert erinnern kann. Der Vorsitzende Richter schenkt dem bisherigen Aussageverhalten von Ilhan offenbar keinen Glauben und verlautbarte, dass es im fünfköpfigen Gerichtssenat eine Mehrheit für eine etwaige Bestrafung mit Beugehaft gäbe. "Wir werden sie weiter befragen, auch wenn das für sie eine Qual ist - wir sind jedenfalls noch nicht durch ... so einfach geht das für sie nicht" sagte der Richter zu Ilhan Demirtas. Die Befragung Ilhans soll nach der Sommerpause fortgesetzt werden.

Wie mit Ilhan und anderen Zeugen im Prozess umgegangen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, inwiefern der Prozess in der öffentlichen Wahrnehmung präsent ist. Martin Dolzer, Pressereferent der Anwältinnen von Cengiz Oban, sagte gegenüber der GI-Redaktion, dass schon die Teilnahme von Parlamentariern wie die Bundestagsabgeordneten der Linken Inge Höger und Andrej Hunko Einfluss auf den Umgang des Gerichts mit den Angeklagten, Anwälten und Zeugen hat. Es wäre also wichtig, dass der Prozess weiter beobachtet wird, am besten von internationalen Beobachtern. Am letzten Verhandlungstag wurden die Urteile des kürzlich beendeten §129b-Prozesses in Stammheim verlesen. Die Rechtsanwältin des Angeklagten Cengiz Oban, Anni Pues geht davon aus, dass die Stammheimer Urteile dem Verfahren gegen die in Düsseldorf Angeklagten übergestülpt werden sollen. Dort wurden Strafen bekanntlich von bis zu 5 Jahren und 4 Monaten verhängt. (red)


Erneute Verhaftung mit dem Vorwurf der "DHKP-C-Mitgliedschaft"

Am 18. Mai 2010 wurde Sadi Naci Özpolat auf Ersuchen der deutschen Bundesanwaltschaft in Colmar, Frankreich festgenommen und saß seitdem dort in Haft. Am 13.07.2010 wurde er dann nach Deutschland überstellt.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihm "versuchte, schwere räuberische Erpressung" und die "Rädelsführerschaft in einer innerhalb der DHKP-C bestehenden terroristischen Vereinigung in der Türkei" vor.

Außerdem soll er laut Anklage, als Nachfolger von Alaattin Ates, seit Februar 2009 als Verantwortlicher der DHKP-C Führung für Deutschland und Teile Westeuropas fungiert haben.

In dieser Funktion soll er sowohl die Führungsfunktionäre der Organisation angeleitet wie auch für die Schulung der Mitglieder verantwortlich gewesen sein.

Auch ihm wird als zentrale Aufgabe das Eintreiben von Spenden für die Organisation und in seiner "Funktion als Führungsfunktionär" die Festlegung der Spendenhöhen vorgeworfen.

Sadi Naci Özpolat ist nun die zwölfte Person, die innerhalb von 4 Jahren in Deutschland wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der DHKP-C eingesperrt wurde. (red.)


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Schwerpunkt

Solidarität muss praktisch werden
Freiheit für die §129b- und alle politischen Gefangenen weltweit!

Nach über zwei Jahren endete am 15. Juli der §129b Prozess in Stuttgart Stammheim gegen Devrim Güler und Ahmet Düzgun Yüksel. Die Prozesse in Düsseldorf, gegen Faruk Ereren und gegen Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu laufen weiter. Allein in diesem Jahr wurden insgesamt 4 weitere Personen mit §129b Vorwurf inhaftiert, einmal mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Elam) und gegen drei Personen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft/ Rädelsführerschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front). Aufgrund der Massivität der Angriffe gegen Revolutionäre und der Notwendigkeit der Schaffung von Öffentlichkeit und Solidarität zu den bereits laufenden Verfahren rief das Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen einen bundesweiten Aktionstag am 19. Juni, dem "Tag des revolutionären Gefangenen", aus. (siehe GI Nr. 355)

Unter dem Motto "Solidarität muss praktisch werden - Freiheit für die §129b und alle politischen Gefangenen weltweit" folgten international verschiedene Organisationen diesem Aufruf und beteiligten sich an dem Aktionstag am 19. Juni.

Wir dokumentieren im Folgenden die Solidaritätsaktivitäten:

Berlin: In Berlin organisierte das Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen gemeinsam mit der Roten Hilfe OG Berlin, der Roten Hilfe OG Königs Wusterhausen und dem Freiheitskomittee eine zentrale Kundgebung am Kottbusser Tor.

An der Kundgebung nahmen rund 65 Personen aus verschiedenen Spektren der radikalen Linken teil. Um den Kundgebungsplatz herum wurden Transparente aufgehängt, es wurden Parolen skandiert, Reden der teilnehmenden Gruppen und Grußbotschaften der Gefangenen als auch der Roten Hilfe International verlesen.

Magdeburg: In Magdeburg wurde ein Graffiti aus Solidarität mit den §129b Gefangenen, gegen die Kriminalisierung von AntifaschistInnen und Revolutionären aus der Türkei und Kurdistan angefertigt. Ausserdem wurden riesige Wandzeitungen und Wandplakate verklebt um auch damit die Prozesse und die Realität der Angriffe ins Stadtbild zu rücken und Öffentlichkeit zu schaffen.

Hamburg: In Hamburg wurden Parolen wie "Freiheit für alle politischen Gefangenen" und "Anatolische Jugend" an Wände gesprüht.

Heilbronn: In Heilbronn gab es eine Transparentaktion an einer Autobahnbrücke mit der Aufschrift: "Freiheit für die §129b-Gefangenen". Zusätzlich grüßten die GenossInnen aus Heilbronn die Gefangenen mit Bengalischem Feuer.

Düsseldorf: In Düsseldorf fand eine Demonstration unter dem Motto "Solidarität muss praktisch werden - Freiheit für die §129b Gefangenen" statt. Es beteiligten sich ca. 120 Personen darunter das Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, die Rote Antifa Duisburg, Antifaschistische Aktion Dortmund, Karawane Flüchtlingshilfeorganisation für die Rechte von MigrantInnen und der Arbeitskreis Nord-Süd aus Bremen, Rote Hilfe Düsseldorf-Neuss, Die Linke.NRW, das Tayad Internationales Solidaritätskomitee, Anatolische Föderation, sowie die Rote Hilfe aus Belgien.

Die Demonstration führte vom Düsseldorfer Hauptbahnhof bis zum Düsseldorfer Knast, in dem Cengiz Oban und Faruk Ereren eingesperrt sind.

Es wurden die Grußadressen der Gefangenen Faruk Ereren, Devrim Güler und Thomas Meyer-Falk, sowie Grußadressen der Roten Hilfe International, der Karawane Bremen, der Roten Antifa Duisburg, von Tayad und dem Anti Knast Projekt Köln verlesen.

Andrej Hunko Mitglied des deutschen Bundestags, DIE LINKE., hielt ebenfalls einen Redebeitrag über das Aussenwirtschaftsgesetz.

Gaggenau/Rastatt: In Rastatt fand eine Solidaritätsaktion vor dem Tor der Rastatter JVA statt. Die GenossInnen riefen mit einem Transparent mit der Aufschrift zur "Freiheit für alle politischen Gefangenen" auf und skandierten Parolen. Vor dem Aktionstag am 19. Juni fanden an verschiedenen Stellen in Gaggenau außerdem noch Sprühaktionen statt, die auf den Tag mobilisierten.

Wien: In Wien fand eine Kundgebung am Stephansplatz statt, die vom Tayad Komitee organisiert wurde und an der sich über 30 Personen beteiligten. Es wurden Reden auf Deutsch und English gehalten, in denen auf die Isolationshaft, die Situation der revolutionären Gefangenen, die Geschichte des 19. Juni und den Kampf in der Türkei eingegangen wurde. Ebenfalls wurden die Grußworte von Nurhan Erdem, Devrim Güler, Faruk Ereren und Thomas Meyer-Falk verlesen.

Außerdem wurden Schilder mit den Bildern von Nurhan Erdem, Cengiz Oban, Ahmet Istanbullu und Avni Er (der sich in Italien in Haft befindet und ebenfalls von der Abschiebung in die Türkei bedroht ist) und Schilder mit der Aufschrift "Widerstand ist kein Terrorismus sondern eine Pflicht" hochgehalten und mit Transparenten die Freiheit für alle politischen Gefangenen gefordert.

Paris: In Paris fand im Straßbourg Saint-Denis Viertel eine Kundgebung statt die das Freiheitskomittee organisierte. An dieser beteiligten sich ca 26 Personen. Es wurde eine Presseerklärung des Freiheitskomittees verlesen in der auch auf die erneuten Verhaftungen von 15 Tayad Mitgliedern am 15. Juni in der Türkei eingegangen wurde.

Winterthur/ Zürich: Die Winterthurer und Züricher GenossInnen beteiligten sich mit Transparentaktionen mit der Aufschrift: "Weg mit 129b - Internationale Klassensolidarität aufbauen" am Aktionstag. Darüber hinaus wurde in Zürich noch ein Transparent mit der Aufschrift "Free Bily, Costa und Silvia! Marco Libero!" aufgehängt.

Stuttgart: In Stuttgart beteiligten sich ca. 40 Personen an einer Solidaritäts-Kundgebung auf dem Stuttgarter Marktplatz. Die Kundgebung wurde von der Stuttgarter Plattform "Weg mit den §§129 - Gegen die Kriminalisierung von MigrantInnen", bestehend aus AGIF, ATIF, Anatolische Föderation, Libertäres Bündnis Ludwigsburg und dem Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Stuttgart, organisiert.

Mit Reden der Anatolischen Föderation und der Stuttgarter Plattform, Infotischen und Transparenten wurde auf die §129b Prozesse und die Kriminalisierung von MigrantInnen aufmerksam gemacht, zur Solidarität aufgerufen und die Freiheit der §129b Gefangenen sowie aller politischen Gefangenen weltweit gefordert. (red.)


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Inland

Zum Aktionstag gegen eine geknastete Gesellschaft am 19. Juni

AktivistInnen der Antiknast-Bewegung mobilisierten zum 19. Juni zu einem Aktionstag, an dem das Knastsystem als Mittel zur Kontrolle und Unterdrückung thematisiert und Solidarität mit den politischen und sozialen Gefangenen organisiert wurde. Der Aufruf und Rahmen des Aktionstags sollte so offen gestaltet werden, dass sich alle Interessierten angesprochen fühlen, ihren Beitrag unter dem Motto zu leisten und eigene Schwerpunkte zu setzen. Angesprochen fühlen sollten sich auch nicht nur diejenigen, die eh schon gegen Knäste, Abschiebelager und die tagtäglich massiver auftretende soziale Kontrolle kämpfen. Das Ziel sollte es sein, das Thema und Einsperrung wieder in den Blickpunkt zu stellen, natürlich nicht ohne den Blick auf die Perspektive zu verlieren, die Perspektive nach einem anderen Leben, frei von Unterdrückung, Ausbeutung und frei von allen Herrschaftsformen.

AktivistInnen der Antiknast-Bewegung mobilisierten zum 19. Juni zu einem Aktionstag, an dem das Knastsystem als Mittel zur Kontrolle und Unterdrückung thematisiert und Solidarität mit den politischen und sozialen Gefangenen organisiert wurde. Der Aufruf und Rahmen des Aktionstags sollte so offen gestaltet werden, dass sich alle Interessierten angesprochen fühlen, ihren Beitrag unter dem Motto zu leisten und eigene Schwerpunkte zu setzen. Angesprochen fühlen sollten sich auch nicht nur diejenigen, die eh schon gegen Knäste, Abschiebelager und die tagtäglich massiver auftretende soziale Kontrolle kämpfen. Das Ziel sollte es sein, das Thema und Einsperrung wieder in den Blickpunkt zu stellen, natürlich nicht ohne den Blick auf die Perspektive zu verlieren, die Perspektive nach einem anderen Leben, frei von Unterdrückung, Ausbeutung und frei von allen Herrschaftsformen.

In Berlin gab es in den Morgenstunden des 19. Juni vor der JVA Moabit ein effektvolles Feuerwerk, um den Gefangenen zu zeigen, dass sie trotz der Mauern, hinter denen sie gefangen gehalten werden, nicht vergessen sind und auf der anderen Seite der Mauern für ihre Freiheit gekämpft wird. Einen Tag vorher wurden außerdem Scheiben von zwei verschiedenen Berliner Firmen zerstört, die an Überwachung und Knast profitieren.

In der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs wurde eine große Plakatwand angebracht, auf der sich mit allen kämpfenden Gefangenen solidarisiert und die Freiheit aller gefordert wurde. Am Nachmittag des Aktionstages fanden sich einige Menschen vor dem U-Haft Knast Holstenglacis in Hamburg ein und brachten Transparente mit Kontakt-Adressen in Sichtweite der Gefangenen an, um Kontakt herzustellen und die Isolation zu durchbrechen. Außerdem wurden Parolen wie "Freiheit für alle Gefangenen!" gerufen. Einige Menschen warfen Tennisbälle über die Außenmauer des Knastes, die mit Nachrichten und Forderungen für die Gefangenen und gegen alle Knäste versehen waren. Gefangene reagierten positiv auf die Aktion und erwiderten die gerufenen Parolen. Angehörige von Inhaftierten, die anwesend waren, äußerten ihre Begeisterung über die Aktion.

Nachdem die Kundgebung zum Antiknast-Aktionstag in Aachen beendet worden war, machte sich eine Handvoll KnastgegnerInnen noch auf den Weg zum dortigen Knast. Dort wurde zunächst am Parkplatz der JVA ein Grußwort des in der JVA Bruchsal inhaftierten Thomas Meyer-Falk verlesen. Anschließend zogen alle mit Parolen wie "Freiheit für alle Gefangenen!" und "Solidarität mit kämpfenden Gefangenen!" zum Eingang der JVA. Über ein Megaphon wurden immer wieder Durchsagen an die Inhaftierten gemacht. Es wurde allen kämpfenden Gefangenen Solidarität erklärt und ihnen Mut gemacht, dass sie in ihrem Kampf für bessere Haftbedingungen, bzw. im Kampf gegen das Knastsystem nicht aufgeben sollen. Auf dem Weg zum Haupteingang kamen mehrere Gefangene an die Fenster ihrer Zellen und zeigten sich durch Winken und Rufe erfreut über die Solidaritätsaktion. Nachdem auch vor dem Eingang Parolen wie "Gegen Knast und Hierarchie! Für die Freiheit! Für die Anarchie!" gerufen wurden, ging es zu einem Nebeneingang der JVA, wo bis zum Beginn des Regens lautstark auf sich aufmerksam gemacht wurde. Zudem wurde explizit der anarchistische Genosse Gabriel Pombo Da Silva, der seit vielen Jahren in Aachen im Knast sitzt, gegrüßt. Es bleibt zu hoffen, dass die Grüße ankamen.

In Köln fand eine Kundgebung mit etwa zwanzig Leuten im Stadtteil Kalk statt, auf der Redebeiträge gehalten, Musik gespielt und etwa 300 Flugblätter auf deutsch und türkisch verteilt wurden. Anlass war unter anderem der im Bau befindliche privatisierte Knast in Ratingen, der von der Securityfirma Kötter betrieben werden soll und der als erster Privatknast in Nordrhein-Westfalen betrieben werden soll. Informiert wurde auch zu den politischen Prozessen in der BRD.

Weitere Aktivitäten am 19. Juni gab es außerdem in Dresden, Rostock, Tübingen und Wien. (red.)

Weitere Infos zum Antiknast-Aktionstag:
www.abc-berlin.net


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen bundesweit

Berlin: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sämtliche Überwachungsmaßnahmen gegen drei Berliner Libertad!-Mitglieder, gegen die das Bundeskriminalamt (BKA) seit 2001 wegen des Verdachts der Gründung der militanten gruppe (mg) ermittelt hatte, für rechtswidrig erklärt. Die drei Libertad!-Mitglieder wurden seitens des BKAs als Gründer der (mg) betitelt und wurden daraufhin jahrelang überwacht. Die Überwachungsmaßnahmen wurden durch insgesamt 36 Beschlüsse eines BGH-Richters genehmigt, die mittlerweile alle als rechtswidrig erklärt wurden. (red.)

Berlin: Das Verfahren gegen den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm wegen "Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung 'militante gruppe (mg)' wurde eingestellt. Er war Mitte 2007 im Rahmen der Verhaftungen von Axel, Florian und Olli, ebenfalls festgenommen worden und wurde verdächtigt die "anspruchsvollen Bekennerschreiben" der mg verfasst zu haben. Grund hierfür war, dass er sich seit längerer Zeit mit dem Themenkomplex der Gentrifizierung beschäftigt hatte und diese Begrifflichkeit in einigen Schreiben der (mg) aufgetaucht waren. (red.)

Berlin: Alexandra ist auch im (von der Staatsanwaltschaft angestrengten) Berufungsverfahren wegen einer angeblichen Brandstiftung an einem PKW am 4. Juli freigesprochen worden. Nach 5 Verhandlungstagen sah auch der Richter die Unschuld von Alexandra als erwiesen an. Das Gericht kam zur Überzeugung, dass sie Opfer einer Verwechslung gewesen sei. Alex war dafür knapp 5 Monate in U-Haft und hat dabei ein Ausbildungsjahr verloren. Die Staatsanwaltschaft hat knapp eine Woche nach dem Urteil Revision eingelegt. (red.)

Berlin: Der Polizist Reinhard R., der Dennis J. in der Neujahrsnacht 2008/2009 mit 8 Kugeln getötet hatte, ist auf freiem Fuß. Reinhard R., der seit dem 4. Mai 2010 auf der Anklagebank saß, wurde am 3. Juli 2010 wegen "Totschlag in einem minderschweren Fall" zu 2 ½ Jahren auf Bewährung verurteilt. Hintergrund ist, dass nach Dennis J. wegen zwei offenen Haftbefehlen gefahndet worden war. Mit einer rechtswidrigen Handyortung wurde Dennis J. an dem Tag aufgefunden und von Reinhard R. mit 8 Kugeln getötet worden. Bereits der erste Schuss, der aus 1,5 m abgefeuert wurde, war tödlich. (red.)


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Inland

Repressionswelle gegen kurdische Jugendliche im Raum Stuttgart

In den letzten zwei Monaten wurden in Stuttgart und Umgebung 15 kurdische Jugendliche verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen Anfang Mai bei einem Angriff auf eine faschistische türkische Kneipe in der Nähe von Stuttgart beteiligt gewesen zu sein, bei dem vier türkische Faschisten verletzt worden waren. Sie werden der gefährlichen Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags (!) angeklagt. Nach dem Angriff auf die Kneipe am 8. Mai begann die Repressionswelle keine zwei Wochen später. Am 20. Mai wurden zunächst 5 Männer vorläufig festgenommen, von denen drei Personen weiterhin in Haft sind. Knapp eine Woche danach wurden zwei weitere Jugendliche verhaftet und wieder eine Woche später kam es zu zwei weiteren Verhaftungen. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die Repressionswelle am Mittwoch, den 7. Juli mit 8 Verhaftungen in Stuttgart. Unter den Verhafteten befindet sich mindestens ein Minderjähriger. Die 15 Betroffenen befinden sich, seit ihrer Verhaftung, in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten auf ganz Baden-Württemberg verteilt.

Die Verhaftungen erfolgten meist mit einem Großaufgebot der Polizei, teilweise wurden die Wohnungen mit Sondereinsatzkommandos gestürmt.

Die Ermittlungen werden geführt von einer extra dafür ins Leben gerufenen 18-köpfigen Ermittlungsgruppe mit dem Namen "Musiknacht". Diese Ermittlungsgruppe versucht - so hat es den Anschein -, die aktive kurdische politische Szene in Stuttgart auch über diesen Vorfall hinaus einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Neben den Verhaftungen versucht die Polizei politisch aktive KurdInnen und ihre Familien einzuschüchtern, indem sie bei den Eltern anrufen, vor der Türe stehen und ihnen anbieten ihre Kinder "aus diesem Teufelskreis" herauszuholen. So scheint es, als nutze die Ermittlungsgruppe die Ermittlungen, um prinzipiell gegen die aktive kurdische Jugend in Stuttgart vorzugehen und den politischen Aktivitäten einen Riegel vorzuschieben. Da die Polizei noch immer davon spricht, dass bei dem Angriff 30 bis 50 Personen beteiligt gewesen seien, ist nicht auszuschließen, dass noch weitere Verhaftungen folgen werden. (red.)


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Neue Karikatur von Finni

Moin, moin... Was du hier siehst ist so das Neueste von mir, eben weil ich gerade die Tage so extrem wahrnehme, dass die Staatsmacht und ihre Leute zur Zeit irgendwie mit echter Offenheit und in "ihrem" guten Glauben die Gesetze biegen, dass ich schon staune. Gerade eben auch wegen dem Straßburger Urteil, und eben tagte die Landesjustizministerkonferenz der Länder, wo es um die Sicherungsverwahrung (SV) geht. Dass der Gesellschaft nun "droht", dass sie 70-90 "Gefährliche" raus lassen müssen! Das äußert z.b. auch das OLG Celle, dass sie absichtlich das Verfahren lang machen, um diese Leute nicht sofort raus lassen zu müssen. Ich würde das mit ihren Worten Rechtsbeugung nennen, oder gar Freiheitsberaubung.

Nun, sicher wird von denen der ein oder andere "rückfällig" werden und die Medien werden das auch ausschlachten. Daher ist auch klar, dass erst einmal die elektronische Fußfessel damit fix gesellschaftsfähig wird... und das nur als erster Schritt. Da kommt dann noch mehr... Gruß und Power durch die Mauer Finni, Celle, 28.6.2010


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Inland

Kriminalisierung militanter Widerstandspraxen
Erneute Durchsuchungen und Beschlagnahmungen der Zeitschriften Interim und Radikal

Die Polizei durchsuchte am 13. und 16.7. mehrere Buch- und Infoläden in Berlin und München. Gesucht wurden Ausgaben der Radikal und Interim wegen darin enthaltener Bauanleitungen. Derzeit existiert ein bundesweiter Beschlagnahmebeschluss für die aktuelle Ausgabe der Interim. Im Gegensatz zur Radikal ist das Zeitungsprojekt Interim zwar nicht verboten und darf legal ausgelegt werden, es werden aber immer wieder Ausgaben kriminalisiert und beschlagnahmt. In der Vergangenheit hatte es mehrere ähnliche Razzien gegeben, nachdem Bauanleitungen zu Brand- und Sprengsätzen erschienen waren.

In München drang am 16.7. unter Beteiligung des Münchner Staatsschutzes die Polizei in den Infoladen im Kafe Marat ein und teilte den Anwesenden zunächst weder mit, um was es ging, noch zeigten sie den Durchsuchungsbeschluss. Alle Räume im Kafe Marat wurden oberflächlich in Augenschein genommen und fotografiert, obwohl nur für den Infoladen ein Durchsuchungsbeschluss vorlag. Nach etwas mehr als einer Stunde zogen sie mit reicher Beute von dannen: Je ein einzelnes Exemplar von drei Zeitschriften, sowie ein Ordner mit Veröffentlichungen aus der Geschichte der militanten Linken. Eine Handvoll Böller wurde noch zu Sprengstoff erklärt und ebenfalls beschlagnahmt. Bei den Zeitschriften handelte es sich um die Ausgaben Interim 713 und 714, sowie die Radikal-Ausgabe 162. Jemand aus dem Kafe Marat dazu: "Es ist klar, dass wir uns sowas nicht so einfach bieten lassen.

Es ist aber auch klar, dass wir Zeit und Ort unserer Reaktion selber bestimmen. Don't shit where you eat. Wir feiern heute und morgen 13 Jahre Freitagskafe, das lassen wir uns nicht nehmen. Der Sommer ist noch lang genug!".

Wenige Tage vorher wurden am 13.7. in Berlin die beiden Filialen des Buchladens Schwarze Risse, der Buchladen OH21 und der Infoladen M99 durchsucht. Bei den Razzien wurden insgesamt 134 Exemplare der Interim, eine unbekannte Menge der Radikal sowie mehrere Computer beschlagnahmt. Das wäre somit die fünfte Durchsuchung innerhalb eines halben Jahres im Buchladen Schwarze Risse im Mehringhof. Das Kollektiv Schwarze Risse meinte dazu: "Dachten wir bei der letzten Durchsuchungswelle noch, es handele sich vielleicht 'nur' um die übliche Hysterie zum 1. Mai, müssen wir nun endgültig davon ausgehen, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden uns nicht in Ruhe lassen wollen und Vorwand nach Vorwand suchen werden, um gegen Schwarze Risse, OH21 und M99 vorzugehen. Das heißt, der Angriff gilt linken Strukturen. Euer Engagement, Ideen und praktische Vorschläge, wie wir zusammen diese Angriffe abwehren, sind gefragt. Weitere Informationen folgen demnächst."

Seit Oktober 2009 hat es in Berlin mehrere Anschläge mit Gaskartuschen ("Gasaki") gegeben, unter anderem auf ein Jobcenter in Wedding, das Haus der Wirtschaft, das Amtsgericht Tiergarten und die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung für Wissenschaft und Politik. Festnahmen in diesem Zusammenhang gab es bislang keine, zu mehreren Gaskartuschenanschlägen gab es Erklärungen von militanten Gruppen. (red.)


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Inland

Zur Lage der Abschiebehäftlinge

Ein Interview mit Franck Gockel, von "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V."

Gefangenen Info: Was unterscheidet die Abschiebehaft von "normaler Haft"?

Frank Gockel: Abschiebehaft ist Zivilhaft. Menschen in Abschiebehaft sitzen nicht im Gefängnis, weil sie etwas verbrochen haben, sondern nur, um den Verwaltungsakt der Abschiebung für die Ausländerbehörden zu erleichtern.

GI: Was bedeutet das für die eingesperrten Flüchtlinge?

F. G.: Alle Abschiebehäftlinge sind per Gesetz unschuldig im Gefängnis. Es fällt ihnen daher zu recht schwer, die Haft zu akzeptieren. Man stelle sich mal vor, dass das Bauamt, wenn es eine neue Straße plant, alle Anwohner in Haft nimmt, nur weil der Verdacht besteht, dass diese dagegen protestieren könnten.

Hinzu kommt, dass die Abschiebehaft für viele Gefangene kein festes Ende hat. Zwar lautet der Haftbeschluss in der Regel 3 Monate, kann aber immer wieder für neue drei Monate verlängert werden, bis zu 18 Monate. Alle drei Monate entstehen so große Hoffnungen, die dann vom Amtsgericht in der zerstört werden.

Das letztendlich schlimmste kommt aber für viele erst nach der Haft. In der Regel erfolgt dann die Abschiebung. Im besten Fall werden Träume auf ein besseres Leben zerstört, viele haben aber Angst, dass sie im Herkunftsland wieder in Haft kommen, gefoltert werden oder die Abschiebung nicht überleben. Dass die Todesangst einiger Abschiebehäftlinge nicht unberechtigt ist, mussten wir leider oft genug erfahren.

Hinzu kommt, dass viele Menschen Sprachprobleme haben oder sich mit unserer Justizkultur nicht auskennen. Damit sind ihnen sämtliche Möglichkeiten einer Verteidigung genommen. Anwälte kosten Geld und vertreten oft Gefangene nur gegen Vorkasse. Auch gibt es nur sehr wenige Anwälte, die sich mit dem Thema Abschiebehaft auskennen.

GI: Was sind die nationalen und internationalen Bestimmungen?

F. G.: Zwar gibt es die sogenannte Rückführungsrichtlinie, die auf europäischer Ebene die Abschiebungen und die Abschiebehaft vereinheitlichen, jedoch muss diese erst Ende dieses Jahres umgesetzt werden. Die Haftgründe sind im Aufenthaltsrecht geregelt, das Verfahren im FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit). Letzteres sorgt gerade bei den Gerichten für Schwierigkeiten, da die Richter, die über die Abschiebehaft bestimmen, in der Regel über das Gesetz keine Ahnung haben. Viele Abschiebehäftlinge werden daher stark in ihren Rechten beschnitten, da der Richter im Zweifelsfall der Ausländerbehörde glaubt und nicht weiß, dass er den Betroffenen im Verfahren Rechte einräumen muss. Es geht sogar soweit, dass einige Richter sogar nach alten Gesetzestexten handeln, weil sie einfach keine aktuelle Version der Vorschriften besitzen.

GI: Weshalb kommen Flüchtlinge in Haft?

F. G.: Der meistgenannte Haftgrund, den ich gelesen habe, führt aus, dass der begründete Verdacht besteht, dass sich der Betroffene der Haft entziehen will. Ein Gummiparagraph, der schnell zu Missbrauch führt. Natürlich will erst einmal niemand in den Sudan, nach Afghanistan oder Irak abgeschoben werden. Äußert er dieses, besteht aber nach Meinung vieler Gerichte schon der Verdacht des Untertauchens. Man stelle sich mal vor, dass eine Discounterkette Menschen in Haft nehmen lassen kann, weil der Verdacht besteht, dass diese irgendwann mal in dem Supermarkt klauen werden.

In der Praxis ist eine noch größere Willkür gegeben. Da die Richter, wie oben schon beschrieben, oft keine Ahnung haben, glauben sie einfach dem Vortrag der Ausländerbehörden, ohne Nachprüfungen anzustellen. So werden z.B. Begründungen der Ausländerbehörden aus dem Briefpapier ausgeschnitten und in die Haftbeschlüsse eingeklebt, ohne dass diese gelesen werden.

Noch erwähnenswert ist, dass Abschiebehaft aufgrund eines europäischen Abkommens immer mehr zum Verschiebebahnhof innerhalb der EU verkommt. Flüchtlinge müssen in sich während des Asylverfahrens und nach einer Ablehnung desselbigen in dem Land aufhalten, dass sie als erstes betreten haben. Wollen sie nun Familienangehörige, Freunde, religiöse Veranstaltungen besuchen oder müssen aus sonstigen Gründen reisen, kann dieses nur illegal erfolgen. Werden sie erwischt, kommen sie über Monate in Abschiebehaft um dann innerhalb der EU verschoben zu werden.

GI: Wie ist die Lage der Jugendlichen?

F. G.: Jugendliche können ab 16 Jahren in Abschiebehaft genommen werden. Viele von ihnen gehen daran zu Grunde. Zwar haben sie z.B. in NRW das Recht auf einen jugendgerechten Haftplatz, in der Praxis besteht aber nur der Unterschied darin, dass sie in einer Abteilung mit Aufschluss und nicht auf einer Abteilung mit Umschluss kommen. Um auch dieses zu vermeiden und um auch noch jüngere Kinder in Haft nehmen zu können, hat das Innenministerium in NRW die Möglichkeit eingeräumt, dass die Ausländerbehörden das Alter der Kinder schätzen dürfen. Eine besondere Qualifikation für diese Tätigkeit muss nicht vorhanden sein. Und oh Wunder, seit dem diese Regel existiert, werden alle Jugendlichen, die behaupten, sie seien unter 18 Jahre auf genau 18 Jahre geschätzt.

GI: Wieviele Menschen sind zu Tode gekommen in Abschiebehaft?

F. G.: Leider lässt sich diese Frage nicht so leicht beantworten. Die Antirassistische Initiative Berlin ermittelte in der Zeit von 1993 bis 2009 59 Todesfälle. Allein in diesem Jahr starben 3 Menschen in Abschiebehaft. Ich glaube aber, dass die Dunkelziffer höher liegt. Bei immer mehr Abschiebegefängnissen gibt es keine unabhängigen Gruppen mehr, die entsprechende Beobachtungen machen und nicht jeder Innenminister ist bereit, die Zahlen zu veröffentlichen.

Für Kontaktaufnahme:
Frank Gockel
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
e-Mail: Gockel@gegenAbschiebehaft.de
Internet: www.gegenAbschiebehaft.de


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen bundesweit

Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht entschied ausnahmsweise zu Gunsten der DemonstrantInnen: DemonstrantInnen dürfen nur noch durchsucht werden, wenn ein konkreter Verdacht gegen sie vorliegt. Allgemeine Verdachtsmomente reichen nicht mehr aus, entschied das Karlsruher Bundesverfassungsgericht am 10. Juni. Anlass für die Entscheidung waren großflächige Durchsuchungen aller TeilnehmerInnen von Demonstrationen. Welche Auswirkungen diese Entscheidung tatsächlich in der Praxis haben wird, muss sich erst zeigen - wissen wir doch alle, was "konkreter Verdacht" bedeutet. (red.)

Gaggenau: Am Mittwoch, den 30. Juni kam es in Gaggenau in Baden Württemberg zu einem Anquatschversuch des Verfassungsschutzes. Ein VS-Mitarbeiter klingelte an der Haustür einer Aktivistin aus Gaggenau, stellte sich als Sicherheitsbeauftragter vor und stellte der Person zahlreiche Fragen über linke Zusammenhänge in Gaggenau und Umgebung. Die Aktivistin ließ sich nicht darauf ein. Bereits 2006, 2008 und 2009 kam es in Gaggenau zu Anquatschversuchen seitens des Verfassungsschutzes. Lasst euch nicht anquatschen! (red.)

Darmstadt: In Darmstadt findet momentan eine Kampagne mit dem Motto "Repression gegen linke und antifaschistische Strukturen stoppen!" statt. Die erste Aktion innerhalb dieser Kampagne war eine Demonstration Ende Juni, an der sich 150 Menschen beteiligten. Hintergrund der Kampagne waren vorrangig Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen mehrere AntifaschistInnen im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit faschistischen Fans bei einem Fußballspiel. (red.)
Infos: http://fightrepression.blogsport.de

Stuttgart: Im Rahmen der Proteste gegen das Bundeswehrgelöbnis am 30. Juli in Stuttgart sollten in der Innenstadt Stuttgarts mehrere Kundgebungen angemeldet werden. Jedoch wurden drei der AnmelderInnen ohne weitere Begründung als "ungeeignet" abgelehnt. Obwohl keiner der Betroffenen vorbestraft ist, geschweige denn wegen Vergehen, die als "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz" geahndet werden, verurteilt wurde, wurden sie als AnmelderInnen vom Ordnungsamt abgelehnt, womit das neue Versammlungsrecht bereits Anwendung findet, ohne dass es verabschiedet wurde. (red.)


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International

Solidaritätskampagne für die Gefangene Marina

Aktivistin aus Barcelona schloss sich der baskischen ETA an und verbüßt Haftstrafe in Paris. Solidaritätskreis unterstützt Marina aus Deutschland.

In Europa nimmt das Baskenland innerhalb der politischen Repression gegen linke Organisationen, deren Mitglieder oder das Unterstützerumfeld eine besondere Rolle ein. Über 700 politische Gefangene sitzen in Gefängnissen, insbesondere in Spanien und Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien sowie in Amerika. Im Baskenland wohnen gerade mal rund 2,7 Mio. Menschen, was erahnen lässt, welches Ausmaß die politische Verfolgung gegen jede Art der Unabhängigkeitsbewegung angenommen hat. Eine dieser Gefangenen heißt Marina. Sie sitzt im Makrogefängnis Fleury in der Nähe von Paris und wird unter anderem durch einen kleinen Solidaritätskreis aus Deutschland unterstützt. "Wir kennen Marina aus gemeinsamen Kämpfen der autonomen Szene und Hausbesetzer-Bewegung von Barcelona. Marina besuchte uns auch in Deutschland und war unter anderem sehr beeindruckt von der Antifa-Bewegung", äußerte eine Sprecherin des Solidaritätskreises gegenüber dem Gefangenen Info. Marina war viele Jahre in der autonomen und anarchistischen Szene sowie in der Hausbesetzer-Bewegung der Stadt aktiv. Sie wohnte zeitweise in dem bekannten besetzten Zentrum Kasa de la muntanya.

Fünf Jahre im Untergrund

In den Jahren 2000/2001 nahm die spanische Polizei in zwei Wellen mehrere Männer und Frauen aus Barcelona und Umgebung wegen Unterstützung der baskischen Untergrundorganisation ETA fest. Im Großraum Barcelona hatten ETA-Mitglieder mehrere teils tödliche Anschläge auf Polizeikräfte und spanische Politiker durchgeführt. Insgesamt wurden etwa ein Dutzend Personen festgenommen - einige wenige konnten sich der Festnahme zunächst entziehen, darunter auch Marina. In Folge der Repression verurteilte die spanische Justiz zwei Männer und eine Frau zu Haftstrafen zwischen neun und zehn Jahren wegen Unterstützung eines ETA-Kommandos. Im Januar 2010 wurden Diego und Zigor nach neun Jahren Haft wieder freigelassen. Die zehnjährige Gefängnisstrafe von Laura endet im Herbst diesen Jahres.

Haftstrafe in Frankreich - danach weiterer Prozess in Spanien?

Marina konnte sich damals absetzen und wurde erst fünf Jahre später festgenommen. In einer gemeinsamen Operation der spanischen und französischen Polizei gegen die ETA wurde sie im Herbst 2006 in Frankreich festgenommen. Wie für ETA-Mitglieder üblich, bekannte sie sich zu ihrer Organisation und stand zwei Jahre später gemeinsam mit mehreren Aktivisten in Paris vor Gericht. Es war ein Sammelprozess mit ganz unterschiedlichen Anklagepunkten gegen die ETA-Aktiven. Während des Prozesses übernahm sie die Aufgabe verschiedene gemeinsam formulierte Erklärungen der Angeklagten vorzutragen.

Marina wurde zu insgesamt neun Jahren Haft wegen Vergehen in Frankreich verurteilt, unter anderem wegen ETA-Mitgliedschaft, Besitz von falschen Ausweispapieren und Waffenbesitz. Sie verbüßt ihre Haftstrafe im Frauentrakt des Großknastes Fleury-Mérogis nahe Paris. Sie geht davon aus - denn dafür spricht die gängige Auslieferungspraxis zwischen Frankreich und Spanien -, dass sie anschließend an die spanische Justiz überstellt wird. Ihr droht dort ein weiterer Prozess wegen Delikten in Spanien. Nach dem Grundsatz, dass jede Person nur einmal für die gleiche Straftat verurteilt werden darf, fällt voraussichtlich nur die ETA-Mitgliedschaft weg. Die ihr vorgeworfene Unterstützung des ETA-Kommandos in Barcelona war nicht Bestandteil ihres Prozesses in Frankreich.

Fleury-Mérogis ist der größte Knast in Europa. Männer-, Frauen- und Jugendknast haben insgesamt rund 3.800 Haftplätze, das sind etwa so viel wie in allen Berliner Haftanstalten zusammen: JVA-Moabit, Tegel, Plötzensee, Charlottenburg sowie der Frauenknast. Insgesamt sitzen dort 43 ETA-Mitglieder - 29 Männer und 14 Frauen - in Haft, sowie einige Gefangene der Action Directe. Die Haftsituation ist kompliziert, weil zum Beispiel jeglicher postalischer Kontakt über eine Spezialabteilung der spanischen Justiz geregelt wird. Das führt unter anderem zu Zeitverzögerungen und administrativen Streitigkeiten über die Zuständigkeit. Marina äußerte in mehreren Briefen, dass vor allem die spanischen Behörden massiv gegen die baskischen Gefangenen vorgehen. So änderten sie kürzlich eine Verordnung, die es den Gefangenen unmöglich macht, an einer spanischen Universität per Fernstudium zu studieren. Marina erhielt diese Nachricht, als sie sich gerade auf die Prüfung für die Zulassung für ein Fernstudium vorbereitete. Jetzt wird sie voraussichtlich an einer französischen Universität ein Studium beginnen.

Der Solidaritätskreis für Marina plant zur Zeit eine dritte Auflage von Postkarten für Marina. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass möglichst viele Menschen praktische Solidarität mit den Gefangenen üben können.

[Dieser Beitrag wurde uns von UnterstützerInnen von Marina zugesandt. (red.)]


Auszug aus einem Brief von Marina

Liebe Genossen,
ich möchte allen Danken, die mir schreiben! Die Unterstützung und Solidarität ist sehr wichtig für mich. Die Mauern können uns nicht stoppen! ... Hier im Knast führen wir verschiedene Kämpfe, wie zum Beispiel Hungerstreik und Propagandaaktionen. Zeitweise verschlossen wir uns in unseren Zellen und klebten Zettel mit Forderungen an die Türen. ...
Ich sende Euch revolutionäre Grüße! See you on the barricades! Marina

Kontakt zur Soligruppe über:
www.marina.blogsport.de
Weitere Informationen:
www.info-baskenland.de
www.rescat.wordpress.com

Schreibt Marina in Englisch oder Spanisch
Marina Bernardó i Bonada, MAF (femmes)
F-91700 Fleury-Mérogis / Paris, Frankreich


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Durch die Gefängnismauern

Erklärung der baskischen politischen Gefangenen aus dem Knast Ocaña I (Toledo)

Informationen über das, was sich im Inneren eines Gefängnisses abspielt, durchlaufen normalerweise erst den Filter der politisch und medial Mächtigen, bevor sie die Gesellschaft erreichen.

Wir haben daher nicht viele Möglichkeiten, aus erster Hand zu berichten, was sich wirklich hinter den Gefängnismauern abspielt.

Mittels dieser Zeilen überbringen wir Euch auf direktem Wege Informationen über Repressalien, die - obwohl sie auf unseren Straßen massiv angegriffen werden - weiterhin Instrumente der Erpressung und des Drucks gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung darstellen.

Es sind sechs Monate vergangen, seitdem das baskische Gefangenenkollektiv eine neue Phase des Kampfes eingeläutet hat. Eine neue Dynamik mit konkreten Zielen: Das Ende der Zerstreuungspolitik. Die Einstellung der erniedrigenden Durchsuchungen der Angehörigen während der Besuche. Die Freilassung der schwerkranken Gefangenen sowie derjenigen, die Dreiviertel ihrer Strafe abgesessen haben. Schließlich und endlich die Beendigung der Angriffspolitik gegen das baskische Gefangenenkollektiv. Diese Politik wurde in den letzten Monaten durch neue Maßnahmen verschärft, nämlich der Isolierung innerhalb des Gefängnisses mit einer Höchstanzahl von zwei baskischen Gefangenen pro Trakt und dem Verbot verschiedener Knastaktivitäten (Sport, Werkstatt). Seit Jahrzehnten können all diese Angriffe, trotz der durch sie verursachten Leiden, das Offensichtliche nicht unsichtbar machen: Die Existenz von fast 800 baskischen Gefangenen auf spanischem und französischem Boden. Konsequenz eines politischen Konflikts, für den die Lösung nur ein demokratischer Rahmen sein kann, innerhalb dessen alle politischen Projekte realisierbar sind. Zu diesen gehört unter anderem die Unabhängigkeit des Baskenlands, wenn die Mehrheit der baskischen Bevölkerung sich dafür entscheidet.

In diesem Zusammenhang werden wir, die zehn baskischen Gefangenen aus dem Knast Ocaña I (Toledo), im Laufe des Monats Juni eine Reihe von Protestaktionen, wie z.B. einen zweiwöchigen Selbsteinschluss und Hungerstreiks, durchführen.

Wir rufen Euch auf, diese Dynamik auf die Straßen zu tragen, und zwar so, wie es bisher gemacht worden ist: beharrlich und beständig.

06.06.2010, Ocaña I (Toledo)


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Aufruf für eine Freilassungskampagne

www.rhi-sri.org | info@rhi-sri.org

Wir nehmen dieses Datum (19. Juni; red. Anm.) zum Anlass, um eine langfristige Kampagne für die Freilassung all jener politischen Gefangenen anzukünden, die zum Teil Jahrzehnte von Knastjahren auf dem Buckel haben. Sie kommen nur deshalb nicht raus, weil sie in ihren revolutionären Identitäten ungebrochen sind und sich weiterhin als Revolutionäre verhalten.

Umso mehr sich die Spirale der kapitalistischen Krise nach unten dreht, umso schärfer reagiert der Staat mit seinen Repressionsorganen auf alles, was sich regt, Widerstand leistet und sich organisiert. Sei dies gegen die Mobilisierungen auf der Strasse, die der Arbeitskämpfe, die an den Universitäten oder die der Sans Papiers.

Die staatliche Verbissenheit selbst für jene, die ihre Jahre im Knast abgesessen haben, die Knasttore nicht zu öffnen, lässt sich nur durch die sich zuspitzende Situation erklären. Die Ungebrochenheit dieser politischen Gefangenen und das, was sie damit ausdrücken dass Widerstand nicht nur notwendig, sondern auch machbar ist darf nicht aus den Knästen entlassen werden, wo sie wieder Teil der Bewegung werden könnten.

Weltweit ist diese Tendenz sichtbar. In Europa steht wohl der spanische Staat an der Spitze. Da werden schwerkranke Langzeitgefangene nicht rausgelassen und mittels neuem Gesetz sogar bereits entlassene Gefangene wieder eingeknastet: Die Höchststrafe wird mittels Gesetz heraufgesetzt und die Gefangenen werden rückwirkend wieder eingeknastet! Und auch in anderen Ländern Europas wie Frankreich mit den GenossInnen der Action Directe oder Italien mit den GenossInnen der Brigate Rosse werden die Knasttore für die revolutionären Gefangenen auch nach Jahren nicht kampflos geöffnet.

In der Schweiz betrifft diese Situation Marco Camenisch. Seine Knastzeit neigt sich dem Ende zu, doch die Schweizer Justiz begründet ihre Weigerung darauf einzugehen und ihn rauszulassen unter anderem mit der Erklärung, dass "Herr Camenisch sich nach wie vor als Anarchist bezeichnet..." und "...er glaubt, die Gesellschaft befände sich im Kriege!"

Anarchist sein, ein Grund zur Kriminalisierung? Und betreffend der Gesellschaft im Krieg: Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass es wohl kaum je eine historische Phase gab, in der es so viele Kriegs-, Spannungs- und Umweltkatastrophenschauplätze gab wie die aktuelle!

Solidarisieren wir uns mit den ungebrochenen, revolutionären Langzeitgefangenen und erkämpfen wir gemeinsam mit ihnen ihre Freiheit!

Wir sind nicht alle - es fehlen die Gefangenen!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Internationaler Aktionstag 19. September 2010 Unterzeichnet den Aufruf!

Setzt ihn auf die Websites, leitet ihn weiter! Schliesst Euch der langfristigen Kampagne mit eigenen Inhalten und betroffenen Gefangenen an!

Rote Hilfe International


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen international

Mexiko: Strafen der letzten 12 Gefangenen von Atenco wurden annulliert. 2006 kam es in Atenco zu blutigen Auseinandersetzungen von DemonstrantInnen und der mexikanischen Armee. In deren Folge kam es zu zwei Toten, dreißig verletzten Frauen und mehr als 200 Gefangenen. Der mexikanische Gerichtshof hat Anfang Juli nun die letzten 12 Gefangenen der Auseinandersetzungen amnestiert. Die Strafen der Gefangenen beliefen sich zwischen 31 und 112 Jahren. Der Gerichtshof beurteilte die Beweise, die damals zur Verurteilung führten, als illegal und als gestellt. (red.)

Panama: Mehrere Tage streikten ArbeiterInnen einer Bananenplantage für höhere Löhne und gegen eine Gesetzesreform, die Arbeitsrechte und den Umweltschutz aufweicht. Die Streiks wurden von Sicherheitskräften angegriffen und über die Provinz Bocos del Toro eine Ausgangssperre verhängt. Bisher sind bei den Zusammenstößen nach Angaben des Bündnisses FRENADESO bereits sechs Menschen ums Leben gekommen und hunderte mussten medizinisch versorgt werden. Weitere Hunderte AktivistInnen wurden in den vergangenen Tagen von der Polizei. (red.)

Chile: Seit dem 12. Juli befinden sich die politischen Mapuche Gefangenen in Concepcion im Hungerstreik, den sie bis zur letzten Konsequenz durchhalten wollen. Sie greifen wegen der ungerechten Schauprozesse zu dieser Maßnahme. Sie fordern: 1. Keine Anwendung des noch aus der Diktatur stammenden Anti-Terror-Gesetzes; 2. Mapuche sollen nicht mehr vor Militärgerichte gestellt werden; 3. Freiheit für alle politischen Mapuche Gefangenen; 4. Faire Prozesse und keine Schauprozesse mehr; 5. Demilitarisierung der Mapuchesiedlungen. (red.)

Kanada: Mehr als 900 Personen wurden im Rahmen der Proteste gegen den G8 und den G20 Gipfel in Toronto festgenommen, eingesperrt und innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt. Die Demonstranten wurden teilweise mit Handschellen und Fußfesseln in Käfige gesperrt und mehr als 36 Stunden festgesetzt. Das Ganze wurde umgesetzt von mehr als 20.000 bis an die Zähne bewaffneten PolizistInnen, denen es per Gesetz erlaubt war jeden festzunehmen, der es ablehnte sich zu identifizieren oder sich näher als fünf Meter zum Absperrzaun befand. Der Einsatz kostete knapp eine Milliarde Dollar. (red.)


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International

Knastkämpfe in Nordirland

Maghaberry (bei Lisburn im County Antrim, Nordirland) sind harten Haftbedingungen unterworfen. Sie kämpfen für ihre Anerkennung als politische Gefangene/ Kriegsgefangene, die ihnen vom britischen Staat verweigert wird.

Seit diesem Jahr verschärfen sich die Bedingungen in Maghaberry unaufhörlich. Kein Zugang zu frischem Wasser, Elektrizität oder Warmwasser, schlechte Lüftung und mieses Essen. Einige Gefangene sind aus diesen Gründen erkrankt. Die wenigen Habseligkeiten in den Zellen wurden wiederholt von den in der loyalistschen "Prison Officers Association" organisierten Wärtern zerstört oder geklaut, Besuche oder Telefonate mit der Familie verweigert. Und wenn ein Besuch zugelassen wird, muss mensch sich einer Vollkörperdurchsuchung unterziehen.

Diesen Ostersonntag protestierten die Gefangenen gegen die Haftbedingungen. Sie forderten u.a. die Möglichkeit, andere Gefangene ohne Beschränkungen besuchen zu können und ein Ende der erniedrigenden Vollkörperdurchsuchungen.

Darauf reagierte die Knastleitung mit Einschränkung des Hofgangs, von Telefonaten und Waschmöglichkeiten. Sämtliche Habseligkeiten wurden aus den Zellen entfernt, Besuche von AnwältInnen und Familien systematisch verhindert. Einige Gefangene berichten, sie litten unter Schlafmangel, weil sie permanent in der Nacht geweckt würden; es kam wiederholt zu physischen Angriffen und Todesdrohungen durch Wärter. Mindestens ein Gefangener wurde unter Schlägen und Tritten aus dem Trakt in eine spezielle Isolationszelle verschleppt und mit Handschellen ans Bett gefesselt, seine Kleidung mit Messern zerschnitten, weil er sich nicht nackt durchsuchen lassen wollte.

Seit Mitte Juni befinden sich mehrere Gefangene im Dreckstreik, um den Protest auszuweiten. Eine wachsende Solidaritätsbewegung von Angehörigen, ehemaligen Gefangenen und republikanischen Gruppen versucht mit Veranstaltungen, Picket Lines und Demonstrationen auf das Schicksal der Weggesperrten hinzuweisen.

Die fortgesetzten Angriffe auf die politischen Gefangenen sind Teil einer umfassenden Operation der britischen Sicherheitskräfte gegen jene Teile des republikanischen Widerstands, die sich nicht den Bedingungen des umstrittenene "Karfreitagsabkommens" von 1998 unterwerfen wollten.

AG Victory to the prisoners, Juni 2010

Für weitere Informationen:

Kampagnenseiten zu Maghaberry:
www.friendsofcolinduffy.com
www.familiesfriendsandexpows.webs.com

Politische Gruppen und Parteien:

Republican Socialist News, IRSP
www.irsm.org/news

32 County Sovereignty Movement
www.32csm.info
(Irish Republican Prisoners Welfare Association, 32CSM)

www.irpwa.blogspot.com

Republican Network for Unity
www.republicannetwork.ie

Eirigi
www.eirigi.org


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International

Türkei: Verhaftung von TAYAD-Angehörigen

In den Morgenstunden des 15. Juni 2010 stürmten maskierte Polizeieinheiten verschiedene demokratische Einrichtungen in Ankara, Izmir und Istanbul. Bei den Razzien wurden 29 Personen festgenommen. Die anschließende Haftprüfung, die bis zum 19. Juni dauerte, endete mit der Verhaftung von 17 TAYAD-Mitglieder. Acht von ihnen wurden am 21. Juli freigelassen. In Haft befinden sich noch Ahmet Kulaksiz, Bayram Sahin, Zeynep Yayla, Mehmet Yilmaz, Hakan Yilmaz, Umut Sener, Seçkin Taygun Aydogan, Özcan Sakinci und Dursun Göktas.

Was den türkischen, bürgerlichen Medien als "Operation gegen die DHKP-C" diktiert worden war, richtete sich im konkreten ausschließlich gegen über 50, 60 jährige Gefangenenangehörige der Angehörigenorganisation TAYAD.

Die Vorwände für die Verhaftungen seien die Beteiligung an Aktionen für die kranken Gefangenen, die Beteiligung an der Beerdigung von Güler Zere, der Grabbesuch des Revolutionärs Mahir Çayan und die Beteiligung an den Newroz-Feierlichkeiten.

In der Türkei wurde aufgrund der Kriminalisierung der Angehörigen der revolutionären Gefangenen eine Kampagne ins Leben gerufen, um die Verhafteten freizukämpfen. In diesem Kontext finden landesweit Protestaktivitäten wie Sitzstreiks, Kundgebungen und Unterschriftenaktionen statt. TAYAD erklärte selber in einer aktuellen Veröffentlichung: "Es sollte sich niemand wundern, wenn es morgen plötzlich ein Verbrechen darstellen sollte, einen Gefangenen als Angehörigen zu haben. (...) Der Faschismus der AKP (Regierungspartei, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) setzt sich fort. Sehen wir uns die Begründungen für die Verhaftungen an, so erkennen wir, dass es in diesem Land keine "Demokratie" gibt. Es herrscht Unrecht. Wir müssen uns gegen diese undemokratischen Praktiken gegen die TAYAD gestellt werden. Rechte und Freiheiten werden unbrauchbar gemacht. Die Ungerechtigkeit schöpft ihre Kraft daraus, dass sich die Massen und die demokratischen Kräfte nicht vereinen können."

Die Angehörigenorganisation TAYAD, die in den Jahren nach dem Militärputsch 1980 am 3. September 1986 gegründet worden war, stellte sich konsequent hinter die politischen Gefangenen, unterstützte Hungerstreiks und nahm selbst an ihnen teil. Dabei verloren mindestens 10 TAYAD-Angehörige ihr Leben. Aktuell wirkt sie als treibende Kraft in der Kampagne für die Freilassung der kranken Gefangenen mit. (red.)


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International

*Rechtsstaat - hahaha!*

www.antirep2008.org

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen aktuellen Überblick gegen die in Österreich kriminalisierten TierrechtlerInnen. Wir bedanken uns bei den österreichischen GenossInnen für die Zusendung dieses Artikels. Zur Information: Die im Artikel erwähnte Anklage nach §278a gleicht für BRD-Verhältnisse einer Anklage nach dem §129a. (red.)

Seit dem 2. März 2010 läuft der 278a-Prozess gegen 13 AktivistInnen der österreichischen Tierrechts- und -schutzszene am Landesgericht in Wiener Neustadt in Niederösterreich, eine halbe Stunde von Wien entfernt. Drei Tage pro Woche müssen sich die Beschuldigten ganztägig im Gerichtssaal einfinden. Drei Tage pro Woche, an denen die um Autorität bemühte und offensichtlich überforderte Richterin Sonja Arleth nicht einmal probiert, den Schein eines objektiven Gerichtsverfahrens zu wahren, indem sie be- oder entlastendes Beweismaterial gleichermaßen würdigt oder einer logischen Prozessführung folgt. Drei Tage pro Woche, an denen Mailinglisten, Verschlüsselungsprogramme, Kampagnentätigkeiten und politische Ideologien erörtert, diskutiert und zerredet werden. Drei Tage pro Woche, die meistens für die Betroffenen bedeuten, still zu sitzen, still zu sein und ihr Vertrauen gänzlich in die Hände von AnwältInnen legen zu müssen, die zwar bemüht, doch oft nicht allzu tatkräftig der cholerischen Richterin Paroli bieten. Angeklagt sind in Wiener Neustadt 13 ganz unterschiedliche, aber vor allem langjährige, erfahrene AktivistInnen, die nun beispielsweise für zum Teil zehn Jahre alte Witzchen auf Emaillisten, ideologische Positionen oder Bekanntschaftsverhältnisse untereinander Rede und Antwort stehen müssen - oder - je nach Standpunkt - wollen.

Aussage verweigern?!

Strategisch unterscheidet sich das Verhalten vor Gericht von fünf Angeklagten, die der Basisgruppe Tierrechte (BAT - www.basisgruppetierrechte. org) zuzurechnen sind, massiv von dem der restlichen Betroffenen. Bei der am Beginn des Prozesses erfolgten Beschuldigtenvernehmung verweigerten die fünf BAT-AktivistInnen ihre Aussage und trugen stattdessen eine "Prozesserklärung" vor (alle fünf Prozesserklärungen sind nachzulesen unter www. antirep2008.org. Argumente für die Sinnhaftigkeit der Aussageverweigerung gibt es viele: Gegenäußerungen vonseiten der Beschuldigten würden der Staatsanwaltschaft helfen, der Anklage Substanz zu verleihen, wo keine ist. Den Beschuldigten bliebe nur das Reagieren auf die ewig selben Fragen. Dauerndes Reden über das Hirngespinst der kriminellen Organisation beispielsweise ermögliche es der Staatsanwaltschaft darauf hinzuarbeiten, dass etwas vom suggerierten negativen Eindruck zu den Beschuldigten hängen bleibe und ins Urteil einfließt. Aussageverweigerung stellt weiters die letzte Möglichkeit dar, die eigene Integrität zu wahren - die Betroffenen wurden teilweise über große Zeiträume überwacht und ihre Privatsphären wurden bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Wer ist da noch scharf auf weitere Entblößungen durch Aussagen?!

Sowohl das Vorgehen der Ermittlungsbehörden, als auch jenes der Justizbehörden sind tendenziös. Entlastende Hinweise oder Indizien wurden ignoriert, andere zur Belastung der Beschuldigten verdreht oder bewusst falsch verstanden. Zu vielen Vorwürfen kann gar nicht sinnvoll Stellung genommen werden und die Zusammenarbeit mit den Repressionsbehörden kann auf den Weg der Aussageverweigerung zum Großteil vermieden werden.

Die übrigen Angeklagten wurden teilweise tagelang befragt und machten detaillierte Aussagen zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen wie die Bildung einer kriminellen Organisation, Sachbeschädigung oder Nötigung. Die Einvernahmen der aussagebereiten Angeklagten waren gekennzeichnet durch permanente Unterbrechungen durch die Richterin, unklare Fragen, wirre Gedankenschlüsse und ein generelles Unverständnis der Richterin für politischen Aktivismus, Tierrechte, linke Lebensrealitäten oder generell Lebensrealitäten abseits der Norm bzw. ihrer Vorstellungskraft. Was nicht weiter verwunderlich ist, wurde doch bekannt, dass die Richterin beim Polizeisportverein gerne Schießübungen absolviert. Alle Beschuldigten bekannten sich für nicht schuldig und hoffen auf einen Freispruch.

Part of the game?!

Anfang April hat das Beweisverfahren mit der Befragung der ZeugInnen der Anklage begonnen und inzwischen gibt es dabei eine Reihe von unvollständigen Einvernahmen, da Arleths Terminplan für die einzelnen Verhandlungstage viel zu knapp bemessen ist. Bei vielen ZeugInnen wurde mit der Einvernahme zwar begonnen, die Befragung jedoch aus Zeitgründen abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt, darunter auch die "spannendsten ZeugInnen" wie die BeamtInnen der extra gegründeten Sonderkommission "Bekleidung".

Diese schlecht organisierte Prozessführung hat vor allem massive Behinderungen der Verteidigung zur Folge: Die Prozessvorbereitung wird permanent über den Haufen geworfen. Der größte Nachteil des Durcheinanders ist - neben der vermehrten Absprachemöglichkeit der BelastungszeugInnen, dass AnwältInnen und Beschuldigte auf ZeugInnenaussagen nicht sofort reagieren können. Da zuerst die Richterin Fragen stellt, ohne dass es die Möglichkeit zu Einsprüchen oder Zwischenfragen für die VerteidigerInnen gibt, bekommt die Verteidigung erst nach dem Staatsanwalt das Fragerecht - vorausgesetzt dafür ist noch Zeit, was oft nicht der Fall ist. Dieses Prozedere führt dazu, dass während der Befragung durch die Richterin getätigte Behauptungen im Raum stehen bleiben und erst Wochen später widerlegt werden können.

Fragend schreiten wir voran...

Aufgrund der unterschiedlichen Zugänge der Betroffenen zu Aussageverweigerung, Infragestellung des Rechtsstaat oder linksradikale Praxen ist die Vorbereitung und Abwicklung des Prozesses mühsam und lähmend. Nicht vorhandene Erfahrungswerte im Umgang mit derartigen Großprozessen gegen politische AktivistInnen und das diffuse Feld des Organisationsparagraphen 278a runden das Bild der gelegentlichen Überforderung und oft empfundenen Hilflosigkeit ab.

Auch wenn Fehler passieren, Beschuldigte, UnterstützerInnen und FreundInnen große Fragezeichen fühlen, die Wut größer und der Frust spürbarer werden, so bleiben wir nicht mit leeren Händen zurück. Alle Beteiligten vergrößern permanent ihr Wissen im Umgang mit Repression auf persönlicher, politischer und juristischer Ebene.

Die jüngste Repressionswelle in Wien gegen AktivistInnen, denen vorgeworfen wird, im Eingangsbereich des Arbeitsmarktservice Mülltonnen angezündet zu haben und nach Hausdurchsuchungen seit dem 8.7.2010 in Untersuchungshaft sitzen (siehe http://ausbruch. blogsport.de/ [Anm. d. Red.: siehe auch www. fightrepression2010.tk]), zeigt wieder einmal, dass Repression alle treffen kann und die Auseinandersetzung mit Repression zu jeder politischen Praxis dazugehören muss.

Vorhandenes Wissen, dessen Weitergabe sowie solidarisches Handeln müssen daher grundlegende Basis für ein starkes Auftreten gegen Repression und ein gemeinsames Kämpfen für eine bessere Welt sein. Ob die Einschätzung, dass die umfangreichen Ermittlungen und Kriminalisierungen gegen die Tierrechts- und Tierschutzbewegung im Rahmen des aktuellen §278a-Verfahrens eine Art Testballon waren, die einem ähnlichen Vorgehen gegen andere progressive Bewegungen voraus ging, zutreffend ist, kann noch nicht gesagt werden. Spürbar ist allerdings, dass die Repression gegen linke Demos und Aktivist_innen seit einiger Zeit deutlich gestiegen ist.

Es gilt auf der Hut zu sein!
Wir sind alle 278a!
Freiheit für alle Gefangenen!

Spenden
Repression hat ihren Preis:
Kontonummer: 1910815837
Bankleitzahl: 14 000
Kontoinhaberin: Grünalternative Jugend Wien
Zweck: Antirep 2008
IBAN: AT451400001910815837
BIC: BAWAATWW


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Dossier

Knast und Kapitalismus (1)

Knast - ein äußerst profitables Geschäft
Ankündigung einer Textserie zum Thema "Knast und Kapitalismus"

Wir eröffnen mit dieser GI-Ausgabe die Textserie "Knast und Kapitalismus". Neben dem folgenden Ankündigungstext veröffentlichen wir in der selben Rubrik dieser Ausgabe einen kurzen Erfahrungsbericht aus Mailand, wo GenossInnen von der GI-Redaktion an Aktionen von Kollektiven der italienischen Anti-Knast-Bewegung teilgenommen und Gespräche geführt haben. Wir hoffen, dass wir mit diesen Beiträgen einen guten Einstieg in dieses doch sehr umfangreiche Thema schaffen. Wir hoffen auf eine rege Beteiligung, vor allem von Euch Gefangenen. Schickt eure Gedanken an unsere Postadresse (siehe Impressum). (red.)

Knast - ein äußerst profitables Geschäft

Wir beginnen in dieser Ausgabe mit einer Textserie, die sich mit der Rolle und Methodik von Knästen im Kapitalismus auseinandersetzt. Bereits in vergangenen Ausgaben des Gefangenen Infos setzten wir uns mit dem Themenkomplex Knast und Kapitalismus vielfältig auseinander. Dabei stellten wir immer wieder fest, dass Gefängnisse der "wohl ... stärkste Ausdruck des Klassenkampfs von oben" sind (GI 347, "Weshalb wir für die Freiheit aller sozialen und politischen Gefangenen kämpfen"). Und das in jeglicher Hinsicht.

Zum einen betrifft Knast nicht nur uns als organisierte linksradikale Bewegung, die die herrschenden Verhältnisse umkrempeln will, sondern unsere Klasse im Allgemeinen im alltäglichen (Über-)Lebenskampf. "...Wo Strafandrohungen, Bußgeldbescheide und sonstige Vollstreckungsmaßnahmen 'nichts bringen', dass heißt wenn sie unsere Leute nicht zur Unterwerfung unter die Schutzgesetze des Kapitals zwingen und nicht in den kapitalistischen Produktionsprozess integrieren können, wird das 'Problem' von der Straße geschafft." (GI 347, "Weshalb wir für die Freiheit aller sozialen und politischen Gefangenen kämpfen") Wer die vom System erzeugten Bedürfnisse auch befriedigt, sich also nimmt, was seine Lebensumstände sonst nicht hergeben würden, wird zwangseingewiesen und unter absoluter Kontrolle versucht, an die Spielregeln des kapitalistischen Systems anzupassen.

Zum anderen spiegelt sich in der Knastrealität selbst die verschärfte Form der Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse kapitalistischer Normalität wieder. D.h. nicht nur die "Sanktion" Knast - also das Wegsperren an sich - ist als stärkster Ausdruck des Klassenkampf von oben zu betrachten, sondern auch die Funktionsweise und Methodik innerhalb der Gefängnisse selbst. Ob Privatisierung, Arbeitszwang, absolute Überwachung, kein Recht auf gewerkschaftliche Organisierung oder Isolation, die Knastrealität ist die verschärfte Form der bestehenden kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse, mit denen wir auch draußen konfrontiert sind. Werfen wir einen Blick auf die stetige Weiterentwicklung des Gefängnissystems, können wir feststellen, dass der Knast auch als Versuchsfeld für neue und ausgefeiltere Ausbeutungsmethoden bzw. sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen dient, die - wenn sie sich bewährt haben - in die Gesellschaft "draußen" transformiert werden.

Robin Root erklärte in seinem Diskussionsbeitrag zu "Die Institution Knast in Frage stellen - GI 348" richtig, dass "(...) die Erkenntnis, dass Gefängnisse, ihre Leitungsorgane und die Schließer sowie die Inhaftierten, und dass die der Institution Knast inhärenten Repressionsgesetze und -mechanismen, die im Knast zugespitzt allerdings, genauso wie 'draußen' zur Klaviatur kapitalistischer Herrschaftssicherung dienen, lediglich Spiegelbild der 'Draußen'-Gesellschaft sind, (...) nicht gerade umwerfend neu oder gar prickelnd." ist.

Dennoch halten wir es für nötig diese These etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und zu konkretisieren, denn es geht uns um eine tiefergehende Auseinandersetzung um die Rolle der Gefängnisse im kapitalistischen Gesellschaftssystem. Erst dann ist mensch auch in der Lage zu begreifen, dass Knäste tatsächlich ein Instrument der Klassenunterdrückung sind. Dass diese Rolle oft verkannt oder nicht gesamtgesellschaftlich begriffen wird, zeigt sich beispielsweise in der Leugnung oder Relativierung der Existenz von Gefangenen, die eben aufgrund ihrer Klassenlage drin sitzen und im Knast den kapitalistischen Verhältnissen unterworfen werden sollen. Ob dies linksradikale Gruppen sind, die sich ausschließlich auf politische Gefangene fixieren - und das trotz eines vermeintlichen antikapitalistischen Anspruchs. Oder aber wie in der jüngsten Debatte um den Begriff "Soziale Gefangene" deutlich wurde, immer noch das Bild vorherrscht, dass der Großteil der Gefangenen menschenverachtende Schweine sind, wie Kinderschänder, Vergewaltiger, Zuhälter, Faschisten etc... und demnach Gefängnisse scheinbar doch eine sinnvolle Sache sein müssten. Zu der Analyse um die Ausbeutungsverhältnisse und -methoden innerhalb der Knäste gehört eben auch die Feststellung, dass der Großteil der Gefangenen aufgrund von Eigentumsdelikten, also aufgrund ihrer Klassenlage, einsitzt. Diese Tatsache steht mit dem Fakt, dass Knäste ein profitables Geschäft sind, in einem Zusammenhang.

Mit Eigentumsdelikten meinen wir ganz sicher nicht die Zuhälterei und Vergewaltigung von Menschen, da wir Menschen nicht als Eigentum betrachten, Robin Root. Eigentum im kapitalistischen Sinne sind Produkte gesellschaftlicher Arbeit, deren Gewinne von einigen Wenigen (Bourgeoisie) angeeignet werden.

Wir möchten hier nochmal ganz deutlich klarstellen, dass wir niemals Vergewaltiger, Kinderschänder, Mörder, Faschisten, Zuhälter etc. unter die Kategorie "Soziale Gefangene" gefasst haben. Wir verweisen hier auf den Artikel "Weshalb wir für die Freiheit aller sozialen und politischen Gefangenen kämpfen" (GI 347), in welchem wir soziale Gefangene ganz klar anhand von sogenannten Eigentumsdelikten definieren. Die Existenz von sozialen Gefangenen als größte Gruppe in deutschen Knästen lässt sich anhand aktueller Statistiken nachweisen. Wir sind uns darüber bewusst, dass es innerhalb der Kategorie "soziale Gefangene" Widersprüche gibt, aber diese sind genauso zu werten, wie jene innerhalb unserer Klasse auch.

Um das Thema aus möglichst vielen Seiten her beleuchten zu können, werden wir mehrere Beiträge veröffentlichen, die u.a. auf die Historie der Knäste, ihre Funktionen in den jeweiligen Epochen und insbesondere im Kapitalismus eingehen werden. Diesbezüglich werden wir dann die Themenfelder "Knast als Experimentierfeld der Klassenunterdrückung und Ordungsinstrument des Kapitals", "Kriegs- und Foltergefängnisse", "Public Private Partnership - Knastprivatisierung und Profitmaximierung" und "Zwangsarbeit im Knast" näher beleuchten.

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen


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Dossier

Vor Mailands Knasttoren

In Mailand, Monza, Como, Lecco und Crema kämpfen Kollektive gegen das Knastregime

Im Juli ist es heiß in Mailand. Wir haben uns mit Mailänder Genossinnen und Genossen vor das Knasttor von San Vittore in Mailand begeben, wo wir an die wartenden Besucherinnen und Besucher Flugblätter verteilen. Es ist Samstag. Sie warten seit 8 Uhr darauf, eingelassen zu werden, um ihre eingesperrten Angehörigen zu besuchen. Eine Genossin vom Kollektiv OLGA (Abk.: "Es ist Zeit sich von den Gefängnissen zu befreien" [E' ora di liberarsi dalle galere]) erzählt uns, dass die Gefängnispolizei die Woche zuvor Probleme gemacht und die Personalien der GenossInnen aufgenommen habe. Heute ist die Gruppe größer, wodurch die Polizei das Geschehen nur kritisch beobachtet. Wir fragen, was auf den Flugblättern steht. Es seien Briefe von Gefangenen, die die miserablen Zustände im Knast thematisierten. "Die letzten auf der Zellenetage bekommen kein Essen, weil die Töpfe bis zum Ende des Ganges leer sind, außerdem gibt es nur eine Stunde am Tag fließendes Wasser. Das bei diesen Temperaturen", übersetzt uns ein Genosse des Kollektivs für den Aufbau der Roten Hilfe Italiens.

In den Briefen wird zudem der Knast von San Vittore mit Knästen vor dem ersten Weltkrieg verglichen und die Schließung gefordert. Tatsächlich wurde der Knast 1879 erbaut, hat zwei Weltkriege und den italienischen Faschismus, während dessen italienische Partisanen in San Vittore ihr Leben verloren, überdauert und darf heute unter der Berlusconi-Regierung als Untersuchungsgefängnis weiterbestehen. In den 70ern war San Vittore Ort von Gefängnisrevolten politischer Gefangener. Die Rückseite des Flugblatts kritisiert die Knäste, erläutert ihre Funktion im kapitalistischen System und hat den Titel "Gegen das Knastregime wie gegen den Krieg und die Arbeitslosigkeit!". Das wird damit begründet, dass der Kapitalismus auch Krise bedeute, der Arbeitslosigkeit erzeuge und die Bevölkerung an dem Wohlstand, den die Bourgeoisie genießt, nicht teilhaben lasse. Im kapitalistischen System müsse für alles bezahlt werden. Wer den Unterhalt, die Miete, das Essen und die Medizin nicht zahlen könne, wandere ins Gefängnis, weil die Beschaffung dieser Mittel nur noch mit illegalen Mitteln zu bewerkstelligen sei. Da die Krise des Kapitalismus wachse, würden noch mehr Gefängnisse gebaut, weil es wegen härterer Gesetze und Urteile immer mehr Gefangene gäbe. Unter diesen Gefangenen gäbe es immer mehr MigrantInnen, weil letztes Jahr ein Gesetz erlassen worden sei, das für MigrantInnen ohne gültigen Aufenthalt den Knast vorsehe. Die MigrantInnen, die wegen ökonomischen Gründen bzw. der imperialistischen Ausbeutung ihrer Länder

oder wegen Kriegen aus ihren Heimatländern flüchten mussten, bräuchten für einen gültigen Aufenthaltsstatus eine Arbeit, was mit dem neuen Gesetz unmöglich gemacht werde. Ein Drittel der 70.000 Gefangenen in Italien seien MigrantInnen, wovon ein großer Teil wegen eben jener Klandestinität, die seit 2009 mit bis zu sechs Monaten und ab 2011 mit bis zu 18 Monaten Haft bestraft werden könne, eingesperrt worden sei.

Die GenossInnen verteilen Flugblätter, führen intensive Gespräche mit den Angehörigen, beraten sie, helfen ihnen Anträge auszufüllen und tauschen Adressen aus.

Wir fragen, was sie sich von den Aktivitäten vor San Vittore erhoffen. Uns wird erwidert, es sei notwendig, den Gefangenen ein Sprachrohr zu geben: "Denn wenn ein Gefangener einen Kampf gegen die Bedingungen führt, verhallt es innerhalb der Knastmauern. OLGA versucht die Angehörigen, die FreundInnen und die Gesellschaft gegen die Gefängnisse zu vereinen. Es gibt unzählige Kundgebungen vor den Knästen, die nur unter der Beteiligung von AktivistInnen stattfinden. OLGA aber arbeitet seit zwei Jahren daran, die Angehörigen und FreundInnen der Gefangenen mit einzubeziehen, da das Knastregime die Antwort des Staates auf die kapitalistischen Widersprüche ist. Somit löst der Staat mit den Knästen die sozialen und gesellschaftlichen Probleme nicht, sondern verschlimmert sie. Hier eröffnet sich ein Raum für die revolutionäre Linke, revolutionäre Politik und Praxis zu entwickeln. Es ist der OLGA wichtig, den Angehörigen und FreundInnen zu zeigen, dass sie organisiert agieren und wie ArbeiterInnen mit der Arbeiterklasse kämpfen müssen. Bisher organisierte Kundgebungen der OLGA fanden bisher immer, wenn auch leider von wenigen, unter Beteiligung von Angehörigen und FreundInnen der Gefangenen statt. Diese sind natürlich teils eingeschüchtert von der Polizeipräsenz oder fürchten, dass die Gefangenen dafür bestraft werden könnten. Doch wir weisen darauf hin, dass wir gemeinsam kämpfen müssen, statt vereinzelt zu schweigen." Die Genossinnen und Genossen von OLGA leben in Mailand. Sie arbeiten mit verschiedenen Kollektiven in der Lombardei zusammen. In der Lombardei gäbe es in Bezug auf andere Regionen mit 18 die größte Anzahl von Gefängnissen mit rund 8.000 Gefangenen. Der Wunsch, die Praxis auch geographisch auszuweiten, habe zum Entstehen von Kollektiven in Monza, Como, Lecco und Crema geführt. OLGA selbst sei 2005 nach einer Bücherkampagne für die Gefangenen entstanden: "Es gab vor einigen Jahren im Gefängnis Biella die Auflage, den Gefangenen nur drei Bücher zuzugestehen. Verantwortlich hierfür war der Justizminister Castelli. Daraufhin gab es die Kampagne 'Ein Buch mehr als Castelli', die sich darum gekümmert hat, den Gefangenen Bücher zuzusenden. Auf diese Initiative hin wurden auch große italienische Verlage angesprochen, die den Gefangenen große Mengen Bücher zukommen ließen. Der Erlass wurde dadurch gebrochen. Aus dieser Bewegung haben sich die AktivistInnen herauskristallisiert, die 2005 die OLGA gegründet haben." Das Kollektiv OLGA habe am 3. Juni 2007 mit anderen kommunistischen und anarchistischen Kollektiven zusammen eine landesweite Demonstration mit rund 300 TeilnehmerInnen gegen das Gesetz 41bis in L'Aquila und eine Kundgebung vor dem Knast von L'Aquila, wo sich ca. 150 Gefangene - davon 3-5 Frauen - befinden, organisiert. Dort ist Nadia Lioce, Gefangene aus der Stadtguerilla-Organisation BR-PCC (Rote Brigaden-Kämpfende Kommunistische Partei) eingesperrt.

Es ist mittlerweile fast 11 Uhr und wir haben uns vor den Knast Opera am Rand von Mailand begeben. Dort bauen wir einen Büchertisch vor dem Knasteingang auf. "Die sind gratis. Die Angehörigen können sie hier mitnehmen und den Eingesperrten beim Besuch überreichen" wird uns erklärt. Eine Genossin macht einen Knastbesuch, während wir draußen Flugblätter und Bücher verteilen. Es wird immer heißer. Wir werden über Opera aufgeklärt: "Es gibt drei Knäste in Mailand. San Vittore, Bollate und eben Opera. Es war 1982 als größtes europäisches Gefängnisprojekt entstanden. Es befinden sich dort 1.300 Gefangene, gegen 100 von ihnen wird das Gesetz 41bis angewendet". Es ist ein wahrlich riesiger Betonbunker. Opera sei ein Hochsicherheitsgefängnis, das 1985 in Betrieb genommen worden sei. Das Gesetz 41bis sei auf Beschluss der DAP (Administration der Gefängnisleitungen) offiziell und unter Vorwand gegen die Mafia als Notfallgesetz vorübergehend eingeführt worden. Sie stelle Sonderhaftbedingungen dar, die die Isolationshaft anweisen. Diese Haftbedingungen würden heute auch für die politischen Gefangenen gelten, bis sie Reue bekennen und vom revolutionären Kampf abschwören würden. Das Gesetz bestünde heute noch fort. Wir werden aufgeklärt: "In Italien gibt es 13 Gefängnisse, in denen der 41bis angewendet wird. Das größte Gefängnis davon ist L'Aquila, das zweitgrößte ist Opera, das bis 2007 eine Frauenabteilung hatte. Im Zuge des sog. Kampfes gegen den internationalen Terrorismus nach 2001 wurde 2007 die Frauenabteilung zur 41bis Abteilung umgestaltet und ist somit zu einem reinen Männergefängnis geworden." In Opera würden vom Unternehmen Milano Ristorazione, welcher sich für das Essen in den Mailänder Mensas kümmere, Brote für die Mailänder Mensas gebacken, weil die Herstellung in den Knästen billiger sei. Arbeit zu Niedrigstlöhnen in den Knästen? Wir fragen nach. "In Italien gibt es rund 70.000 Gefangene. Davon arbeiten 12.500 Gefangene. 8.000 Gefangene davon arbeiten für die Gefängnisadministration (Essen verteilen, Boden wischen, etc..). 4.500 arbeiten für Privatunternehmen. Allein im Mailänder Bollate Gefängnis arbeiten 600 Gefangene für Privatunternehmen. Das Bollate Gefängnis stellt eine Art Arbeitsgefängnis dar. Großunternehmen, die in Zusammenarbeit mit den Gefängnisleitungen Profit an den Gefangenen machen sind u.a. Telecom, Peg Perego (Kinderwagenhersteller) und Termozeta (Föhnhersteller)."

Die Genossin hat ihren Besuch in Opera beendet. Wir packen den Büchertisch zusammen und brechen auf. Wir lassen einen heißen und intensiven Vormittag hinter uns und bereiten uns auf den Besuch besetzter Fabriken vor. (red.)


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Graffiti
eine antikapitalistische und antirassistische Straßenkunst?

Graffiti ist wohl eine der auffälligsten Kunstformen im alltäglichen Strassenbild. Ob du nun in der Strassenbahn sitzt oder im Zug, ob du mit dem Fahrrad radelst oder einfach zu Fuß gehst; fast überall sehen wir Bilder, die uns etwas vermitteln sollen. Ein einfaches "Tag", ein sog. "Bombing" oder vielleicht auch ein politisches Bild - hinter jedem "Bild" stecken Ideen und Inspirationen von Menschen; zumeist von Jugendlichen, die auf der Suche nach einer freien Entfaltung ihres Lebens sind. Graffiti hat sich im bürgerlichen Rechtsstaat zu einer illegalisierten Kulturszene entwickelt, unabhängig davon, was uns durch die Bilder vermittelt wird, spricht ein Graffiti an und für sich schon eine deutliche Sprache. Aber warum?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wurde in Magdeburg ein Graffitiworkshop unter dem Namen "Fit for Cans" vom 4. bis 6. Juni organisiert. Ziel dieses Workshop war es, die "deutliche Sprache" des Graffiti - nämlich den antikapitalistischen und antirassistischen Tenor der Subkultur - zu verdeutlichen. In diesem Workshop gab es sowohl inhaltliche Vorträge als auch praktisches Engagement, von denen wir euch nun berichten wollen. Auch ein Bild zum 19. Juni ist entstanden, dem Tag des revolutionären Gefangenen. An dieser Stelle wollen wir auch kämpferische und solidarische Grüße an alle sozialen und revolutionären Gefangenen senden...

Der Rechtsstaat schützt die Dekadenz der Reichen

In unserem ersten Vortrag am Freitag, welcher als Einleitung und Begrüßung zum Workshop gedacht war, ging es erst einmal um das grundsätzliche Verhältnis der Polizei zu dieser illegalisierten Kulturszene. So wurde die Rolle der Polizei als Ganzes dargestellt, aber auch auf ihre spezielle Rolle als Repressionsapparat der Herrschenden und Besitzenden gegen die Unterschicht wurde eingegangen.

Es konnte verbildlicht werden, dass die Entwicklung des Eigentumsbegriffs im bürgerlichen Gesetzbuch klar weiterentwickelt und definiert wurde und auch weiterhin wird.

Am Beispiel Graffiti wird klar, dass der Schutz der Besitzenden mehr wiegt als freie Entfaltung und Leben. So gibt es Menschen, die für ein buntes Bild im tristen Stadtbild in den Knast wandern, oder bei überzogenen Treibjagden zu Tode gehetzt werden. Die Gewalt mit der die Polizei gegen Sprayer vorgeht, nimmt schon Formen der Aufstandsbekämpfung gegen die Bevölkerung und vor allem gegen unsere Jugend an.

Es ist klar - die Polizei wird nie ein Freund der Graffitiszene werden. Aber die Frustration scheint groß, denn mit der Professionalisierung der Szene (verschwiegener/sicherheitsbewusster) scheint auch vielen klar zu sein, wo der Feind steht und was er beschützt, nämlich Privateigentum und öffentliches Eigentum. Und wenn wir mal ehrlich sind: Senkt es unser Lebensniveau, wenn der Zug, welcher uns morgens zur Arbeit bringt, bunt ist?

Das Lebensgefühl der Grünen scheinbar schon. So war es die Rot-Grüne Regierung, welche 2005 eine Gesetzesänderung durchsetzte, die eine Strafverfolgung von Sprühern vereinfachen sollte. Auch unsere Stadt Magdeburg versuchte eine Vorreiterrolle in der kreativen Anwendungen von Strafmaßnahmen gegen jugendliche Sprüher einzunehmen. Von diesen Maßnahmen konnte ein Betroffener einen interessanten Erfahrungsbericht wiedergeben - er durfte nicht mit Stiften durch die Stadt laufen, was natürlich auch den Schulalltag erheblich erschwert hat.


Graffiti - Sprachrohr einer Jugendkultur im Kapitalismus

Der nächste Teil des Workshops bestand darin, die Geschichte des modernen Graffiti und seine internationale Entwicklung als Sprachrohr einer Jugendkultur im Kapitalismus aufzuzeigen. Ihren Ursprung nahm sie in New York, während der Krisenjahre der 70er wurden Graffiti und Hip Hop mehr als nur populär - sie wurden ein Lebensstil. Graffiti als Teil der Hip Hop-Kultur muss einfach als antirassistisch erkannt und benannt werden. Es ist eine Kultur der Unterschicht, welche sich nicht nach Rassen oder Geschlechtern definierte. So ist es nicht zu verleugnen, dass sich Hip Hop und Graffiti als Kultur international entwickelt haben. Der Einfluss von Rap, Breakdance und Graffiti waren und sind nicht nur für Jugendliche eine Möglichkeit der Selbstdefinition außerhalb der Werte von Besitz und Reichtum. Ein Panel oder Piece (Bild) kann man nicht kaufen - du musst schon selbst malen, damit der Zug oder die Wand bunt wird.

Jedoch müssen wir aber an dieser Stelle auch eingestehen - vor der Kommerzialisierung einer eigentlich nicht gewollten Kunst kommt Mensch im Kapitalismus nicht vorbei. Als Beispiel gilt gerne BANKSY, der trotz seiner Anonymität seine illegale Kunst gut zu verkaufen weiß. Der Kapitalismus verkauft alles, sogar die Werte, die er schützt. Graffiti und ihre Akteure sind bei Jugendlichen und Kunstliebhabern weltweit beliebt und sie können es schaffen nationale und kulturelle Vorurteile in der allgemeinen Gesellschaft abzubauen. Denn die Jugend von heute wird morgen unsere Gesellschaft formen.

Rest in Peace...

Ein weiterer wichtiger Aspekt auf diesem Workshop war es die Erinnerungen an unsere verstorbenen Klassenbrüder & -schwestern aufrecht zu erhalten.

Dass Graffiti antirassistisch ist, wusste auch Kostja Lunkin. Er war ein freier Künstler, sozialer Aktivist, Graffiti-Sprayer, basierend auf einem antifaschistischen Grundgedanken. Er starb am 23. Mai 2010, nachdem ihn Faschisten den Schädel mit einem Stein zertrümmerten. Ein Bild von und für Kostjan wurde gemalt. Es wurden weiterhin "Negativsilouetten" von Alberto Adriano und Rick Langenstein angefertigt. Beide wurden ebenfalls von Nazis ermordet. Es sollten den Opfern von Gewalt ein Stück der Lebendigkeit ihres Leben in Farben zurückgegeben werden. Die Bilder sollen daran erinnern, dass es Menschen waren, die Hoffnungen und Träume hatten und sich ein buntes Leben voller Entfaltung wünschten.

In unseren Augen war der Graffitiworkshop ein voller Erfolg, denn es ist uns gelungen junge Menschen aus der urbanen Subkultur, der Graffitiszene anzusprechen und vor allem den politischen Hintergrund von Graffiti wieder zu beleben. Graffiti - wie der Workshop gezeigt hat klar antirassistisch und antikapitalistisch - gibt uns den öffentlichen Raum zurück, der von Herrschenden und Besitzenden durch bürgerliche Gesetze und Institutionen (Polizei) geschützt ist. Eine Jugendkultur, die eine freie Entfaltung der Ideen und Inspirationen unserer Jugend ermöglicht - in diesem Sinne - Graffiti mag keine Polizei! Für eine bunte Stadt!

Einige Teilnehmer des Workshops


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Feuilleton

Wenn ein Gespräch über Spatzen zum Verbrechen wird

Es gibt viele Filme über politische Repression. Doch der "Tag des Spatzen" ist in vielerlei Hinsicht der außergewöhnlichste Film in diesem Genre. Schon der Beginn ist ungewöhnlich. Die Kameraführung ist extrem langsam. Erst putzen sich mehrere Hausspatzen, dann kommt ein einzelner Sperling ins Bild.

Der Filmemacher Philip Scheffner will damit an eine wenig beachtete Episode erinnern. Am 14. November 2005 wird im holländischen Leeuwarden ein Spatz erschossen, nachdem er 23.000 Dominosteine umgeworfen hat, die für eine Ausstellung aufgebaut worden waren. Via Internet war der "Dominospatz" weltweit bekannt geworden. Er wurde schließlich konserviert und der holländische Wachdienst bekam Todesdrohungen. Ebenfalls am 14. November 2005 starb in Afghanistan ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordattentat. Damit sind die beiden Grundthemen des Films beschrieben. Die Vögel und der Krieg.

Militär und Natur

Immer wieder führt die Kamera durch Natur, durch Wälder, die aus der Perspektive eines Vogelkundlers betrachten werden. Lustige Vögel mit langen Beinen watscheln öfter durch das Bild. Der Filmemacher kann dabei auf eigene Erfahrungen zurückblicken. Scheffner ist von frühester Jugend an ein begeisterter Vogelbeobachter und politisch bewusster Zeitgenosse. Mit der Kamera lotst er die Zuschauer in abgelegene scheinbar idyllische Gegenden, wo es kaum Menschen gibt. Gerade dort trifft der Filmemacher auf militärische Einrichtungen, die möglichst wenig Publicity wünschen.

Dazu gehört das Einsatzführungskommando in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in einem Wildpark bei Potsdam, wo laut eigener Homepage "Operationen gegen irreguläre Kräfte" geprobt werden. Das Bild zeigt drei Soldaten, von denen einer ein Gewehr auf einen Menschen in ziviler Kleidung richtet. Das "Zentrum für Operative Information", eine Bundeswehrdienststelle bei Mayen wurde bei Scheffners Vogelsuche ebenso umrundet, wie der Flughafen Büchel. Auch Militärstellen, die mögliche Schäden auf Militärflughäfen durch Vogelflug untersuchen, werden vorgestellt.

"Wir wollen nicht in ihrem Film auftauchen"

Im Film werden auch die Schwierigkeiten dokumentiert, denen Scheffner beim Drehen seines Naturfilms durch militärische Stellen, die argwöhnten, ausspioniert zu werden, begegnet. Als sich Scheffner dann gar bei Bundeswehrstandorten in Afghanistan nach dem Vogelschutz erkundigen will, wird die im Film vorgestellte Kommunikation unfreiwillig komisch. Zeigte die Pressestelle der Bundeswehr anfangs noch verhaltenes Interesse an dem Projekt, so kam bald die Absage. Doch Scheffner gab nicht auf und nahm immer Kontakt auf, bis sich ein Ministerialbeamter weitere Kommunikationsversuche verbittet. Im Film sind der Emailverkehr und verschiedene Telefonate eingeblendet. Manchmal wundert man sich über Scheffners Hartnäckigkeit und seine Versuche, der Bundeswehr die Vorteile einer neuen Offenheit vor Augen zu führen.

Festnahme in Rambo-Manier

Der Höhepunkt des Filmes aber ist die Verhaftung seines Freundes Harald im Jahr 2007. Er wurde mit zwei weiteren Männern von der Polizei bei einer antimilitaristischen Aktion verhaftet. Man sieht den Verhafteten nach seiner Haftverschonung bei der Vogelbeobachtung mit dem Filmemacher ins Gespräch vertieft. Fast beiläufig berichtet Harald über die Festnahme in Rambo-Manier, bei der die Polizei erst die Fenster des Autos und dann auf die Insassen einschlug. Bei einem der Beteiligten löste diese Festnahmesituation ein Trauma aus und er ist noch immer in ärztlicher Behandlung. Harald berichtet auch, wie er nach seiner Festnahme per Hubschrauber zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe transportiert wurde, dabei seine Flugangst überwunden hat und noch einmal einen Blick in deutsche Vorgärten werfen konnte. Er genoss die Situation, weil er wusste, dass er längere Zeit solche Blicke missen wird. Wenn Harald dem Filmemacher dann über sein antimilitaristisches Engagement und die Prozessführung erzählt und beide gleichzeitig ins Fernrohr blicken, wirken sie selber wie zwei weise Vögel.

"Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen ist, weil sie soviel Gesagtes mit einschließt", schrieb Brecht. Scheffner hat mit seinem Film den Satz variiert. "Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch fast ein Verbrechen ist...". Den Film sollte man sich nicht entgehen lassen, wenn er gelegentlich in Programmkinos und vielleicht demnächst auch mal bei Arte läuft. Wer darauf nicht warten will, kann ihn ausleihen über das Berliner Institut für Film und Videokunst Arsenal:
www.arsenal-berlin.de

Peter Nowak

"Der Tag des Spatzen"
Regie: Philip Scheffner
Essayfilm, Deutschland 2010, 104 Min.
Infos: www.dertagdesspatzen.de


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Talibanksy Combat Communication

In Kabul, Afghanistan, tragen eine Gruppe von AktivisInnen ihren Protest gegen den Krieg und gegen Kapitalismus in Form von Graffitis auf die Straße.

Die Talibanksys oder auch Combat Communication haben ihren Namen in Anlehnung an den britischen Guerilla Künstler Banksy, der sowohl in London durch seine Kunst Kontroversen erregte als auch in Gaza, der Westbank den Protest gegen die Apartheidsmauer durch Stencils verbildlichte. Der Name ist ebenfalls eine Anspielung auf die vorgeschobenen Gründe des Krieges, zur Wahrung der "Sicherheit" und für die Demokratie gegen die Taliban vorzugehen. Die AktivistInnen wollen mit ihren Bildern Diskussionen entfachen und die Hintergründe des Krieges entlarven. Dafür haben sie die Positionen der Bilder sorgfältig gewählt.

Dollarzeichen gesprüht entlang von ruinierten ungepflasterten Straßen in Kabul, die die Frage stellen, wo das Geld ist, das ausgegeben wurde. Oder auch Mohnblüten entlang der Gebäude der gesicherten reichen Stadtteile in Kabul. Andere wiederum zeigen Soldaten und den Schriftzug "Cost of war" oder Kinder, die Hand in Hand die Straßen entlanglaufen, um damit auch auf die zahlreichen Menschenleben, die der Krieg gekostet hat, aufmerksam zu machen.

Außerdem wollen sie mit ihren Bildern auch der afghanischen Jugend eine Möglichkeit geben, sich über die Graffitis künstlerisch und kritisch auszudrücken.

Ein weiterer Aspekt der Arbeit ist die Aneignung des öffentlichen Raumes durch kritische Propaganda: "Das peace AKA zu verkaufen (alias) den Krieg zu gewinnen, ist eine große Industrie geworden. Die Propaganda ist überall, von Anti-Drogen Kampagnen, über Aufstandsbekämpfung zu Rekrutierungskampagnen. Sie können nicht überzeugen, wenn ihre Form dir nicht ein Loch in die Seele brennt. Soziale und politische Graffitis und Straßenkunst können Gedanken und Diskussionen anregen. Watch your public space!" (red.)


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Briefe aus den Knästen

Cengiz Oban:
Brief vom 4. Juni 2010

Lieber...

es hat mich gefreut, Dich zu sehen. (Anm.: der Abtipper war als Prozessbeobachter da. Er selbst hat Besuchsverbot bei allen türkischen 129b-Gefangenen) Ich hoffe, es geht Dir gut. So nahm ich es durch die Scheibe wahr. (Anm.: Die 3 Gefangenen sind durch ein Glasscheibe von den ProzessbesucherInnen und dem Gericht einschließlich ihrer VerteidigerInnen abgetrennt.)

Ich habe alle deine Briefe erhalten. Danke. Bei einigen Briefen hat es bis zu sechs Wochen gedauert bis sie hier ankamen. Es war der Brief Nr. 18 mit der Berichterstattung zu unserem Prozess. Deinen letzten Brief vom 17. Mai habe ich am 3. Juni bekommen. (Anm.: diesen Brief erhielt ich am 23.6.)

Ich schrieb Dir in meinem letzten Brief, dass ich mich auf die Erklärung und den Prozess vorbereiten werde. Es sind inzwischen nun drei Monate vergangen. Viel zu viel Zeit, tut mir leid. Ich brauchte aber die Zeit. Es hat sicherlich mit den Umständen zu tun, in denen sich mensch befindet. Nun bin ich auch seit fast drei Monaten in Düsseldorf. Es sind die gleichen Bedingungen wie in Bochum. Die Atmosphäre hier ist jedoch lockerer und besser. Bin hier noch keinem Bediensteten begegnet, der mich in vier Stunden acht Mal durchsucht hat. In Bochum gab es solche. Das Essen ist auch besser und an den Wochenenden gibt es auch warme Brötchen zum Frühstück. Vor drei Wochen hatte ich meinen ersten Umschluss nach achtzehn Monaten Haft. Es ist jemand aus Polen, mit dem ich Backgammon spielte. Der Umschluss ist aber von seiner Lust und seiner Zeit abhängig. In der Regel einmal in der Woche. Hier gibt es auch einen Krafttrainingsraum für Iso-Gefangene, den ich ein paar Mal in der Woche benutzen kann.

Privatbesuche habe ich ohne Trennscheibe, jedoch in Anwesenheit von einer Dolmetscherin und dem BKA. Anwaltsbesuche sind aber weiterhin mit Trennscheibe.

Faruk habe ich leider auch noch nicht sehen können. Wir befinden uns auf unterschiedlichen Abteilungen.

(...) In deinem letzten Brief hast du auch unter anderem über Faruks Prozess berichtet. Wie du auch in unserem Prozess gesehen hast, gibt es keine große Unterschiede zwischen den Verfahren. Der einzige inhaltliche Unterschied ist die Anwendung des Außenwirtschaftsgesetz (AGW) gegen uns. Hierzu läuft vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch das Verfahren. (Anm.: Vor dem EuGH soll geklärt werden, ob das AGW überhaupt in dem Prozess gegen Ahmet, Nurhan und Cengiz angewandt werden kann.) Mit einer Entscheidung des EuGH wird in den nächsten Monaten gerechnet. Im letzten Monat fand eine mündliche Verhandlung statt. Wir waren zwar nicht dabei, aber unsere VerteidigerInnen waren präsent.

Mal sehen, was dabei herauskommen wird. Aber es bleibt dabei, wie es Sophie Scholl schon mal im Kampf gegen den Faschismus ausgedrückt hatte: "Das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht." In diesem Sinne lieber..., mache ich hier mal Schluss und freue mich auf eine baldige Antwort.

Liebe Grüße, Cengiz Oban

Schreibt den Gefangenen!
Cengiz Oban, JVA Düsseldorf, Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf


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Laurynas Mogila:
Zum Aktionstag gegen §129b
Berlin, den 13. Juni 2010

Hallo...,

danke für den Brief und für die Grüße. Ich möchte dir gleich von vorne herein mitteilen, das ich über meine Situation im Knast nicht schreiben kann, wie ich es möchte, da es meine Deutschkenntnisse nicht zu lassen. Es fällt mir schwer, darüber zu berichten. Dazu muss ich mich zum einen vorbereiten, zum andern auch noch jemand bitten mir dabei zu helfen. Aber dazu ist jetzt keine Zeit, denn ich will, das dich dieser Brief (zum Aktionstag gegen §129b) zum 19. Juni noch erreicht.

Da ich noch 3 Monate hier eingesperrt bin, neigt sich mein Knastaufenthalt langsam dem Ende zu. In dieser Zeit ist vieles passiert. Am Anfang habe ich mich hier nur schlecht gefühlt, weil ich überhaupt kein Deutsch konnte und folglich nichts verstand und mich nicht unterhalten konnte. Zuerst war ich sehr einsam und niemand interessierte sich für mich. Das ist als Gefangener das schlimmste, was einem im Knast passieren kann. Jetzt ist das aber vorbei und viele zeigen Solidarität! Ich kann heute sagen, sowas gibt einem Kraft, wenn man weiß, das jemand an einen denkt und du nicht vergessen wirst! So eine Erfahrung ist für Einen hinter den Knastmauern sehr wichtig.

Aber es ist alles nicht so schlimm und man braucht keine Angst vor dem Knast zu haben, wenn man sich vergegenwärtigt, sich erstens nicht vom Staat unterdrücken zu lassen und zweitens immer auf seine Rechte zu bestehen. Wenn wir alle zusammenhalten, sind wir eine große Kraft.

Die Rote Hilfe ist eine starke und große Organisation, die in meiner anfänglichen schwierigen Lage eine große Hilfe gewesen ist. Ich wünsche, sie wäre auf der ganze Welt vertreten. Ich bin mit meinem ganzen Herzen mit ihr verbunden.

Ich gratuliere allen politischen Gefangenen und wünsche ihnen Kraft und baldige Freiheit.

Großen Dank für alles
Wir sehen uns bald
Anarchistische Grüße
FREIHEIT FÜR ALLE

Laurynas Mogila

Schreibt den Gefangenen!
Laurynas Mogila, Buch-Nr. 890/09-0
JVA Moabit, Alt-Moabit 12a, 10559 Berlin

Red. Anm.: 1. Der Brief kam leider zu spät zum Aktionstag und ist stilistisch überarbeitet worden. 2. Laurynas stammt aus Litauen, erhielt 15 Monate Haft, weil er bei der United We Stay-Demonstration in Berlin am 14. März 2009 einen Polizisten und einen Mannschaftswagen der Polizei angriff.


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Werner Braeuner:
Mitteilung vom 12. Juni 2010

938 Tage Widerstand auf Leben und Tod gegen Staat, Sozialdemokratie und Kapital

Seit dem 12. Juli 2010 und für 938 Tage ist die Justizvollzugsanstalt Sehnde Bühne eines offenen Kampfes auf Leben und Tod gegen das organisierte Beschädigen von Menschen durch staatliche Behörden, Sozialdemokratie und Kapital.

Am 5.2.2013 endet die 12-jährige Haftstrafe des Unterzeichners wegen Tötung eines Arbeitsamtsdirektors infolge eines Konflikts mit einem auf herrenmenschliche Weise gegen Arbeitslose vorgehende Weiterbildungsunternehmen der sozialdemokratisch geführten Bremer Arbeitnehmerkammer. Bis zum genannten Datum wird der Unterzeichner die ihm in einer Justizvollzugsanstalt obliegende Zwangsarbeit verweigern und nimmt im Kauf, deswegen über den 5.2.2013 hinaus und bis zum letzten Atemzug in Haft gehalten zu werden.

Arbeitsverweigern werden Haftkosten von täglich 11 Euro in Rechnung gestellt; bei Zahlungsunfähigkeit ist die Verhängung einer Ersatzstrafe zu einem Tagessatz von meist 5 und 10 Euro üblich. Fortgesetzte Arbeitsverweigerung führt daher zu einer unendlich langen Inhaftierung.

Überdies wird die Haft bei Arbeitsverweigerung disziplinarisch verschärft:

- täglich 23 Stunden Zelleneinschluss;
- Ausschluss vom Gefangeneneinkauf und von der Telefonnutzung;
- Wegnahme vom TV-Gerät und von Geräten zu Wiedergabe von Bild- und Tonträgern;
- eventuell Verbot, Besuch zu empfangen;
- Verfügung über Schreibmaterial und Briefumschläge fraglich.

Aufgrund all dessen wird Arbeitsverweigerung in Haft zu einem Kampf auf Leben und Tod, denn es sollte klar sein, dass solchermaßen verschärfte Haft und die Aussicht auf nicht endende Inhaftierung Erkrankungen und ein frühzeitiges Ableben zur Folge haben wird.

Um zu kämpfen, muss der Feind bekannt sein. Die 938 Tage Widerstand zwingen ihn aus der Deckung, sein Fehdehandschuh für eine schrankenfreie Ausbeutung von Menschen durch Zwang, Disziplinierung und Freiheitsberaubung liegt nun offen vor aller Augen. Außerhalb des Knastes ist die Gewalt hinter Arbeitsforderung nicht minder tödlich, allerdings weniger sichtbar. Drinnen und draußen EIN Kampf!

Die enorme Gewalt hinter der Arbeitsforderung draußen und im Kampf belegt vor allem anderen den Wandel vormals arbeitsfrommer Sozialdemokraten zu nun vernichtungsfrommen Herrenmenschen. Sei er nationalsozialistisch oder nun sozialdemokratisch, erklärt sich der Herrenmensch allemal aus Nietzsches Ausspruch, die moderne Form von Herrschaft sei eine von Gesindel über Gesindel.

Die 938 Tage Widerstand zu Ehren von Friedrich Nietzsche und inniger kameradschaftlicher Verbundenheit mit allen auf diesem Planeten, die nicht Gesindel sind und auf Leben und Tod gegen Staat, Sozialdemokratie und Kapital kämpfen.

EIN Planet, EINE Freiheit, EIN Kampf!

Schreibt den Gefangenen!
Werner Braeuner, JVA Sehnde
Schnedebruch 8, 31319 Sehnde


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Gefangene

Schreibt den Gefangenen aus unserer Bewegung!

Gefangenenadressen in aktualisierter Form auf www.political-prisoners.net

Ahmet Düzgün Yüksel
JVA Stuttgart Stammheim
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Ahmet Istanbullu
JVA Wupperal
Simonshöfchen 26
42327 Wuppertal
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Birgit Hogefeld
Obere Kreuzäckerstr. 4
60435 Frankfurt

Cengiz Oban
JVA Düsseldorf
Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Devrim Güler
JVA Stuttgart Stammheim
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Faruk Ereren
JVA Düsseldorf
Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Gabriel Pombo da Silva
JVA Aachen
Krefelder Str. 251
52070 Aachen
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Jose Fernandenz Delgado
JVA Rheinbach
Aachener Str. 47
53359 Rheinbach
www.escapeintorebellion.info

Laurynas Mogila
Buch-Nr. 890/09-0
JVA Moabit
Alt-Moabit 12a
10559 Berlin

Lukas Winkler
JVA Ebrach
Marktplatz 1
96157 Erbach
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Marco Camenisch
Postfach 3143
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Nurhan Erdem
JVA Köln
Rochusstraße 350
50827 Köln
www.no129.info
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Stephanie Träger
JVA Aichach
Münchner Str. 33
86551 Aichach
www.hausbesetzerinnensoli.de.vu

Sven Mauer
JVA München-Stadelheim
Stadelheimerstr. 12
81549 München
www.hausbesetzerinnensoli.de.vu

Thomas Meyer-Falk
JVA Bruchsal, Z. 3117
Schönbornstraße 32
76646 Bruchsal
www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

Werner Braeuner
JVA Sehnde
Schnedebruch 8
31319 Sehnde


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Die Rote Hilfe

Schwerpunkt der Ausgabe 3/2010: Die eigene Geschichte nutzbar machen! DIE ROTE HILFE erscheint viermal im Jahr und kostet 2 Euro, im Abonnement 10 Euro im Jahr. Für Mitglieder der Roten Hilfe e.V. ist der Bezug der Zeitung im Mitgliedsbeitrag inbegriffen. Gefangene erhalten die Zeitung kostenlos.

Zuschriften und Anfragen an:
Rote Hilfe e.V., Literaturvertrieb
Postfach 6444, 24125 Kiel
Tel./Fax: 0431/75141
E-Mail: literaturvertrieb@rote-hilfe.de


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Sie unterliegen angeblich der Schweigepflicht.

Wir nicht!

Mauerfall - und Iv.I. - Gefangenen Rundbriefe
Gefangenen Info / RH Zeitung / ABC-Entfesselt
Alhambra / Cavale / Uitbracht

www.bsd-info.de


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Knast und Justiz - Das Info gegen Rebellion

jeden Freitag
von 19 bis 20 Uhr auf Radio - FSK -
FM 93,0 MHz / 101,4 MHz (im Kabel)
livestream: www.fsk-hh.org/livestream

E-Mail: knastundjustiz@fsk-hh.org
Telefon: 040 - 432 500 46
Postbox: Redaktion K&J c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schäferkamp 46
20357 Hamburg


radio flora - hannovers webradio

"Wieviel sind hintern Gittern, die wir
draußen brauchen!"
Politische Gefangene -
Sendung zu Repression und Widerstand

Freundeskreis Lokal-Radio e.V.
Zur Bettfederfabrik 3, 30451 Hannover
Jeden ersten Dienstag im Monat von 18 bis
19 Uhr.

Zu empfangen per Livestream über:
www.radioflora.de


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Widerstand ist kein Terrorismus!

Internationale Klassensolidarität aufbauen!

Kapitalismus zerschlagen!

"Lasst und abschließen [...] mit der Äußerung, dass uns trotz allem weniger die Verurteilung des revolutionären Kampfes durch den Imperialismus, als vielmehr die Beurteilung desselben durch die unterdrückten Völker wichtig bleiben wird!"

[Devrim Güler, §129b-Gefangener, Stuttgart-Stammheim]

Freiheit für die §129b- und alle politischen Gefangenen weltweit!


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IMPRESSUM

Gefangenen Info
Juli 2010, Nr. 356

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info hervorgegangen, welches im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 entstand.

HerausgeberInnen:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und FreundInnen

V.i.S.d.P.:
Wolfgang Lettow c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin

Nichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wider. Beiträge der Redaktion
sind entsprechend gekennzeichnet.

Redaktionsanschrift:
Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
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Internet: www.gefangenen.info

Bestellungen: Einzelpreis: 2 Euro. Ein Jahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo 33,20 Euro), Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungen ab 3 Stück 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschließend auf das Konto des Gefangenen Info zu überweisen ist.

Bankverbindung:
Johannes Santen, Ra
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Gefangenen Info
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Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Zeitung solange Eigentum der/des AbsenderIn, bis es den Gefangenen ausgehändigt worden ist. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info den Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist es der/dem AbsenderIn mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.


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Quelle:
Gefangenen Info Nr. 356, Juli 2010
Redaktionsanschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail: redaktion@gefangenen.info
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2010