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EXPRESS/785: Zukunft gesichert? Rentenkonzepte von Parteien und Gewerkschaften


express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 12/2016

Zukunft gesichert?

Nadja Rakowitz zu den Rentenkonzepten von Parteien und Gewerkschaften


Ohne wirkliche Not hat die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder zu den beiden Säulen der Rente eine dritte hinzugefügt: die private Rente, benannt nach dem IG Metaller Walter Riester. Sie gilt nicht nur unter Gewerkschaftern inzwischen als gescheitert und wurde als das entlarvt, was sie von Anfang an war: ein gutes Geschäft für die privaten Versicherungskonzerne. Auch die Koalition aus Union und SPD hat nun - angesichts massenhaft drohender Altersarmut, aber in Zeiten boomender Wirtschaft und sehr niedriger Arbeitslosenzahlen - ein Rentenkonzept vorgelegt. Der Regierung zuvor kam die IG Metall und im Herbst der DGB mit einer groß angelegten Kampagne. Wir stellen die verschiedenen Konzepte vor und erinnern bei dieser Gelegenheit auch an das Konzept der Rentenversicherung als Bürgerversicherung, das die IG BAU in Konkurrenz zur Teilprivatisierung durch die SPD in die Debatte geworfen hatte.

»Wir stehen für ein ganzheitliches Rentenkonzept, das die gesetzliche Rentenversicherung stärkt. Das Rentenniveau muss stabilisiert werden, so dass Durchschnittsverdienerinnen und Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren auch über das Jahr 2025 hinaus mindestens eine Rente erhalten, die 50 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegt.« Das schreiben die GRÜNEN auf ihrer Homepage zum Thema Rente. Und ohne in irgendeiner Weise selbstkritisch zu sein und zuzugeben, dass sie selbst in der Koalition mit der SPD im Jahr 2001 die Riester-Rente als dritte - und private - Säule des deutschen Rentensystems eingeführt haben, fahren sie fort: »Das Ziel, mit diesem Modell ein Rentenniveau zu erreichen, das allen einen angemessenen Lebensstandard sichert, wurde insbesondere bei der Riester-Rente verfehlt. Daher wollen wir das Niveau der gesetzlichen Rente stabilisieren und die private Altersvorsorge verändern. Wir wollen die Riest,er-Rente grundlegend reformieren und ein neues Basisprodukt einführen, das einfach, kostengünstig und sicher ist ... Wir haben daher ein Konzept für eine steuerfinanzierte Garantierente erarbeitet, die allen Menschen, die mindestens 30 rentenversicherungspflichtige Jahre vorweisen können, eine Rente ermöglicht, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Das gilt für alle, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet, Kinder erzogen, andere Menschen gepflegt oder sonstige Anwartschaften in der Rentenversicherung erworben haben.«(1)

Solch »üppige« Ideen kommen den GRÜNEN in der Opposition. Als Teil der Regierungskoalition hatten sie sich daran beteiligt, diesen Teil des Sozialversicherungssystems zu demontieren und die Altersvorsorge stärker über Kapitalmärkte zu organisieren - in einer Zeit, als die private Altersvorsorge im Mittelpunkt des Verwertungsinteresses der Versicherungswirtschaft stand, wie Christoph Butterwegge Anfang Dezember noch einmal in einem lesenswerten Artikel in der jungen welt erinnerte.(2) Butterwegge beschreibt dort auch die Hauptursachen von Armut im Alter, die zu großen Teilen auch das »Verdienst« der rot-grünen Koalition sind: »die Deformation des Sozialstaates im Allgemeinen und die der gesetzlichen Rentenversicherung im Besonderen sowie die Deregulierung des Arbeitsmarktes. Als Beispiele seien hierfür genannt: der Einbau sogenannter Dämpfungsfaktoren ("Riester-Treppe", "Nachhaltigkeitsfaktor" und "Nachholfaktor") in die Rentenanpassungsformel, die Anhebung der Regelaltersgrenze und die (Teil-)Privatisierung der Altersvorsorge. Dazu kommen die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Einführung von Mini- und Midijobs sowie die Liberalisierung der Leiharbeit.« (Ebd.)

Dass Altersarmut jetzt schon ein Problem für viele ist, aber für noch viel mehr Menschen in Zukunft werden wird, hat auch die Große Koalition aus Unionsparteien und SPD zur Kenntnis genommen - auch wenn im Moment wegen der guten ökonomischen Konstellation die Rentenkasse prall gefüllt ist. Um sich dennoch durch das heikle Thema den 2017 anstehenden Bundestagswahlkampf nicht zu sehr verhageln zu lassen, hat sich die Koalition an einem Gesetzentwurf für ein Rentenformkonzept versucht, das Andrea Nahles am 4. November der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Christoph Butterwegge fasst es so zusammen: »Den inhaltlichen Kern der groß-koalitionären Rentenreform bildet das Betriebsrentenstärkungsgesetz, welches auf denselben Prämissen beruht wie das Altersvermögensgesetz und das Altersvermögensergänzungsgesetz, mit denen Walter Riester seinerzeit Parlamentsmehrheiten für eine (Teil-)Privatisierung der Altersvorsorge organisierte ... Wie beim privaten "Riestern" sollen die lohnabhängig Beschäftigten ab 2018 nicht bloß durch Steuernachlässe, sondern auch durch staatliche Zulagen dazu verleitet werden, Verträge mit Versicherungsunternehmen, Banken oder Finanzdienstleistern abzuschließn, diesmal jedoch über ihren Betrieb.« (Ebd.) Damit habe Nahles dem Druck einflussreicher Lobbygruppen nachgegeben, denn die Unternehmer in Deutschland wollen - aus den bekannten Gründen - vor allem Beitragssatzanhebungen in der Rentenversicherung so lange wie möglich vermeiden. Und die Versicherungsbranche kann so neue Kunden für ihre Altersvorsorgeprodukte gewinnen. »Da sich Union und SPD auf eine Ausweitung der sogenannten Entgeltumwandlung (steuer- und sozialversicherungsfreie Umwandlung eines Teils des Bruttolohns für die betriebliche Altersvorsorge, wobei im Gegenzug die spätere Rentenzahlung aber einkommensteuerpflichtig ist) verständigten, haben beide Interessengruppen ihr Wunschziel erreicht ... Trotz des ... Riester-Desasters kümmert sich die große Koalition nur um ein anderes Etikett. Sie eröffnet der Versicherungsbranche ein weiteres lukratives Geschäftsfeld und beschert ihr erneut saftige Profite und Provisionen, ohne dafür zu sorgen, dass die Versicherten im Alter vor Armutsrisiken gefeit sind«, so das Resümee von Butterwegge.

Auf einem anderen Blatt steht allerdings, wo die derart beschenkte Versicherungswirtschaft das eingesammelte Geld durch Investitionen vermehren möchte. Schon jetzt hat die Branche größte Schwierigkeiten, lukrative Anlagemöglichkeiten für die von ihr verwalteten Vermögen zu finden - das ist nicht zuletzt der Hintergrund der aktuellen Bestrebungen zur Beteiligung privater Investoren an den deutschen Autobahnen.

Zwischendurch hatte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, so die FAZ, sogar die jetzige Beitragsbemessungsgrenze von 6.200 Euro im Westen und 5.400 Euro im Osten in Frage gestellt.(3) Natürlich ist das mit der Union nicht zu machen, aber auch die SPD hat davon schnell wieder Abstand genommen, denn nach Ansicht von Sozialministerin Nahles würden damit Finanzprobleme der Rentenkasse eher verschärft als gelöst: »Wenn man Leuten die Beitragsbemessungsgrenze wegnimmt, dann entstehen daraus auch höhere Ansprüche«, so wird Nahles weiter in der FAZ zitiert, denn »Gutverdiener müssten dann nach den Regeln der Rentenversicherung auch höhere Renten erhalten.« Nahles plädierte indes dafür, Mehrausgaben für die Rente mit höheren Bundeszuschüssen zu finanzieren, so würden Gutverdiener über die Steuerprogression stärker beteiligt. (Ebd.)

»Man hat das Gefühl gehabt, er hat's versucht;
mehr willste doch als Sozialdemokrat gar nicht.«

(Georg Schramm als Sozialdemokrat August)


Ähnlich ambitioniert: das Rentenkonzept des DGB

Die Regel der Rentenversicherung, die hier gemeint ist und in Stein gemeißelt zu sein scheint, ist das so genannte Äquivalenzprinzip. Es ist ein Postulat der Versicherungstheorie, das die Gleichheit von Leistung und Gegenleistung fordert und besagt, dass »die Höhe der im aktiven Versichertenleben eingezahlten Beiträge (= Risikoprämie) der durchschnittlichen erwarteten Versicherungsleistung (also die Summe der Rentenzahlungen in Abhängigkeit von der Lebenserwartung) entsprechen muss«.(4)

Auch im DGB-Rentenkonzept, das Anfang September 2016 beim Start der Renten-Kampagne vorgestellt wurde, wird dieses nicht angerührt. Dennoch plädiert der DGB für einen Kurswechsel in der Rente, der möglich und finanzierbar sei.(5) Der DGB geht - mit der Bundesregierung -davon aus, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung von heute 18,7 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 22 Prozent steigen wird. Aber gemäß dem Konzept der Regierung werde das Rentenniveau weiter sinken, nämlich von derzeit rund 48 Prozent auf 43 Prozent, während der DGB den Sinkflug mit seinem Konzept stoppen und langfristig zurück zur Solidarität will: Die aktuelle Gesetzeslage verlange, die Reserven in der Rentenversicherung abzubauen, so dass die Rentenbeiträge sinken. Und das, obwohl klar ist, dass sie bereits in wenigen Jahren wieder steigen werden. Dies hätten, so der DGB, die Gewerkschaften stets kritisiert, und entsprechend fordert er nun, die Reserven in der Rentenversicherung auszubauen, statt sie abzuschmelzen(6): »Der erste Schritt eines Kurswechsels besteht darin, die Reserven nicht weiter zu verpulvern, die im Herbst 2016 noch rund 35 Milliarden Euro betragen. Dieses Geld ist zu einer Demografiereserve auszubauen, die hilft, ein stabiles Rentenniveau zu finanzieren. Außerdem sind die jährlich fast sieben Milliarden Euro zur Finanzierung der sogenannten Mütterrente nicht mehr aus der Beitragskasse, sondern ab sofort aus Steuermitteln zu bezahlen. Parallel muss der Beitragssatz in verkraftbaren Schritten angehoben werden.« (Ebd.) Wenn man die ohnehin vorgesehenen Beitragssteigerungen in kleinen, planbaren Schritten vorziehe, könne ab sofort das gesetzliche Rentenniveau gehalten werden, statt weiter zu sinken. Gleichzeitig müssten versicherungsfremde Leistungen und gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Mütterrente aus Steuermitteln statt mit ständigen Griffen in die Rentenkasse der Beitragszahler finanziert werden. Und als drittes Element müssten mehr Menschen als bisher in den Genuss von Betriebsrenten kommen. Dafür müssten »Tarifverträge zur betrieblichen Altersversorgung leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können, so dass sie für alle Beschäftigten einer Branche gelten.«(7)

Kurswechsel besteht also in mehr Steuerbeteiligung und im Ausbau von Betriebsrenten, einem Konzept, das sich kaum vom Nahles-/SPD-Konzept einer Verbetrieblichung der Alterssicherung unterscheidet und das angesichts der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, Befristungen, unsteter Erwerbsbiographien und einer immer weiter abnehmenden Bedeutung der Idee und Realität "lebenslanger" Beschäftigung bei ein und demselben Unternehmen ohnehin mehr als eine Frage aufwirft (z.B. zur Übertragbarkeit). Genau mit jener Form betrieblicher Alters"sicherung" wurde in den Mutterländern des Neoliberalismus spätestens seit der Krise 2008 katastrophale Erfahrungen gemacht, als die betrieblichen Rentenfonds im Orkus der Krise der Finanzbranche verschwanden. Und dafür, dass diese Tarifverträge für eine betriebliche Alexpress terssicherung allgemeinverbindlich erklärt werden, soll der Gesetzgeber sorgen - genau jener Gesetzgeber, der versucht, mit allen Mitteln zu liberalisieren, Arbeitnehmerrechte aufzuweichen etc.

Das ist also alles? Beim Lesen rubbelt man sich verdutzt die Augen und fängt an zu suchen auf der DGB-Seite. Z.B. gibt man in die Suchleiste auf der Homepage »Beitragsbemessungsgrenze« ein: Keine Ergebnisse gefunden. Beitragsbemessungsgrundlage: Keine Ergebnisse gefunden... Ähnlich sieht es - im Unterschied zum Konzept von 2006(8) - aus bei der Einbeziehung von anderen Einkommensarten und weiteren Personengruppen, z.B. Selbständigen oder Beamten. So sieht es also aus, wenn der DGB, wie Reiner Hoffmann in einem Interview mit dem Titel: »Rente mit 70? Das ist Unfug!« postuliert, die Sorgen der Menschen ernst nimmt: »Nach Umfragen, die wir in Auftrag gegeben haben, wählten Gewerkschaftsmitglieder im Trend der Gesamtbevölkerung die AfD. Das ist ärgerlich. Aber diese Wähler sind nicht nur Rechtspopulisten. Darunter sind vielfach Menschen, die Angst haben, sozial abzusteigen, oder erleben, dass sie sozial nicht aufsteigen können. Letzteres ist ein echtes Problem in Deutschland. Wir müssen die Sorgen dieser Menschen ernst nehmen und ihnen Aufstiegschancen bieten.«(9) Da können wir ja beruhigt den Bundestagswahlen nächstes Jahr entgegensehen. So viel Kampfgeist und offensives Auftreten für Solidarität wird die Arbeiterschaft sicher überzeugen...


Statt Kurswechsel: Perspektivwechsel bei der IG Metall

Schon im Juli 2016 stellte die IG Metall ihr Rentenkonzept vor, das allerdings weitgehender als das des DGB ist: »Die IG Metall plädiert für einen grundlegenden, solidarischen Neuaufbau des Systems der Alterssicherung in Deutschland. Denn: Die Weichen in der Alterssicherung sind falsch gestellt. Darüber kann auch die aktuell gute Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nicht hinwegtäuschen ... Wenn nichts passiert, wird das Rentenniveau weiter deutlich sinken und die Regelaltersgrenzen werden weiter steigen. Weder die betriebliche Altersversorgung noch die Modelle der Privatvorsorge werden diese Lücken schließen können.«(10)

Die IG Metall will sich dabei orientieren »am Leitbild einer sozialen Rentenversicherung, in der das Prinzip der Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit (Äquivalenz-Prinzip) und ein angemessener Solidarausgleich ineinandergreifen.« Grundsätzlich solle die (relative) Höhe des »verbeitragten Einkommens« auch zukünftig die (relative) Höhe der individuellen Rente bestimmen. Allerdings sollte zur Vermeidung von Altersarmut »zugleich das Solidarprinzip im Rentensystem gestärkt werden, um Anwartschaftslücken etwa bei Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Pflege oder Ausbildung auszugleichen. Eine Reduzierung der gesetzlichen Rente auf eine bloße Grundrente hingegen lehnt die IG Metall ab.« (Ebd.)

Deshalb ist perspektivisch für die IGM von zentraler Bedeutung, dass alle Erwerbstätigen in einem gemeinsamen System pflichtversichert sind, also zukünftig auch alle Selbstständigen, BeamtInnen etc. Der künftige Umgang mit der Beitragsbemessungsgrenze gehöre ebenfalls auf den Prüfstand. Letzteres wird allerdings extrem vorsichtig formuliert: Zu prüfen sei, »wie die Attraktivität der gesetzlichen Rentenversicherung für Einkommensbezieher jenseits der Beitragsbemessungsgrenze verbessert werden kann.« (Ebd.) Auch die IGM diskutiert in ihrem Konzept zusätzliche Steuermittel, um gesamtgesellschaftliche Aufgaben systemgerecht zu finanzieren. Ergänzend hierzu plädiert die IGM wie der DGB dafür, eine »Nachhaltigkeitsreserve (»Demografie-Reserve«) durch Abschaffung der Obergrenze von derzeit 1,5 Monatsausgaben« auszubauen. »So könnten durch eine alternative Beitragssatzentwicklung in konjunkturell und demografisch günstigen Zeiten höhere Rücklagen zur Finanzierung leistungsgerechter Renten auch in der Zukunft ermöglicht werden.« (Ebd.)


Solidarität statt Äquivalenz

Das Konzept, die Solidarität auszubauen, hat am konsequentesten die IG BAU zu Ende gedacht. Eine Gewerkschaft, die laut Irmgard Meyer, damals Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes, »nicht eben als Speerspitze der linken Bewegung bekannt« sei, hatte im Jahr 2000 - in Konkurrenz zu Walter Riester, der IG Metall und der rot-grünen Regierung - ein eigenes Rentenkonzept in die Diskussion geworfen, dem man den Titel Kurswechsel damals und heute viel eher ankleben könnte. Die IG BAU wollte schon im Jahr 2000 das, was Christoph Butterwegge für heute fordert: »Wenn in Zukunft, wie allenthalben prognostiziert, hierzulande mehr Menschen ein Lebensabend in Armut droht, muss das Solidaritäts- gegenüber dem Äquivalenzprinzip an Bedeutung gewinnen. Dazu wäre die Auf-, zumindest jedoch eine starke Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze notwendig, ohne dass Spitzenverdienern viel höhere Renten als den übrigen Versicherten gezahlt werden müssten.«(11)

In dem IG BAU-Konzept, das im Oktober 2000 auch im express veröffentlicht wurde, schreibt die IG BAU: »Die bisherigen Reformvorschläge gehen davon aus, dass trotz steigender Einkommen in der Zukunft die relative Belastung der Unternehmen nicht steigen sollte und die zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer sich außerhalb des bewährten Solidarsystems niederschlägt. Dem stellt die IG BAU ein Konzept entgegen, das den Solidargedanken stärkt und die unabweisbaren Lasten der demographischen Entwicklung auf alle Teile der Bevölkerung verteilt. Das jetzige System bedarf jedenfalls einer grundlegenden Reform, die auch vor den bisherigen Strukturen nicht Halt macht ... Unser Konzept ... sieht eine Einbeziehung der gesamten Bevölkerung sowie aller personengebundenen Einkommen vor. Dazu gehören: Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Erträge aus Vermögen, Vermietung und Verpachtung sowie alle sonstigen zu versteuernden Einkommensarten. Bei Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit ist der Rentenversicherungsbeitrag paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzubringen. Die Beitragsbemessungsgrenze entfällt.« Das Konzept soll die »Grundlage und das Rückgrat der gesellschaftlichen Altersversorgung der Zukunft bilden, nicht jedoch die bestehende und in den vergangenen Jahren in extremer Weise gewachsene gesellschaftliche Ungleichverteilung fortschreiben.« (express, Nr. 10/2000)

Statt - wie der DGB lt. Anruf beim DGB-Rentenexperten - zu fürchten, dass das Bundesverfassungsgericht auf dem Äquivalenzprinzip bestehen werde, besteht der Vorschlag der IG BAU im Kern auf einer »Rückbesinnung auf das verfassungsrechtliche Gebot des sozialen Ausgleichs. Nur auf diesem sozialstaatlichen Fundament lassen sich die künftigen Belastungen fair und tragbar verteilen.« (Ebd.) Genau wie Butterwegge forderte die IG BAU damals eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze zusammen mit einer Rentenobergrenze - wohl wissend, dass dies massiv gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen hätte:

»Unser Rentenmodell soll bei einem durchschnittlichen Verlauf des Berufslebens eine auskömmliche Altersrente auf dem jetzigen Niveau (70 Prozent) garantieren, die durch Tarif- und Betriebsrenten und freiwillige Formen der privaten Vorsorge ergänzt werden kann und soll. Aufgrund der für reine Arbeitseinkommen gegenüber heute niedrigeren Beitragshöhe schaffen wir den nötigen Spielraum für eine ergänzende Vorsorge ... Um die Finanzierbarkeit des Systems nicht zu gefährden und den notwendigen Umverteilungseffekt erzielen zu können, muss auch in unserem System die maximale Rentenhöhe begrenzt werden. Deshalb schlagen wir einen maximal erzielbaren Rentenbetrag von DM 4.500 brutto (Kappungsgrenze bezogen auf das Jahr 2000) vor, der in den folgenden Jahren entsprechend der Entwicklung der Bruttoeinkommen dynamisiert werden sollte.

Wir sind uns bewusst, dass sich diejenigen, denen wegen ihrer erhöhten Beitragszahlungen eigentlich eine höhere Rente zukäme, durch die Kappung ungerecht behandelt fühlen könnten. Das bisherige System der Rentenversicherung hat aber die Konsequenz, dass sich Spitzenverexpress diener jenseits der Beitragsbemessungsgrenze relativ umso weniger an den sozialen Lasten beteiligen müssen, je höher ihre Einkünfte sind. Diese Konsequenz ist mit dem Solidarprinzip unvereinbar. Außerdem ist weiter zu berücksichtigen, dass alle Risiken unseres gesellschaftlichen Systems, zum Beispiel das der Arbeitslosigkeit, kinderbedingter Erwerbspausen und des vorzeitigen Gesundheitsverschleißes höchst ungleich verteilt sind.« (Ebd.)

Wäre es nach der IG BAU gegangen, hätte sie es auf eine gesellschaftliche Debatte ankommen lassen, die man ja auch so führen könnte, dass ein Anspruch auf Äquivalenz auch bei den Löhnen und Gehältern zur Arbeitsleistung gefordert werden könnte. Hei, das wäre mal ein Spaß... Stattdessen hat Franz Müntefering seinem damaligen Parteigenossen (und zugleich Vorsitzendem der IG BAU) Klaus Wiesehügel gedroht, dass dieser sicher nicht mehr Mitglied des nächsten Deutschen Bundestags werden würde... Heute braucht es solche Drohungen schon gar nicht mehr.


Anmerkungen:

(1) Siehe: www.gruene.de/ueber-uns/2016/gruene-rente-mit-zukunft.html

(2) Christoph Butterwegge: »Verelendung per Gesetz«, junge welt vom 5. Dezember 2016; www.jungewelt.de/2016/12-05/050.php

(3) Dietrich Creutzburg: »Reformpaket. Neue Rentenreform nimmt Konturen an«, FAZ vom 31. Oktober 2016

(4) www.bpb.de/politik/innenpolitik/rentenpolitik/157326/glossar?p=8

(5) Siehe die Homepage des DGB:
http://rente-muss-reichen.de/category/gute-rente-geht/

(6) »Kurswechsel. Die gesetzliche Rente stärken!«, hg. vom DGB, 2016, S. 10

(7) http://rente-muss-reichen.de/category/gute-rente-geht/

(8) Vgl. »Erwerbstätigenversicherung: Rente mit Zukunft«, Gemeinsames Konzept des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Volkssolidarität Bundesverband e. V., Berlin 2006;
www.dgb.de/themen/++co++articlemediapool-02ec5d0ecaf098019ce38f6fa3289a96

(9) www.dgb.de/themen/++co++7c08d72a-9c59-11e6-a8dd-525400e5a74a

(10) Vgl. »Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung. Vorschläge der IG Metall«, hg. vom IG Metall Vorstand, Frankfurt, Juli 2016; in: www.mehr-rente-mehr-zukunft.de/

(11) jw, 5. Dezember 2016

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Zum Tod von HG Lang

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- Edgar Weick: "Aufrechter Gang" - Nachruf

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Quelle:
express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 12/2016, 54. Jahrgang, Seite 7-8
Herausgeber: AFP e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2017

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