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DAS BLÄTTCHEN/971: Zivilgesellschaft in China?


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 11/2009 - 25. Mai 2009

Zivilgesellschaft in China?

Von Dorit Lehrack, z. Z. Peking


Gibt es im heutigen China eine Zivilgesellschaft? Diese Frage wird je nach Standpunkt klar verneint, klar bejaht oder mit dem berühmten Ja, aber ... beantwortet. Gründe für diese Meinungsvielfalt gibt es viele. Darunter den, daß "Zivilgesellschaft" ein unscharfer, eigentlich kaum zu erklärender und dazu noch absolut wertfreier Begriff ist, ähnlich unscharf wie der dazugehörige Begriff der "Nichtregierungsorganisation", der, und das macht die Einschätzung noch komplizierter, in China noch um den Begriff: GONGO - frei als "von der Regierung organisierte Nichtregierungsorganisation" - ergänzt wird, was die Verwirrung auf die Spitze führt.

Diese Unschärfe läßt in diese Begriffe alles Mögliche hineininterpretieren, abhängig vom kulturellen, historischen und auch politischen Hintergrund des einzelnen. Vom - der Aufklärung zu verdankenden - Verständnis des informierten, engagierten, aufbegehrenden und somit auch mutigen Bürgers, der sich mit anderen zusammenschließt, um Macht gegen "das System" zu gewinnen, bis - und das trifft die Seele des fernen Okzidents ebenso wie auch den christlich philanthropischen Ansatz - vom engagierten Bürger als Teil eines auf dem Harmoniegedanken beruhenden Netzwerks von Bürgern, die gemeinsam, den Gesetzen und kulturellen Spielregeln folgend, zum Gemeinwohl beitragen. So jedenfalls möchte der chinesische Parteistaat seine zivilen Bürgerorganisationen sehen - und ist sich dabei trefflich einig mit sich nicht kommunistisch nennenden und politisch deutlich anders strukturierten Systemen in Japan, Südkorea, Taiwan oder Singapur.

Natürlich ist China, das in 27 Jahren Reform und Öffnung seine Verwaltung deutlich umgekrempelt und verschlankt hat, um den "kleinen Staat mit dem großen Volk" zu schaffen, auf seine engagierten Bürger angewiesen. Ohne sie könnten soziale Aufgaben nicht gelöst, Armut nicht gemindert, Umweltaufklärung nicht betrieben werden. Ein wichtiger Indikator für die Steuerung des Wachstums würde fehlen, wenn es keine Lobby- und Interessengruppen für Frauen, Wanderarbeiter, Behinderte, Minoritäten, Straßenkinder, Klimaschutz et cetera geben würde. Deshalb gründet der Staat aus seinen vormals staatlichen Institutionen schon mal solche zivilen, fälschlich als "Nichtregierungsorganisationen" bezeichneten Initiativen aus oder widmet sie in zivile Organisationen um: die schon erwähnten GONGOS.

Natürlich benötigt der Staat auch die ehemaligen Massenorganisationen, die, vormals für Agitation und Propaganda verantwortlich, heute - kaum noch finanziert und nur noch in der Spitze kontrolliert - ihre Arbeit weitermachen; nun dabei auf finanzielle Hilfe des Auslands angewiesen oder auf zwar geringfügige, dafür aber zuverlässige materielle Unterstützung aus der Region. Noch sind diese Organisationen so gut vernetzt, daß schnell "oben" - auf der Politikebene - ankommt, was unten gedacht und getan wird: wenn Unruhen anstehen, weil Gehälter nicht bezahlt werden oder Minen illegal betrieben werden, so daß der Staat korrigieren kann und das auch schnell tut. Nichts fürchtet die Regierung mehr als eine Destabilisierung des Riesenstaates, weil die Bürger berechtigt aufmüpfig werden und sich schließlich der Ärger gegen eine nicht agierende Regierung und Partei richten könnte. Schwierig genug sind bereits die Kontrolle der Provinzen, die Umsetzung der - durchweg als gut eingeschätzten - Gesetze, die Bekämpfung der Korruption Teilen die auf etwa eine Million bezifferten unregistrierten Bürgerorganisationen und die weiteren 250.000 staatlich registrierten Organisationen im Prinzip das Verständnis vom Miteinanderzusammenwirken am Aufbau einer harmonischen Gesellschaft und ist die Mehrzahl prinzipiell von der Richtigkeit der chinesischen Politik überzeugt, sollte das nicht zu dem Gedanken verleiten, daß chinesische Bürgerorganisationen eine Alibifunktion hatten oder "käuflich" seien.

In China gehört Mut dazu, sich zu engagieren und sieh aus dem Kreis der vielen zu exponieren, die in erster Linie ihrem eigenen kleinen Wohlstand verpflichtet sind. Arbeit in den "NRO" ist keine Ehre, sondern wird als Karrierebremse verstanden, Geld ist damit kaum zu verdienen, und die Sicherheitsbüros haben die Aktivisten immer im Visier ... Es bedarf also eines Sendungs- und Selbstbewußtseins, manchmal auch eines starken Traumes oder eines großen Zorns, um solche Organisationen zu gründen oder in ihnen zu arbeiten. Es bedarf der Zuversicht, etwas verändern und dazu auch Kraft aufbauen zu können. Das erfordert ganz besondere Menschen mit ganz besonderen Stärken und Fähigkeiten - und diese sind sehr wohl in der Lage, auch einmal unharmonisch Ziele anzugehen und sieh dazu der Instrumente zu bedienen, die in China handhabbar sind und mit denen man Macht ausüben kann: des Internets zum Aufbau von Netzwerken, der Massenmedien zur Verbreitung einer Nachricht und der Gerichte zur Durchsetzung der Rechte, die auf dem Papier stehen, aber zu wenig in Gerechtigkeit umgesetzt werden.

So sind die Bürgerorganisationen zwar Partner der Regierung, aber auch und Korrektiv und dabei Gegenspieler, wenn es die Situation erfordert - eine Rolle, die Staat und Partei zunehmend akzeptieren (müssen), auch wenn das "System Zivilgesellschaft" noch nicht mit den Beteiligungsrechten und -pflichten ausgestattet und gesellschaftlich in Wert gesetzt ist, sein Wachstum insbesondere von Altfunktionären argwöhnisch betrachtet und deshalb durch gesetzliche Restriktionen gebremst wird.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 11, 12. Jg., 25. Mai 2009, S. 19-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2009