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DAS BLÄTTCHEN/950: Krisenläufte


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 6/2009 - 16. März 2009

Krisenläufte

Von Erhard Crome


Alle reden von der Krise - wir auch. Es hat keinen Sinn, es sein lassen zu wollen. Überkommen wird sie uns auf jeden Fall. Die Frage ist allenthalben: Was steht uns bevor? In der Krisentheorie wird einigermaßen plausibel erklärt, wie es am oberen Scheitelpunkt zum Kippen von der Spekulation in die Krise kommt. Umstrittener ist schon, wie sich am tiefen Scheitelpunkt wieder Kräfte für einen Aufschwung fügen. Das aber ist der Punkt, an dem jetzt herumhantiert wird: Zieht sich die Krise am eigenen Schopf aus dem Sumpf, um das rettende Ufer neuerlicher Konjunktur zu erreichen, oder muß sie gezogen werden? Kommt eine zehn Jahre lastende Dauerkrise auf uns zu; oder geht es schneller? Kommt es zu einem neuen Wirtschaftszyklus auf der Grundlage neuer Technologien, vor allem im Bereich erneuerbarer Energien, oder wird es ein letztes Aufbäumen des "Fossilismus" (der Wirtschafts- und Konsumtionsweise, die auf der massenhaften Verbrennung von Kohle, Öl und Gas beruht) geben? Was wird dann schneller zusammenbrechen: die darauf beruhenden Technologien oder die Ökosphäre?

Fragen über Fragen, und weit und breit keine regierende Köchin und kein lesender Arbeiter, der sie uns beantwortet. Obama hat in der Pressekonferenz zum "Konjunkturpaket" seiner Regierung gesagt, man wisse aus dem Krisenverlauf in Japan, der in den neunziger Jahren zu einer langanhaltenden Depression geführt hatte, daß es falsch ist, nichts zu tun. Daraus folgt zweierlei: Erstens hat Obama sich mit derlei Themen offenbar ernsthaft beschäftigt; jedenfalls konnte er freihändig die gestellten Fragen beantworten. Und zweitens ist seine Regierung fest entschlossen, etwas zu tun. Das ist bei den anderen Regierungen in den westlichen Ländern beziehungsweise in China und Indien ähnlich. Im Unterschied zu den Krisenpolitikern vor achtzig Jahren, die es für eine gute Idee hielten, nichts zu tun und die Dinge ihrem Lauf zu überlassen, greift jetzt etwas um sich, das vom Politologen ironisch als "Universalisierung kapitalistischen Geistes" bezeichnet werden kann: Alle denken darüber nach, was zu tun ist, um den Kapitalismus wieder flottzumachen.

Da macht die Linke keine Ausnahme. Früher, wenn da die Krise kam, machten die Sozialisten beziehungsweise Kommunisten dicke Backen und tönten mit großen Worten, daß ja nun bald der Kapitalismus zusammenbricht. Darüber könne man nur froh sein, denn danach käme nämlich "der Sozialismus": Die Arbeiterklasse beziehungsweise stellvertretend für sie "die Partei" ergreift die Macht - und alles wird gut. Nichts wurde gut, 1989 wurden die Kommunisten aus der Macht gewählt, und alles begann von vorn: "Zurück auf Los", heißt das bei "Monopoly".

Jetzt sind wir wieder ein Stück davon weg, die Krise ist da, aber kein ernsthafter Theoretiker oder Politiker, der sagen könnte, es sei gut, dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen Verhältnisse zuzuschauen oder ihn gar herbeiführen zu wollen. So verhielt sich die Linkspartei zunächst sogar so, als sei sie in Staatsverantwortung, und ließ die Regierungsparteien ihr Schnellverfahren zur Bankenrettung durchziehen. Dann betonte sie, alles müsse gerechter, demokratischer und vor allem zugunsten der sozial Schwachen ausgestaltet werden. Das klingt grundsätzlich, ist es unter den obwaltenden Verhältnissen auch; das ist aber nicht das große Versprechen von früher, das sich historisch als Illusion erwiesen hat.

Vielleicht ist das auch das Geheimnis, weshalb im politischen Raum derzeit nichts Krisenhaftes passiert. Die Regierung regiert, die Opposition opponiert. In den Sonntagsfragen verharrt die LINKE seit über einem Jahr zwischen elf und 15 Prozent; Krisengewinnler sehen anders aus. Die CDU schwankt zwischen 32 und 37 Prozent, die SPD zwischen 23 und 27 Prozent; auch Verlierer sehen anders aus. Es macht den Eindruck, als hätte der Verlauf der Wirtschaftskrise keinen Einfluß auf die politischen Gewichtsverhältnisse. Einzig die FDP geriert sich als Gewinner. Ende Februar kam sie in der Sonntagsfrage erstmals bei 17 Prozent ein, manche wähnten sie schon bei der magischen 18 des Möllemann seligen Angedenkens, doch eine Woche später waren es wieder nur 15 Prozent. Bemerkenswert ist es trotzdem, daß in der derzeitigen Krise in Deutschland Leute eher die FDP wählen als die Nazis, wie es Anfang der dreißiger Jahre war. Gewiß, man kann das Ergebnis auch in bezug auf das sogenannte bürgerliche Lager soziologisch erklären: Das Verhältnis zwischen CDU und FDP funktioniert nach dem Prinzip kommunizierender Röhren. Angela Merkel hat ihre Partei "sozialdemokratisiert", um der SPD in der "Mitte" Wähler abzunehmen und sie dauerhaft zu schwächen. Damit hat sie am wirtschaftsrechten Rand Raum geschaffen, in den die FDP schlüpft. Der CDU-Wirtschaftsrat hat Guido Westerwelle Anfang März zum Vortrag geladen, und der dankte den "Verbündeten im Geiste". Er geißelte dann die "Enteignungspolitik" der Bundesregierung, doch kein Wort, daß es dort lediglich um die Verfügung über Pleiten-Eigentum geht, in das die Steuerzahler ohnehin schon Dutzende Milliarden Euro gesteckt haben. Dann forderte er wieder einmal Steuersenkungen - für die, die's haben.

Was eine "Universalisierung des kapitalistischen Geistes" scheint, ist in Wahrheit eine harte Auseinandersetzung darum, wer die Kosten der hemmungslosen kapitalistischen Spekulation der vergangenen dreißig Jahre tragen soll. Das Konzept der derzeitigen "Bürgerlichen" ist unredlich und unmoralisch. Überhaupt findet eine Verlotterung statt, die Anstand und Moral weit hinter sich läßt. Zeitgleich mit Westerwelles Bekundungen spitzte sich der "Fall Althaus" zu. Bekanntlich hatte der thüringische Ministerpräsident am Neujahrstag in Österreich einen Skiunfall verursacht, bei dem eine Frau zu Tode kam. Die zuständige Behörde untersuchte den Vorgang, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, und Althaus wurde wegen "fahrlässiger Tötung" verurteilt. Damit ist er auch für deutsche Verhältnisse vorbestraft, soll beziehungsweise will aber zu den Thüringischen Landtagswahlen im August als Spitzenkandidat der CDU antreten. Ein vorbestrafter Ministerpräsident wäre etwas Neues in der bundesdeutschen Geschichte. Das macht nichts, meinte der CDU-Fraktionsvorsitzende in Thüringen, es gäbe "keine politische Kategorie, in die man dieses Urteil einordnen kann. Der Politiker Althaus bleibt davon unbelastet." Mit anderen Worten, der skifahrende Mensch Althaus und der Politiker Althaus seien zwei völlig verschiedene Personen; Dr. Jekyll und Mr. Hyde seien zu unterscheiden.

Derweil dankte Althaus seinen Anhängern für "Solidarität" und "Anteilnahme". Anteilnahme wäre wohl angezeigt gewesen gegenüber den Hinterbliebenen der Getöteten. Und "Solidarität"? Mit wem? Mit dem Skifahrer, der Menschen zu Tode bringt? Mit dem Politiker, der mit dem Tötenden nichts zu tun hat? Welch eine Moral - wie die, staatliche Verfügung über die Pleitefirmen verhindern und dem Rettungspakete schnürenden Staat weitere Steuereinnahmen verweigern zu wollen.

Was aber passiert, wenn diese Unmoral wahlpolitische Folgen hat?


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 6, 12. Jg., 16. März 2009, S. 1-3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009