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DAS BLÄTTCHEN/1636: Auf dem Weg zum Verbot von Atomwaffen


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 22 | 24. Oktober 2016

Auf dem Weg zum Verbot von Atomwaffen

von Jerry Sommer


Bei der laufenden UN-Vollversammlung haben Österreich, Brasilien, Irland, Mexiko, Nigeria und Südafrika eine Resolution vorgelegt, nach der die Vereinten Nationen im kommenden Jahr eine Konferenz über ein Verbot von Atomwaffen einberufen werden. Diese Konferenz soll dann, "ein rechtsverbindliches Dokument aushandeln, das Atomwaffen verbietet mit dem Ziel, diese vollständig zu vernichten".

Es wird damit gerechnet, dass der vorgelegte Entschließungsantrag mit deutlicher Mehrheit angenommen wird. Über 107 Staaten haben sich bereits dafür ausgesprochen. Österreich ist einer der Initiatoren der Resolution. Das Land engagiert sich seit Jahren besonders stark gegen Atomwaffen. Der österreichische Botschafter bei den UN-Organisationen in Genf, Thomas Hajnoczi begründete das Engagement: "Ohne Verbot ist es bisher noch nie zu einer Abschaffung einer Waffengattung gekommen. Und natürlich fällt es auf, dass die anderen Massenvernichtungswaffen verboten sind. Und jeder fragt sich, warum nicht Nuklearwaffen, die eine noch viel schrecklichere Wirkung haben."

Doch eine Ächtung von Nuklearwaffen ist im Unterschied zum Chemie- und Biowaffenverbot umstritten. Die fünf offiziellen Atommächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich wehren sich in ungewöhnlicher Eintracht gegen eine solche Entschließung. Ein Verbot sei unrealistisch, argumentiert zum Beispiel die Regierung in Washington, weil es die Sicherheitslage der USA und ihrer Verbündeten nicht berücksichtige. Die Sicherheit des Landes basiere nach wie vor auf der nuklearen Abschreckung. Anita Friedt vom US-Außenministerium behauptete zudem auf einer Tagung in Washington im September: "Die Verbotsbewegung könnte am Ende den bewährten, praktischen Abrüstungsbemühungen schaden. Diese haben bisher zu konkreten Ergebnissen bei der nuklearen Abrüstung geführt und werden das auch in Zukunft tun."

Diese Sichtweise wird allerdings von sehr vielen Staaten nicht geteilt. Zu Recht, findet Dan Smith, der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI:

"1990 gab es weltweit noch 60.000 Atomsprengköpfe. Heute haben wir weniger als 16.000. Das ist ein Erfolg, aber es hat viel Unmut hervorgerufen, dass die Abrüstung inzwischen zum Stillstand gekommen ist."

Die kleineren Atommächte Frankreich, Großbritannien, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea haben sich bis heute zu keinerlei nuklearen Abrüstungsvereinbarungen bereiterklärt. Und auch Russland und die USA, die zusammen über 90 Prozent aller Atomwaffen verfügen, verhandeln seit sechs Jahren nicht mehr über weitere Abrüstungsschritte. Moskau lehnt solche Gespräche ab, solange sich Washington weigert, auch Raketenabwehrsysteme zu begrenzen. - Gleichzeitig haben die politischen Spannungen zwischen den USA und Russland sowie China zugenommen - aber auch zwischen Indien und Pakistan gärt es. Und alle Nuklearstaaten sind dabei, ihr Atomarsenal für mehrere hundert Milliarden Dollar zu modernisieren. Für Beatrice Fihn, Sprecherin der internationalen Kampagne für die Abschaffung der Atomwaffen "ICAN", ist das ein Grund mehr, sich jetzt für einen Verbotsvertrag einzusetzen. Das Argument, Verhandlungen über eine Ächtung der Nuklearwaffen seien schädlich, hält sie für absurd: "Alle Regierungen haben sich schließlich zu dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Wie kann es da schädlich sein, wenn man Atomwaffen vertraglich verbietet? Es ist doch eher gut, wenn Länder erklären, keine Atomwaffen besitzen zu wollen."

Das sieht der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, anders: "Die Habenichtse darüber verhandeln zu lassen, dass diejenigen, die Atomwaffen haben, diese abrüsten, halte ich für ziemlich sinnlos. Es wird nichts erbringen, außer, dass es bei uns die Diskussionen in eine Richtung lenkt, die nicht besonders hilfreich ist."

Denn der Westen, so Krause, stehe heute vor allem vor der Aufgabe, eine Antwort auf neue russische Bedrohungen zu finden. SIPRI-Direktor Dan Smith widerspricht: "Genau so funktionieren Rüstungswettläufe: Jede Seite sieht das Negative nur bei der anderen und behauptet, nur auf eine Bedrohung zu antworten. Das Ergebnis ist eine gegenseitige Bedrohung und eine gegenseitige Eskalation, die natürlich auch gemeinsam zurückgedreht werden kann."

Selbstverständlich werde ein Vertrag, der Atomwaffen verbietet, nicht ausreichen, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen, sagt Smith. Aber die Meinung der Weltöffentlichkeit, die ein solcher Verbotsvertrag widerspiegeln würde, wäre das beste Mittel die Atommächte zu drängen, überhaupt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt zu gehen.

Die Atommächte wehren sich so vehement gegen Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot, weil sie befürchten, dass ihre Handlungsfreiheit durch ein wachsendes Anti-Atomwaffenklima eingeschränkt werden könnte. Das wiederum ist gerade die Hoffnung der Vertragsbefürworter. Beatrice Fihn von der internationalen Initiative zur Abschaffung der Atomwaffen: "Wir hoffen, dass ein solcher Verbotsvertrag Atomwaffen noch mehr brandmarkt, noch mehr delegitimiert. Wir hoffen, dass ihr Besitz für die Atommächte noch unattraktiver wird und dass er sie auch zu mehr nuklearer Abrüstung anspornt."

Neben den Atommächten werden sich vermutlich auch die meisten Bündnispartner der USA in der UN-Vollversammlung gegen solche Verbotsverhandlungen aussprechen. Deutschland hat bisher immer ein Verbot von Atomwaffen abgelehnt, weil es der NATO-Doktrin widersprechen würde. Danach wird die Sicherheit aller NATO-Staaten letztlich nur durch Atomwaffen gewährleistet. Doch das ist eine durchaus zu hinterfragende Annahme, wenn man aktuelle Konfliktszenarien betrachtet: Im Kampf gegen den internationale Terrorismus spielen Atomwaffen überhaupt keine Rolle. Und in einem Krieg gegen Russland könnte jeder Atomwaffeneinsatz zu einem Weltkrieg mit katastrophalen Folgen für das Überleben der Menschheit führen.

Die westlichen Staaten bewerten ein Atomwaffenverbot durchaus unterschiedlich. Von den EU-Mitgliedsländern haben sich nicht nur Österreich, sondern auch Irland, Malta und Zypern dafür ausgesprochen. Die NATO-Mitglieder Norwegen, Niederlande und Portugal haben sich bei einer Abstimmung im August zu diesem Thema in einer UN-Arbeitsgruppe ebenso enthalten wie die EU-Staaten Schweden und Finnland - wohl auch wegen des Meinungsklimas im eigenen Land.

Österreichs Genfer UN-Botschafter geht davon aus, dass die UN-Generalversammlung Ende Oktober oder Anfang November den Antrag mit deutlicher Mehrheit verabschieden wird. Die Atommächte würden erwartungsgemäß dagegen stimmen. Offen sei aber, ob sie sich an der entsprechenden Konferenz im kommenden Jahr beteiligen würden. Selbst wenn ein Nuklearwaffenverbot am Ende ohne Zustimmung der Atommächte und vieler ihrer Verbündeten zustande käme, wäre eine solche Vereinbarung nicht wirkungslos. Das hätten beispielsweise die Erfahrungen mit dem Antipersonenminenvertrag von 1997 gezeigt, meint Thomas Hajnoczi: "Da waren am Anfang von jenen Ländern, die Minen produzieren, keines dabei. Und wenn sie sich heute die Landschaft anschauen, dann werden Sie sehen, dass fast keine Antipersonenminen mehr gelegt werden, eine industrielle Erzeugung gibt es nicht mehr. Und auch Staaten, die nicht beigetreten sind, respektieren diese Norm."

Ähnliche Wirkungen erhofft er sich von einem Nuklearwaffenverbot. Dabei würde ein entsprechender Vertrag wohl zunächst einmal nur Atomwaffen ächten - und damit rechtlich und politisch neue Normen setzen. Danach wird man sich aber darüber verständigen müssen, wie die Ächtung der Nuklearwaffen verifiziert und überwacht werden kann - und wie und in welchem Zeitraum die Atommächte ihre vorhandenen Bestände vernichten müssen. Das ist ohne Beteiligung der Nuklearwaffenstaaten nicht möglich. Diskussionen und Streit über ein Atomwaffenverbot und seine Umsetzung sind also vorprogrammiert. Sie werden auch die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Jahre 2020 beschäftigen.

Der Artikel ist eine leicht veränderte Version eines Beitrages für "Streitkräfte und Strategien" (NDR-Info, 9.10.2016).

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 22/2016 vom 24. Oktober 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2016

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