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DAS BLÄTTCHEN/1210: Folter, ganz demokratisch


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 15 | 23. Juli 2012

Folter, ganz demokratisch

von Frank-Rainer Schurich



Zu kleine Zellen und Videoüberwachung auf den Toiletten - die deutsche Anti-Folter-Stelle prangerte in ihrem Bericht Anfang April 2012 schlechte Bedingungen in hiesigen Gefängnissen an. "Die Nationale Stelle ist auf keine Anzeichen von Folter gestoßen", heißt es im Jahresbericht 2010/2011 der Behörde des Bundes und der Länder in Wiesbaden. In den sieben geprüften Gefängnissen - von insgesamt 176. Zum Internationalen Tag zur Unterstützung der Folteropfer, der an das Inkrafttreten der Antifolterkonvention am 26. Juni 1987 erinnert, kann sich Deutschland dennoch nicht zurücklehnen.

Folterbefürworter hat es in der BRD immer gegeben. Ernst Albrechts fundamentaler Aufsatz "Der Staat - Idee und Wirklichkeit" aus dem Jahr 1976 ist ein herausragendes Beispiel zum Thema "Der Zweck heiligt die Mittel" oder "Wie man im Rechtsstaat ungestraft foltern kann". Albrecht, der immerhin niedersächsischer Ministerpräsident wurde, hatte geschrieben: "Wenn es z. B. etabliert wäre, dass ein bestimmter Kreis von Personen über moderne Massenvernichtungsmittel verfügt und entschlossen ist, diese innerhalb kürzester Zeit einzusetzen, und angenommen, dieses Vorhaben könnte nur vereitelt werden, wenn es gelingt, rechtzeitig den Aufenthaltsort dieser Personen zu erfahren, so kann es sittlich geboten sein, die Information von einem Mitglied des betreffenden Personenkreises auch durch Folter zu erzwingen, sofern dies wirklich die einzige Möglichkeit wäre, ein namenloses Verbrechen zu verhindern."

Der Publizist Günter Schwarberg schrieb dazu im Januar 1977: "Es ist weit gekommen mit unserem Rechtsstaat, in dem ein Kommunist aus Staatsschutzgründen nicht mehr Lokomotive fahren darf, aber ein CDU-Politiker wie Ernst Albrecht, der für die Folter als besonders wirksames Abwehrmittel gegen Terroristen war, Ministerpräsident von Niedersachsen werden kann."

Über dieses Albrecht'sche Elaborat gibt es 1979 ein fiktives Rondo für verteilte Medien: "Wie ein Gesetz entsteht". Autor ist der Kabarettist Dietrich Kittner. In seiner höchst aktuellen Satire formuliert Kittner ein "Gesetz zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit", dessen Paragraf 3 bestimmt: "Eine Erkenntniserzwingungsbehandlung ist nur möglich in Ausnahmefällen und auf Anordnung des Justizministers oder des Innenministers oder - falls diese verhindert sind - des Polizeipräsidenten, oder eines Polizeirevier-Vorstehers oder - falls diese verhindert sind des Nachtwächters des nächstgelegenen Ordnungsamtes oder der städtischen Müllabfuhr."

Im Fall Jakob von Metzler waren mit der Folterandrohung gegenüber den Beschuldigten Magnus Gaefgen durch den ehemaligen Polizeivizepräsidenten von Frankfurt/Main, Wolfgang Daschner, die Albrechts alle wieder auferstanden.

Der Philosophieprofessor Oswald Schwemmer (Humboldt-Universität zu Berlin) schwadronierte im "Tagesspiegel" unter Berufung auf Aristoteles (!), dass es Situationen gäbe, in denen "eine Berichtigung des Gesetzes" angebracht oder notwendig sei, wenn es diesen Einzelfall aufgrund seiner Allgemeinheit nicht treffe. Der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) fand die Folterandrohung "menschlich sehr verständlich", sogar die Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) meinte, dass die Androhung von Gewalt nach den Grundsätzen eines Notstandes ausnahmsweise legitimiert sei, und für Geert Mackenroth, damals Präsident eines deutschen Landgerichts und im Ehrenamt Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, sind Fälle vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein können.

Sogar im kleinen Brandenburg gab es eine Folter-Debatte. Der CDU-Innenpolitiker und Vizeparteichef Sven Petke forderte, der Polizei in Ausnahmefällen eine "härtere Gangart" bei Verhören zu erlauben. Für Petke ist es "falsch verstandener Liberalismus", wenn der Generalstaatsanwalt des Landes, Erardo Rautenberg, bei Gewaltandrohung in Polizeiverhören die "Grundlage unseres Staates in Frage gestellt" sieht.

Natürlich ruderten fast alle hier Genannten zurück - das war alles nicht so gemeint. Natürlich, Folter ist und bleibt verboten, Ausnahmefälle darf es nicht geben.
Wirklich?

Das Bundeskriminalamt hatte seit den sechziger Jahren Folterregimes in aller Welt umfangreiche "Polizeientwicklungshilfe" geleistet, wie Dieter Schenk in seinem Buch "Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA" aufgedeckt hat. 1988 wurden 130 Besucher aus Folterstaaten und 18 aus solchen mit Todesschwadronen in allen Ehren im BKA empfangen, teilweise in Wiesbadener Nobel-Restaurants oder im Rheingau zum Essen ausgeführt; im Gegenzug suchten 143 BKA-Beamte Polizeibehörden von Folterregimes auf und elf Beamte Staaten mit Todesschwadronen. "Geht man solchen Geschäftsbeziehungen auf den Grund", so Dieter Schenk, "dienen sie nicht selten dazu, kapitalkritische Gewerkschafter und Umweltschützer aus dem Weg zu räumen."

Linke Aktivisten haben schon oft staatlich sanktionierte Gewalt zu spüren bekommen. Verbote und Gesetze sind immer nur eine Seite der Machtausübung. "Wir müssen wohl davon ausgehen, dass gegen alles Recht und gegen alle Verbote Folter eingeübt und ausgeführt wird", schrieb Günter Schwarberg 2004 zum Daschner-Fall. "Nur erfahren wir es normalerweise nicht. 'Reden ist Silber, Schweigen ist Gold', hat der pensionierte Richter Günter Bertram, der viele Jahre Vorsitzender einer Großen Strafkammer beim Landgericht Hamburg war, zur Frage des Folterns in einem Mitteilungsblatt Hamburger Richter geschrieben. Ein 'Schweigen, in dessen Mantel das Vernünftige, Nötige und rechtlich jeweils Vertretbare geschehen könnte'. So hätten sie's gern, und jeder Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen."

Die schon erwähnte deutsche Anti-Folter-Stelle ist selbst nur eine Feigenblatt-Kommission oder ein "Magersuchtmodell", wie die Grünen-Politikerin Christa Nickels formulierte. Die CDU-regierten Länder verzögerten lange den deutschen Beitritt zum Ende 2002 von der UN-Vollversammlung verabschiedeten Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention, das solche Kommissionen vorschreibt, die Gefängnisse und Arrestzellen inspizieren müssen. Als Bundes- und Länderkommission mit nur fünf ehrenamtlichen Mitgliedern und Mitteln für nur drei wissenschaftliche Mitarbeiter sowie eine Bürokraft ist die Schlagkraft im Kampf gegen die Folter von vornherein arg begrenzt. Der bisherige Vorsitzende der Länderkommission Hansjörg Geiger, schon Chef des Verfassungsschutzes und des BND, bot wohl keine wirkliche Garantie, dass ernsthaft Folter aufgedeckt wird. Gerade durch den NSU-Verfassungsschutz-Skandal scheint es sinnfällig geworden zu sein, dass sich diese Behörden kaum an die rechtsstaatlichen Regeln halten; sie verbiegen die Gesetze nach Belieben und fühlen sich beim Rechtsbruch auch noch unantastbar ...

Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass im "Krieg gegen den Terrorismus", der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom damaligen US-Präsidenten Georg W. Bush ausgerufen wurde, die Folter auf perfide Weise wiederauferstanden ist. Foltermethoden sind in einer internen US-Anweisung detailliert benannt worden, Waterboarding zum Beispiel wurde vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA und von anderen Regierungsbehörden in großem Umfang angewandt.

Ex-Präsident Bush junior und alle anderen Verantwortlichen für die Wiederbelebung von Folter als gängige Praxis gehörten also vor ein internationales Strafgericht, denn sie haben exzessiv gegen die Menschenrechte und damit gegen geltendes internationales Recht verstoßen. Im Namen einer imaginären Demokratie und Freiheit haben sie angeordnet oder sanktioniert, dass Menschen in unsäglicher Weise gequält und erniedrigt werden. Auch der politische Schaden ist enorm, denn damit haben sie jedem kleinen, bösen Folterer auf dieser Welt das Signal gegeben, dass man auch rechtsstaatlich und ganz demokratisch foltern darf und kann.

"Und wir?" fragt Frank Strickstrock in seinem Nachwort zum Buch von Glenn L. Carle "Interrogator. In den Verhörkellern der CIA". "Haben nicht auch deutsche Politiker Verhörprotokolle verteidigt, die auf Folter beruhen? Wurden nicht von deutschem Boden aus zahlreiche CIA-Geheimflüge mit entführten Bürgern anderer Länder dirigiert oder gar durchgeführt? Wozu haben sich eigentlich deutsche Ermittler in amerikanischen Folterlagern aufgehalten?" - Ja wozu?

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 15/2012 vom 23. Juli 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2012