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DA/581: Teilhabe im Arbeitsleben und ihre betriebliche Verfassung


DA - Direkte Aktion Nr. 227 - Januar/Februar 2015
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

Hier endet der demokratische Sektor
Teilhabe im Arbeitsleben und ihre betriebliche Verfassung

von Rolf Schneider (FAU Frankfurt a.M.)


In der Auseinandersetzung mit dem Thema "Partizipation", einem häufig floskelhaft wie inflationärer gebrauchtem Begriff, ist die Betrachtung der Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsplatz ein wichtiger Teilaspekt. Wie sieht eigentlich unsere Partizipation an betrieblichen Entscheidungen aus und welche rechtlichen Grundlagen regeln den Rahmen in dem wir uns bewegen?

Die Zusammenarbeit der Menschen in einem Betrieb ist im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt und das beginnt in § 1 mit der Feststellung: "In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt."


Das Betriebsverfassungsgesetz

Mit der Durchsetzung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1952 wurden die Gewerkschaften als Organisationen aus den innerbetrieblichen Regelungen verdrängt. An ihre Stelle traten die neu geschaffenen Betriebsräte, eine Institution, die alle vier Jahre von der gesamten Belegschaft eines Betriebes gewählt werden kann und die verschiedene Informations-, Beratungs- und Beteiligungsrechte hat.

Ursprünglich wurde das System der Betriebsräte 1920 von der SPD und den (A)DGB-Gewerkschaften gegen den erbitterten Widerstand der radikalen Teile der Arbeiterschaft durchgesetzt, um das Fortbestehen des Kapitalismus nach dem 1. Weltkrieg zu sichern. Bei einer Demonstration von 100.000 ArbeiterInnen gegen das geplante "Betriebsrätegesetz" erschossen Soldaten damals 42 Menschen.

Nach der Niederlage des deutschen Faschismus wurde das System wieder aufgegriffen. Dabei gab es aber einige Hindernisse zu überwinden, denn im Mai 1952 befanden sich fast 1,5 Millionen Menschen mit Warnstreiks und Demonstrationen im Kampf gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Wieder stellte sich die Führung der DGB-Gewerkschaften auf die Seite von Regierung und Unternehmen, indem sie beschlossen den Kampf abzublasen, weil "man sich nicht dem Vorwurf aussetzen dürfe, dass man das Parlament unter Druck setzen wolle".

So konnte 1952 das neue Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet werden. Es regelt, wie sich die Beschäftigten im Betriebsablauf zu artikulieren haben und es legt die Position des Betriebsrates als Vertreter der Beschäftigten fest, sowie seine Rechte und Pflichten. Den Beschäftigten wird dabei so gut wie jede Entscheidungsbefugnis über ihre eigenen Belange genommen. Die Betriebsräte sind dafür fast unkündbar, so dass sie ihre Rechte und Pflichten ohne akute Gefahr für den eigenen Arbeitsplatz wahrnehmen könnten.


Die betrieblichen Beteiligungsrechte

Der Betriebsrat ist eine Institution des Betriebes und diesem besonders verpflichtet. Nach § 80 muss er Maßnahmen beim Arbeitgeber beantragen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen. Über die Anregungen und Bedenken des Betriebsrates kann sich der Arbeitgeber hinwegsetzen. Nach § 87 bestimmt der Betriebsrat in allen Fragen der Ordnung und des Verhaltens der ArbeitnehmerInnen im Betrieb mit, bei Arbeitszeitregelungen, bei Zeiterfassung und Leistungskontrolle, bei Festsetzung der Akkordsätze und ähnlichem. Nach § 92 wird der Betriebsrat über Veränderungen im Bereich der Arbeitsplätze unterrichtet und darf mitberaten. In Fragen der Berufsausbildung kann er Vorschläge machen. Bei Kündigungen wird er angehört und darf, innerhalb einer Woche, widersprechen. Die Kündigung bleibt natürlich bestehen (§ 102).

So geht das fort und leicht ist festzustellen, worin die Substanz des BetrVG besteht. Es verwickelt die "Vertreter" der Beschäftigten in alle Fragen und Entscheidungen aus denen betriebliche Konflikte erwachsen können, ohne dass sie inhaltlich wirklich Einfluss nehmen können. Betriebsräte dürfen bei Konflikten im Betrieb nicht einmal zum Streik aufrufen, das ist nach § 74 (2) verboten. Das Streikrecht ist ausschließlich den Gewerkschaften vorbehalten.

So ist der Betriebsrat eine zahnlose Institution. Er kann im Rahmen seiner Mitspracherechte durchaus eine Reihe von Entscheidungen des Managements verzögern oder bisweilen blockieren, und hat bei anderen Dingen zumindest das Recht gehört oder informiert zu werden. Das alleine mag schon manche Firmenleitung ärgern. Aber wenn es hart auf hart kommt, bleibt dem Betriebsrat kaum mehr als der Gang zur Einigungsstelle oder zum Arbeitsgericht.

Dort, wo eigentlich eine direkte Auseinandersetzung zwischen Belegschaft und Firmenleitung angesagt wäre, wird der Konflikt durch das BetrVG auf eine Stellvertretungsebene verlagert. Die Konsequenz ist oft, dass dann kaum jemand den eigenen Hintern bewegt, um sich selbst um die eigenen Belange zu kümmern, denn dafür hat man ja den BR gewählt. Wenn der Betriebsrat seine Arbeit gut macht, wird er vermutlich wiedergewählt und die KollegInnen sind froh, dass sich jemand um die Probleme im Betrieb kümmert. Die Stellvertretungspolitik wird auf diesem Weg aber zementiert, auch wenn dies von den Betriebsräten oft nicht gewollt ist. Diese Erfahrungen haben auch eine ganze Reihe von FAU Mitgliedern gemacht, die früher selbst einmal Betriebsräte waren.

Wir gehen daher lieber den Weg Betriebsgruppen aufzubauen, denn die können kollektive Kampfkraft entwickeln, Arbeitskämpfe führen und streiken. Und nur diese Kämpfe können wirkliche Verbesserungen unserer Arbeits- und Lebenssituation bringen und das Bewusstsein für Solidarität und Eigenverantwortlichkeit entwickeln.

So macht eine Partizipation an den Abläufen im Betrieb dann auch Sinn.

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Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 227 - Januar/Februar 2015, Seite 8
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)
Verleger: Direkte Aktion e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2015

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