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CORREOS/157: Buchbesprechung - "Die Farce hinter dem Drogenkrieg" von Nancy Flores


Correos des las Américas - Nr. 171, 16. September 2012

«Die Farce hinter dem Drogenkrieg»
Ein wichtiges Buch von Nancy Flores.

von Dieter Drüssel



Vor einigen Monaten publizierte Nancy Flores Nández das Buch «La Farsa detrás de la guerra contra el narco» (Die Farce hinter dem Drogenkrieg). In ihrem hier übersetzten Artikel fasst sie einige der Themen des Buches zusammen. Auch im Buch stützt sie sich vorwiegend auf offizielle Angaben der mexikanischen und US-Administrationen inklusive einiger über das Gesetz zum Informationsrecht erhaltener weiterer Dokumente des mexikanischen Staates. Die Autorin hält sich an eine alte Maxime: Follow the Money! Die Zahlen aber sprechen eine interessante Sprache, die der Strafrechtler und Dozent an der mexikanischen staatlichen Uni UNAM, Delio Dante López Medrano, so übersetzt: «Wir können uns an eine Schlussbilanz dieser [sechs Jahre Regierung Calderón] wagen: Den Krieg gegen die organisierte Kriminalität unter der Regierung Calderón hat es nie gegeben.Wenn die Streitkräfte oder die Polizei Verhaftungen vornehmen, handelt es sich meist um burreros [Kleintransporteure], Kleindealer, aber nie werden die Strukturen [der Kartelle] tangiert; sie und ihre Finanzen bleiben intakt.» (S. 92)

Nancy Flores unterlegt dies u. a. mit Angaben zur grassierenden Straffreiheit. Der Strafrechtler und ehemalige Untersuchungsleiter der mexikanischen Staatsanwaltschaft, Felipe Garcia Cordero, betont, dass «wir nicht einen Prozess wegen Geldwäscherei oder Verhaftungen von Unternehmern oder öffentlichen Funktionären finden, die für ihre Komplizenschaft mit dem Verbrechen verurteilt worden wären» (S. 63).

Wenn laut US-Behörden die mexikanischen Kartelle allein mit dem Drogendeal in den USA $18 bis 39 Mrd. Einnahmen erzielen, und, wie im Artikel dargelegt, im Zeitraum 2007 bis 2011 davon $1.14 Mrd. mit Überweisungen nach Mexiko gewaschen wurden, stellt sich die Frage nach dem Verbleib des doch beträchtlichen, über Neuinvestitionen, Löhne etc. herausgehenden «Restes» von, je nach US-Regierungsquelle, $ 81-175.5 Mrd. Eigenartigerweise finden wir dazu auch auf den Wirtschaftsseiten «unserer» Medien nie Hinweise.

Die offiziellen Regierungsdokumente beider Staaten weisen eine Beschlagnahmungsquote von gerade mal 0.25 Prozent der Kartellgewinne aus dem Drogenhandel aus.Glaubt man der Aussage von Ginger Thompson in ihrem New York Times-Artikel vom 3. Dezember 2011, hat die US-Drogenbehörde DEA im Jahr 2010 allerdings zwischen 2.5 und 5.5 Prozent der Kartellgewinne jenes Jahres beschlagnahmt. (Für beide Angaben ist einzubeziehen, dass die Kartelle auch Gewinne mit dem Handel von Menschen, Waffen, Edelhölzern etc. oder Prostituion sowie mit dem Drogenhandel nach Europa u.a. machen, die hier nicht eingerechnet sind.) Begründung für die lächerliche Beschlagnahmungsquote ein, die der mexikanische Regierungsbericht «Geldwäscherei: Binationale Indikatoren und Aktionen der Regierung» so wiedergibt: Der Kapitaltransfer sei äusserst schwierig zu entdecken, da die Kartelle vorwiegend die Methode «der Ameisenroute» benutzen, «täglich überqueren Personen die Grenze, die kleine Beträge mit sich führen, zwischen $5000 und $10.000». Was Flores zum Kommentar motiviert: «Wenn diese Behauptung richtig ist, müsste die Ameisenroute 7 Millionen mal benutzt werden, um die $39 Mrd. über die bestbewachte Grenze der Welt zu bringen.» (S. 91) Das wären bloss rund 20.000 Schmuggeleinsätze jeden Tag im Jahr.

Das Buch verweist auch auf andere Methoden, deren Ziel darin besteht, die Struktur der Kartelle bestehen zu lassen. So wird der «Drogenkrieg» militärisch geführt, aber na heliegende kriminalpolizeiliche und geheimdienstliche Aufklärungen fristen ein Randdasein. Ihre «ökonomische» Sichtweise lässt Nancy Flores mehrmals darauf insistieren, dass es zwar durchaus zu «spektakulären» Verhaftungen oder Morden an Narcochefs kommen kann, diese aber jederzeit ersetzt werden können, solange eben die Finanzbasis der Kartelle in Ruhe gelassen wird. Diese wird gerade kaum angetastet, dafür eskaliert der «Drogenkrieg» mit offiziell schon über 60.000 darin umgekommenen Menschen. Die USA liefern militärische Ausrüstung im Wert von $1.3 Mrd., kontrollieren das mexikanische Territorium spätestens seit März letzten Jahres mit Drohnen usw. 3.000 Fälle von Verschwundenen mit politischem Hintergrund, eindeutige Aufstandsbekämpfungsaktionen der Armee unter dem Feigenblatt des Drogenkrieges in Zonen mit linker Guerilla oder Sozialbewegungen, vor dem Hintergrund der 2005 von den USA mit Kanada und Mexiko ins Leben gerufenen Security and Prosperity Partnership of North America (SPP, spanisch ASPAN), die nicht nur eine militärische Integration unter US-Kommando, sondern ebenso die Totalprivatisierung des mexikanischen Reichtums in transnationale Hände festlegt, lassen erkennen, woher der Sturm bläst.


Immunitäten

Flores insistiert darauf, dass, bleibt die ökonomische Basis unangetastet, auch die obersten Kartellbosse jederzeit ersetzbar sind. Dies ist auch interessant im Hinblick auf eine in letzter Zeit vermehrt herumgereichte Mutmassung, dass jetzt auch Führungspersonal des offenbar weitaus grössten Kartells, jenes von Sinaloa unter «Chapo» Guzmán, gefangen und der US-Justiz zugeführt werden könnte. Bisher ist dieses Kartell klar protegiert worden, was Flores u.a. anhand der im Vergleich zu den anderen Kartellen geringen Zahlen von Verhafteten erläutert. Sie geht auch auf den Prozess gegen Jesús Vicente Zambada Niebla vom Sinaloa-Kartells vor einem Bundesgericht in Chicago ein. Seiner Verteidigung zufolge hat die DEA dem Sinaloa-Kartell im Austausch für Infos über die Konkurrenz Immunität und Carte blanche für seine Aktivitäten zugesichert. Einen Tag vor seiner Verhaftung habe sich Zambada Niebla noch mit DEA-Agenten im Hotel Sheraton in der mexikanischen Hauptstadt getroffen. Am 2. Dezember 2011 übergab das US-Justizministerium dem Gericht eine Erklärung des DEA-Agenten Manuel Manny Castanon, der das Treffen bestätigte, aber ein Immunitätsabkommen abstritt. Auch Bundesanwalt Patrick J. Fitzgerald bestritt die Immunität, das Sinaloa-Kartell habe sich einzig verpflichtet, über Aktivitäten seiner Konkurrenz zu informieren - ohne Gegenleistung, höchst plausibel (S. 163). (Die DEA hat, angeblich zu Ermittlungszwecken, selber grosse Geldbeträge für die Kartelle gewaschen, s. Correos 169).

Blödes Foto: Am 10. August 2012 wurden in Madrid vier offenbar wichtigere Kader dieses Kartells festgenommen, darunter ein Cousin des Topbosses. Einer der Verhafteten, Celaya Valenzuela, hat auf seiner Facebook-Seite zahlreiche Fotos veröffentlicht, auf denen er zusammen mit dem neuen Wahlbetrugsieger bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen, Enrique Peña Nieto, während dessen Kampagne in die Kamera strahlt. Zwar liess dessen Partei, der PRI, verlauten, Peña Nieto sei mit unzähligen ihm unbekannten Personen abgebildet worden, was aber Quatsch ist. Es galt im Gegenteil, zahlreiche Sicherheitsschleusen zu passieren, bis man an die Seite des Mannes vordringen durfte.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 171, 16. September 2012, S. 19-20
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2012