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CORREOS/152: Honduras - Gegen die «kolumbianische Lösung»


Correos des las Américas - Nr. 170, 26. Juni 2012

HONDURAS I
Gegen die «kolumbianische Lösung»
Die EU-zertifizierte Putschdemokratie setzt Morde gegen die Landrebellion und eine linke Wahlperspektive ein.

von Dieter Drüssel



Ende Mai fand im Gebiet des unteren Aguán-Flusses an der honduranischen Karibikküste eine wichtige internationale Audienz statt, unter Beteiligung namhafter internationaler NGOs und Menschenrechtsorganisationen wie der FIDH, CIFCA, FIAN International, dem Weltkirchenrat, aber auch von UITA, Lateinamerika-Arm des internationalen Lebensmittelgewerkschaftsbundes. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS, die EU und das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte stellten BeobachterInnen. Thema: die Ermordung von bisher 48 BäuerInnen (und ein seit Mitte Mai 2012 «verschwundener» Bauer) in dieser Gegend des Bajo Aguán seit September 2009. Auch ein über die Situation informierender Journalist und seine Gefährtin sind ermordet worden. (Seit Amtsantritt der Regierung Lobo im Januar 2010 sind 25 Medienschaffende ermordet worden.) Als Ergebnis soll etwa die internationale Observation im Bajo Aguán intensiviert werden und die EU soll auf die Ratifizierung des Freihandelsvertrages mit Honduras verzichten.

Die Morde an den BäuerInnen stehen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von bäuerischen Kooperativunternehmen durch einige wenige, von Miguel Facussé angeführte Agroindustrielle, die hier Palmöl, heute hauptsächlich für Agrosprit, herstellen. Die privaten Sicherheitsdienste von Facussé & Co. terrorisieren in engster Zusammenarbeit mit den «Sicherheitskräften» die Siedlungen der Kooperativen, vergewaltigen Frauen, die sich für ihre verhafteten oder ermordeten Verwandten einsetzen, organisieren immer wieder im Verbund mit den staatlichen Repressionskräften schwer bewaffnete Besetzungen der Comunidades und werden von keinem Gericht belangt - die Justiz führt dafür mutmasslich hunderte von Untersuchungen gegen oft verhaftete BäuerInnen wegen Landbesetzungen u.ä. durch. Facussé & Co. haben einen beträchtlichen Teil ihrer Landimperien an der Karibikküste dank Gesetzesmanipulation von BäuerInnen geraubt.


Mordapparat gegen Sozialbewegungen

Im August 2011 hat die Regierung Lobo mit der Grossoperation Xatruch II die Gegend militarisiert, angeblich, um Ruhe und Sicherheit in die Gegend zu bringen. Real hat sich an der Straflosigkeit für die Mörder nichts geändert, im Gegenteil hat sich die Situation noch zugespitzt. Ein weiteres Element, das die Situation vermutlich noch verschärft, ist der Drogenhandel. Seit September 2009 sind auch 12 private Sicherheitsmänner in der Gegend von Auftragskillern umgebracht worden, letzten März wurden 5 Armeeangehörige bei einem Angriff einer bewaffneten Gruppe verletzt. Selbst Lobo mochte für einmal die Schuld nicht einer imaginären Guerilla anhängen, sondern machte eine «kriminelle Bande» dafür verantwortlich. Die Auftragsmorde an Privatbullen deuten auf Kämpfe über die Kontrolle von Drogenkorridoren hin. Wer dazu mit Bestimmtheit viel weiss, ist Putschfinancier Facussé. Ein von Wikileaks veröffentlichtes US-Botschaftskabel vom 4. März 2004 (TEGUCIGALPAPAooo672) bringt den Agroindustriellen, Weltbank-Sozius und WWF-Partner beim Lobbyunternehmen «Nachhaltiges Palmöl» in unbestreitbaren Zusammenhang mit dem Kokainschmuggel in die USA (s. Correos 167, Sep. 2011).

Wie schwierig die Lage für die BäuerInnen ist, zeigt der Umstand, dass eine ihrer Organisationen, das MUCA, Anfang Juni 2012 unter massivem Druck eine Vereinbarung mit der Regierung unterzeichnete, mit dem es sich zur Kreditaufnahme verpflichtete, um die Ländereien, die fast 2000 Familien nach einer ersten Räumungswelle seit 2010 bearbeiten, von den drei in der Region dominierenden Landusurpatoren zu kaufen. Das Problem: Die fraglichen Böden werden von Facussé und seinen Klassenkomplizen zu teilweise massiv überhöhten Preisen verkauft (So wird etwa Nichtkulturland wird als Ackerboden bewertet.) Das MUCA hatte sich bisher dagegen gewehrt, in diese Schuldenfalle zu rennen, die logisch auf die Umwandlung der BäuerInnen in FronarbeiterInnen der Facussé-Clique zusteuert. MUCA-Generalsekretär Jhony Rivas machte auch keinen Hehl daraus, dass sie nur unterzeichneten, um eine Atempause vom mörderischen Druck der staatlichen und privaten Repressionskräfte zu bekommen. Facussé hatte für Juni im Falle der Nichtunterzeichnung über Zeitungsinserate eine Intensivierung der Räumungen der Kooperativen angedroht.

Über den besonders dramatischen Bereich des Bajo Aguán hinaus verweist dies auf ein reales Problem der honduranischen Sozial- und Widerstandsbewegung. Einem staatlich gestützten Mordapparat die Stirn zu bieten, ist eine schwierige Sache. Ein vergleichbares Phänomen erlebten wir letztes Jahr mit den lang andauernden Grossmobilisierungen der LehrerInnengewerkschaften gegen die Aushebelung elementarer Gewerkschaftsrechte und eine forcierte Privatisierung des Erziehungswesens. In dieser Phase kamen mehrere AktivistInnen um, teils offen durch Auftragskiller, teils etwa in Folge von Manipulationen am Auto. Gleichzeitig kam es zu Kündigungen und Dauereinsätzen der Polizei gegen LehrerInnendemos. Ermüdung machte sich bemerkbar, die Gewerkschaften mussten eine Niederlage einfahren, generell nahmen die Strassenmobilisierungen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch, des Frente Nacional de Resistencia Popular, FNRP, ab.


Die Entwicklung im FNRP

Dies hatte auch mit einer Entwicklung im FNRP zu tun. Die Mehrheit des Frente setzte auf eine Beteiligung an der vom 2009 gestürzten Präsidenten Mel Zelaya geleiteten Parteiallianz Libre (Libertad y Refundación), mit dem Ziel, bei den Wahlen 2013 mit der Kandidatin Xiomara Castro, der Gattin von Zelaya, möglichst die Regierungsmacht zu erringen, auf jeden Fall aber den Bipartidismus der beiden nationalen und liberalen Parteien zu beenden, jahrzehntelanges Perpetuum Mobile der Machtrezyklierung der «Eliten». In Libre ist der Frente via die FPR vertreten, die anderen Strömungen kommen aus der liberalen Partei - allerdings sind Ex-Grössen dieser Partei wie Zelaya selbst oder die bekannte Politikerin Gloria Oquelí heute bei der FPR zuhause. Im November steht mit den internen Wahlen für die Kandidaturen 2013 (ausser der von allen gesetzten Präsidentschaftskandidatin) eine erste Zerreisprobe bevor.

Eine Sache ist es, Demos und Widerstand zu organisieren, eine andere, erfolgreich auf dem Wahlterrain zu operieren, besonders wenn man, wie der FNRP, im Vergleich zu den KonkurrentInnen kein Geld hat. Jedenfalls hat diese Ausrichtung wichtige Kräfte des FNRP gebunden, die bei direkten Mobilisierungen fehlten. Dies ist auch ein Kritikpunkt einer Frente-Minderheit, die einzig eine permanente Dauermobilisierung der sozialen Subjekte - oft mit der Perspektive eines Aufstandes verbunden - als adäquat ansieht. Ihr Schwachpunkt ist allerdings, dass die heroischen Dauermobilisierungen des Frente nicht primär an internen Weichenstellungen, sondern an der putschistischen Dauerrepression aufliefen. Während die Minderheit darauf verweist, dass eine Wahlbeteiligung allenfalls bei genügend organisierter sozialer (mehr oder weniger insurrektioneller) Gegenmacht spruchreif werde, argumentiert die Mehrheit umgekehrt, dass die Verfasstheit der honduranischen Bevölkerung eben gerade eine permanente Mischung dieser beiden Elemente erfordere. Alles in allem scheinen die Positionen der beiden Gruppierungen, abgesehen von einigen eher skurillen Randerscheinungen wie «radikalen Avantgardeparteien» mit einer organisierten Basis von einem bis vier Dutzend Mitgliedern, aber nicht allzu weit entfernt zu liegen.

Dies zeigte unter anderem die erfolgreiche Grossmobilisierung zum 1. Mai, bei der nach Angaben aus Frente-Kreisen Hunderttausende mit kämpferischer Gesinnung teilgenommen haben - unter der Leitung des FNPR und der Libre-Partei. Aber auch die faktische Annäherung mancher MinderheitsexponentInnen an lokale Wahldynamiken macht dies deutlich. Andererseits steht die Libre-Partei vor grossen Problemen. Wie ein Bericht der selber massiv bedrohten Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Dina Meza vom 23. Mai auf der FNPR-Homepage beleuchtet, sind allein in den ersten drei Maiwochen fünf lokale KandidatInnen der Libre-Partei ermordet worden. Was in Gesprächen mit FNRP-Leuten seit einiger Zeit immer wieder thematisiert wird, sprach darin der erprobte Gewerkschafter und FNPR-Vizekoordinator Juan Barahona aus: Die Repression gegen Libre erfolge durch staatliche Sicherheitskräfte, aber auch kolumbianische Paramilitärs, «um das honduranische Volk vor den kommenden Wahlen einzuschüchtern». Noch gelten die Angriffe lokalen AktivistInnen, «aber sie können diese Kraft nicht aufhalten, nur mit dem Mord erst an BasisaktivistInnen, danach an Leitungskadern». Meza schieb weiter: «Barahona denunzierte, dass sie den gleichen Skript wie in den 80er Jahren anwenden, wo sie zuerst normale Delinquenten ermordeten, um das Volk an die Gewalt zu gewöhnen. Danach begannen das Verschwindenlassen, die Politmorde, die Folter ... Einige Morde verüben sie unter dem Schein der normalen Kriminalität, aber in den Departementen werden täglich Genossinnen und Genossen ermordet. Das Volk weiss, wie sie operieren. Aber er sagte, es gebe eine Überzeugung von der Basis her, die Leute gehen keinen Schritt zurück, 'sie werden viele wertvolle Genossen und Genossinnen umbringen, aber sie müssten uns alle töten'».

Die Hinweise auf das Agieren kolumbianischer Paramilitärs verdichten sich, seitdem der damalige kolumbianische Präsident Álvaro Uribe 2009 mit dem drei Tage zuvor «gewählten» Putschpräsidenten II, Porfirio Lobo, ein Kooperationsabkommen «zur Bekämpfung des Drogenhandels und des Terrorismus» unterzeichnet hat. Die kolumbianischen polizeilich/militärischen Sondereinheiten Gaula operieren offiziell im Land. Praktisch wöchentlich reisen honduranische Militärs, BürgermeisterInnen, Polizeiangehörige etc. nach Kolumbien zwecks «Ausbildung». Die Sorge um eine «kolumbianische Lösung» des Problems der erstarkenden Libre-Partei in Anlehnung an die Massakrierung von mehreren tausend AktivistInnen der linken Partei Unión Patriótica in Kolumbien Ende der 80er Jahre hat im Kontext der US-gesteuerten »Zwangsnormalisierung» des Landes durchaus ihre leider sehr reale Grundlage. Sie schweisst aber auch den Widerstand zusammen.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 170, 26. Juni 2012, S. 18-19
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2012