Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/095: In Ecuador ist nichts entschieden


Correos des las Américas - Nr. 161, 14. April 2010

ECUADOR
In Ecuador ist nichts entschieden

Im Schatten der wichtigen internationalen Auftritte von Rafael Correa
braut sich in Ecuador ein schwieriges Szenario der Konfrontation zusammen.

Von René Lechleiter


Vorab eine Feststellung: Ecuador ist ein wunderbares Land, mit inmensen Naturreichtümern, einer sagenhaften Biodiversität und wunderbaren Menschen. Alles, was die Faszination Lateinamerikas ausmacht findet man hier auf relativ kleinem Raum vereint: Eine Jahrtausende alte Kultur (Inka), deren Wurzeln und Selbstverständnis sich bis heute erhalten hat - zumindest in den rund 45% der Bevölkerung, die einem der 11 Pueblos Originarios angehören, letztlich aber auch die Mischlinge (Mestizen) prägt; und ein Land mit vier markant unterschiedlichen geografisch-wirtschaftlich-ethnologischen Gegenden.


Die übliche Geschichte

Praktisch bis ins Jahr 2000 verlief die Geschichte in Ecuador wie gehabt, mit Conquista, Befreiung von der spanischen Krone (Sucre, Bolivar), einer republikanischen Periode mit Regierungen und nationalen Oligarchien, die sich bereichern, dem Aufschwung der Liberalen (Eloy Alfaro), gelegentlichen Staatsstreichen, Diktaturen, Korruption, Krisen, wenig Entwicklung und schliesslich einem neoliberalen Abbau der staatlichen Verantwortung für das Gesamtwohl des Landes.

Das Objekt der Begierde war und ist seit den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Erdöl, das im schwer zugänglichen Amazonas-Tiefland von Ecuador, Peru und Bolivien unter der Erde schlummert (siehe Fig. 1). Seither buhlen die grossen Mineralölmultis um entsprechende Abbau-Konzessionen. Geblendet von den möglichen Einnahmen wurden Bedenken oder gar Proteste betreffend den Folgen für Mensch und Umwelt fast als Blasphemie angesehen. So konnte der «saqueo», die ungebremste Ausbeutung des Rohstoffes, seinen Lauf nehmen, mit all den bekannten Konsequenzen.


Neue Protagonisten

Der Siegeszug des Neoliberalismus erreichte im Jahr 2000 seinen Höhepunkt, als das Land unter Druck der USA, des IWF und einer überbordenden Inflation die nationale Währung mit dem identitätsstiftenden Namen Sucre aufgab und dollarisiert wurde. Gleichzeitig gelang es jedoch mit einer Mobilisierung und der tatkräftigen Beteiligung von Campesino- und Indioorganisationen, den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA zu verhindern. Das Jahr 2000 markiert somit eine Wende, ohne die die heutige Lage nicht erklärbar ist. In einer von Mestizen und wenigen Weissen beherrschten politischen Landschaft meldete sich ein lange Zeit ignoriertes oder unterschätztes politisches Subjekt mit Vehemenz zurück, die verschiedenen Pueblos Originarios, die sich seit 1992 organisiert und dann zusammengeschlossen haben in der Dachorganisation Conaie (mit drei separaten Hauptzweigen Küste-Hochland-Amazonas). Sie spielte in der Folge eine massgebliche Rolle beim Sturz von drei Präsidenten. Eine kurze Regierungsbeteiligung unter dem früheren Putsch-Oberst Lucio Gutierrez im Jahre 2003 hat die Organisation jedoch intern geschwächt.

Auch die Repräsentanten der traditionellen Parteien zeigten sich unfähig und auch nicht willens, die wachsenden Proteste der Bevölkerung gegen weitere neoliberale Abbaumassnahmen aufzugreifen und neue, eigenständige Entwicklungswege zu beschreiten.

In diesem entscheidenden Moment, wo Ecuador in eine tiefe Krise stürzte und der (aus der Zeit des Staatsbankrotts in Argentinien bekannte) Schlachtruf «que se vayan todos» laut wurde, hatte Rafael Correa den richtigen Riecher. Der von einer Familie aus Guayaquil stammende Doktor der Wirtschaftswissenschaften, ein Mischling und bekennender Katholik, verstand es, die Herausforderungen des Moments aufzugreifen und der Nation so etwas wie eine neue Perspektive zu geben. Allerding: Anders als etwa Evo Morales in Bolivien wurde Correa nicht von einer Bewegung als natürlicher Führer hervorgebracht, sondern erklärte sich selber, gestützt von ein paar wichtige Köpfen aus der Studienzeit, zum Präsidentschaftskandidaten.

Seine ehrliche Entschlossenheit zur Armutsbekämpfung, der offensichtlich antineoliberale Diskurs und das Versprechen, die überfälligen Erneuerung durch die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung einzuleiten, trugen ihm schliesslich bei der Stichwahl vom November 2006 die mehrheitsfähige Unterstützung breiter unzufriedener Bevölkerungskreise ein - inklusive der Indiobewegungen.


Reformen und neue Verfassung

Im Durchbruch Correas wiederspiegelt sich generell die neue Aufbruchbewegung in Lateinamerika. Im Zentrum steht die Besinnung auf die eigene Identität und Stärke, Ziel ist eine lateinamerikanischen Integration, weg von der ewigen Abhängigkeit vom Norden. Mit dieser Haltung fügte sich Correa bestens in die junge Allianz neugegründeter Staaten und deren Initiativen wie ALBA, Gruppe von Rio, UNASUR etc. Sein Mitwirken auf internationalem Parkett ist wichtig, findet Anerkennung und ist Anlass zu Hoffnung.

Das wichtigste Versprechen aus seiner Wahlkampagne hat Rafael Correa eingehalten, nämlich das Land «neu zu gründen» durch die Einführung einer neuen Verfassung. Diese Verfassung, in grosser Eile und ohne einen landesweiten Diskussionsprozess ausformuliert, muss ihre Lakmusprobe jedoch erst noch bestehen. Sie stipuliert auf dem Papier viele Rechte, aber wenig Garantien. Zu vielen gewichtigen Themen müssen die Ausführungsgesetze erst noch erarbeitet und genehmigt werden, was - ohne einheitliche Bewegung und Willen im Rücken - viel Zündstoff in sich birgt.

Neben den elektoralen Erfolgen - Correa hat in der Zeit seit November 2006 fünf Urnengänge klar gewonnen, zweimal die Präsidentschaftswahlen (im April 2008 mit 52 % sogar in der ersten Runde, was in der jüngeren Geschichte Ecuadors einzigartig ist) - sind in seiner relativ kurzen Regierungstätigkeit erste positive, im Volk spürbare soziale Massnahmen durchgeführt worden. Möglich wurden sie einerseits durch eine geschickte Neuverhandlung der Aussenverschuldung, die dem Land grosse Einsparungen und eine wirtschaftliche Entspannung brachte, anderseits durch die Durchsetzung von Mehreinnahmen aus dem Erdölabbau.

Innerhalb von drei Jahren ist in Ecuador die AnalphabetInnenrate auf unter 3% gesenkt worden, die gesundheitliche Basisversorgung ist gratis geworden und im Bereich des Service publique konnten Preise eingefroren oder gesenkt werden (u.a. für Telefonie). Es wurden 146.000 Sozialwohnungen gebaut und erste Landtitel verteilt. In der Produktion werden kleine und mittlere Betriebe gefördert, in der Wirtschaft eine Umstellung der reinen Ausplünderung von Rohstoffen und deren Export hin zu einer nationalen Kontrolle und Akumulation von Kapital für weitere Entwicklungsschritte angestrebt.


Die Mühen der Ebene

Von grossen Schwung dieser ersten Periode ist zu Beginn des Jahres 2010 nicht mehr viel zu spüren. Im Gegenteil: Die Regierung Correa sieht sich an allen Fronten mit zum Teil selbst verschuldeten Konflikten und Protestäusserungen konfrontiert.


Dollarisierung: Mit der saloppen Bemerkung, eine Scheidung könnte teurer zu stehen kommen, als wenn man weiterhin in einer ungeliebten Ehe lebe, tut Correa die Forderung nach einer eigenen, unabhängigen Landeswährung ab. Dieses Gängelband bleibt also vorläufig bestehen. Allerdings besteht die Möglichkeit dass der Sucre wieder aufersteht, wenn auch in Form einer einheitlichen Wechsel-Währung innerhalb der ALBA-Gemeinschaft.


ALBA-Staatsvertrag: Offiziell ist Ecuador nach der Wiederwahl von Correa der ALBA-Gemeinschaft beigetreten. Die Gegner rechnen ihm nun vor, dass er gemäss der neuen Verfassung innerhalb eines halben Jahres die entsprechenden Staatsverträge hätte dem Parlament vorlegen und ratifzieren lassen müssen. Das war nicht der Fall.


Angostura: Paradoxerweise lastet der kriminelle, völkerrechtswidrige militärische Übergriff Kolumbiens auf ein internationales Treffen von FARC-Kommandanten auf ecuatorianischem Territorium immer noch schwer auf der Regierung Ecuadors. Weil kurz zuvor in Quito ein Treffen der Coordinadora Continental Bolivariana stattgefunden hatte, und einige Teilnehmer kurz darauf in Angostura massakriert wurden, stilisiert man die Regierung Ecuadors zu Komplizen der FARC. Selbst eine unabhängige Untersuchungskommission konnte keine Beweise für diese Anschuldigungen finden, doch aufgrund von Treffen mit Vertretern der aussenpolitischen Kommission der FARC, die sich in Zivil und legal in Ecuador aufgehalten hatten, wird die These hartnäckig aufrechterhalten. Dass inzwischen zwei Zeugen, die vor dieser Kommission die Anschuldigungen entkräftet haben, bereits nicht mehr am Leben sind, deutet auf eine aktive Präsenz sehr dunkler Kräfte hin.


Manta: Den Vertrag für die Nutzung der Luftwaffenenbasis bei Manta durch die Truppen und Flugzeuge der US-Air Force, insbesondere auch der dort installierten Überwachungsinstallationen (die beim Übergriff auf Angostura eine wichtige Rolle spielten), liess Correa nach Ablauf der zehnjährigen Vertragsfrist zwar ersatzlos auslaufen - jedoch zu einem sehr hohen Preis. Die für dieses bedeutende Zeichen der Abgrenzung zuständige Verteidigungsministerin, Guadelupe Larriva, frühere Präsidentin der Sozialistischen Partei, erste Frau und erste Zivilistin in diesem Amt, das sie lediglich sieben Tage zuvor angetreten hatte (Januar 2007), bezahlte ihre Courage mit dem Leben. Sie wurde - notabene auf der Luftwaffenbasis von Manta - Opfer eines Helikopterabsturzes! Correa kündigte eine rigorose Untersuchung an - seither ist aber, wenn überhaupt, nur noch von einem «tragischen Unglück» die Rede...

Kritische Stimmen mutmassen, ob es sich hier um eine Warnung an die Adresse von Correa gehandelt habe. Schau, zu was wir immer noch fähig sind. Oder noch deutlicher: Entweder Du verhandelst und einigst Dich mit uns oder es passiert Dir das selbe. Es wäre ja nicht das erste Mal (Präsident Jaime Roldan 1981, kurz nach Torrijos)!

Wie dem auch sei, jedenfalls ist seither zu beobachten, wie Correa jegliche Toleranz gegenüber den FARC strikte von sich weist, sich mit Präsident Uribe wieder verträgt und entlang der Grenze zu Kolumbien die Truppen verstärkt hat. Zudem ist ein «Plan Ecuador» (!) angelaufen, mit dem in diesen abgelegenen Grenzgebieten Entwicklungspolitik (sprich Strassenbau etc.) betrieben werden soll. Ziel für das alles: die Nordgrenze freihalten von Infiltrationen und Präsenz von Armeeeinheiten - mehr können sich die USA, die sich voll in Kolumbien eingenistet haben, von Ecuador nicht wünschen, solange das Öl fliesst.


Unüberschaubare Konfliktherde

Zusätzlich zu dieser schwierigen aussenpolitischen Situation ist die Regierung Correa innenpolitisch mit verschiedensten Sektoren der Gesellschaft, die sie bislang unterstützten, in Clinch geraten:


Bildungssystem: Der Entwurf für ein neues umfassendes Bildungsgesetz hat sofort nach der Publikation heftige Gegenstimmen provoziert, sowohl unter Lehrerinnen und Dozenten als auch unter den Studenten. Die mächtige Unión Nacional de Educadores (UNE) hat für die kommenden Monate grössere Mobilisationen angekündigt.


Kommunikationsgesetz: Noch heftiger wurde auf das Vorhaben reagiert, im Parlament ein vereinheitlichendes Gesetz betreffend Massenmedien und Kommunikation durchzubringen. Statt über eine dringend notwendige Regulierung und ethische Prinzipien der Massenkommunikation debattieren zu können, sieht sich die Regierung mit einer Riesenkampagne zum «Schutz der Meinungsfreiheit» konfrontiert.


Minimallohn: Nachdem die Berechnungen der Kosten eines «Warenkorbes» für eine vierköpfige Familie eine Verteuerung auf 512 Dollar pro Monat ergaben, versprach Correa in einer seiner wöchentlichen Ansprachen den Lohnempfängern, dass ihnen ein entsprechend «würdiger» Minimallohn zustehen würde. In die Praxis übersetzt wurde eine Festsetzung auf etwa 320 Dollar erwartet. Gross war dann die Enttäuschung, als das Wirtschaftsministerium Ende Jahr die effektiven Zahlen bekanntgab: Eine Erhöhung von 218 auf 240 Dollar. Gleichzeitig empörten sich die Unternehmer, angesichts der Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise seien sie ausserstande, eine derartige Erhöhung zu bewältigen. Zusätzliche Problematik: Mit der neuen Verfassung ist den öffentlichen Angestellten das Streikrecht entzogen worden.


Landreform: Steckt ganz in den Anfängen. Gemäss dem Plan Tierra sollen in den nächsten vier Jahren 2.5 Millionen Hektaren von bisher brachliegendem Land in Staatsbesitz an Campesinos verteilt werden. Auch technische Assistenz und Kredite sind versprochen. Bislang sind lediglich 12.000 ha transferiert worden. Die Grossgrundbesitzer blieben unangetastet. Mit Skepsis bis Ablehnung wird seitens der Conaie zudem der Versuch bewertet, den Landbesitz in oberirdisch (privat) und unterirdisch (staatlich) zu splitten.


Wasser: Es wurde verpasst, den Zugriff auf das Wasser als kollektives Gut in der Verfassung abzusichern. Die Multis (Nestlé, CocaCola) lauern auf den Moment, es sich unter den Nagel zu reissen. Die Korporationen sind höchst alarmiert und bereit, landesweit auf die Strasse zu gehen.


Energie: 47% der in Ecuador erzeugten Elektrizität stammt aus Wärmekraftwerken. Die anhaltende Dürreperiode im vergangenen Jahr brachte die Stromproduktion aus Wasserkraftwerken zum Erlahmen. Die Regierung sah sich gezwungen, einschneidende Rationierungsmassnahmen zu verfügen (apagones). Nebst vielen tausend Haushalten beklagten vor allem Kleinunternehmer, Restaurantbesitzer und Detailhändler Einbussen im Vorweihnachtsgeschäft. Der zuständige Minister musste Mitte Dezember zurücktreten, da er etwas zu vollmundig die Aufhebung der Einschränkungen versprochen hatte - was dann nicht möglich war - vor allem aber weil er viel zu spät die Erneuerung veralteter Kraftwerke einleitete.


Yasuni-ITT: Die Bestrebungen zu einer Art «Quadratur des Kreises» zwischen Nutzung von Rohstoffen, Kultur- und Umweltschutz sowie nationaler Entwicklung erlitten Mitte Januar einen dramatische Rückschlag. Die seit zweienhalb Jahren verfolgte Initiative, drei grosse Erdöl-Bohrfelder - die sich innerhalb des Naturreservats von Yasuni im Amazonasbecken befinden - nicht auszubeuten, und dafür eine Entwicklungsfonds zu gründen, der von 27 Geberländern (darunter auch die Schweiz) gespiesen würde, sind nach einer unqualifizierten Einmischung von Rafael Correa abrupt abgebrochen worden. Zuerst legten der Leiter der Verhandlungsdelegation und seine engste Mitarbeiterin das Mandat nieder, anschliessend trat Aussenminister Fander Falconi - ein enger Verbündeter von Correa - zurück.

Es war nicht zuletzt diese Initiative gewesen, mit der die neue Regierung Ecuadors kurz nach dem Amtsantritt von Correa internationales Aufsehen erregt hatte. Sie hatte damit positiv auf die Bestrebungen von Umweltschützern und dem seit je in diesem Gebiet lebenden Volk der Huaorani reagiert und eine neue Diskussion über alternative Schutzformen des natürlichen Erbes sowie der Respektierung der Rechte der mit den Schutzgebieten verbundenen Kulturen und Gesellschaften im Weltmasstab lanciert.

Noch am Klimagipfel in Kopenhagen stand diese Initiative als essentieller Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstosses respektive als Mittel gegen die Klimaerwärmung zur Debatte. Erste positive Zusagen lagen von Spanien, Portugal und Deutschland vor. Jetzt steht man, ohne die genauen Hintergründe für die Demarche von Correa zu kennen, vor einem Scherbenhaufen. Ein unerwarteter Zwist mit der Ökologiebewegung und der indigenen Confenaie (Amazonas) tut sich auf.


Kollektive Rechte: Die Conaie streitet heute der Nationalregierung das Recht ab, eigenmächtig (zentral) über Landrechte, Wasser, Minen und sonstige Naturreichtümer, aber auch über Justiz, Bildung und Gesundheit zu verfügen. Sie erklärt alle von der gewählten Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze für null und nichtig, sofern nicht alle Sektoren des Landes ein Mitspracherecht hatten. Sie verfolgt mit Vehemenz eine andere Konzeption eines plurinationalen Staates. Dieser müsse vor allem auf Ebene der Gemeinden und gemeinschaftlich definiert und ausgeübt werden. Das heisst, dass die überlieferten Rechte von den lokalen Regierungen und nicht zentral wahrgenommen werden sollen.


Die Indígenas wieder auf der Strasse

Diese Entwicklung verschärft das ohnehin schon getrübte Verhältnis zwischen der Regierung in Quito und den in der Dachorganisation der Pueblos Originarios, Conaie, zusammengeschlossenen indigenen Organisationen. Diese hatte bereits im vergangenen September zu Mobilisationen aufgerufen, da sich Skepsis und Frust breit machte, wie die gewählten PolitikerInnen mit den in der Verfassung verankerten kollektiven Rechten umgingen, insbesondere mit dem Wasser. Bei einer Konfrontation (Blockierung einer Brücke) mit der Polizei ist der Shuhar-Indio und Aktivist der Amazonas-Schutzbewegung Bosco Wisum durch eine Schrotkugel ums Leben gekommen. Die Regierung hatte daraufhin - ganz anders als wie früher üblich mit Repression - flexibel reagiert, indem sie zu Verhandlungen am Runden Tisch aufrief. So sollte, ganz im Sinne der Revolucion Ciudadana, kein weiteres Blut vergossen sondern eine politische Lösung erarbeitet werden.

Nun, fünf Monate später, machten sich angesichts der Resultatlosigkeit und Stagnation dieser Verhandlungen Wut und Empörung breit. Es wird kritisiert, diese Runden Tische stellten eine reine Hinhaltetaktik dar, der Regierung mangle es an politischem Willen, die Verhandlungsteilnehmer hätten kein klares Mandat und keinerlei Kompetenzen. So und teils noch schärfer lauten die Vorwürfe, die von den grossen Tageszeitungen genüsslich ausgeschlachtet werden.

Das übergreifende Element der Kritik trifft das Herz des jungen Prozesses der Transformation: Die laufende Institutionalisierung sei uninational und ausschliessend, der plurinationale Charakter der ecuatorianischen Gesellschaft würde nicht respektiert. Dementsprechend will nun die Conaie eine schärfere Gangart einschlagen. In der an ihrem Nationalkongresses gutgeheissenen Schlusserklärung (Ambato, 25./26. Februar) wird der Dialog für beendet erklärt, sämtlichen vom Parlament verabschiedeten Gesetze die Legitimation aberkannt und, stufenweise, zu einem plurinationalen Aufstand aufgerufen.


Ein schwieriger Frühling

Damit droht der unter Rafael Correa erreichte breite Konsens aufzubrechen. Die Zivilgesellschaft beginnt sich wieder zu fraktionieren, jeder Sektor verteidigt seine, noch unter neoliberalen oder pseudo-demokratischen Verhältnissen erzielten Errungenschaften. Das grosse andine Ideal des Sumak Kawsay, dem solidarischen Zusammenleben aller, droht in die Ferne zu rücken. Die Auswirkungen der weltweiten Finanz-, Umwelt- und Energiekrise tragen ihr übriges bei; sowohl die staatlichen Einnahmen aus der Erölförderung sind zurückgegangen als auch die Remesas, die von EmigrantInnen zur Unterstützung ihrer in Ecuador verbliebenen Familienangehörigen überwiesenen Gelder.

Die Umsetzung der Verfassung, die als Basis für einen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» gepriesen wurde, respektive die Errichtung des Sumak Kawsay, kann nicht von oben herab erfolgen, sondern nur mit der aktiven Unterstützung und Partizipation der so lange Zeit ausgegrenzten Bevölkerungsmehrheit. Also unter Einbezug nicht nur aller Pueblos Originarios, sondern auch der MestizInnen, Afroecuatorianer und Weissen.

In den an Silvester in Quito üblichen Puppenverbrennungen wurde Correa als auf einem Schaukelstuhl sitzend dargestellt, wankelmütig zwischen «links» und «rechts», als einer, der immer das letzte Wort für sich reklamiert. Und in den Karikaturen trägt er, nebst der Baskenmütze, immer auch ein Krönchen. Su majestad, «Ihre Majestät» wird er des öfters scherzhaft genannt, der Volksmund trifft damit wahrscheinlich einen wahren Kern. Ob das positiv oder negativ zu werten ist, wird sich weisen. Auch in Ecuador kann sich ein «König» nicht allzu viele Fehler erlauben.

Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Führern der meist heterogenen neuen Bewegungen in Lateinamerika wird Correa nicht als Companero wahrgenommen, sondern als ziemlich autokratisch, als einer, der keine Kritik verträgt und es allen recht machen möchte. Er ist eher ein «Desarrollista», denn ein Revolutionär (von «desarrollo», Entwicklung. Bezeichnet die Theorie, wonach Staaten aktiv die Industrialisierung fördern sollen).

Seine Alianza Pais gleicht dementsprechend mehr einem Wahlkampfbündnis als einer neuen kollektiven Kraft oder einem Brain Trust. Vor wichtigen Abstimmungen im Parlament muss Correa jeweils die individuell auftretenden Fraktionsmitglieder in Klausur nehmen und «disziplinieren».

Wenngleich verschiedene Oppositionelle zu früheren Regimes respektive Vertreter einer anderen Wirtschafts- und Sozialpolitik nun zu Posten gekommen sind, so hat Correa auch wichtige Verbündete und Kampfgefährten verloren, wie etwa Alberto Acosta, der Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung war, oder nun seinen Aussenminister und engsten Vertrauten in Sachen ALBA, Fander Falconi.

Die anderen Parteien und Gruppierungen, welche sich in den Wahl- und Referendumskämpfen hinter Rafael Correa geschart hatten, sehen sich nun vor eine grosse Hürde gestellt. Um inskünftig bei Wahlen antreten zu können verlangt ein neues Reglement, dass sie beglaubigte Unterschriften von 150.000 Mitgliedern vorweisen müssen. Das ist in Zeiten, wo Parteien diskreditiert sind und Bewegungen ohne feste Mitgliedschaften auskommen, nicht nur ein schwieriges, sondern auch ein kostspieliges Unterfangen. Und was diese sogenannte Re-Legalisierung für den laufenden Prozess bringen soll, ist überhaupt nicht klar.

Die täglichen Sorgen der Menschen sind jedenfalls nicht kleiner geworden. Im Strassenbild sieht man fast keine Slogans, die den laufenden Prozess unterstützen, aber viele gegen Correa. Das Armutsgefälle ist nach wie vor riesig, die Arbeitslosenrate sehr hoch, und die Kriminalität hat stark zugenommen. In Cuenca und Guayaquil kam es zu Demonstrationen für mehr Sicherheit. Im Zentrum von Quito patroullieren nachts schwerbewaffnete Armeeangehörige. Auch der Einfluss von Drogen ist, als neues Phänomen in diesem Land, spürbar. Bis auf einen Fernsehkanal und eine nicht beachtete Tageszeitung sind die Massenmedien fest in den Händen der alten Profiteure, denen bis jetzt kein Haar gekrümmt wurde, die aber ihrerseits keine Gelegenheit auslassen, die Regierung anzuschwärzen. Das Geschehen im nationalen Parlament hat eine tiefe Akzeptanz («das sind alles Parasiten»), es gibt Anzeichen von Korruption.

Das alle kratzt am Prestige und am Ego von Correa. Er sieht sich vor gewaltige Herausforderungen gestellt, und das so ziemlich an allen Fronten. Fronten, die er zum Teil und unnötigerweise selber provoziert hat. Der mit grossem Schwung begonnene und durch die neue Verfassung legitimierte Umgestaltungsprozess könnte ins Stocken geraten. Es wird jedenfalls ein grosses politisches Geschick nötig sein, um all die gegensätzlichen und Partikularinteressen unter einen Hut zu bringen. Und die Gegner schlafen nicht: Wegen der 72-stündigen Schliessung von Teleamazonas, einer privaten Fernsehstation, die zum Imperium des grössten Bankenbesitzers von Ecuador gehört und mit allen Mitteln gegen die Regierung Correa hetzt, wurde die der Regierung unterstehende Medienaufsichtsbehörde durch ein Provinzgericht verurteilt. Es seien nicht weniger als neun Grundrechte der neuen Verfassung verletzt worden... Honduras lässt grüssen.


René Lechleiter kennt und verfolgt die politische Bewegung in Lateinamerika seit den 70er Jahren aus eigner Anschauung. Jüngst weilte er als internationaler Wahlbeobachter für den Solifonds in Bolivien und anschliessend mehrere Wochen in Ecuador.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Auch in Ecuador sind es die Frauen, die stets arbeiten.
Figur 1. In den Amazonas-Anrainerstaaten Ecuador, Peru und Bolivien sind die Konzessionen zur Ausbeutung der grossen Ölfelder seit langem entweder vergeben oder stehen im Wettbewerb für den Meistbietenden zur Disposition.
In Ecuadors Strassenbild immer präsent: Traditionen, Kirche, Vulkane.

*


Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 161, 14. April 2010, S. 10-13
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010