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CORREOS/072: El Salvador zwischen Putschdrohung, Aufbruch und Anpassung


Correos des las Américas - Nr. 158, 10. August 2009

EL SALVADOR
Zwischen Putschdrohung, Aufbruch und Anpassung

Von Dieter Drüssel


Nach dem Antritt der FMLN-Koalitionsregierung: Die Rechte setzt auf Destabilisierung und den Putsch in Honduras und die neue Regierung von Mauricio Funes zeigt zwei Gesichter - und beide sind wahr.


(10.7.09) Zwei Situationen - eine gute und eine schlechte - geben ein Bild von der Dynamik im Land. Zuerst die gute: Wenige Tage nach der Amtseinsetzung des parteilosen, aber von der früheren Guerilla FMLN portierten Präsidenten Mauricio Funes am 1. Juni traf ich dank des Frente Sindical Salvadoreño erneut ArbeiterInnen der salvadorianischen Filiale des US-Chipherstellers AVX. In der Belegschaft grassieren Krankheiten, denn im Umgang mit den Materialien für die Chipherstellung und deren "Entsorgung" ins Grundwasser von Soyapango, der proletarischen Vorstadtmetropole der Hauptstadt, gab es keine Schutzmassnahmen. Die Belegschaft hatte keine Ahnung, mit was für Substanzen sie arbeiten musste. Eine Gewerkschaft wurde nie anerkannt, AktivistInnen wurden entlassen. Dennoch gelang es, eine rudimetnäre Teilliste der Arbeitssubstanzen in die Hände zu kriegen. Kollegen von der Gewerkschaft UNIA in der Schweiz hatten bei den meisten Angaben schnell raus, worum es sich handelte - Gifte, für deren Handhabung schon bei geringer Dosierung der Gebrauch von Schutzmaterialien wie Masken, Handschuhe u.ä. zwingend geboten ist. Doch davon war bei AVX El Salvador nie die Rede, ungeachtet der Normlügen in ihrem Statement zu "Social Responsability".

Nun, beim Treffen im Juni, waren die in der Bude noch verdeckt agierenden GewerkschafterInnen guten Mutes. Detaillierte Liste der Arbeitssubstanzen? Massnahmen gegen die Gefährdung? No hay problema - wir spannen gerade die Arbeits- und Umweltministerien ein, meinten die Compas. Denn jetzt ist ihre Partei, der FMLN, am Drücker. Die neue Arbeitsministerin und bisherige Magistratin im Obersten Gerich, Vicky de Avilés vom FMLN, hatte am ersten Arbeitstag eine Belegschaftsdelegation aus einem anderen Betrieb empfangen, die sich über korrupte Arbeitsinspektoren beschwerte. Die Ministerin liess ihre Untergebenen gewähren - die liefen prompt Tag in die Falle des business as usual und lieferten handfeste Beweise für ihre Korruption. Postwendend wurde 12 Arbeitsinspektoren fristlos gekündigt! Die Episode ging von Mund zu Mund. AVX führte nach dem FMLN-Wahlsieg wie von ungefähr erste Arbeitsschutzmassnahmen ein.


Die Putschdrohung

Doch dann gibt es auch die negative Tendenz. Als der FMLN am 29. Juni im Parlament eine Verurteilung des Putsches in Honduras verlangte, verweigerte sich die bisherige Regierungspartei ARENA. Stattdessen betonte die Partei, "jede Manifestation einer militärischen Intervention von Drittstaaten in die inneren Angelegenheiten Honduras' energisch zurückzuweisen (Diario Co-Latino, CL, 30.6.09). Das richtete sich natürlich nicht gegen den Putsch, sondern gegen dessen internationale Ablehnung. An einer Pressekonferenz im Parlamentsgebäude ging ARENA-Fraktionschef Donato Vaquerano noch einen Schritt weiter: Der neue Präsident Mauricio "Funes muss einen Spiegel haben, in dem er sich mit dem Präsidenten Mel Zelaya sehen kann" (lapagina.com, 29.6.09).

Das zeigt, wie sehr sich die salvadorianische Rechte vom Coup in Honduras ermutigt fühlt. Vaquerano ist im Parlament Statthalter des ehemaligen Staatspräsidenten Alfredo Cristiani. Er musste nach der Grossoffensive der Guerilla 1989 die Hand für die Friedensabkommen von 1992 reichen, hielt sich aber schadlos, indem er am Ende seiner Präsidentschaft als der reichste Salvadorianer da stand: Seine Bankenprivatisierung hatte die grösste Bank des Landes in seine Hände gespült. Cristiani löst den letzten Staatspräsidenten, Toni Saca, vom Parteivorsitz ab. Die Unternehmergruppe um Saca hatte in dessen Regierungszeit traditionelle Machtcliquen in ARENA wie den Grossunternehmerflügel oder die alte Parteigarde relativ entmachtet und sich die feistesten Staatsaufträge zugeschanzt (Medien, Bau, Consulting, u.a.). Nach der Wahlniederlage leitete ein beträchtlicher Teil der traditionellen Parteielite, so auch der frühere Staatspräsident Armando Calderón Sol, die interne Nacht der langen Messer ein und forderte "den Kopf" Sacas. Eine Spaltung drohte und Cristiani sollte als Parteiretter in der Not die FMLN-Regierung sabotieren. Das heisst, mit "Chaos"-Situationen das nach dem Wahlsieg des Frente so heftige Sehnen nach einem anderen Land zuschütten.


Sie riechen Blut

Sofort nach dem FMLN-Wahlsieg vom 15. März schnellten die Mordraten in die Höhe. Wohlverstanden in einem Land, das schon zuvor die höchste Mordrate im Kontinent aufwies. Nun folgten Angaben von höheren oder tieferen Mordraten schon immer politischen Opportunitätsgründen (Aufpeitschen der Öffentlichkeit für den "starken Staat" oder Regierungspropaganda vom eigenen "Erfolg" bei der Verbrechensbekämpfung). Und stets wurden 80 Prozent der Morde den untereinander verfeindeten Maras, Strassenbanden, angelastet, auch wenn seriöse Menschenrechtsgruppen diese Behauptung widerlegt haben. Private Aussagen von demokratischen PolizistInnen belegten dieses Mal tatsächlich eine Zunahme der Morde. Ihre Annahme: Schwadronen der "sozialen Säuberung" innerhalb der Polizei schlugen auf Politkommando los, um ein Klima der Angst zu erzeugen. Letztes Jahr war in der östlichen Metropole San Miguel eine solche, von lokalen Kapitalisten finanzierte, Schwadron aufgeflogen. Dank einem mutigen Offizier, Carlos Ascencio, einem ehemaligen Guerillero, der unter dem neuen FMLN-Sicherheitsminister Manuel Melgar heute die Polizei kommandiert.

Laut der Mordkommission der Polizei (DIHO) ist die Mordrate in der ersten Junihälfte auf 13 Morde pro Tag gestiegen. Von Januar bis Mai 2009 seien 1785 Menschen ermordet worden, in der Vorjahresperiode 1277 (El Diario de Hoy, EdH, 16.6.09). Aufs Jahr hochgerechnet würden demnach etwa 4290 Menschen ermordet. Im Vergleich: In der bevölkerungsreicheren Schweiz werden pro Jahr im Schnitt 79 Morde gezählt. Der "Diario de Hoy", Organ der Ultras im Land, fügte noch unvermittelt diesen fürchterlichen Satz an: "Experten versicherten, dass die Kriminalitätswelle bei Anhalten der Tendenz bis Jahresende auf 30 Morde pro Tag gelangen könnte." (id.). Sie riechen Blut. Es gibt tatsächlich keine anderen als politischen Gründen, die ein derart starkes Anwachsen der Mordrate erklären.


Strategie der Angst

Am Tag nach dem Amtsantritt von Mauricio Funes kam es im Pasaje Monsalvo mitten im Stadtzentrum von San Salvador auf dem informellen Markt zu drei Aufsehen erregenden Morden. Drei Angestellte einer von der dortigen VerkäuferInnenorganisation angeheuerten Sicherheitsbude wurden von gut gekleideten Männern plötzlich und "grundlos" erschossen. Wenige Tage zuvor wurde eine Handgranate an den Rand der sich im Kleinpark Hula Hula aneinanderdrängenden Verkaufsstände geworfen, ähnlich wie nochmals einige Tage zuvor auf einem weiteren Verkaufsplatz. Die Erklärung war jeweils sofort zur Hand: die Maras. Tatsächlich dehnt sich das Regime der Maras im Markt immer weiter aus. Ihr Geschäft hier besteht im rentear, darin, Renten, also Schutzgeldzahlungen, von den VerkäuferInnen einzutreiben. Da die Maras im Zentrum mit den Bullen kooperieren, geben die VerkäuferInnen der Polizei keine Tipps über die Hintermänner. Von der neuen Regierung fordern sie den Einsatz von Spezialeinheiten und die Installierung von Polizeiposten mit neuem Personal. Die Wirtschaftskrise hat ihren Umsatz schon geschmälert. Jetzt zeichnen die rechten Medien das Bild eines von bürgerkriegsähnlicher Gewalt zerfressenen, gesetzlosen Stadtzentrums, genau so wie in den an den Verkaufsständen aufliegenden Action-DVDs vorgemacht. Resultat: noch weniger KundInnen. Das zeigt eine ungeheure psychische Dimension an, denn das Zentrum ist traditionell der mit Abstand meistbesuchte, da günstigste, Einkaufsplatz für das Volk. Spürbar weniger KundInnen - das heisst, die Angst greift um sich.

In den Tagen nach der Amtsübernahme von Funes redeten Polizei und Medien von einer Ausgangssperre im Zentrum: Die Maras hätten die Weisung erlassen, um 18 Uhr alle Stände zu schliessen. Warum aber sollten Schutzgelderpresser ihren Opfern befehlen, die Geschäfte just zu bester Abendverkaufszeit zu schliessen? Josefina Lazo von der Bewegung der VerkäuferInnen von raubgepressten CDs und DVDs sagte: "Man redet von einer Ausgangssperre im Zentrum, aber ... [die] gibt es wirklich nicht" (CL, 15.6.09). Sie und ihre KollegInnen machen den Laden wie üblich um 21 Uhr dicht. Allerdings, so die Compañera, würden sie von der Polizei und der Gemeindepolizei (unter dem Kommando des Bürgermeisters von ARENA, zu einem guten Teil noch aus FMLN-Leuten bestehend), beunruhigt, die ihnen sagen: "Ok, Señores, gehen Sie jetzt, denn es ist spät und Sie könnten sich in Schwierigkeiten bringen." (id.) Für Josefina Lazo handelt es sich bei der Angstkampagne um eine Taktik des neuen ARENA-Bürgermeisters von San Salvador, Norman Quijano. Er will das Zentrum zugunsten seiner Sponsoren aus den grossen Verkaufsketten vom Kleinverkauf "säubern" und seinen Destabilisierungspart erfüllen.


Ein Moment der Feier

Der Tag der Amtsübergabe am 1. Juni stand im Zeichen unseres Sieges. An der Feier des FMLN nahmen etwa 80.000 Menschen teil, darunter auch der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, sein Amtskollege Daniel Ortega aus Nicaragua, der venezolanische Aussenminister Ricardo Maduro und der kubanische Vizestaatschef Esteban Lazo. Hugo Chávez hatte am Morgen seinen Flug abgesagt, nachdem, wie Ortega an der Kundgebung mitteilte, konkrete Pläne für ein Raketenattentat auf den landenden oder startenden Präsidentenflieger aus Venezuela aufgeflogen waren. Offenbar waren darin Alliierte des CIA-Kubaners Luis Posada Carriles in Zentralamerika und Chávez-Gegner in Venezuela verwickelt. Doch das war nicht der Tag des geplanten Anschlags auf Chávez, sondern des Sieges. Ab heute würde der Kampf anders werden, schwierig, gewiss, aber auf einer anderen Ebene als bisher.


Der willkommene Selbstmord

Am 2. Juni lernten wir aus den Morgennachrichten, wie schwierig das werden kann. Adolfo Torres, der im April abgesetzte ARENA-Chef des Departements San Salvador, habe in der Nacht Selbstmord begangen. Eine elektrisierende Nachricht. Denn Torres, Mitinhaber des berüchtigten privaten Sicherheitsunternehmens Serconse, galt als der Organisator der "schmutzigen Tricks" gegen den FMLN, bis hin zu mehreren Morden an Frente-AktivistInnen. Letzten April wurde dem Internetportal El Faro ein explosives Abhörprotokoll zugespielt. Es ging um einen Telefonanruf, den Torres von einem ehemaligen Abgeordneten, Roberto Silva, erhalten hatte. Detail: Silva tätigte den Anruf aus einem Gefängnis in den USA, wo er wegen Migrationsvergehen einsitzt, während in El Salvador offiziell ein Drogenverfahren gegen ihn läuft. Für eine halbe Million Dollar, so offerierte Torres, würde er Silvas Probleme mit Richtern und Staatsanwälten in El Salvador lösen.

Die guatemaltekischen Behörden betrachten Silva offiziell als Kopf hinter der Ermordung der drei ARENA-Abgeordneten im zentralamerikanischen Parlament, bei der es um eine Abrechnung im Narkomilieu gegangen war (Correos 149, April 2007). Die US-Botschaft hatte die Abhörprotokolle schon ein Jahr zuvor der salvadorianischen Generalstaatsanwaltschaft überreicht, die sich hütete, mehr zu tun, als Torres darüber zu informieren. Nach der Veröffentlichung wurde der zur Saca-Gruppe gehörende Torres subito abgesetzt. Seine Kumpane im Parteiapparat bezeichneten seine Absetzung als schmutzigen Trick von Calderón und Cristiani und drohten "auszupacken". Und nun legt sich dieser Torres einfach um! Die Staatsanwaltschaft bestätigt die Hypothese Selbstmord nach einer rekordkurzen Untersuchung von wenigen Tagen und schliesst die Akte Torres (inklusive Beziehung mit Silva). Die Autopsie hatte keine Schmauchspuren an Torres' Händen gefunden, die es aber unbedingt geben sollte, wenn er sich selber erschossen hat - ei, wusste der amtierende Generalstaatsanwalt Escalante, im (landesweit mit am professionellsten) Spital haben sie eben die Hände der Leiche so richtig sauber gewaschen.


Wenn die Killer streiken...

Mauricio Funes hatte, kaum im Amt, seine bisherige Position gegen die Verwicklung der Militärs in Aufgaben der inneren Ordnung aufgegeben und vor der Armeeführung die Rolle der Streitkräfte bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität betont: "Dies kann [in Zusammenarbeit mit der Polizei] mit Geheimdienstaktionen und Spezialoperationen erfolgen. Es handelt sich um eine für das Vaterland vitale Mission." (La Prensa Gráfica, LPG, 8.6.09) Noch nicht einmal die ARENA-Präsidenten hatten sich erlaubt, in diesem Zusammenhang den militärischen Geheimdienst offen ins Spiel zu bringen. Als erstes sollten sofort die gemischten Polizei-/Armeepatrouillen in besonders von der Kriminalität betroffenen Gemeinden aufgestockt werden. (Mittelfristig will Funes 1000 neue PolizistInnen auf die Strassen bringen, was allgemein mit Wohlwollen aufgenommen wird, auch da die Polizeiakademie jetzt unter demokratischer Leitung steht.)

Allein, von den aufgestockten Patrouillen ist nichts zu sehen. Der Grund: Serconse. Das Unternehmen war in manchen staatlichen Einrichtungen als privater Werkschutz angeheuert. (Und hatte mit so genannten Phantomplätzen Extra-Profite eingestrichen, wie die neue Regierung gleich bemerkte. So bei der Sozialversicherung, welche für 715 Angestellte bezahlte, obwohl es real nur deren 485 gab. Dito bei den Wasserwerken oder den Ministerien für Inneres und für öffentliche Bauten.) Am 18. Juni quittierten die Serconse-Angestellten ihren Dienst und seither bewachen Soldaten und PolizistInnen die staatlichen Gebäude. Die Hälfte der jetzt ehemaligen Serconse Angestellten, die angeblich ihren Lohn einfordern, behielt ihre Waffen (EdH, 19.6.09). Erst mal sind Armee- und Polizeikräfte gebunden, nicht zum Leid von ARENA, die kein Interesse daran hat, dass die Regierung Funes in Sachen Kriminalität punkten könnte. (Massnahmen zur Respektierung der Menschenwürde der gefangenen Mara-Mitglieder und ihrer Angehörigen, welche die neue Regierung ergriffen hat, sind für ARENA ohnehin nur Verbrechensförderung.)


Chaos im Rechtsstaat - kein anarchistischer Traum

Ein Land ohne beschlussfähige Mitgliederzahl in der Verfassungskammer des Obersten Gerichts; ohne eine legale Staatsanwaltschaft; eine rechte Parlamentsmehrheit, welche die nachrückenden Mitglieder des Obersten Gerichts laut Verfassung spätestens Ende April hätte wählen müssen, der das aber ein Mehrheitsspruch der auf 1. Juli abtretenden Parteifreunde im Obersten Gerichts untersagt hat - kein anarchistischer Freiheitstraum, sondern rechte Destabilisierung. Die Rechte hat im Parlament die Mehrheit, im Obersten Gericht, in den Medien, in den Kirchen, hat die Staatsanwaltschaft, die Armee - nur die Exekutive hat sie verloren. Sie nutzt diese Mehrheit. Das Parlament wählt ein jeweils nachrückendes Drittel des Obersten Gerichts mit 2/3-Mehrheit aus einer Liste, die zur Hälfte von den AnwältInnen in allgemeiner Wahl, zum anderen Teil vom Judikativrat bestimmt wird, dem Funktionen zur Ernennung von RichterInnen obliegen. Da die Rechte nur über die einfache Parlamentsmehrheit verfügt, muss sie mit dem FMLN einig werden. Nun haben sich drei Vorstandsmitglieder des Judikativrates selber auf die KandidatInnenliste gesetzt - legal, weil die rechte Parlamentsmehrheit noch nicht so lange her eine vom FMLN geforderte Aufhebung dieses Schlichs verworfen hat. Sacas ehemalige Tourismus-Vizeministerin legte Beschwerde beim Obersten Gericht ein: Ihr Recht, auf der Liste zu figurieren, werde durch die Eigenkandidaturen (ihrer ParteikollegInnen) beschnitten. Das Oberste Gericht befahl darauf in einem Akt der Amtsanmassung dem Parlament, die Wahl auszusetzen - und fand danach keine Zeit, sich weiter mit der Materie zu beschäftigen...

Gleichzeitig sollte das Parlament einen neuen Generalstaatsanwalt wählen. Der bisherige, von ARENA portierte, hatte keine Chance auf ein FMLN-Plazet, worauf ARENA auf stur stellte. Entweder der oder keiner. Das Kalkül war, den Scharfmacher Astor Escalante so lange als möglich amten zu lassen. Unter Saca war er Vizesicherheitsminister gewesen, bis er ein paar Monate vor Ablauf der Periode des Generalstaatsanwaltes die gerade administrativ ins Leben gerufene Stelle als dessen Stellvertreter danach "Nachfolger" übernahm. Sein Job: drohende Untersuchungen krimineller Machenschaften von ARENA-Grössen zu unterbinden. Nur: Er amtet als Stellvertreter für einen, den es nicht mehr gibt - laut Gesetz sind alle seine Handlungen nicht rechtskräftig und damit auch, wie von mehreren RichterInnen auch tatsächlich angewandt, die Anklagen etc. seiner Untergegebenen. Chaos im Rechtsstaat, sozusagen.

Das war und ist auch genau die Message von ARENA. Entweder wir kontrollieren den Laden weiter oder es gibt Unregierbarkeit - von weitem winkt ein Putsch. Diese Herr-im-Haus-Strategie der Rechten treffen wir auch in anderen Bereichen an (etwa bei den von der Parlamentsrechten verabschiedeten Konterreformen im Wahlgesetz, welche den FMLN auch künftig von der Kontrolle des Wahlregisters ausschliessen). Es ist klar, dass es angesichts der institutionellen Machtverhältnisse viel Geduld braucht, aber auch eine soziale Mobilisierung gegen die Arroganz der Rechten.

Die ist von der Regierung Funes nicht zu haben. Sie ist das Abbild der Allianz zwischen dem FMLN und den etwas reformorientierten, aber stringent kapitalistischen Kräften um Funes. Letztere stehen insbesondere an der Spitze der mit Wirtschaft befassten staatlichen Schaltstellen, während der FMLN in den Ministerien für Soziales, für Sicherheit (ohne Armee), für öffentliche Bauten und - zumindest theoretisch - für das Äussere dominiert. Eine Mobilisierung von unten wird am Frente liegen. Dabei kann es nicht darum gehen, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Die Vorgänge in Honduras und vor kurzem in Guatemala machen eigentlich klar, wie wenig Reformismus es braucht, um die transnationale Rechte in Rage zu bringen (s. Berichte in diesem Heft).


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 158, 10. August 2009, S. 18-20
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2009