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CORREOS/050: Antworten des Südens auf die globale Wirtschaftskrise


Correos des las Américas - Nr. 155, 18. November 2008

Antworten des Südens auf die globale Wirtschaftskrise

Schlusserklärung einer Konferenz linker ÖkonomInnen


Auf einer Konferenz linker ÖkonomInnen hauptsächlich aus Lateinamerika anfangs Oktober in Venezuela wurde das Rad nicht neu erfunden. Bezeichnenderweise sind die Vorschläge dort präziser, wo sie ein progressives Management traditioneller Instrumente der ÖkonomInnen reflektieren, und kurz und vage dort, wo sie sich direkt auf radikale Positionen der sozialen Bewegungen im Kontinent beziehen (wie etwa die Basiskontrolle von Entwicklungsbanken). Jedenfalls aber würde die Umsetzung der skizzierten Massnahmen den Raum für die Unterklassen massiv erweitern.


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Vom 8.-11. Oktober 2008 fand in Caracas, Venezuela, die "Internationale Konferenz über politische Ökonomie: Antworten des Südens auf die globale Wirtschaftskrise" statt unter Beteiligung von Akademikern und Forschern aus Argentinien, Australien, Belgien, Chile, China, England, Ecuador, Frankreich, Kanada, Kuba, Mexiko, Peru, Spanien, Süd-Korea, Uruguay, USA und Venezuela. Sie erbrachte eine breite Debatte über die ökonomische und finanzielle Aktualität der Weltwirtschaft und die neuen Perspektiven und Herausforderungen für die Regierungen und Völker des Südens angesichts der internationalen Finanzkrise.

[Die Schlusserklärung kritisiert] den in den letzten Wochen zu beobachtenden gigantischen Staatsinterventionismus [...] ausschliesslich zugunsten der privilegierten Sektoren. Dies könnte eine Rückkehr zu einem autoritären Funktionieren des Kapitalismus bedeuten, wie es sich in den Ländern des Nordens schon in der Zunahme der Diskriminierung und des Rassismus gegen die emigrierende Bevölkerung aus dem Süden ausdrückt [...] In einer so kritischen Situation muss die nationale und die regionale Politik die Sozialausgaben priorisieren und die natürlichen und produktiven Ressourcen schützen. Die Staaten müssen dringend Massnahmen einführen, um die Ersparnisse zu schützen, die Produktion weiter ankurbeln und die Gefahr eines Kontrollverlustes bekämpfen, indem sofort Massnahmen zur Kontrolle des Devisen- und Kapitalverkehrs ergriffen werden.

In diesem Sinne wird entscheidend sein, eine grössere Komplementarität und ausgeglichene regionale Handelsintegration zu entwickeln, indem die industriellen, agrarischen, energetischen und Infrastrukturkapazitäten potenziert werden. Initiativen wie ALBA oder die Bank des Südens müssen ihre Perspektive auf eine stärkere alternative Integration konsolidieren, die eine neue gemeinsame Währung mit einschliesst. In diesem Zusammenhang muss auch die Wichtigkeit eines Bündels von Beiträgen und Vorschlägen der sozialen Ökonomie [Kooperativen, Überlebensnetze, Teile des informellen Sektors etc.] gesehen werden, welche die lokale Antwort auf die Auswirkungen der Krise artikulieren. [...]


Schlussfolgerungen und Aktionsvorschläge

Wir gehen von der folgenden Charakterisierung der internationalen ökonomischen Situation aus:

1. Wir befinden uns weltweit in einer nie da gewesenen Lage. In den letzten Tagen hat sich die Wirtschafts- und Finanzkrise enorm verschärft. Sie kann von einem Tag auf den andern dramatische Ausmasse annehmen.

2. Die Krise ging von den USA und den Börsenmärkten aus und entwickelte sich zu einer globalen Krise. Sie wirkt sich jetzt besonders stark in Ost- und Westeuropa aus.

3. Entgegen der ursprünglichen Hoffnung Lateinamerika möge sich als "krisenresistent" erweisen, zeigen sich heute schon eindeutige Belege für eine baldige Betroffenheit. Nicht nur ist ein anhaltender Rückgang des Aussenhandels zu erwarten, sondern sehr bald auch ein sehr gewalttätiger Finanzschock.

In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Wir setzen auf Vorschläge, die das Wohlergehen und die Rechte unserer Völker garantieren, und nicht wie in den USA und in Europa darauf, die für die Krise verantwortlichen Bankiers zu retten. Wir betrachten die folgenden Handlungsvorschläge als unerlässlich. Für einige wird es politische Entscheide auf höchster Ebene bedürfen. Deshalb muss sofort ein Gipfel der Staatschefs von Lateinamerika und der Karibik, zumindest aber der Unasur [südamerikanisches Staatenbündnis] ins Auge gefasst werden.


Banksystem

Angesichts des Kollaps des internationalen Finanzsystems müssen die Staaten der Region sofort die Obhut der Banksysteme mittels Kontrolle, Intervention oder entschädigungsloser Verstaatlichung übernehmen, wie es die neue Verfassung von Ecuador sagt, welche die Verstaatlichung von Privatschulden verbietet. Damit sollen die Kapitalflucht ins Ausland, der Mitteltransfer von Bankfilialen an die ausländischen Mutterhäuser, die Währungsspekulation und die Kreditblockaden durch die Banken vermieden werden.

Die Offshore-Bereiche des Banksystems jedes Landes müssen geschlossen werden, diese Steuer- und Regulierungsschutzschilde dienen unter den jetzigen Bedingungen nur dem Absaugen von Liquidität aus der Peripherie.

Stärkung der Bankenaufsicht und Mechanismen für eine strikte Regulierung, welche die reale Situation der nationalen Banksysteme als Depositarien der Ersparnisse der Bevölkerung transparent machen. Eine dieser Massnahme muss ein Minimum an nationaler Investition in die liquiden Aktiven des Systems beinhalten (inländischer Liquiditätskoeffizient).

Die nicht-gewinnorientierte Verwaltung solcher Institute für die lokale Entwicklung durch die Bevölkerung der Gebiete, wo sie niedergelassen sind, ist zu fördern.


Neue Finanzarchitektur

Das Fehlen einer koordinierten Geldpolitik produziert den Krieg von "konkurrierenden Abwertungen", welche die Krise verschärfen und zwischen unseren Wirtschaften Rivalitäten entstehen lassen. Dies verunmöglicht eine koordinierte Antwort der Region und bedroht sogar die integrationistischen Fortschritte wie die Unasur. Deshalb braucht es ein klares Signal für ein lateinamerikanisches monetäres Abkommen, das die zusätzlichen Möglichkeiten für eine "Panzerung" unserer Makroökonomien aufzeigt. So würde die Definierung eines auf einem Korb lateinamerikanischer Währungen beruhenden Zahlungsausgleichssystems jedem Land die zusätzliche Liquidität ermöglichen, die ein Abkoppeln von der Logik der Dollarkrise erlauben würde.

Im gleichen institutionellen Aufbaubereich zur "Panzerung" unserer Wirtschaften braucht es eine stärkere Artikulierung unter den Zentralbanken, welche das neoliberale Dogma mit einer bei weitem effizienteren und angebrachteren Verwaltung der Währungsreserven überwindet. In diesem Sinne ist es wichtig, mit dem Vorschlag eines zum Internationalen Währungsfonds alternativen Fonds des Südens voranzukommen, der flüssige Mittel für Budget- oder Zahlungsbilanznotfälle bereit stellt.

Die Ausweitung der zusätzlichen Reserven jedes Landes aufgrund der Schaffung des Zahlungsausgleichsystems (regionale Ziehungsrechte) und der Fonds des Südens können gebraucht werden, um Mittel für das sofortige Funktionieren der Bank des Südens zu mobilisieren. Dabei gilt es, das demokratische Funktionieren dieser Bank zu garantieren und nicht die Logik der multilateralen Kreditorganisationen zu reproduzieren. Diese Bank muss das Herzstück der Umwandlung des schon existierenden Netzes der lateinamerikanischen Entwicklungsbanken sein, die sich am Wiederaufbau der auf den fundamentalen Menschenrechten basierenden produktiven Apparate orientieren.

Es ist unerlässlich, die Devisenausfuhrkontrolle in den Ländern, wo sie existiert, zu ratifizieren und sie dort, wo sie nicht existiert, einzuführen, um die Devisen- und Kapitalflucht zu unterbinden.

Im Rahmen der Zahlungssuspendierung, welche die Krise dem internationalen Finanzsystem auferlegt hat, drängt es sich für die Länder der Region auf, die Bezahlung der Staatsschulden zu suspendieren. Die Massnahme bezweckt, transitorisch die von der Krise bedrohten staatlichen Ressourcen zu schützen und eine Leerung der Tresorerien der Länder zu vermeiden.


Sozialer Notfall

Wir schlagen einen regionalen Notfallfonds für Soziales vor, um sofort die Nahrungs- und die energetische Souveränität zu garantieren. Ebenso, um das akute Problem der Migration und des Rückgangs der Rimessen anzugehen. Dieser Fonds könnte innerhalb der Bank des Südens oder der [schon existierenden] ALBA-Bank funktionieren.

Getreu dem Prinzip, nicht die Bankiers, sondern unsere Völker zu unterstützen, müssen die Budgetposten für Sozialausgaben beibehalten und ihre Erhöhung ins Auge gefasst werden. Prioritär dabei: Arbeitsplatzsicherheit, universelles Einkommen, öffentliches Gesundheits- und Erziehungswesen, Wohnungen.


Finanzorganismen

Die internationale Finanzkrise hat die Komplizenschaft von IWF, Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank mit den transnationalen Bankiers aufgezeigt, die den aktuellen Kollaps mit seinen fürchterlichen sozialen Folgen provoziert haben. Die Diskreditierung dieser Institute ist offensichtlich. Für die Länder der Region ist dies die Gelegenheit, dem Beispiel von Bolivien folgend, sich aus dem CIADI [Investitionsgericht der Weltbank] zurückzuziehen. Und sich, dem Aufruf von Venezuela folgend, aus IWF und Weltbank zurückzuziehen und den Aufbau einer eigenen internationalen Finanzarchitektur zu beginnen.

Caracas, 11. Oktober 2008

Declaración final de la Conferencia Internacional de Economía Política: Respuestas del Sur a la crisis económica mundial


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 155, 18. November 2008, S. 23-24
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Röntgenstrasse 4, 8005 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009