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AUFBAU/565: Amazon und die Stadtaufwertung


aufbau Nr. 96, März/April 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Amazon und die Stadtaufwertung


NEW YORK 2018 kündigte Amazon an, seinen zweiten Hauptsitz zweigeteilt in Long Island City, einem Viertel von Queens in New York, und in Arlington, Virginia, bauen zu wollen. Das Vorhaben zeigt, welche Rolle der Konzern im Standortwettbewerb spielt und wie Aufwertungsprozesse vorangetrieben werden.


(az) Im September 2018 eröffnete Amazon Chef Jeff Bezos die Suche nach einem neuen Hauptsitz. Für den zweiten Standort neben Seattle versprach er Milliarden an Investitionen und Zehntausende neuer Jobs. Entsprechend zahlreich bewarben sich amerikanische Städte. Kleinere Orte buhlten mit teils bizarren Aktionen um die Aufmerksamkeit des Grosskonzerns. Tucson, eine Stadt in Arizona, schenkte Bezos einen über sechs Meter hohen Saguaro-Kaktus. Stonecrest in Georgia bot eine riesige Fläche an, die man bei Zusage in "City of Amazon" umbenennen würde. Auch New Yorks demokratischer Gouverneur Andrew Cuomo witzelte mit Reportern, dass er für Amazon alles tun würde, selbst zur Änderung seines Namens in "Amazon Cuomo" wäre er bereit. Den Zuschlag gab es dann aber nicht aufgrund solcher Bekenntnisse, sondern für die vorteilhaften Deals, die New York anbot.


Steuerdeals und Standortwettbewerb

In New York kann Amazon in den nächsten 10 Jahren von Steuergutschriften im Wert von bis zu 1.2 Milliarden Dollar profitieren, sollten sie in dieser Zeit tatsächlich 25.000 Jobs schaffen. Möglich macht dies ein Job-Förderprogramm, das für jeden ausgegeben Dollar für Löhne 6.85 Cents Steuergutschrift zuschreibt. Mindestens weitere 325 Millionen Dollar fliessen in den nächsten 15 Jahren als staatlicher Zuschuss in die Baukosten. Auch bürokratische Hürden werden dem Konzern erlassen. Der Bundesstaat New York wird für das Bauvorhaben einen Projektplan entwerfen und umgeht damit die Aufsicht des New Yorker Stadtrates. Weil das Land dem Bundesstaat unterstellt wird, wird der Staat der Stadt auch keine Grundstückssteuern zahlen müssen. Zwar hat Amazon versprochen, vergleichbare Steuern selbst zu leisten, allerdings fliesst die Hälfte davon in einen "Infrastruktur Fonds", der für weitere Bauvorhaben wie Strassen im Umfeld des Projektes genutzt werden wird. Und auch in Sachen Mieten für die Flächen kann sich Amazon glücklich schätzen. Sie sollen zwar 850.000 Dollar pro Jahr der Stadt zahlen, dies ist allerdings ein relativ tiefer Betrag, der für den Bereich festgelegt wurde, als darauf erst einige Apartment-Türme gebaut werden sollten.

Die Absurdität des amerikanischen Standortwettbewerbs sorgt dafür, dass die mindestens 1,7 Milliarden Dollar an Zuschüssen beziehungsweise die gut 50.000 Dollar Subventionen pro Job zwar äusserst hoch sind, New York im Vergleich zu anderen Angeboten aber immer noch gut dasteht. 7 Milliarden an Steuerdeals bot etwa New Jersey und mit gar 8,5 Milliarden Dollar stieg Maryland ins Rennen um Amazon - Arlington hingegen konnte Bezos mit einem vergleichsweise geringen 1 Milliarde Dollar Deal überzeugen. Solche bundesstaatliche oder städtische Förderprogramme haben im krisengeschüttelten Amerika System. Insbesondere Tech-Firmen werden umworben. Hier sind die Auswüchse teils aberwitzig. Um beispielsweise Cloud- oder Daten-Zentren und ihre Anbieter wie Microsoft, Facebook oder Apple anzulocken, haben etliche Bundesstaaten in den letzten Jahren besondere Steuerdeals ausgearbeitet. Auf die in den neuen Zentren bisher tatsächlich geschaffenen Jobs gerechnet wurden dadurch durchschnittlich 2 Millionen Dollar Subventionen pro Job bezahlt.

Die bundesstaatlichen Investitionskosten sind immens und immer wieder steht die Frage im Raum, ob sich dies überhaupt lohnt. Doch die im Standortwettbewerb mit relativ viel Autonomie ausgestatteten Bundesstaaten und Städte können gar nicht mehr anders. Um Firmen anzulocken, international konkurrenzfähig zu sein und Jobs im Land zu behalten, wird alles unternommen, um für die Konzerne die besten Deals vorzuschlagen. Die landesinterne Konkurrenz führt zu einem zusätzlichen Kampf um die besten Vergünstigungen. So werden die reichsten und grössten Unternehmen der Welt zusätzlich beschenkt, während das Geld anderweitig eingespart werden muss.


Gentrifizierung durch Amazon

Lokale AktivistInnen sind allerdings nicht nur um die Verschwendung von Steuergeldern besorgt, sondern auch um die drohende zusätzliche Gentrifizierung infolge des Amazon-Deals. Die Wohnkrise in New York, wie auch in anderen amerikanischen Städten, ist heute schon verheerend. Zwischen 2002 und 2012 sind in New York beispielsweise 400.000 Wohnungen mit einer Miete unter 1000 Dollar verschwunden - bei einem Grossteil wurde der Mietpreis stark erhöht, andere fielen teuren Neubauten zum Opfer. Einzimmerwohnungen kosten im Medianwert heute 3070 Dollar. Zentral gelegen findet man eine solche mit Glück ab 2000 Dollar, etwas weiter weg und mit sehr viel Glück vielleicht ab 1300 Dollar - selbst dies ist ein Preis, der sich niemand mit geringem Lohn leisten kann. Auch deswegen leben in New York rund 60.000 Obdachlose. Nur während der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre waren es vergleichbar viele. Schuld an solchen Zahlen ist der Aufwertungsprozess, der die Marktpreise für Mieten und Immobilien seit Jahren in die Höhe treibt - zwischen 2010-2018 stiegen die Mieten in der Stadt um 31 %. Diese Entwicklung wird durch Amazons neuen Hauptsitz weiter verstärkt. Mittelfristig rechnet beispielsweise Zillow, ein Unternehmen für Immobilien-Datenbanken, für New York mit einer zusätzlich jährlich steigenden Miete von 1,4% aufgrund des Amazon Deals.


Nachbarschaft ohne Perspektiven

Die allgemeinen Befürchtungen über die negativen Auswirkungen von Amazons Neubauten konkretisieren sich in den Wohnbauten, die nahe dem geplanten Hauptsitz stehen, exemplarisch in den Queensbridge-Häusern, eine der grössten Sozialwohnungssiedlung Amerikas. Hier lebt eine mehrheitlich lateinamerikanische und schwarze, proletarische Bevölkerung mit einem Medianeinkommen von 15.843 Dollar pro Haushalt, was weit unter der landesweiten Armutsgrenze liegt. Hier wuchsen Hip-Hop Grössen wie Nas, Mobb Deep oder Roxanne Shante auf. Gut 60% der über 6000 BewohnerInnen sind auf Essensmarken angewiesen. Während die Stadt und der Bundesstaat Milliarden für Amazon ausgeben, fällt in den Queensbridge-Häusern immer wieder Strom, Heizungen und Wasser aus. Entsprechend vernachlässigt fühlen sich die BewohnerInnen von der Stadt.

Zwar liessen einige AnwohnerInnen verlauten, dass sie auf Jobs aus dem Amazon-Deal hoffen, allerdings zeigt die bisherige Erfahrung das Gegenteil. Amazon ist nicht das erste Unternehmen, das im mehr und mehr gentrifizierten Long Island City ansiedelt. Stets hat man jedoch darauf verzichtet, lokale ArbeiterInnen anzustellen. Dies wird trotz Versprechen auch bei Amazon nicht anders sein. Ganz im Gegenteil davon, war doch eines der wichtigsten Kriterien für die Wahl des Standortes, die Verfügbarkeit über die am besten ausgebildetsten Millennials. Ein entsprechender Hohn ist es, wenn New Yorks demokratischer Bürgermeister Bill de Blasio von einer "extraordinary" Synergie zwischen grösstem Unternehmen der Welt und grösster Sozialwohnungssiedlung spricht. Im neuen Hauptsitz werden vornehmlich Menschen mit guter Ausbildung arbeiten, die nicht in der Queensbridge-Siedlung wohnen oder aufgewachsen sind. Deren BewohnerInnen werden vielmehr mit einer sich weiter verändernden Nachbarschaft und steigenden Preisen zu kämpfen haben. Dafür muss man auch keinE HellseherIn sein: Bereits jetzt berichten BewohnerInnen davon, wie der Preis für Lebensmittel in den angrenzenden Supermärkten gestiegen ist. Und kurz nach den ersten Gerüchten, dass Amazon sich für New York entschieden hat, stiegen die Immobilien-Anfragen auf Zillow für Long Island City um gut 300%.


Widerstand

So beliebt Amazon bei PolitikerInnen und KonsumentInnen ist, so verhasst ist Gentrifizierung in New York. Entsprechend rasch zeigte sich nach Bekanntgabe des Deals eine breite Empörung über die Zusammenarbeit von Bundesstaat, Stadt und Konzern. Bereits in den ersten Wochen gab es Kundgebungen und Aktionen gegen den neuen Hauptsitz. Bestehende lokale Initiativen, wie beispielsweise das Queens Anti-Gentrification-Project, werden dabei von grösseren reformistischen Gruppen und Parteien unterstützt, beispielsweise von der Democratic Socialists of America (DSA), die aufstrebende neugegründete sozialdemokratische Partei rund um das Jacobin Magazine. Aufgrund der heterogenen Zusammensetzung des Widerstandes ist es alles andere als klar, in welche Richtung der Protest gehen wird.

AktivistInnen des Queens Anti-Gentrification Project sind insbesondere an den internationalen Erfahrungen von Berlin interessiert, wo der Google-Campus verhindert werden konnte. Sie wollen entsprechende Aktionsformen übernehmen und haben dafür einen Grundsatz veröffentlicht. Sie werden sich nicht auf Gespräche mit Amazon einlassen, nicht mit PolitikerInnen sprechen, die in der Vergangenheit Teil solcher Deals waren, unabhängig von der Menge verschwendeter öffentlicher Gelder gegen den Amazon Hauptsitz kämpfen und verschiedene Taktiken und Kampfformen akzeptieren. Andere Gruppen setzen hingegen auf Gespräche und Petitionen. Dies birgt Gefahren, nicht zuletzt weil auch etablierte PolitikerInnen und Parteien von der Empörung profitieren wollen. Besonders dreist ist dabei wie so oft die Demokratische Partei, insbesondere deren stellvertretender Vorsitzende des New Yorker Stadtrates Jimmy Van Bramer. Dieser erhielt in den letzten Jahren mehr Spendengelder durch Immobilienunternehmen als alle anderen Stadtratskandidaten, war sich aber nicht zu schade, als einer der ersten zu einer auf ihn zugeschnittenen Anti-Amazon-Kundgebung mit ihm als Hauptredner aufzurufen. Entsprechend empört war man beim Queens Anti-Gentrification Project.

Man mag dies als eine irrelevante Anekdote amerikanischer Lokalpolitik empfinden, die Auseinandersetzungen dahinter können aber in ihrem grösseren Kontext verstanden werden. Im Kampf gegen Amazon geht es auch darum, wie, von wem und mit welchem Ziel Menschen zukünftig mobilisiert werden. Im besten Falle gelingt es, wie sich dies das Queens Anti-Gentrification Project zum Ziel gesetzt hat, Amazons neuen Hauptsitz zu verhindern und Reformen in der Wohnpolitik durch einen wachsenden Druck von unten zu erreichen. Im schlechtesten Falle wird sich aber der übliche Filz der Demokratischen Partei durchsetzen und der Protest kommt nicht über einige Zugeständnisse und unfreiwillige Wahlkampfarbeit hinweg.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 96, März/April 2019, Seite 5
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2019

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