Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/546: Nicht nur Trump, wir auch!


aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Wir nicht, aber Trump auch!


PROTEKTIONISMUS Die "Strafzölle" des Donald Trump verschleiern die Tatsache, dass vor allem die EU und China keine Waisenknaben in Sachen Protektionismus sind.


(gpw) Seit das Trumpeltier seinen Handelskrieg losgetreten hat, ergehen sich die bürgerlichen Eliten in Europa und anderswo in Klageliedern über die Verletzung der freihändlerischen Heiligtümer. Gebetsmühlenartig predigen sie das Evangelium vom sogenannten komparativen Vorteil, welcher der Warenexport und -import allen Beteiligten bringen soll. Dabei erküren sie den klassischen politischen Ökonomen David Ricardo zu ihrem Apostel (vgl. Kasten unten).


Wo Trump Recht hat

Mit seiner Klage, die EU, China und andere Länder würden die USA schon lange mit ihrer Handelspolitik übervorteilen, hat der amerikanische Präsident nicht einfach Unrecht. Allein im Stahlbereich erhebt die EU auf mehr als 40 Produktbereiche Strafzölle. Die EU erhebt auf importierte Personenwagen Einfuhrzölle bis 10%, die USA dagegen nur 2,5%. Amerikanische Pick-ups werden von der EU als Lastwagen eingestuft und daher mit einem Einfuhrzoll von 22 Prozent belegt. Aufschläge von 35-72% für diverse chemische Produkte und 35-126% bei bestimmten Lebensmitteln und Süssstoffen sind Beispiele dafür, dass die EU bisher eindeutig protektionistischer ausgerichtet war als die Vereinigten Staaten. Und wenn Chinas Präsident und Parteichef Xi Jinping schon am letzten Davoser WEF im Chor der Freihandelssänger auftrat und bis heute als das durchgeht, finden wir das ähnlich absurd wie das Trumpeltier im Weissen Haus es auch findet.

Zumindest bei der ach so gehätschelten Landwirtschaft steht die Schweiz bezüglich Abschottung an vorderster Front. Und wenn "wir" es vorziehen, kein Fleisch hormonbehandelter Rinder und keinen gentechnisch veränderten Mais zu essen, beteiligen wir uns am Aufbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse, was indirekt wie Zölle wirkt. Insgesamt also, nicht nur Trump, sondern "wir" auch.


Verschiebung der interimperialistischen Widerspruchsfronten

Der EU-Protektionismus richtet sich vornehmlich gegen die Volksrepublik: Von den 53 aktuellen "Antidumpingmassnahmen" der EU betreffen 27 chinesische Hersteller. Gegen chinesische Stahlprodukte belegte die EU bereits 2011 Strafzölle von 48,3 bis 71,9%. Auf Solarpanele aus China verlangt die EU Mindestpreise und erhebt Strafzölle, was einer Abschottung von fast 50% entspricht. Hier liegen womöglich die Gründe, dass US-Trump und EU-Tusk das Handelskriegsbeil vorerst begraben haben. Andererseits erhöht z.B. BMW die Produktion seines Joint Ventures mit dem chinesischen Autohersteller Brilliance in Shenyang von zuletzt 400.000 auf 520.000 Fahrzeuge pro Jahr und reduziert seine Produktion in den USA, aus Angst vor chinesischen Einfuhrzöllen.


Protektionismus verschärft die Krise

Aber selbstverständlich ist es schon so, dass es die Krise verschärft, wenn sich die verschiedenen Kapitalfraktionen weltweit gegeneinander abschotten, also dem Protektionismus frönen. Das hat schon die grosse Krise der 1930er Jahre gezeigt, und die Architekten der Nachkriegsordnung von Bretton Woods versuchten alles, um diesen Fehler nicht zu wiederholen. Das ist ihnen im Laufe der Jahrzehnte auch teilweise gelungen: Mittels der WTO in Genf wurde eine Art Gerichtsbarkeit geschaffen, das Handelsstreitigkeiten im Dienst der Interessen des weltweiten Kapitals schlichtet. Dies gelingt aber wegen der krisenbedingten Verschärfung der internationalen Konkurrenz immer weniger.

Zölle und andere Abgaben an Staaten wirken wie Steuern: sie gehen auf Kosten der Profite der einzelnen Unternehmen und senken also auch die Durchschnittsprofitrate. Das kann so weit gehen, dass sich Investitionen nicht mehr lohnen - eine Charakteristik der Kapitalüberproduktionskrise. Dieser kann durch den internationalen Handel ein Stück weit entgegengewirkt werden. Er macht es möglich, billiger an Rohstoffe und andere Produktionsmittel heranzukommen, so dass mehr für den Profit übrig bleibt. Ferner senkt der Import preisgünstiger Konsumgüter die Lebenskosten der ArbeiterInnen, was - langfristig und im Durchschnitt betrachtet - den Wert der Ware Arbeitskraft senkt. Mehrwert- und Profitrate steigen entsprechend. Es ist also das Kapital, das profitiert, wenn wir aus Billiglohnländern importierte Kleider bei H&M & Co. Kaufen. Dass alle vom Welthandel profitieren, entpuppt sie auch hier als das übliche bürgerliche Geschwafel.


KASTEN
Die Theorie des komparativen Vorteils

Wenn sich jedes Land auf die Produktion derjenigen Waren spezialisiert, die es unter den vorteilhaftesten Bedingungen herstellen kann, entstehe durch den Handel für alle ein zusätzlicher Gewinn. Und zwar auch für die Arbeiterinnen, weil für sie die notwendigen Konsumgüter billiger werden und sie mehr davon kaufen können. Das bewiesen zu haben, sei das Verdienst von David Ricardo, dem zweiten grossen klassischen Ökonomen nach Adam Smith. Unterschlagen wird dabei zweierlei: Erstens senken billigere Konsumtionsmittel langfristig den Wert der Ware Arbeitskraft, so dass der entsprechende Gewinn an die Unternehmerinnen fliesst und das Proletariat wie immer leer ausgeht; zweitens können Kapitale seit dem Übergang des Kapitalismus in die imperialistische Phase jederzeit von einem Land ins andere verschoben und so die Gewinne des einen Landes wieder abgezogen werden.

Die Reduzierung von Ricardo auf diese Theorie hat - wie die Reduzierung von Adam Smith auf die Theorie der "unsichtbaren Hand", die alles zum Wohl aller regelt - den Vorteil, dass Karl Marx und der Klassenkampf aussen vor gelassen werden können. Dabei haben beide auf ganz anderen Gebieten wichtige Grundlagen für Marx' Analyse des Kapitalismus gelegt.

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang