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AUFBAU/498: Privatisierung auf Raten


aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Privatisierung auf Raten


LIBERALISMUS Das Gesundheitswesen steht unter enormem Kostendruck und die bürgerlichen Politiker suchen händeringend nach Lösungen. Allheilmittel aus ihrer Sicht ist die Privatisierung. Aktuell betroffen sind die Kantonalen Kliniken in Winterthur. Doch es steckt mehr dahinter als der altbekannte Sozialabbau in Zeiten der Krise. Es handelt sich um eine sogenannte produktive Umgestaltung des Gesundheitswesens.


(raw) Das Kantonsspital Winterthur (KSW) ist eines der zehn grössten Spitäler der Schweiz und im Grossraum Winterthur ein wichtiger Faktor in der gesundheitlichen Erstversorgung. Beinahe 3.000 MitarbeiterInnen behandeln dort im Jahr über 180.000 PatientInnen. Ebenso kümmert sich an verschiedenen Orten in der Region Winterthur die Integrierte Psychiatrie Winterthur (IPW) pro Jahr um 3.000 PatientInnen und deckt so die psychiatrische Grundversorgung im Raum östlich von Zürich ab. Betrieben wurden diese Einrichtungen lange Zeit durch den Kanton Zürich, der die Defizite deckte und bei betrieblichen Entscheiden mitredete. Im Zuge der allgemeinen Liberalisierung wurde im Jahre 2007 das KSW in eine "selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt" umgewandelt. Der Regierungsrat versprach sich davon eine Entflechtung der kantonalen Verwaltung und mehr unternehmerischen Spielraum für das Spital. Das Begehren wurde an der Urne angenommen, auch dank der stetigen Beteuerungen, dies sei kein Schritt in Richtung Privatisierung. Dass diese Aussage nur eine Farce war und dass die beliebte Salamitaktik auch beim Privatisieren angewendet wird, zeigt sich heute überdeutlich.

So steht Ende Mai eine kantonale Abstimmung an, um das KSW und die IPW in eine privat-rechtliche Aktiengesellschaft umzuwandeln. Der Kanton soll zwar eine Aktienmehrheit behalten, jedoch nur mit einer Garantie auf wenige Jahre. Danach steht dem Verkauf an Private nichts mehr im Weg. Zur Abstimmung kommt es aufgrund eines Referendums der parlamentarischen Linken. Die anderen Parteien unterstützen die Privatisierungspläne des Regierungsrats mehrheitlich.

Warum geschehen diese Privatisierungsschritte im Gesundheitsbereich? Diese Angriffe sind sicherlich als Teil der Antwort des Kapitals auf die Krise zu verstehen, als Sozialabbau und Lohndrückerei für den Profit. Aber in der aktuellen Situation im Gesundheitswesen kommt noch ein weiterer Aspekt dazu. Als eine der grössten Branchen in der Schweiz ist das Gesundheitswesen von wichtiger Bedeutung für die Volkswirtschaft. Durch die angestrebten Privatisierungen und die fortschreitende Technologisierung präsentiert sich dem Kapital hier ein enormer Wachstumsmarkt.

Gewinnoptimierung

Damit das Kapital diesen Bereich erobern kann, muss der Staat zurückgedrängt und die Regulierung so verändert werden, dass Konkurrenz und Profite winken. Immer schon gab es mit dem medizinisch-industriellen Komplex, zu dem die Pharmaindustrie und die medizinischen Gerätehersteller zählen, eine gewichtige kapitalistische Industrie im Gesundheitswesen. Mit den aktuellen Veränderungen geraten nun die Spitäler als ganze Institution ins Blickfeld des Kapitals. Für die Umgestaltung wurden die Rahmenbedingungen der Krankenhäuser verändert. Die entscheidende Revision war die Fallkostenpauschale, die 2012 in der Schweiz eingeführt wurde. Mit ihr wurde die Tagespauschale im stationären Bereich durch eine Fallpauschale ersetzt. Das bedeutet, dass nicht die effektive Leistung des Spitals bezahlt wird, sondern eine durchschnittliche Pauschale pro Krankheitsfall. Das ermöglicht es dem Spital, Profit zu erwirtschaften. Zweitens wurden die öffentlichen und privaten Spitäler gleichgestellt. Auf nächstes Jahr hin wird diese Fallkostenpauschale auch im psychiatrischen Bereich angewendet.

Die Folgen dieser Fallkostenpauschalen sieht man bereits in unseren Nachbarländern. Gewinnbringende, komplexe und technisch aufwändige Eingriffe werden forciert. Gleichzeitig sinkt der Personalbestand und bei der unproduktiven Betreuungs- und Pflegezeit wird gespart. Noch extremer wird dies wohl in Zukunft in der psychiatrischen Versorgung zu sehen sein. Oft gehen PatientInnen in Notsituationen in Behandlung, teils gar gegen ihren Willen. Die Konkurrenz unter den Kliniken kommt hier also gar nicht zum Spiel. Ebenso lassen sich psychische Erkrankungen kaum in ein Schema pressen. Sie mit den Fallkostenpauschalen zu bewerten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Gewinnbringende Behandlungen sind in der Psychiatrie, abgesehen von der Luxus Burnout- oder Entzugsklinik, beinahe nicht möglich. VerliererInnen dieser Entwicklung sind die Arbeitenden im Gesundheitssektor und die PatientInnen, kurz: Die ArbeiterInnenklasse. So heisst es ständig, das Spitalpersonal solle gefälligst schneller arbeiten und bei den PatientInnen ist die "Selbstverantwortung" das Wunderwort. Prämien werden laufend erhöht und zugleich wird versucht, den obligatorischen Leistungskatalog der Krankenkassen zu kürzen.

Wo solche Angriffe stattfinden, ist Widerstand vorprogrammiert. In letzter Zeit häufen sich die Arbeitskämpfe im Gesundheitsbereich. Stimmen werden laut, die nicht gewillt sind, als geschliffenes Rädchen diese produktive Umgestaltung fürs Kapital kampflos zu ermöglichen. Denn, die Umgestaltung bringt auch eine Produktionsmacht im Gesundheitswesen hervor, von der wir hoffen, dass sie sich in Zukunft dem Kapital mit Streiks und Kämpfen entgegenstellen wird.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht, im Schattenblick zum 13. Mai 2017

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