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AUFBAU/431: Prozesse gegen Rojava


aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Prozesse gegen Rojava


REPRESSION Die Angriffe gegen Rojava sind vielfältig. Nicht nur der türkische Staat nimmt die Bewegung ins Visier, auch westeuropäische Staaten zerren Militante vor Gericht.


(rh) Die Unterstützung des türkischen Staats für den "Islamischen Staat" (IS) ist hinlänglich bekannt und umfassend dokumentiert. Grund dafür ist, dass der türkische Präsident Erdogan, die AKP und wohl auch weite Teile der herrschenden Klasse in der Türkei im IS den für sie weit weniger gefährlichen Feind sehen als im Aufbruch in Rojava mit seinen Verbindungen zur PKK, aber auch zu anderen illegalen revolutionären Parteien in der Türkei. Die Art und Weise, wie der türkische Staat versucht die Bewegung in Rojava zu schwächen, und zugleich die Seite des IS zu stärken, ist enorm vielfältig. Es reicht von dokumentierten Waffenlieferungen des Geheimdienstes MIT an islamistische Gruppen in Syrien im Frühjahr 2014, über immer wieder offensichtliches Tolerieren von Grenzübertritten von IS-Kämpfern (in beide Richtungen, also auch bei Fluchtbewegungen des IS vor den YPG/J), hin zum Schutz von IS-Rekrutierungsbüros und -Ausbildungscamps in der Türkei. Zeitgleich wird die Arbeit der türkisch-kurdischen Bewegung behindert, Demonstrationen werden angegriffen, die Nachschubversorgung wird sabotiert und alle, die sich in irgendeiner Form am Projekt Rojava beteiligten, werden in der Türkei mit Prozessen überzogen. Davon betroffen sind auch Jugendliche, die beim Bombenangriff vom 20. Juli in Suruc verletzt wurden. Ein Mann wurde schlicht wegen "Mitgliedschaft in einer Organisation" verhaftet, anderen Verletzten aus Suruc drohen permanent Razzien.


Vom Spitalbett in den Knast

Im Juni 2015 publizierte die Menschenrechtsorganisation IHD einen Bericht, wonach zu dem Zeitpunkt rund 150 Personen in der Türkei inhaftiert waren, denen die Beteiligung am bewaffneten Kampf bei den YPG/J, die Mitgliedschaft in der PYD oder allgemein die Teilnahme an der Bewegung in Rojava vorgeworfen wurde. Da all diese Vorwürfe nicht einem eigentlichen Straftatbestand in der Türkei entsprechen, wird den Gefangenen der Prozess gemacht, indem ihnen die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (nämlich der PKK oder der Union der Gemeinschaften Kurdistans - KCK) vorgeworfen wird. Ein Beispiel ist der Fall von Esra Yakar, welche als Medizinstudentin nach Kobane ging, um dort bei der medizinischen Versorgung zu helfen. Sie wurde bei einem Mörserangriff des IS verletzt und kehrte in die Türkei zurück. Nun steht sie vor Gericht, gefordert werden 15 Jahre Haft, da sie "PKK-/KCK-Mitglied" sei. Ein klarer politischer Angriff, der angesichts der politischen und geostrategischen Dimensionen der Auseinandersetzung in der Region keinen grossen zusätzlichen Kommentar erfordert.

Die Festnahme- und späteren Haftbedingungen sind mies und belegen weiter die Geringschätzung des türkischen Staatsapparats, welche sich letztlich aus gegensätzlichen Klasseninteressen speist, gegenüber der politischen Bewegung. So dokumentiert der Bericht der IHD Fälle von inhaftierten YPG-Kämpfern, welche in Syrien verletzt, zur medizinischen Behandlung in die Türkei geschmuggelt, und dort entweder noch vor oder direkt auf dem Spitalbett verhaftet wurden. Wegen der mangelnden medizinischen Betreuung in den türkischen Gefängnissen sterben Gefangene immer wieder aufgrund ihrer Verletzungen.

Die Repression gegen Leute, die Rojava praktisch und vor Ort unterstützten, beschränkt sich derweil nicht nur auf die Türkei. Verschiedene Menschen, die sich dort einbrachten, wurden bei der Rückkehr in ihre Heimatländer als Erstes abgeführt. Ein bekannter Fall in der Schweiz ist Johan Cosar, der sich am Aufbau des assyrisch-christlichen Syriac Military Council (MFS) beteiligte. Diese Miliz besteht weitestgehend aus Angehörigen der assyrischen Gemeinschaft im Norden Syriens und kämpft Seite an Seite mit den YPG/J gegen den IS. Als er im März 2015 aus Rojava nach Basel zurückkehrte, wurde er vorübergehend festgenommen. Ihm droht jetzt der Prozess, gemäss Militärgesetz kann er mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Auch Kommunisten, die sich an der Internationalistischen Freiheitsbrigade beteiligen, werden verfolgt. So wurden zwei Mitglieder der Partido Marxista Leninista (Reconstrucción Comunista) in Spanien verhaftet und wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihr Prozess steht noch aus, sie befinden sich aktuell in Freiheit unter Auflagen, mussten ihre Pässe abgeben, dürfen das Land nicht verlassen und sollten sich regelmässig bei den Behörden melden. Klar ist, dass die Dringlichkeit der Solidarität mit allen, die zu einem Teil des Projekts Rojava werden, zu- und nicht abnimmt.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2015

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