Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/415: Neues aus dem Abendland


aufbau Nr. 80, märz / april 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Neues aus dem Abendland


PEGIDA Nimmt man PEGIDA, Friedensmahnwachen oder Verschwörungszirkel genauer unter die Lupe, so stösst man zwischen Weltfrieden, Politikverdrossenheit und esoterischen Phantastereien auch auf viel reaktionäres Gedankengut.


(agafz) Die PEGIDA-Bewegung ist in Deutschland auf dem absteigenden Ast. In der Schweiz kam sie trotz grossspuriger Ankündigungen nie auf Touren. Dennoch lohnt sich unsererseits eine Analyse über Klassenzusammensetzung und Triebkräfte von PEGIDA und ähnlichen diffusen Bewegungen auf der Strasse. Über die subjektive Seite der Krise, die oft Anschub für Bewegung ist, haben wir versucht etwas Licht ins Halbdunkel von PEGIDA und co. zu bringen.


Krise des Kapitalismus

Durch die Zuspitzung der kapitalistischen Krisenentwicklung geraten immer mehr Teile des Lebens aufgrund von Sparmassnahmen, Rationalisierungen und Leistungsabbau in unsichere Lagen: von der Arbeit über die Bildung bis hin zum Gesundheitswesen. Diese Auswirkungen sind aber nicht gleichmässig über die Gesellschaft verteilt. Während der ArbeiterInnenklasse die negativen Krisenauswirkungen von Oben aufgebürdet werden, sind die KapitalistInnen damit beschäftigt, sie möglichst schnell nach unten weiterzuschaufeln.

Nebst der objektiven gibt es aber auch immer eine subjektive Seite. Die Art und Weise nämlich, wie die Krise vom Subjekt empfunden wird. Auch hier kommt es zu Ungleichheiten. Im Proletariat wird die Krise als permanent wahrgenommen. Als dauerhaftes Übel, welches die eigene Lebenswelt in vielen Bereichen beeinträchtigt. Von einem Abklingen der Krise wird im Proletariat kaum mehr ausgegangen. In der herrschenden Klasse hingegen wird die Krise anders wahrgenommen. Dort treten Krisenmomente sporadisch und episodenhaft auf. Nach Einbrüchen stellt sich rasch wieder Normalität ein. Die Krise bricht dort weniger spürbar in soziale Verhältnisse ein, sie beschränkt sich kurz und scharf auf bestimmte Wirtschaftsbereiche.

Die Krisenentwicklung verändert aber nicht nur die Wahrnehmung in der ArbeiterInnen- und KapitalistInnenklasse. Sie verändert auch die Wahrnehmung im Kleinbürgertum, welches nach oben und unten Gemeinsamkeiten und Widersprüche aufweist. Mit dem Proletariat verbindet die KleinbürgerInnen, dass sie mit eigener Arbeit ihr Leben bestreiten. Mit den KapitalistInnen verbindet sie der Besitz an Produktionsmitteln. Das Kleinbürgertum wird in der Krise also von mehreren, teils entgegengesetzten Seiten bedroht: Zum einen von verschiedenen Impulsen aus dem linken Spektrum, die dazu drängen Besitz umzuverteilen. Zum anderen vom Monopolkapitalismus, der die kleinbürgerlichen Produktionsformen zersetzt. In der Krise entsteht im Kleinbürgertum auf diese Weise ein multizentrisches, asymmetrisches, vielfrontales Feind- und Angstbild, das zuweilen als Umzingelung wahrgenommen wird.

So kommt es zu einem konservativen Rückzug in die bürgerliche Mitte. Dorf werden linksbürgerliche Moralismen sowie rechte und ethisch-spirituelle Themen zu einem Kern der kulturellen Grundwerte gebündelt, die zum Teil stark von völkischen und nationalistischen Zügen durchsetzt sind. Aus diesem Kern heraus muss dann die Kultur als Ganzes gegen die Umzingelung verteidigt werden. Das Problem, diese aus verschiedenen gesellschaftlichen Richtungen kommenden Bedrohungen politisch unter einen Hut zu bringen wird gelöst, indem diese in eine bestimmte Kultur oder Religion hineininterpretiert werden. Nur über eine künstlich erzeugte feindliche Gegenkultur kann überhaupt eine gemeinsame Marschrichtung werden. Oft bleibt es aber auch bei der typisch paranoiden Richtungslosigkeit, die aus einer reaktionären Igelstellung heraus zu allen Seiten hin in Verschwörungstheorien aufgeht. So entstehen die bekannten Formen ausserparlamentarischer Opposition des Kleinbürgertums, die uns zur Zeit auf der Strasse begegnen.


Vertrauensverlust gegenüber der Bourgeoisie

Aktuell verändert sich im Kleinbürgertum die Krisenwahrnehmung. Es kommt zumindest bei Teilen des Kleinbürgertums zu einem Paradigmenwechsel. Das Kleinbürgertum, welches sich meistens nach der herrschenden Klasse ausrichtet und bis anhin dessen wellenförmigen, episodenhaften Krisenbefund übernommen hat, erlebt die Krise jetzt zunehmend als andauernd und permanent. Dies führt zum Vertrauensverlust in die Garantie der KapitalistInnenklasse, eine konservative Grundordnung aufrecht zu erhalten. Das Kleinbürgertum wendet sich enttäuscht ab von dem Versprechen der Bourgeoisie, für Ordnung und Besitzstandwahrung zu sorgen und besser sein zu dürfen als andere. Diese Ablösung mündet allerdings direkt in einem neuen, egozentrisch-eitlen Selbstbild. Jetzt will man selber für Ordnung sorgen und sieht sich selber von Natur aus besser als andere.

Krisenauswirkungen führen gegen oben hin immer stärker zu einer reaktionären Brutalität. Findet man im Kleinbürgertum Fremdenhass und Rassismus, so kommt in der Oberschicht zunehmend eine rücksichtslose soziale Gewalt hinzu, die erpresserisch ihre Gewinne einfordert und systematisch den Klassenkampf von oben führt.

Mit Sicherheit ist Rassismus ein integraler Bestandteil des Kapitalismus, der die Menschen trennt und Unterdrückungsmechanismen stabilisiert. Man findet in PEGIDA und ähnlichen Bewegungen immer auch organisierte FaschistInnen. Für sie ist PEGIDA ein ideales Forellenbecken um SympathisantInnen zu angeln und Querfronten zu bilden. Trotzdem sind diese strategischen rechtsextremen Initiativen deutlich in der Minderheit. Obwohl ein Teil der Teilnehmenden die rechtsextreme Agitation aufnimmt, wehren sich andere auch dagegen.

Das Potenzial, in Bedrohungslagen reaktionär zu verrohen und rassistische Kräfte aufzubauen, scheint der PEGIDA und ähnlichen Bewegungen aber klar gegeben zu sein.

Daher gilt: Dort wo diese kleinbürgerlichen Kräfte aufmarschieren, müssen wir uns ihnen entgegenstellen. Nicht nur wegen den rechtsextremen Auswüchsen, sondern auch deshalb, weil sie den Kapitalismus mitsamt seiner Krise ungebrochen gegen jede Alternative verteidigen, stützen und weitertragen.

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 80, märz / april 2015, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang