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AUFBAU/405: Die 43 Verschwundenen


aufbau Nr. 79, januar / februar 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die 43 Verschwundenen


MEXIKO Am 26. und 27. September 2014 sind 43 Studenten der Escuela Normal Rural (Pädagogischen Landschule) Isidro Burgos verschleppt worden. In der Folge wurden in den Medien nicht nur in Mexiko Diskussionen um die engen Verschränkungen der mexikanischen Polizei und Regierungsangehörigen mit dem organisierten Verbrechen initiiert.


(agbs) Der Fall der 43 Verschwundenen hat das Ausmass dieser Kumpanei aufgezeigt, wie das bisher kaum möglich war. Das "Verschwindenlassen" von unliebsamen Personen wurde in Lateinamerika vor allem von den verschiedenen Militärdiktaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktiziert. Es handelt sich also nicht um ein neues Phänomen. Neu ist höchstens das Ausmass, in dem auch in bürgerlichen Medien darüber berichtet wird.


"Wiege von Guerrilleros"

Die Schule liegt in Ayotzinapa im mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Sie gehört zu einem Netz von Schulen, das in den 1920er Jahren im Zuge der mexikanischen Revolution aufgebaut wurde, um LehrerInnen auszubilden. Die Schule in Ayotzinapa ist ein Internat, zu dem nur Männer zugelassen sind.

Die Ausbildung von Lehrkräften vor allem für die ländliche Bevölkerung ist eine Errungenschaft der mexikanischen Revolution. Um eine Demokratie zu ermöglichen, wurden ab den 192Oern Ausbildungsstätten für LehrerInnen geschaffen, die danach die Alphabetisierung der ländlichen Bevölkerung vorantreiben sollten. Die SchülerInnen kamen und kommen oft aus armen Verhältnissen. Viele wollen nach der Ausbildung zurück in ihre Gemeinden, um dort als LehrerIn zu arbeiten. In Ayotzinapa werden auch indigene Sprachen und Dialekte gelehrt. Damit sind die Lehrkräfte nahe an der lokalen Bevölkerung, was immer wieder zu für die Mächtigen unangenehmen Situationen führte.

Gerade die Schule von Ayotzinapa steht im Ruf, eine "Wiege von Guerrilleros" zu sein. Lucios Cabañas Barrientos wurde dort zum Lehrer ausgebildet. Schon während dem Studium trat er der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei bei. Als Lehrer wurde er mehrfach in andere Dörfer versetzt, nachdem er die Bevölkerung zu Widerstand aufgerufen hatte. Ende der 1960er Jahre war er an der Gründung der Partido de los Pobres (Partei der Armen) beteiligt. Auch Genaro Vázquez Rojas wird gern mit der Ayotzinapa in Verbindung gebracht. Nach seiner Lehrerausbildung war Genaro Vázquez in der Lehrergewerkschaft und im Partido de los Pobres aktiv. Vázquez Rojas und Cabañas Barrientos gelten als die beiden Initianten der Guerilla in Mexiko. Im Lauf des "Schmutzigen Kriegs" in den 70ern sind beide umgekommen. Der Ruf der Landschule in Ayotzinapa als Wiege von Guerrilleros hält sich bis heute.


Perspektive trotz Repression

Auch in diesem Kontext ist die Entführung der 43 Studenten zu sehen. Sechs Tote und fast sechzig Vermisste war die vorläufige Bilanz. Nach kurzer Zeit sind einige wieder aufgetaucht, so dass bis dato noch 43 Studenten verschwunden sind. Inzwischen wurden eine ganze Reihe von Massengräbern gefunden. Das zeigt, dass die Studenten weder die ersten noch die letzten sind, die in Mexiko "verschwinden".

Ihr Schicksal wurde aus verschiedenen Gründen bekannt. Weil es sich um eine grosse Gruppe handelt konnten sich Angehörige und FreundInnen zusammenschliessen. Zudem waren vor allem die Mitstudenten schon vor dem Angriff politisiert. So mussten sie z.B. seit Jahren einen Teil des Schulbudgets selbst zusammenbringen und dafür Spendenkampagnen organisieren. Ausserdem wurden in dem Fall die engen Verbindungen von offiziellen Stellen im mexikanischen Staat und dem organisierten Verbrechen offensichtlich. Das wurde in den Medien international aufgegriffen, und damit auch der Fall bekannt gemacht.

Die Studenten von Ayotzinapa und ihre Angehörigen erfahren eine Welle der Solidarität. Eine der Hauptparolen dabei ist "Vivos se los llevaron, vivos los queremos"(Lebend wurden sie geholt, lebend wollen wir sie zurück). Neben der Forderung nach einer lebendigen Rückkehr der Verschwundenen wird häufig die Schuld des Staates angesprochen. Der Gouverneur von Guerrero ist auf Druck der Öffentlichkeit zurückgetreten. Der Bürgermeister von Iguala und seine Frau wurden verhaftet. Sie werden dafür verantwortlich gemacht, dass die Studenten nach der Festnahme an die "Guerreros Unidos" übergeben wurden, die sie dann vermutlich ermordeten.

Das Ganze schlägt also auch in der mexikanischen Politik hohe Wellen. Aber mehr als ein heuchlerisches Lippenbekenntnis zu Demokratie, Gerechtigkeit und Kampf gegen die Korruption dürfte man von der mit den Drogenkartellen verbundenen Regierung Mexikos nicht erwarten. Stattdessen bildet der Kampf auf den Strassen und die Solidarität zunehmend die Antwort der Unterdrückten auf die brutale neoliberale Politik des Präsidenten Peña Nieto.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 79, januar / februar 2015, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2015

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