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AUFBAU/392: Ein unbekanntes Gremium der Imperialisten


aufbau Nr. 78, september / oktober 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Ein unbekanntes Gremium der Imperialisten



OSZE Am 4./5. Dezember wird in Basel die OSZE Aussenministerkonferenz unter der Leitung ihres derzeitigen Präsidenten Didier Burkhalter stattfinden. Eine Grossveranstaltung mit entsprechendem Aufgebot der Polizei. Wir dokumentieren einige der Gründe, weshalb der Kampf gegen diese Organisation berechtigt ist.


(gpw) Spätestens seit dem medienwirksamen Handschlag von Aussenminister Didier Burkhalter und Vladimir Putin am 7. Mai ist die Existenz der OSZE (englisch OSCE) ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Die diesjährige Präsidentschaft gibt der Schweizer Diplomatie der sogenannten Guten Dienste wieder einmal eine Plattform. An der geplanten Konferenz der AussenministerInnen werden etwa 1200 Delegationsmitglieder aus den 57 Teilnehmerstaaten anwesend sein. Das Sicherheitsaufgebot wird grösser sein als jeweils am WEF. Das allein ist schon Grund genug für eine breite und heftige Mobilisierung.

Aber soll man die OSZE als solche bekämpfen, und wenn ja, wie und weshalb? Bisher war sie gleichsam ein unbekanntes Wesen. Genau das ist ihr Markenzeichen. Ein Wirrwarr von Gremien und Initiativen (s. Kasten) erschwert die Einschätzung darüber, was ihre spezifische Rolle ist. Versuchen wir, Licht ins Dunkel zu bringen.


Der "Helsinki-Prozess"

Die OSZE wurde 1973 auf Initiative der Sowjetunion als "Konferenz für Zusammenarbeit und Entwicklung" (KSZE) gegründet. Der kalte Krieg war seitens der Westmächte mit der sogenannten "Entspannungspolitik" fortgesetzt worden. Neben dem Zu-Tode-Rüsten und der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland sollte die Sowjetunion und der Zusammenhalt der sozialistischen Länder von innen her aufgeweicht werden. Diese versuchten, ihre Sicherheit mittels der revisionistischen Politik der "friedlichen Koexistenz" aufrecht zu erhalten. Beide Seiten konnten innerhalb dieser Organisation ihre Interessen ein Stück weit unter einen Hut bringen.

Die Vorgespräche ab 1972 finden in der Agglomeration Helsinkis statt, wo die Aalto-Universität und wichtige finnische Konzerne ihren Sitz haben. Deshalb wird Gründung und Aufbau der Struktur, an der anfänglich 35 Länder teilnehmen, "Helsinki-Prozess" genannt. Nach zweijährigen Verhandlungen in Genf wird die KSZE-Schlussakte am 1. August 1975 in Helsinki unterschrieben. Die Staaten verpflichten sich zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur friedlichen Regelung von Streitfällen, zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Ausserdem wird die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt vereinbart. An Folgekonferenzen soll die Umsetzung der KSZE-Schlussakte in den einzelnen Staaten geprüft werden. Diese waren und sind einander gleichgestellt. Beschlüsse müssen im Konsens gefasst werden. Sie sind dann politisch, aber nicht rechtlich bindend.


Kontinuität

Es ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass die 1995 umbenannte Organisation nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten weitergeführt und ausgebaut wurde. Denn Form und Inhalt waren weiterhin geeignet, die Widersprüche unter den alten und neu entstandenen kapitalistischen Staaten mit einer "weichen" Diplomatie unter Kontrolle zu halten.

Dazu kamen Ziele und Methoden, den Übergang zum Kapitalismus unter dem Deckmäntelchen Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen, was den Interessen der neuen herrschenden Klassen keineswegs zuwider lief. Die 57 Teilnehmerstaaten umfassen neben den Nato- und EU-Staaten als Gegengewicht auch Russland und seine Einflusssphäre. Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Israel, Jordanien, Afghanistan, Thailand, Südkorea, Japan und Australien fungieren als Kooperationspartner. Deshalb ist es zu einfach, die OSZE pauschal als "NATO im Schafspelz" zu bezeichnen, obschon NATO- und EU-Staaten ihre Interessen auch in diesem Rahmen wirksamer durchsetzen können als z.B. Russland.


Kapitalistischer Staatsaufbau

Die Aktivitäten der OSZE gliedern sich in drei Themenbereiche oder "Dimensionen", die auf die drei "Körbe" der Schlussakte von Helsinki zurückgehen. In allen Bereichen sind es durchaus handfeste Fakten, bei denen die OSZE ihre Aktivitäten entfaltet:

1. In der politisch-militärischen Dimension geht es neben sogenannten vertrauensbildenden sicherheitspolitischen Massnahmen um Kampf gegen illegalen Handel von leichten Waffen, Projekten zur Vernichtung und sicheren Lagerung konventioneller Waffen, sogenanntes Grenz-Management, d.h. Eindämmung und Lenkung von Migrationsbewegungen und um "Terrorismusbekämpfung" . Im Klartext geht es um den kapitalistischen Staatsaufbau in den postsozialistischen Ländern. Durch das Auffliegen der OSZE-Spionagemission in der Ostukraine im vergangenen April ist die "inoffizielle" militärische Dimension sichtbar geworden. War dies nur die Spitze des Eisbergs?

2. In der Wirtschafts- und Umweltdimension geht es um die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, von Investitionen sowie um Umweltschutz.

3. In der Menschenrechts-Dimension geht es um die Bekämpfung von Menschenhandel oder um Wahlbeobachtungen.


Komplexe Organisationsform

Die Organisation ist schwer durchschaubar (s. Kasten). Das hat den Vorteil, dass der schwachen formalen Macht die Kraft vielfältigster Initiativen auf regionaler und Staatenebene entgegengesetzt werden, was informelle Machtstrukturen schafft, die nicht zu unterschätzen sind. Eine Art "weiche Diplomatie" reagiert auf die vielfältigen "Frühwarnsysteme", das sind Markenzeichen der OSZE.

Scharnierpunkt der Organisation ist der jährlich wechselnde Vorsitz durch den Aussenminister oder die Aussenministerin eines Staates, zur Zeit Didier Burkhalter aus der Schweiz. Zusammen mit dem vor- und den nächstjährigen Vorsitzenden bildet er die OSZE-Troika. Ihnen untersteht ein Generalsekretär (z. Zt. Lamberto Zannier, Italien).


Antikommunismus verbindet

Es fragt sich zwar, wie weit die parlamentarische Versammlung für die Gesamtpolitik der OSZE repräsentativ ist, aber was von ihr am 3. Juli 2009 mit dem Titel "Geteiltes Europa wiedervereint" verabschiedet wurde, spricht Bände: Unter dem Banner des "Kampfes gegen den Totalitarismus" werden "Nazismus" und "Stalinismus" in bekannter Manier auf eine Stufe gestellt: "(...) feststellend, dass europäische Länder im zwanzigsten Jahrhundert zwei massive totalitäre Regime - den Nationalsozialismus und den Stalinismus - erlebt haben, die von Völkermord, Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begleitet waren, (...)"

Dagegen müsse mit vereinten Kräften aufgestanden werden, unabhängig davon, welche ideologische Richtung im Hintergrund stehen. Das schliesst entsprechende Demonstrationen und Organisationen ein.

Bei Wahlbeobachtungen zeigen sich die antikommunistischen Machenschaften besonders deutlich: Prof. Dr. Peter Bachmaier, Osteuropa-Historiker in Wien, war von der OSZE als Beobachter der Parlamentswahl in Belarus eingesetzt. Er schreibt (jw 09.03.2012): "Soweit ich es beurteilen kann, ist alles völlig korrekt verlaufen. (...) Wir hatten uns u. a. davon überzeugt, dass alle Urnen versiegelt und nicht nur die Auszählung, sondern der ganze Ablauf korrekt war. (...) Ich habe mit vielen gesprochen, es hat mir aber keiner einen Beweis für Manipulationen zeigen können. Als zwei Tage nach der Wahl in Minsk eine Nachbesprechung stattfand, verkündete der deutsche Leiter der OSZE-Gruppe, die Wahl sei manipuliert worden. Ich meldete mich zu Wort und sagte: "Das widerspricht aber dem, was wir selbst gesehen haben, es widerspricht auch dem, was ich von Kollegen gehört habe. Wenn Sie zu einem anderen Ergebnis kommen, muss ich annehmen, dass Sie politische Gründe dafür haben." Er fragte in den Saal hinein, wer auch dieser Meinung sei - darauf hoben sich drei, vier Hände, viele andere drehten sich in die andere Richtung und taten, als hätten sie es überhört. Damit war meine Frage vom Tisch. Hinterher kamen etliche Kollegen zu mir und gratulierten mir zu meiner Wortmeldung."

Reinhard Lauterbach, heute Ukraineberichterstatter der Jungen Welt, in einem Leserbrief vom 15.03.20 12: "Als 1999 Präsident Kutschma wiedergewählt wurde, geschah das dank massiver Wahlfälschungen (...). Trotzdem bescheinigte die deutsche Botschaft in Kiew, dass die Wahl sauber gewesen sei. Auf meine Frage, wie sie denn so etwas angesichts der massiven Fälschungsvorwürfe behaupten könnten, fragte ein Botschaftsbeamter zurück: Ja, ich weiss, aber die Alternative wäre ein Sieg der Kommunisten gewesen - wollen Sie das etwa?" Der Autor bezeichnet die OSZE darin als "Organisation für Schwindel und Zersetzung in Europa". Zersetzt werden auch insbesondere die Überreste sozialistischer Errungenschaften in Europa.


KASTEN
 
Organisationsstruktur

Die vertikale Organisation von oben nach unten ist durch eine zunehmende Dichte der Treffen gekennzeichnet:
Treffen in mehrjährigem Abstand:
Das letzte Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ist 2010 ergebnislos gescheitert.
Jährliche Treffen:
Ministerrat: Jährliches Treffen der Aussenminister im Land des Vorsitzes; Sicherheitsüberprüfungskonferenz; Implementierungstreffen zur menschlichen Dimension;
Parlamentarische Versammlung in Kopenhagen; Wirtschaftsforum in Prag.
Treffen mindestens wöchentlich:
Wichtigstes Gremium ist der Ständige Rat: Tagung der DelegationsleiterInnen der Teilnehmerstaaten in Wien. Ebenso häufig tagt das Forum für Sicherheitskooperation (kann Beschlüsse im militärisch-politischen Bereich fassen).
Ständige Institutionen:
Ständige Institutionen sind z.B. das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, der Beauftragte für die Freiheit der Medien und der hohe Kommissar für nationale Minderheiten, ferner 18 Feldmissionen in 16 Staaten.veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2014
Die OSZE hat explizit nicht den Charakter einer Internationalen Organisation wie die UNO, referiert aber regelmässig im Sicherheitsrat.

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DIE ROLLE DER SCHWEIZ

Die Schweizer Diplomatie wird stark von der Import- und Exportabhängigkeit (Kapital und Waren) des Landes bestimmt. Es geht darum, sich innerhalb der interimperialistischen Widersprüche mit den wichtigsten Ländern möglichst gut zu stellen. Die Neutralitätspolitik und die Politik der "Guten Dienste" sind Markenzeichen dafür. Die diesjährige Präsidentschaft mit der speziellen Aktivität von Burkhalter eignet sich natürlich als Plattform, diese Politik zu propagieren und zu legitimieren.

Wie stark sich die Schweiz engagiert, zeigt das Beispiel der Feldmission in Tadschikistan. Sie ist eine der grössten und wird seit Juli 2013 vom Schweizer Botschafter Markus Müller geleitet. Von 2010 bis 2013 war er Chef der OSZE Community Security Initiative im südlichen Kirgistan, 2003-2008 leitete er das OSZE-Zentrum in Bischkek, der Hauptstadt von Kirgistan. Er hatte Posten in den Schweizer Botschaften in Angola, Äthiopien, Eritrea, Bangladesh und Afghanistan - offensichtlich ein Mann fürs Grobe. Das Personal besteht aus 28 "Internationalen" und 132 "Lokalen". Das Budget 2013 betrug 6.718.200 Euro.

Das Mandat besteht nach eigenen Angaben in "Hilfe für Tadschikistan in seinen Anstrengungen, Probleme und Bedrohungen der Sicherheit zu bewältigen, Konflikten vorzubeugen und bei der Krisenbewältigung in den Bereichen politische Linie, Grenz-Management und Bekämpfung des illegalen Handels zu arbeiten. Andere Aufgaben (sie gehören in die Wirtschafts- und Umweltdimension, s. oben) umfassen die Verbesserung von Geschäftskontakten; die Entwicklung von Energie, Transport, Investitionen und wissenschaftlichem und technischem Austausch; Umweltschutz; "good governance"; und die Entwicklung eines gesetzlichen Rahmens und von demokratischen politischen Institutionen und Prozessen einschliesslich der Respektierung von Menschenrechten." Das umfasst offensichtlich den ganzen postsozialistischen Staatsaufbau.

Das Beispiel illustriert das hohe Engagement der Schweiz in den postsozialistischen Ländern Zentralasiens. Diese bilden zusammen mit der Schweiz eine Stimmrechtsgruppe innerhalb des IWF. Die damalige Initiative von Bundesrat Otto Stich ist zu Unrecht belächelt worden. Das Engagement der Schweiz steht im Einklang mit der hohen strategischen Bewertung dieses Raums durch Brzezinski.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 78, september / oktober 2014, Seite 1 + 6
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2014