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AUFBAU/372: Krise und Repression


aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Krise und Repression



KONTERRREVOLUTION - Im Verlauf der seit 2008 andauernden Krise wird oft die Frage gestellt, wie sich diese auf die Repression auswirke. Schwarzmalerei ist dabei ein schlechter Ratgeber. Eine differenzierte politische Optik ist nötig.


(rh) Die Auseinandersetzung mit den Folgen einer ökonomischen Krise gehört zum Grundhandwerk der MarxistInnen. Als Momente, in denen sich die Grenzen des Kapitalismus manifestieren, weisen sie auf die Perspektivlosigkeit dieses Systems wie auch auf dessen unbestrittene Fähigkeit der Regeneration hin. Damit diese Regeneration stattfinden kann, muss das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten des Kapitals verschoben werden. Massnahmen wie die Memoranden der Troika in Griechenland dienen letztendlich und hauptsächlich dazu, die Möglichkeiten der Ausbeutung zu verbessern. Klar stösst dies auf Widerstand. Genauso klar ist aber auch, dass der Kapitalismus diesem mit den Mitteln der präventiven Konterrevolution begegnet. Die Bilder von Polizisten, die auf Streikende und Demonstrierende losgehen, sind unvergesslich. Doch ist dieser Moment der Repression nur ein Teil und längst nicht das Gesamte der präventiven Konterrevolution.


Revolutionen kontern

Man kann es vielleicht auch so sagen: Natürlich kann man das Verhältnis zwischen fortschrittlichen Kräften und den Vertretern des Kapitalismus auf das im Bild Erkennbare reduzieren. Auf der einen Seite also Demonstranten, darunter Junge und Alte, Männer und Frauen. Auf der anderen Seite Polizisten, meistens Junge, meistens Männer, die mit ihrem Arsenal auf die Demonstranten losgehen, welche sich wiederum zu wehren versuchen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Natürlich könnte man sagen: Das ist Kapitalismus. Man hätte damit auch nicht ganz Unrecht. Doch würde man bei einer solchen Betrachtung an der Oberfläche des Bildes verharren, ohne auf die diesem zugrundeliegenden Faktoren einzugehen. Warum gehen diese Leute auf die Strasse? Wofür und wogegen protestieren sie? Wieso stellt sich die Polizei ihnen entgegen?

Derartige Momente des Klassenkampfes sollten vor dem Hintergrund des Widerspruchs zwischen Revolution und Konterrevolution gesehen werden. Das heisst also, den konkreten Fall als Ausdruck der allgemeineren Auseinandersetzung zwischen unserer und ihrer Seite verstehen. Wird diese Optik eingenommen, ist ein erster wichtiger Schritt der Abstraktion bereits gemacht. Dann werden Bullenkessel und Verhaftungen nicht reduziert auf ihre taktische Funktion wahrgenommen, sondern gliedern sich in eine strategische Sichtweise, die derartige Situationen wie einzelne Züge eines gesamten Schachspiels einzuordnen hilft.

Was ändert eine ökonomische Krise denn am Verhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution? Wie eingangs beschrieben, werden Krisen im Kapitalismus dadurch gelöst, dass punktuell die Vorteile zugunsten des Kapitals verschoben werden. Das ist keinesfalls ein einfacher Prozess, schon nur unter den verschiedenen Kapitalfraktionen (auf internationaler, nationaler oder beiden Ebenen) kommt es zu Streitigkeiten. Die Vorteile der deutschen Kapitalfraktion sind jeweils sicher auch die Nachteile der südeuropäischen Kapitalfraktionen und die Vorteile des einen Industriezweigs können die Nachteile des anderen Industriezweigs sein. Doch interessiert uns hier nicht primär das Gezänk unter denen oben, sondern das, was sich im Verhältnis zwischen oben und unten tut.


Fern und nah

Um sein Überleben zu sichern, wird im Kapitalismus also die Situation des Proletariats so gut es geht verschärft. So gut es geht, weil kein derartiger Schritt nur unilateral ist, im besten Fall können sich aus derartigen Angriffen von oben Brennpunkte des Klassenkampfes entwickeln. Wenn die Kräfteverhältnisse gut sind, kann sich die Situation für das Kapital sogar verschlechtern. Um auf Griechenland zurückzugreifen: Sämtliche Memoranden wurden jeweils von einer Zunahme von Demonstrationen, Streiks und militanten Aktionen begleitet. Damit dieser Widerstand, der den Kern eines revolutionären Prozess beinhalten kann, nicht zu stark wird, wurde unterdrückt, was unterdrückt werden konnte. Wir schreiben dabei von einer präventiven Konterrevolution, weil diese vorbeugend durchgreift. Denn tatsächlich lag in Griechenland wohl keine revolutionäre Situation vor. Um zu verhindern, dass sich aus dem Widerstand etwas Derartiges entwickle, griff die Regierung präventiv hart durch. Einerseits mit direkter Repression, andererseits aber beispielsweise auch durch das Einsetzen der üblichen Spaltungsversuche (zwischen guten und bösen, friedlichen und gewalttätigen Demonstranten). Mittels Zuckerbrot (die Schwankenden durch Versprechungen für sich gewinnen) und Peitsche (die Kämpfenden durch Repression niederschlagen) soll so verhindert werden, dass sich ein revolutionärer Prozess entwickelt. Historisch weiss der kapitalistische Staat, was für eine Gefahr von unten her kommend lauert.

Lenken wir den Blick zurück in die Schweiz, wo vieles anders aussieht als in Griechenland, die Mechanismen aber ganz ähnlich sind. Auch hier erleben wir, wie Streiks mittels juristischer Rechtsprechung von oben beendet werden (La Providence in Neuchâtel oder Spar in Dättwil) und wie militanter Widerstand auf der Strasse hart verfolgt wird (die Zunahme von Verurteilungen wegen Landfriedensbruch nach den Strassenkämpfen in Zürich im Herbst 2011 oder den unbewilligten Demonstrationen 2012 in Bern). Andere Haftfälle, bei denen Polizisten verletzt wurden, sollten davon getrennt betrachtet werden (wie beim NT-Areal in Basel), da es hierbei wohl primär um die Verteidigung des Korps geht. Aus diesen Fällen aber zu schliessen, dass sich die Repression allgemein wegen der Krise spiralenartig immer weiter verschärft, ist falsch. Die Repression ist Teil einer dynamischen Situation, in der wir lernen müssen, sie richtig einzuschätzen. Nur so kann es uns gelingen, in den Konfrontationen den Spiess effektiv umzudrehen, die Angeklagten zu Anklägern zu machen und dem Kapitalismus politisch den Prozess zu machen.

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Quelle:
aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14, Seite 4
HerausgeberInnen:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2014