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AUFBAU/360: Chile - Putsch der Generäle und Pfaffen


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Putsch der Generäle und Pfaffen



GESCHICHTE Am 11. September 1973 wurde in Chile die sozialistische Regierung unter Salvador Allende entmachtet. Unter Pinochet gelangten reaktionäre Kräfte an die Macht und verteidigten die Interessen der bürgerlichen Klasse.


(rabs) Die Wahl Salvador Allendes zum Präsidenten Chiles stand in einem engen Zusammenhang mit den Massenmobilisierungen Ende der 60er Jahre. Begleitet von einem weltweiten Aufschwung linker Ideen und Bewegungen kämpften in Chile Angehörige diverser sozialer Gruppen - StudentInnen, Indigene, BewohnerInnen der Armenviertel und (Land- )ArbeiterInnen - für eine gesellschaftliche Veränderung. Im Jahr 1969 wurde das Bündnis der "Unidad Popular" (UP, Volkseinheit) gegründet, ein Zusammenschluss verschiedener sozialistischer und kommunistischer Parteien und Gruppierungen, als dessen Exponent Allende am 4. September 1970 die Präsidentschaftswahlen mit einem knappen Vorsprung gewann. Die Regierungszeit Allendes war, vor allem im ersten Jahr, geprägt von einer Mobilisierung der Bevölkerung, von der Entwicklung einer politischen Kultur von unten und einem Reformprozess zugunsten der arbeitenden Klassen. Gegen den Grossgrundbesitz gerichtete Agrarreformen, sozialpolitische Massnahmen zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung, Verstaatlichung der Kupferminen und staatlicher Eingriff in das Finanzsystem gehörten zu den Massnahmen, die die Regierung vorantrieb. Allende und seine AnhängerInnen standen für einen spezifischen Weg zum Sozialismus, dessen wesentliches Merkmal die Vorstellung einer Übernahme und Transformation des bestehenden bürgerlichen Staates war - im Gegensatz zur marxschen Revolutionstheorie, in dessen Zentrum die Zerschlagung des bürgerlichen Staates steht. Der chilenische Veränderungsprozess sollte mit möglichst wenig Gewaltmitteln vonstatten gehen und besiegelte mit seiner Strategie gleichzeitig sein gewaltsames Ende.

Der Klassenkampf in Chile verschärfte sich zunehmend. Die bürgerlichen Kräfte, auf deren Seite das chilenische Militär in der Mehrheit stand, rüsteten zur Verteidigung ihrer Interessen auf und wurden dabei tatkräftig von der katholischen Kirche und von Kräften aus dem Ausland unterstützt. Ab 1972 führten verschiedene Faktoren zur Schwächung der UP: Eine wirtschaftliche Rezession setzte ein, begleitet von Versorgungsengpässen; die UP litt unter inneren Differenzen; die Opposition versuchte, die Regierung mit Demonstrationen, Sabotageakten und Anschlägen zu destabilisieren. Trotzdem konnte die UP ihren Stimmenanteil bei den Kongresswahlen im Frühjahr 1973 vergrössern - ein deutliches Zeichen für die Zustimmung eines grossen Bevölkerungsanteils zur Allende-Regierung. Erste Putschversuche im Sommer 1973 konnten verhindert werden, allerdings setzte die Regierung eher auf Kompromisse mit der politischen Mitte als auf die Mobilisierung der Bevölkerung zur Verhinderung weiterer umstürzlerischer Aktivitäten.


Der Tag des Putsches

Am Morgen des 11. September 1973 begannen Militär und Polizei mit der Machtübernahme. Die erste Erklärung der aus vier hohen Generälen bestehenden Militärjunta wurde um kurz vor neun Uhr morgens per Radio verbreitet: Die Militärregierung trete an, um das "Chaos" im Land zu überwinden und es vom "marxistischen Joch" zu befreien. Zudem sollte Salvador Allende den Präsidentenpalast La Moneda in der Hauptstadt Santiago bis elf Uhr verlassen, ansonsten würde er militärisch geräumt. Allende nahm sich im Präsidentenpalast das Leben, als dieser bombardiert und von den Militärs eingenommen wurde. Ab dem Nachmittag verhängte die Militärjunta eine Ausgangssperre über ganz Chile und begann damit, AnhängerInnen der früheren Regierung, linker Parteien und Gewerkschaften zu verhaften. In der ersten Zeit nach dem Putsch starben besonders viele Menschen durch Folter und Ermordung. Zum Sinnbild wurde das "Estadio Chile" in Santiago, in dem, unter vielen anderen, der Musiker Victor Jara gefoltert und exekutiert wurde. Zehntausende gerieten bis Ende 1973 aufgrund von politischen Verdächtigungen in die Hände des Militärs. Die massive Gewaltanwendung in den Gefangenenlagern sollte die chilenische Bevölkerung von jeglichem Widerstand gegen die Diktatur abschrecken. Ein weiteres Abschreckungsmittel war das Verschwindenlassen von Personen. Der Verbleib einiger Verschwundener ist bis heute ungeklärt.


Ein internationales gegenrevolutionäres Projekt

Die chilenische Junta stand mit ihrer explizit gegen marxistisch geprägte Veränderungsversuche gerichteten Politik nicht alleine da. Die Militärregierungen Chiles, Paraguays, Uruguays, Argentiniens und ferner auch Boliviens und Brasiliens arbeiteten ab 1975 im Informationsaustausch über die Aktivitäten der linken Opposition und der Verfolgung politischer Oppositioneller über die Grenzen hinweg zusammen. Die militärischen Operationen liefen unter dem Codenamen "Operación Cóndor". Der Zusammenschluss war vom chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras angeregt worden. Die gemeinsame Zentrale befand sich im Gebäude der chilenischen Geheimpolizei "Dirección de Inteligencia Nacional" (DINA). Die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste ermöglichte die Verfolgung und Ermordung von RegimegegnerInnen über die Grenzen hinweg, etwa im Fall des ehemaligen chilenischen Verteidigungsministers Orlando Letelier, der in Washington mithilfe einer Autobombe ermordet wurde.

Viele südamerikanische Militärs erhielten ihre Ausbildung in der "Escuela de las Americas", einem von der US-Armee geführten militärischen Ausbildungszentrum, in dem etwa mithilfe des "Kubark-Handbuchs" Foltertechniken unterrichtet wurden. Die Einmischung der USA wiederum stand im Zusammenhang mit dem kalten Krieg und dem zentralen Anliegen der Vereinigten Staaten, den Kampf gegen den Kommunismus international voranzutreiben. Der "Domino-Theorie" zufolge bestand insbesondere die Angst vor dem Anstoss einer revolutionären Dynamik, die den ganzen Kontinent mitreissen könnte. Neben dem ideologischen Kampf ging es den USA immer auch um handfeste ökonomische Interessen. Lateinamerika hatte eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung, in Chile machten insbesondere US-amerikanische Bergbauunternehmen und die Telefongesellschaft ITT grosse Profite; letztere arbeitete Hand in Hand mit CIA und US-Aussenministerium gegen die Allende-Regierung.

Chile war ab 1963 Schauplatz verdeckter CIA-Aktivitäten, um die Wahl Allendes zu verhindern. Grosse Summen wurden dem Christdemokraten Eduardo Frei, der 1964 gegen Allende antrat und gewählt wurde, zur Verfügung gestellt, um in Radio, Zeitungen und auf Plakaten Wahlwerbung zu machen. Als Allende sechs Jahre später gewählt wurde, begann eine Kampagne der Destabilisierung, die eine militärische Machtübernahme begünstigen sollte. Der damalige CIA-Chef Richard Helms äusserte kurz nach der Wahl Allendes den Leitsatz "make the economy scream" ("lasst die Wirtschaft aufschreien"). Die USA stoppten einen Grossteil ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten in Chile. Zudem unterstützte die CIA mit finanziellen Mitteln einen Lastwagenfahrer-Streik, der zu Versorgungsengpässen führen sollte. US-Präsident Richard Nixon und der spätere Aussenminister Henry Kissinger signalisierten überdies der CIA, dass die Beseitigung Allendes den Interessen der USA entspräche. Die Gründung der rechten Vereinigung "Patria y Libertad", die innerhalb Chiles offen zum Putsch aufrief, wurde von der CIA unterstützt. Die CIA finanzierte ausserdem Forschungen zum neoliberalen Umbau der chilenischen Wirtschaft. Der Grundstein einer neoliberalen Beeinflussung Chiles war schon im Jahr 1953 gelegt worden: Die US-Regierung bezahlte damals Studienplätze für ChilenInnen an der University of Chicago, wo der neoliberale Vordenker Milton Friedman Ökonomie unterrichtete. Die Ausarbeitung des ökonomischen Leitfadens der chilenischen Militärregierung lag hauptsächlich in den Händen ehemaliger Wirtschaftsstudenten, die in Chicago studiert hatten. Im Kampf gegen die marxistische Theorie und Praxis gingen in Chile die Folter- und Hinrichtungspraxen der Repressionsorgane mit einem ökonomischen Programm zur "Wiederherstellung der Klassenmacht" der chilenischen und internationalen Eliten Hand in Hand. Auf diese Weise gelang es, die sozialen Fortschritte, die die Allende-Regierung gebracht hatte, rückgängig zu machen und sie durch ein repressives Regime zu ersetzen, unter dem vor allem die unteren Klassen zu leiden hatten.


Der chilenische Widerstand

Wenn die Entwicklungen in Chile im Jahr 1973 betrachtet werden, so ist es klar, dass der Putsch im September kein unerwartetes Ereignis darstellte. Während die Regierung unter Allende in dieser Zeit der Spannung den Dialog suchte und die Bewaffnung der ArbeiterInnen ablehnte, arbeiteten Teile der chilenischen Linken innerhalb und ausserhalb der UP am Aufbau einer Massenbewegung und selbstorganisierter Strukturen zur (bewaffneten) Verteidigung gegen einen Umsturzversuch. Eine wichtige Kraft innerhalb der letzteren war die "Bewegung der revolutionären Linken" (Movimiento de Izquierda Revolucionaria, MIR). Die MIR gründete sich im Sommer 1965. Sie erachtete sämtliche Formen im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung als legitim und versuchte, sich sowohl im städtischen Proletariat als auch bei den LandarbeiterInnen, unter den indigenen Mapuche und den BewohnerInnen der Elendsviertel zu verankern. 1972 begann die MIR, sich mit anderen revolutionären Organisationen in Südamerika zu koordinieren. Ein Zusammenschluss, der bald darauf durch die verschiedenen Diktaturen in den jeweiligen Ländern in starke Bedrängnis geriet. In Chile sammelte die MIR schon 1969 erste Untergrunderfahrungen. Die weitreichenden demokratischen Freiheiten nach der Wahl Allendes setzte in der MIR und ihrem Umfeld grosse Kräfte frei. In sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen verstärkte sich die Organisierungs-Arbeit. Die MIR stand grundsätzlich hinter den Zielen Allendes, in der Frage der Strategie existierten jedoch Widersprüche. Die Haltung der UP zur MIR war gespalten, die KP Chiles etwa stand ihr vorwiegend ablehnend gegenüber. Zur Partei Salvador Allendes, der PS (Partido Socialista), hatte die MIR teils enge Beziehungen. So wurden Teile der Leibwache Allendes von der MIR gestellt.


Kompromiss oder Mobilisierung?

Die Reaktion der MIR auf den Putschversuch im Juni 1973 war eine verstärkte Mobilisierung unter den Massen, zu der auch die Fortführung einer Agitationskampagne im Militär gehörte. Deren Ziel war es, innerhalb des Militärs die linken Kräfte zu stärken. Ähnlich reagierten die MAPU (Movimiento dc Acción Popular Unitaria; Bewegung der vereinten Volksaktion) und der linke Flügel der PS. Im Gegensatz dazu fuhr die Regierung mit ihrer Politik der Demobilisierung der Massen fort im Sinne eines Kompromisses mit der christdemokratischen Partei (Partido Demócrata Cristiano, PDC). Weiter versäumte sie es, den Umsturzversuch aufzuklären, um daran beteiligte Militärs von ihren Posten zu entfernen. Der Aufbau von Strukturen, die im Fall eines Putsches bewaffneten Widerstand leisten könnten, wurde ausserhalb der Regierung mit geringen Mitteln vorangetrieben. Am 11. September 1973 gab es einige Widerstandsnester in Fabriken, Universitäten und dem Zentrum Santiagos. Der Widerstand war aber insgesamt vereinzelt und unkoordiniert. Auch innerhalb des Militärs blieben die Abwehrversuche unbedeutend. In ihrer grossen Mehrheit waren die Massenbewegungen eingeschüchtert. Als die MIR die Niederlage der unmittelbaren Versuche, dem Putsch Einhalt zu gebieten, erkannte, ging sie in den Untergrund, um von dort aus den Widerstand gegen die Militärdiktatur zu organisieren. Dieselbe Entscheidung trafen in jener Phase auch die KP Chiles und Teile der PS. Wie schon Allende lehnten auch viele Mitglieder linker Parteien und Gruppen den Gang ins Exil ab, da er für sie einen Verrat an den sozialen Bewegungen bedeutet hätte, deren Mitglieder wenig Möglichkeiten zur Exilierung hatten. Nachdem die Junta anfangs mit ihrer Repression gegen Massenorganisationen und Parteien vor allem Angst und Schrecken verbreitet hatte, aber den im Untergrund operierenden Gruppen wenig Schaden zufügen konnte, wurde der Geheimdienst DINA ins Leben gerufen. In der Folge kam es zu empfindlichen Schlägen gegen führende Personen innerhalb der MIR - viele Militante starben im Gefecht, wurden hingerichtet oder zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Handlungsmöglichkeiten linker und revolutionärer Kräfte in Chile wurden durch den Putsch rasch und stark eingeschränkt. Die Allende-Regierung konnte der massiven Gewalt von reaktionärer Seite nicht adäquat begegnen; ein Versäumnis, das in Chile schon vor dem geglückten Putsch erkannt wurde, aber keinen Prozess der Bildung von Gegenmacht in Gang setzte, durch den es eher möglich gewesen wäre, der Reaktion Einhalt zu gebieten.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 1 + 6
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2013