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AUFBAU/359: Lieber in Würde sterben


aufbau Nr. 73, mai / juni 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Lieber in Würde sterben

WIDERSTAND - Im Frühling 1943 erhoben sich die BewohnerInnen des Warschauer Ghettos. Der Aufstand war die grösste jüdische Widerstandsaktion gegen die Vernichtungspläne des deutschen Faschismus.



(rabs) Die Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung Warschaus nach der Eroberung der polnischen Stadt durch das nationalsozialistische Deutschland mündete im November 1940 in der Gründung des Warschauer Ghettos. Im grössten Ghetto der von Deutschland kontrollierten Gebiete waren deutsche und polnische JüdInnen interniert, die ab November 1940 das Ghetto nicht mehr verlassen durften. Die Situation im Ghetto war geprägt von Hunger, Krankheiten und Zwangsarbeit, in deren Folge viele Menschen starben. Die offizielle Verwaltung des Ghettos lag in den Händen des Judenrates, der auch einen Ordnungsdienst stellte. Diesem oblag es, die Ordnung im Ghetto aufrecht zu erhalten und etwa den Schmuggel von Lebensmitteln über die Ghettomauern - eine oft von Kindern ausgeführte Tätigkeit - zu unterbinden.

Neben der Komplizenschaft einiger jüdischer Menschen mit der Besatzungsmacht gab es aber immer auch Widerstand. Die stärkste Kraft innerhalb des Ghettos war der 1896 gegründete Allgemeine Jüdische Arbeiterbund Russlands - kurz Bund genannt -, der sich als Teil der sozialistischen Arbeiterbewegung verstand. Nach der Errichtung des Ghettos setzte er schon vorher ausgeübte Tätigkeiten wie die Herausgabe einer Zeitung, den Betrieb eines Untergrundradios und die Organisation von Volksküchen fort. Neben dem Bund existierten im Ghetto auch zionistisch ausgerichtete Gruppen.

Im Jahr 1942 verschärfte sich das Klima im Ghetto: Sondergerichte wurden gegründet und Menschen hingerichtet, auf offener Strasse erschossen oder in Arbeitslager deportiert. Nicht alle BewohnerInnen des Ghettos befürworteten Widerstandsaktionen, da sie sich vor Vergeltungsmassnahmen fürchteten und davon ausgingen, dass Passivität die Lebenschancen verbessern würde.


Der Beginn der Massenvernichtung

Ab 1942 sollte im Rahmen der "Endlösung der Judenfrage" das gesamte Ghetto liquidiert und die BewohnerInnen zur grossen Mehrheit im Konzentrationslager Treblinka durch Gas vernichtet werden. Täglich wurden bis zu 12.000 Menschen deportiert. Die als "Umsiedlungen" getarnte Deportation wurde durch den Judenrat organisiert. Kein Ratsmitglied widersetzte sich. Die jüdischen Widerstandsorganisationen versuchten, dem etwas entgegen zu setzen und an Informationen über das Ziel der Deportationen zu gelangen. Die Bestätigung der Existenz industrieller Vernichtung wurde durch aus Treblinka geflohene Personen erbracht, die ins Ghetto zurückkehrten. Mitte August 1942 blieben von den ursprünglich bis zu 600.000 BewohnerInnen des Ghettos bloss 120.000 übrig, nach einer zweiten Deportationswelle noch 60.000 im September 1942. Um die Deportation möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen, gaben die Nationalsozialisten Brot an die halb verhungerten Ghetto-BewohnerInnen aus, wenn sie sich freiwillig zum Transport meldeten. Dieser Massnahme ist es unter anderem geschuldet, dass viele JüdInnen lange nicht an die Existenz der Vernichtungslager glaubten: Weshalb sollten die Deutschen Brot an Menschen verschenken und sie danach töten? Auf längere Zeit konnte aber das Durchsickern der Tatsachen nicht verhindert werden.


Aktiver Widerstand

Anfang Dezember 1942 wurde das Kommando der jüdischen Kampforganisationen (ZOB) als Zusammenschluss der verschiedenen Organisationen und Parteien gegründet. Wie schon zuvor die einzelnen Gruppen versuchte auch die ZOB, an Waffen zu gelangen. Hierzu arbeiteten sie mit Teilen der polnischen Widerstandsbewegung zusammen, die aber im Jahr 1942 noch keine grosse Kraft besass. Die ZOB führte im Ghetto Anschläge auf Personen wie den Vertreter des Judenrates im Umsiedlungsstab der Nazis, den Kommandanten der jüdischen Polizei und jüdische Meister in den Ghettowerkstätten durch. Sie befreite Gefangene und verhinderte teilweise Transporte mit Lastwagen. Als im Januar 1943 eine weitere Liquidierungsaktion begann, antwortete die ZOB mit bewaffnetem Widerstand, der allerdings rasch niedergeschlagen werden konnte. Trotzdem stiessen die Aktionen auf grosses Echo in der jüdischen und der polnischen Bevölkerung, da sie zeigten, dass Widerstand gegen die Deutschen möglich war. Die Veränderung im Ghetto zeigte sich durch die zunehmend feindselige Haltung der BewohnerInnen gegenüber den Deutschen und die Verweigerung der freiwilligen Deportationen. Die ZOB wurde mit Lebensmitteln und Geld unterstützt. Ihr oblag jetzt faktisch die Macht im Ghetto. Für kommende Kämpfe übten sich die verschiedenen Kampfgruppen im Umgang mit Waffen und in militärischer Disziplin.


Der Aufstand

Der eigentliche Warschauer Ghettoaufstand dauerte 20 Tage. Am frühen Morgen des 19. April rückten deutsche Truppen ins Ghetto ein. Die schwer bewaffneten SS-Einheiten umfassten 2.000 Mann. Der ZOB gelang es aus ihren Stellungen heraus, die deutschen Einheiten in mehreren Stunden andauernden Gefechten zurückzudrängen. Die jüdischen Kampfgruppen bewegten sich in, auf und unter den Häusern und waren so sehr mobil und schlecht angreifbar. Am folgenden Tag wurde ein neuer Einmarsch ins Ghetto versucht, der ebenfalls auf erbitterten Widerstand stiess. Die Deutschen machten der ZOB sogar ein Verhandlungsangebot, das mit Schüssen beantwortet wurde. Die Situation wandelte sich, als die deutschen Truppen damit begannen, die Gebäude eines Teils des Ghettos in Brand zu stecken. Viele Menschen kamen in den Flammen um oder mussten ihre Verstecke verlassen. Nun setzten die Nationalsozialisten eine Frist für die freiwillige Abreise der BewohnerInnen der übrigen Ghettoteile; sie spekulierten auf deren Einschüchterung durch das Feuer. Der Widerstand in den verbarrikadierten Häusern ging jedoch weiter. Nach weiteren in Brand gesetzten Häusern versuchte die ZOB, die Menschen in den unterirdisch verbundenen Bunkern in Sicherheit zu bringen. Auch die ZOB-Einheiten operierten nun aus den Bunkern heraus. Der Aufstand endete mit der Entdeckung des Stützpunktes der Kampfgruppen durch die Deutschen. Einigen KämpferInnen gelang die Flucht über das Kanalisationssystem, viele andere töteten sich selbst oder wurden getötet.

Der Kampf der Bevölkerung im Warschauer Ghetto zeigt, dass Widerstand auch unter den widrigsten Bedingungen eine Handlungsoption bleibt. Handlungen von Menschen sind niemals vollständig von den strukturellen Bedingungen determiniert. Art und Heftigkeit der Unterdrückung steht in keinem automatischen Zusammenhang mit dem Kampf dagegen. Vielmehr sind immer mehrere Handlungsmöglichkeiten offen - für die Möglichkeit des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung einzustehen ist ein Ziel kommunistischer Politik.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 73, mai / juni 2013, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013