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AUFBAU/348: Ein letzter Schrei im modernen Sport


aufbau Nr. 72, märz / april 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

REPRESSION

Ein letzter Schrei im modernen Sport



2007 wurden im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich die Hooligan Datenbank sowie Massnahmen wie Rayonverbot und Meldeauflagen geschaffen. 2010 wurden dann diese Gesetze mittels Konkordat von den Kantonen übernommen. Bereits 2013 soll das Konkordat verschärft werden.


(agkkzh) Während sich in einigen Kantonen wie in Basel Widerstand regt oder in Zürich ein Referendum eingereicht wurde, ist das Konkordat in Kantonen wie Luzern oder Appenzell bereits Realität. Die Gesetzesänderung sieht folgende Massnahmen vor: Die Vereine der Fussball- und Eishockeyliga sind in Zukunft einer Bewilligungspflicht unterzogen. Je nachdem kann die Polizei Auflagen für ein Spiel erteilen. Diese Auflagen sind weitreichend, zum Beispiel Kombitickets für Gästefans, das bedeutet, dass Matchtickets nur noch kombiniert mit einem Billet für den dafür vorgesehenen Extrazug gekauft werden können. Konkret heisst das, dass ein in Luzern wohnhafter Basel-Fan an jedes Auswärtsspiel des FCB über Basel reisen müsste. Weitere Auflagen können über Fahnen-, Choreoverbot bis hin zu baulichen Massnahmen am Stadion verhängt werden. Weiter entscheidet die Polizei, ob ein Alkoholverbot im und ausserhalb des Stadions verhängt wird. Ausgenommen sind dabei die VIP-Zonen im Stadion. Dort darf munter weiter getrunken werden. Weiter sieht, das Konkordat vor, ausschliesslich personalisierte Tickets abzugeben. Wer also ins Stadion will, muss am Eingang sein Billet mit der passenden Identitätskarte vorzeigen. Ein Abgleich dieser Daten mit der Hoogan-Datei soll ausschliessen, dass "fehlbare" Fans, mit einem Stadionverbot belegt, nicht ins Stadioninnere gelangen. Die Realität zeigt, dass an Spieltagen ein mit Stadionverbot belegter Fan mit mehreren Zivis am Hals auskommen muss, folglich also sowieso keine Möglichkeit hat, ins Stadion zu gelangen. Diese Massnahme ist eindeutig als Fichierung zu werten. Sind aus der Vergangenheit doch mehrere Fälle bekannt, dass diese Daten weder gelöscht noch sehr vorsichtig mit ihnen umgegangen worden ist. Weiter werden sogenannte "präventive Massnahmen" wie Rayonverbote oder Meldeauflagen ausgeweitet. Ein Rayonverbot kann so von bisher maximal einem Jahr, neu bis zu einer Dauer von drei Jahren verhängt werden. "Präventiv" heisst also nichts weiter als "Bestrafung". Strafprozessuelle Rechte (Unschuldsvermutung, Beweispflicht) werden mit diesen "Präventionen" ausser Kraft gesetzt. Es reicht eine Aussage, um mit Meldeauflagen oder weiterem belegt zu werden. So haben beispielsweise Rayonverbote keine aufschiebende Wirkung, falls dagegen prozessiert wird. Ähnlich verhält es sich mit der Hoogan-Datenbank, einmal schuldig oder unschuldig in der Datenbank, ist es ein weiter Weg wieder aus dieser gelöscht zu werden. Das Hooligankonkordat stellt damit ein Sonderstrafrecht zum bereits existierenden Strafrecht dar.


Profilierungsversuche der Politik

Viele dieser Verschärfungen sind auf Profilierungsversuche diverser Politiker zurückzuführen. Gewalt gab es seit Anbeginn des Fussballs, nur ist das erst seit den 00er Jahren ein wirkliches Thema in den Medien. Stimmungsmittel wie Feuerwerk ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Fankultur und galt nicht immer als lebensbedrohlich. Dass Stimmungsmache gegen Fans ein perfektes Sprungbrett in die Chefetage der Politik ist, zeigt sich etwa am Beispiel Karin Keller-Suter, die auch für das revidierte Konkordat federführend war.


Blick ins Ausland

Oftmals wird das Beispiel England genannt, wo die "Fanproblematik", mittels Repression, erfolgreich bekämpft worden wäre. Mit eben dieser Problematik ist auch die Stimmung verschwunden. Sprach man früher von der tollen englischen Ambiance, dem einzigartigen Inselfussball, kann sich heute ein Arbeiter kaum mehrere Spiele in der Saison live im Stadion leisten. Die Eintrittspreise sind in pervers hohe Sphären vorgedrungen. Der leidenschaftliche Fussball hat sich in die unteren Ligen verabschiedet. Ein Blick nach Italien zeigt ähnliches. Leere Stadien sind dort zur Normalität geworden. Mit Erhöhung der Eintrittspreise und personalisierten Tickets (Tessera del Tifosi = Fancard) wurden unliebsame Fans aus den Stadien vertrieben. Das Mutterland der Ultras, der leidenschaftlichsten Fans, hat sich seiner einzigartigen Fankultur selbst beraubt. Auch hierzulande sind die Bosse aus Politik, Wirtschaft und Sport daran interessiert, unliebsame Fans aus den Stadien zu ekeln. Der moderne Fussball wünscht sich ein Publikum, das vor allem konsumiert. Widerstand organisierter Fans, wirkt wie ein letzter Schrei in der modernen Sportwelt. Die Ultraszene hat sich zu einer eigenständigen Jugendkultur entwickelt. Eine kritische Haltung, ein bewusstes Überschreiten gewisser gesetzlicher Grenzen sowie ein grosses Solidaritätsgefühl untereinander zeichnen die Szene aus. All dies passt natürlich nicht in das Raster eines bürgerlichen Staates. Die Bestimmung über den öffentlichen Raum wird mit knallharter Repression verteidigt. Sei es an Demos, in besetzen Häusern oder in Fussballstadien, mit immer neuen Gesetzen und absurden Verordnungen soll "die Strasse gesäubert werden".

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 72, märz / april 2013, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2013