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AUFBAU/344: Todesspirale Austeritätspolitik


aufbau Nr. 71, januar 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Todesspirale Austeritätspolitik



ÖKONOMIE - Die Eurokrise und die allgemeine Verschuldung sind Anlass für die härtesten Angriffe auf die arbeitenden Klassen Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hintergrund dafür ist die Tatsache, dass der Monetarismus an ein Ende gekommen ist.


(gpw) Auf der Erscheinungsebene zeigt sich die Krise als Schulden- und Währungskrise, am deutlichsten bei den südlichen Euro-Ländern und Irland. Das Problem ist weniger die absolute Höhe der Staatsschuld (60-160% des Burttoinlandprodukts BIP) als die steigenden Zinsen, welche diese Länder an den Finanzmärkten zahlen müssen.(1) Bei 6-8% oder mehr frisst diese die ganzen Steuereinnahmen weg. Die Schuldenkrise betrifft aber auch die Privatwirtschaft, insbesondere die Banken, denen es nicht gelingt, ihre Risiken auf ein Mass zurückzufahren, das dann auch der nächsten Finanzkrise standhalten würde - es muss ihnen ja jetzt schon aus den europäischen Krisenfonds European Financial Stability Facility (EFSF) und European Stability Mechanism (ESM) unter die Arme gegriffen werden. Und schliesslich müssen sich Private, insbesondere auch ProletarierInnen, weiter verschulden, um ihre Lebenshaltungskosten zu finanzieren(2).


Verschärfter Angriff auf die arbeitenden Klassen

Um die Fehlkonstruktion Euro sowie die Banken und die Rüstungsexporte zu retten, starteten die deutsche und französische Regierung mit ihrer Austeritätspolitik einen der übelsten Angriffe auf die Lebensbedingungen der arbeitenden Klassen und RentnerInnen der hoch verschuldeten Länder und setzten sich dabei über deren Souveränitätsrechte hinweg. Die Folgen sind bekannt: über, 50% Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Zehntausende von Vertreibungen aus Wohnhäusern, weil die Hypotheken nicht mehr bedient werden können, Bankrott ganzer Schichten von Kleinstunternehmen, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung und auch in Europa Massenobdachlosigkeit, Hunger und Verelendung, wie man es vom Trikont her kennt.


Das Ende des Monetarismus

Angriff ist so heftig, weil alle früheren Konzepte bürgerlicher Wirtschaftspolitik an ihr Ende gekommen sind: Der Keynesianismus infolge des Ausbruchs der Kapitalüberproduktionskrise Anfang der 70er Jahre, der Monetarismus spätesten mit dem Ausbruch der (Finanz-)Krise ab 2007.

Der Monetarismus setzte zur Krisenbewältigung auf eine Politik der Geldverknappung mittels Hochzinspolitik durch sogenannte unabhängige Notenbanken (das "Fed" in USA, die SNB, im Euroraum die EZB). Hohe Zinsen bedeuteten teure Kredite für Investitionen und Konsum und führen zur "Anpassung von Überkapazitäten" durch Massenentlassungen und Auslagerung der Produktion. Dadurch wurde Lohnabbau durchgesetzt, die Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse zur Durchsetzung höherer Löhne sank. Das Wort angebotsorientiert innerhalb dieser Wirtschaftspolitik können wir für unsere Zwecke so übersetzen: Dem privaten Kapital sollen möglichst günstige Bedingungen für profitable Investitionen angeboten werden. Dies erfolgt über die Trias Deregulieren, Liberalisieren, Privatisieren: Angriffe auf Löhne und Sozialleistungen, verschärfter Steuerwettbewerb, Abschaffen der im langen Aufschwung erkämpften Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung, Verlängerung des Arbeitstages und Intensivierung der Arbeit, Prekarisierung, Privatisierung von Staatsbetrieben, Rentenklau usw., kurz, "der GÜrtel soll enger geschnallt werden".


Die Notenbanken sind ausgeschossen

Das Ende der monetaristischen Politik zeigte sich 2008: Statt weiteren Privatisierungen kam es zu Verstaatlichungen maroder Banken und Industrien wie z.B. von Chrysler in den USA. Die Zentralbanken mussten den Zinssatz notfallmässig bis gegen Null senken. Die Schulden- und Eurokrise verschärften die Situation trotzdem derart, dass die Notenbanken immer neue, auch unkonventionelle Massnahmen ergreifen mussten: Aufkauf von Staatspapieren, Annahme maroder "Wert"-Papiere als "Sicherheiten" für Kredite an die Banken. Faktisch wurden die Notenbanken zu Gelddruckinstituten, ohne dass dadurch die Wirtschaft wirklich angekurbelt werden konnte. Die Girokonten der BAnken bei der SNB betrugen 2009 noch unter 50 Milliarden , am 15.06.2012 bereits 212,5 Milliarden(3), ein Zeichen dafür, dass die Grossbanken nach wie vor weder der Krisenfestigkeit ihrer Konkurrenten noch der des gesamten Währungssystems vertrauen.

Wie beim Keynesianismus ist das Ende auch hier nicht absolut zu verstehen. Elemente der monetaristischen Wirtschaftspolitik werden weiterhin im Standortwettbewerb und vor allem im Klassenkampf von oben eine Rolle spielen, wie die Austeritätspolitik in Griechenland, Spanien und anderswo zeigen. Inzwischen halten die Mehrheit der Börsen-Kommentatoren diese Politik für eine "Todesspirale": Sie würge die Konjunktur ab und führe deshalb tiefer in die Verschuldung statt daraus heraus. Auch dies widerspiegelt das Ende des Monetarismus, und zurück bleiben Ratlosigkeit auf Seiten des Kapitals und verstärkte Massenkämpfe in den hauptsächlich betroffenen Ländern.


KÄSTEN

Grössenordnungen

Was ein Millionär ist, können wir uns noch vorstellen und solange Betriebsgewinne oder Verluste des Staatshaushaltes in Millionen gemessen werden, kommen wir noch mit. Aber was bedeuten 68 Milliarden, mit denen die UBS vor dem Zusammenbruch gerettet wurde, was monatlich 60 Milliarden zusätzliche Euro-Reserven der Nationalbank, was 800 Milliarden für den "Euro-Rettungsschirm", was eine Bilanzsumme aller in der Schweiz tätigen Banken, die von über 3 Billionen 2007 auf 2,5 Billionen 2011 gesunken ist, oder was die täglichen Umsätze von Währungsspekulanten in der Grössenordnung von 2 Billionen? Als Mass für solche Grössenordnungen eignet sich das Bruttoinlandprodukt (BIP), also der Wert der im Jahr produzierten Waren und Dienstleistungen. Es betrug in der Schweiz 2011 etwa 600 Milliarden Franken. Das gesamte Lohneinkommen machte davon knapp 60% aus, also ca. 350 Milliarden. Eine Billion entspricht deshalb der Gesamtsumme der innert knapp drei Jahren in der Schweiz ausbezahlten Löhne! Alle Lohnabhängigen in der Schweiz müssten gut zwei Jahre gratis arbeiten, um den "Euro-Rettungsschirm" zu finanzieren.


Freiwillige Arbeitslosigkeit?

Was in den Köpfen monetaristisch orientierter Ökonomen so vorgeht, kann man im Lexikon(4) nachlesen: "Nach monetaristischer Auffassung ist der allergrösste Teil der statistisch gemessenen Arbeitslosigkeit freiwillig und beruht auf falschen Reallohnvorstellungen, Informationsmängeln und Marktstörungen wie etwa der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe". Auf deutsch übersetzt heisst das, dass die Arbeitslosen die Erwartung haben, dass die Reallöhne ihre wichtigsten Bedürfnisse decken sollten. Hätten sie diese Erwartung nicht, und gäbe es - endlich - auch keine Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe mehr, wären sie also ganz der "unsichtbaren Hand der Marktkräfte" ausgesetzt, würden sie ihr "Suchverhalten" nach Arbeitsplätzen, wie sich die Damen und Herren, die für sich Wissenschaftlichkeit beanspruchen, ausdrücken, intensivieren, so dass die meisten eine Stelle fänden. Tun sie dies nicht, ist ihre Arbeitslosigkeit also freiwillig! Daher weg mit allen "Marktstörungen" wie Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe! Ferner muss die Inflation bekämpft werden, denn sie heizt nur die "falschen Markterwartungen" auf höhere Löhne an.


Anmerkungen:

(1) Zum Einfluss der Finanzmärkte auf die Politik s. aufbau 67, S. 3 "Böse Banker oder imperialistische Logik".

(2) Der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte liegt in der Schweiz bei 134% des BIP, in der EU bei 190%.

(3) NZZ 19.06.2012

(4) Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Auflage (auf CD).

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 71, januar 2013, Seite 14
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2013