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AUFBAU/334: Weltkrieg und Burgfrieden


aufbau Nr. 70, sept/okt 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Weltkrieg und Burgfrieden

GESCHICHTE - Vor 100 Jahren fand der Friedenskongress der Sozialistischen Internationale in Basel statt. Trotz anderer Vereinbarungen wehrten sich bei Ausbruch des ersten Weltkriegs nur wenige SozialistInnen.



(rabs) Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts setzten die Entwicklungen in verschiedenen Ländern Europas, die den Ausbruch militärischer Auseinandersetzungen immer wahrscheinlicher werden liessen, den Krieg für die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien auf die Tagesordnung. Als Parteien der arbeitenden Bevölkerung sollte die Haltung gegenüber dem Krieg klar sein: Arbeiter waren als Soldaten schwer von den Folgen des Krieges betroffen. Sie führten Kriege nicht für sich selbst, sondern für die besitzenden Klassen, deren ökonomische Widersprüche die Hauptursache für den Krieg waren, wie 1896 vom Londoner Kongress der Sozialistischen Internationale (siehe Kasten) festgehalten worden war. Insbesondere Angriffskriege wurden von den assoziierten Parteien abgelehnt. Nach Ausbruch des ersten Balkankrieges zwischen den Balkanstaaten und dem osmanischen Reich im Jahr 1912 berief das internationale sozialistische Büro der Sozialistischen Internationale einen ausserordentlichen Kongress ein.

Der 9. Internationale Sozialistenkongress begann am 24. November 1912 im Saal der Burgvogtei (heute Volkshaus) in Basel. Über der Bühne hingen die Parole der Internationale, "Proletarier aller Länder, vereinigt euch", und des Kongresses, "Krieg dem Kriege". An der Demonstration am Nachmittag durch die Basler Innenstadt nahmen 10.000 bis 20.000 Personen teil. Anschliessend fand im Münster eine Kundgebung statt, an der von etlichen bekannten SozialistInnen gegen den Krieg mobilisiert wurde. Der Krieg war das einzige Traktandum des Basler Friedenskongresses; sowohl eine Analyse der internationalen Lage war vorgesehen, wie auch die Übereinkunft für gemeinsame Antikriegs-Aktionen. Auf zwei Ebenen wurde versucht, dem Krieg entgegen zu wirken: einerseits mit der realpolitischen Suche nach Möglichkeiten zur Kriegsverhinderung, andererseits mit der Mobilisierung der proletarischen Bevölkerung und der Drohung mit Revolution.


Einheit und Widersprüche

Das geschlossene Bild, mit dem sich die Sozialistische Internationale in Basel inszenierte, stimmte nicht mit der Wirklichkeit überein. So herrschte Uneinigkeit über den Massenstreik als Mittel zur Kriegsverhinderung. Ein Antrag eines britischen und eines französischen Sozialisten, den Streik als besonders zweckmässige Antikriegs-Aktion benannte, wurde nicht behandelt. Die Revolutionsdrohung war für viele mehr Druckmittel als ein Schritt auf dem Weg zu einer anderen Gesellschaft. Im "Manifest der Internationale zur gegenwärtigen Lage" wurde zwar festgehalten, dass bei drohendem Kriegsausbruch die proletarischen Klassen und ihre parlamentarischen Vertretungen alle Mittel anwenden sollten, den Krieg zu verhindern, und es bei tatsächlichem Kriegsausbruch ihre Pflicht sei, für die Beendigung des Kriegs einzutreten und die Lage zu nutzen, an der Beseitigung kapitalistischer Klassenherrschaft zu arbeiten(1). Dass dies in vielen Fällen bloss leere Phrasen waren, geht aus dem Verhalten vieler SozialistInnen im Ersten Weltkrieg hervor. Der politischen Linie entsprechend hätte der Erste Weltkrieg als Angriffskrieg von den Parteien der Zweiten Internationale abgelehnt werden müssen. Tatsächlich stimmten viele Abgeordnete in den Parlamenten für Kriegskredite und schickten somit ihre Basis an die Fronten. Auf Massenmobilisierungen wurde verzichtet. Diese Haltung ging als Politik des Burgfriedens in die Geschichte ein und bezeichnet die Zurückstellung von Klasseninteressen hinter die Interessen der Nation, bedeutet also eine Absage an den proletarischen Internationalismus(2). Die klare Ablehnung der Politik des Burgfriedens anderer Teile der Sozialistischen Internationale führte zu Austritten, Ausschlüssen und zur Gründung neuer Parteien, beispielsweise in Deutschland zur Gründung von Vorgängerorganisationen der KPD. Für die Sozialdemokratie war der Erste Weltkrieg eine wichtige Station auf dem Weg vom revolutionären Projekt zum Reformismus.


Vom Umgang mit der Geschichte

Die sozialdemokratische Partei der Schweiz gedenkt im Basler Münster dem 100-jährigen Jubiläum des Friedenskongresses. Wie die Feier inhaltlich genau ausgestaltet werden wird, ist noch unklar. Klar ist hingegen, dass sich die SP an dieser Feier mit den falschen Federn schmückt. Heute lassen sich in den Reihen der Partei Beispiele für kriegsfördernde Eingriffe nur allzu leicht finden: Der Vorschlag etwa, die Schweiz solle sich mit Soldaten an der "Piratenjagd" vor der Küsten Somalias beteiligen, kam von der damaligen SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Und in Deutschland waren es SPD und Grüne, die veranlassten, dass 1999 in Jugoslawien deutsche Soldaten zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ausländischen Boden betraten.


Anmerkungen:

(1) Der letzte wiedergegebene Satz wurde auf Antrag von Luxemburg, Lenin und Martow eingefügt.

(2) Ein weiterer zentraler Ausdruck der Burgfrieden-Politik in der Schweiz war die Einigung der Gewerkschaften mit dem Arbeitgeberverband in der Metallindustrie 1937. Im sogenannten Friedensabkommen wurde der Verzicht auf Kampfmassnahmen wie Streiks festgehalten.


KASTEN

Die Sozialistische Internationale

Gegründet im Jahr 1889, war die sozialistische Internationale. (Zweite Internationale) die Nachfolgeorganisation der Internationalen Arbeiterassoziation (Erste Internationale), die von 1864 bis 1876 bestanden hatte. Krieg war das vorherrschende Thema innerhalb der Zweiten Internationale, einem losen Zusammenschluss sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien vorwiegend aus Europa. Die unterschiedlichen Haltungen der in ihr zusammengeschlossenen Parteien führte schliesslich im August 1914, angesichts des Ersten Weltkriegs, zu ihrem Zusammenbruch. Die Kommunistische Internationale (Dritte Internationale), eng an die Sowjetunion gebunden, existierte von 1919 bis 1943. Im Jahr 1951 konstituierte sich die Sozialistische Internationale erneut und besteht bis heute vorwiegend aus sozialdemokratischen Parteien wie der SPS und der SPD.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, sept/okt 2012, Seite 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2012