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AUFBAU/307: Die globale Regierung stellen?


aufbau Nr. Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die globale Regierung stellen?

G20: Durch die G20 versuchen die traditionellen imperialistischen Länder, ihre Macht zu erhalten. Von Einigkeit können sie aber nur träumen.


(rabs) Im vergangenen November fand in Cannes an der französischen Mittelmeerküste der Gipfel der G20 statt (siehe unten). In den Medien wurde eifrig darüber berichtet. Typischerweise und der eurozentristischen Aktualität verpflichtet waren drei Personen und ein Thema im Vordergrund der Berichterstattung: Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Griechenlands damaliger Ministerpräsident Giorgos Papandreou und die Eurokrise.

Schauen wir zurück: Die Kapitalüberproduktionskrise, die in den 70er-Jahren begann, hatte zur Folge, dass die KapitalistInnen sehr viel Geldkapital hatten, das sie nicht mehr gewinnbringend in die Produktion von Waren investieren konnten. Die vermeintliche Lösung dieses Investitionsengpasses war, den Finanzsektor übermässig aufzublasen, damit er das überschüssige Kapital aufsaugen konnte. Durch die immensen Summen, die in Finanzprodukte (Derivate wie Swaps, Futures, Optionen etc.) aufgingen, wuchs auch der politische Einfluss der Finanzbranche enorm.


Aufstieg neuer Mächte

Eine Folge davon war auch, dass sich die FinanzministerInnen international zusammenschlossen, indem sie die G20 gründeten. Dieser Zusammenschluss gewann immer mehr an Einfluss, vor allem durch das Wirtschaftswachstum in Ländern wie Brasilien, China, Indien oder Südkorea und das daraus folgende steigende Selbstbewusstsein der dortigen Kapitalfraktionen und PolitikerInnen. Zusammen mit den Auswirkungen, die die Krise - und besonders deren Verschärfung ab 2008 - auf die G8-Länder hatte, mussten letztere den Fokus ihrer Politik auf die G20 verschieben. Diese übernahm nun den Anspruch auf die Rolle der "globalen Regierung". Die G8 legte ihren Schwerpunkt auf "geopolitische und Sicherheitsfragen, die politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit Afrika und auf Gegenstände von gemeinsamem Interesse für die G8-Staaten."(1)

Die G20 ist der Versuch der G8-Länder, dem drohenden Zerfall ihrer Macht entgegen zu wirken. Statt tatenlos zuzusehen, wie sich die aufstrebenden Mächte organisierten und international an Einfluss gewannen, sich aber selber an die alte und schwächer werdende G8 zu klammern, galt es, die neuen Mächte einzubinden um bei der Neuverteilung der Welt nicht leer auszugehen. Hier geht es unter anderem um die Einflussnahme auf die afrikanischen Länder, wo China und Indien, aber auch die lateinamerikanischen Länder schon eifrig mitmischen. Dieser "global power shift" ist denn auch Thema am kommenden WEF.

Die G20 ist aber auch der Versuch, die sich meist widersprechenden Interessen der einzelnen Mächte in einem Minimalkonsens zu bündeln. Dass dieser Konsens wirklich minimal ist, zeigt sich an den Ergebnissen der verschiedenen Gipfel. Von vornherein ist jeweils von einer "ambitiösen Agenda" die Rede, die dann bis nach der Zusammenkunft auf einige "Willensbekundungen" zusammenschrumpft. Spiegel Online schrieb über den Gipfel von Pittsburgh 2009, die Schwellenländer hätten damit gedroht, den Gipfel platzen zu lassen, wenn nicht "grosse Konzessionen bei der Reform der internationalen Organisationen" gemacht würden. Was heraus kam, waren einige Veränderungen bei der Verteilung der Stimmrechte im IWE


Heftige Widersprüche

Dass sich insbesondere die Interessen der G8-Länder auf der einen Seite und der Länder um China und Indien auf der anderen widersprechen, zeigt die Tatsache, dass sie jeweils ganz andere Schwerpunkte auf die Traktandenliste setzen möchten. Während die Industrieländer über Regeln in der Finanzwirtschaft sprechen möchten, weil sie von den Auswirkungen der Finanzblasen stark betroffen sind, sind für die aufsteigenden Mächte andere Themen wichtiger. In den Ländern der westlichen Welt haben Fragen wie die hohen Manager-Boni eine gewisse Sprengkraft, China oder Indien sorgen sich eher um die hohen Preise von Nahrungsmitteln oder Rohstoffen.

Wie heftig die Widersprüche auch zwischen den alten kapitalistischen Mächten sind, zeigte sich beispielhaft am Gipfel in Cannes im vergangenen November: Als es um die zu ergreifenden Massnahmen im Zusammenhang mit der Eurokrise ging, liess Gastgeber Sarkozy gegenüber dem britischen Premier Cameron die giftige Bemerkung fallen: "Du hast eine gute Gelegenheit verpasst, einmal die Schnauze zu halten". Zwar soll am Gipfel über den Euro diskutiert werden, aber die Entscheidungsgewalt, was unternommen wird, wollen die dominierenden Länder der EU, Frankreich und Deutschland, natürlich nicht anderen überlassen. Ebenso ablehnend stehen die europäischen Mächte, in diesem Zusammenhang also Deutschland und Frankreich, natürlich den Interventionen der USA gegenüber. Obama hat, logischerweise, die Interessen des US-Kapitals vor Augen, die keineswegs mit den deutschen oder französischen übereinstimmen.

Jeder Versuch von Kapitalistenverbänden, die Welt zu regieren, ist daher zum Scheitern verurteilt. Trotz alledem sollte die Macht der G20 nicht unterschätzt werden. Mit ihren Bekenntnissen zur neoliberalen Deregulierung der Wirtschaft nehmen sie doch mindestens indirekt Einfluss auf die Situation der Menschen und der Natur.

Die Gipfeltreffen der G20, die ja eigentlich Treffen der FinanzministerInnen wären, mutierten in Bühnen für die Regierungschefs, die mit allen Mitteln versuchen, sich als LöserInnen der Weltprobleme darzustellen. Sie geben vor, den Hunger auf der Welt bekämpfen zu wollen, finden aber - eingeschränkt durch den Kapitalismus - nur immer dieselben "Lösungen" wie Liberalisierung, Privatisierung, Monopolisierung.

Diese eng mit der G8 verbundene Gruppe ist nicht mit der G20+ zu verwechseln, die sich im Vorfeld des Gipfels der Welthandelsorganisation von Cancún 2003 gründete. Dieser Gruppe gehören ausschliesslich Trikontländer und aufsteigende Mächte an. Während China, Brasilien, Indien, Südafrika, Argentinien, Mexiko und Indonesien bei beiden G20 dabei sind, sind bei der G20+ zusätzlich Ägypten, Bolivien. Chile, Kuba, Nigeria, Pakistan, Paraguay, die Philippinen, Simbabwe, Tansania, Thailand, Uruguay und Venezuela dabei. Aufgrund ähnlicher Ausgangslagen können sie sich besser auf gemeinsame Forderungen gegenüber den westlichen Mächten einigen, auch wenn natürlich grosse Machtdifferenzen auch innerhalb der Gruppe bestehen. Sie setzen sich z.B. gegen Agrarexportsubventionen und Patentschutz auf Medikamente ein.

(1) http://www.g2O-g8.com


DIE G20

Die "Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer" ist ein Zusammenschluss der Finanzminister und Zentralbankdirektorinnen folgender Länder: USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Russland, die auch in der G8 organisiert sind, sowie Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei und die Europäische Union. Sie wurde 1999 in Berlin gegründet, mit dem Ziel eine "offene und konstruktive Diskussion zwischen Industrie- und Schwellenländer (emerging-market countries) zu Schlüsselfragen im Zusammenhang mit der weltweiten Wirtschaftsstabilität zu führen". An jährlichen Gipfeltreffen treffen sich die MinisterInnen, vor allem aber auch die Staats- und Regierungschefs. Ebenfalls institutionell dabei sind der Präsident der Weltbank (momentan Robert Zoellick), die Chefinnen des Internationalen Währungsfonds (IWF, aktuell Christine Lagarde), des Internationalen Währungs- und Finanzkomitees und des Entwicklungskomitees, die beide Teile des IWF sind.


KARL MARX UND DIE INTERNATIONALEN ORGANISATIONEN

"Solange alles gut geht, agiert die Konkurrenz, wie sich bei der Ausgleichung der allgemeinen Profitrate gezeigt, als praktische Brüderschaft der Kapitalistenklasse, so dass sie sich gemeinschaftlich, im Verhältnis zur Grösse des von jedem eingesetzten Loses, in die gemeinschaftliche Beute teilt. Sobald es sich aber nicht mehr um Teilung des Profits handelt, sondern um Teilung des Verlustes, sucht jeder soviel wie möglich sein Quantum an demselben zu verringern und dem andern auf den Hals zu schieben. Der Verlust ist unvermeidlich für die Klasse. Wie viel aber jeder einzelne davon zu tragen, wieweit er überhaupt daran teilzunehmen hat, wird dann Frage der Macht und der List, und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder. Der Gegensatz zwischen dem Interesse jedes einzelnen Kapitalisten und dem der Kapitalistenklasse macht sich dann geltend, ebenso wie vorher die Identität dieser Interessen sich durch die Konkurrenz praktisch durchsetzte" (Kapital, Band III, Kapitel 15). Die internationalen Organisationen wie die Bretton-Wood-Institutionen (WTO, IWF, Weltbank), das WEF, die G8 oder die G20, versuchen, die Interessen der Kapitalistenklasse als ganze durchzusetzen. Sie suchen verzweifelt nach Wegen, damit es aufhört, dass "der Verlust (...) unvermeidlich für die Klasse" ist. Aber sie müssen scheitern: Die Art und Weise, wie der Konflikt ausgeglichen werden kann "schliesst die Brachlegung und selbst eine teilweise Vernichtung von Kapital ein".


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012, Seite
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2012