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AUFBAU/304: Die Schranken der kapitalistischen Produktion


aufbau Nr. Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die Schranken der kapitalistischen Produktion

SCHULDENKRISE - Die Staatsschulden der meisten imperialistischen Länder sind ins Zentrum der Krisenanalyse gerückt.


(gpw) Das "griechische Gespenst"(1), das Gespenst von Staatsbankrotten in allen peripheren Ländern, des EU-Raumes hat personelle Opfer gefordert: Papandreou ist ins Glied zurückgetreten, Berlusconi musste unter gewaltigem Pfeifkonzert von den Strassen Roms abtreten. Die renditesuchenden Geldkapitalien flüchten aus dem Euro, unter anderem in den Schweizer Franken, der um fast einen Drittel aufgewertet wurde - bis die Nationalbank die Notenpresse in Gang setzte, um den Franken über 1.20 Euro zu halten(2). Was in der Schweiz an Industrie übrig geblieben ist, kommt unter Druck: Zwei Drittel der Betriebe der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) melden sinkende Margen und ein Drittel Verluste(3). "Kosmetische" Massnahmen wie die Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn helfen da kaum mehr. Es kommt verstärkt zu Massenentlassungen und Auslagerungen in Billiglohnländer; Investitionen in der Schweiz unterbleiben. Der seit 2008 angekündigte "Krise zweiter Teil" wird Realität.


Überleben auf Pump

Beim Kriseneinbruch von 2008 platzte unter anderem eine auf Pump aufgeblähte Konsumblase, die sich im Lauf der letzten 25 Jahre aufgebaut hatte.

Die amerikanischen Haushalte waren im Durchschnitt mit 10.000.- US$ verschuldet. Ohne das wäre es der Mehrheit der Bevölkerung nicht möglich gewesen, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die sogenannte Bankenrettung und milliardenschweren Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft verwandelten diese Privatschulden zum Teil in Staatsschulden, die - insbesondere auch in Griechenland - durch enorme Rüstungsausgaben zusätzlich aufgebläht wurden. Zunächst funktionierte das ganz gut: Wegen der Kapitalüberproduktionskrise gibt es zu viel Geld in den Finanzmärkten, das "sichere" Anlagen sucht, auch zu niedrigen Zinsen. Deshalb machten die grossen Investment-Banken, die eben noch "gerettet" werden mussten, fette Profite - bis klar wurde, dass Staaten wie Griechenland in ihrer Wirtschaft so geschwächt waren, dass sie ihre Schulden niemals werden zurückzahlen können. Zurzeit ist ein Domino-Effekt im Gang: Italien, Spanien, Portugal, Irland, Frankreich.


Nach "Bankenrettung" Rettung der Euro-Zone

Die Fehlkonstruktion der europäischen Einheitswährung liegt offen auf dem Tisch: Aus politischen Gründen wurde der Euro den Ländern mit ganz unterschiedlicher Wirtschaftskraft aufgezwungen, um mit Hilfe der Maastricht-Kriterien überall eine Politik der leeren Kassen durchzusetzen. Es besteht noch ein ausdrückliches Verbot, dass sich die Länder bei drohenden Staatsbankrotten gegenseitig aushelfen. Alles Makulatur: Entweder gelingt es mittels gemeinsamen Staatsanleihen (Euro-Bonds) die Staatsschulden auf alle Mitgliedsländer zu verteilen, oder die Zone bricht auseinander, was einen noch schärferen weltweiten Kriseneinbruch nach sich ziehen würde.

Die Grenzen der kapitalistischen Produktion Der Krisenverlauf seit Anfang der 1970er Jahre illustriert einen bald 150 Jahre alten Satz Marxens: Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerem Massstab entgegenstellen(4): Das Ende des langen Aufschwungs 1973 legte diese Schranken offen. Neoliberale Wirtschaftspolitik und "Globalisierung" sind ein erster Versuch, sie zu überwinden. Die damit verbundene Prekarisierung breiter Teile des Proletariates erzwang die Schuldenfinanzierung ihres Überlebens. Parallel dazu wurden die Rüstungsausgaben ausgeweitet. Die Aufblähung der Finanzmärkte führte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einer Serie schwerer Finanzkrisen. Zwar verhiess die "New Economy" (Computerisierung, Telekommunikation, Internet) eine zeitweise Überwindung der Schranken, bis dieser Traum mit ihrem baldigen Ende 2000/2001 platzte. Die darauf folgenden Programme zur Finanzierung von Eigenheimen und das Verramschen fauler Hypothekarschulden an den Finanzmärkten lösten die gewaltige Finanzkrise 2008 aus, die mit einer weiteren Aufblähung der Staatsschulden bekämpft wurde. Die jetzige Schuldenkrise ist die logische Folge. Deren Überwindung wird an Schranken stossen, die nicht zuletzt mit dem absehbaren Ende des Wachstums in China und anderen "Schwellenländern" zusammenhängen. Nur eines bleibt unverändert: Die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben!


Erläuterungen

1. Um das Kursniveau von Fr. 1.20 pro Euro zu halten, muss die Nationalbank die Finanzmärkte mit Schweizer Franken überschwemmen, also, bildlich gesprochen, Schweizer Geld drucken. Das passiert natürlich nur zum kleinen Teil in Noten, zum grösseren in Buchwerten von Krediten, die sie den Akteuren an den Finanzmärkten zur Verfügung stellt. Damit wird ein Inflationspotenzial aufgebaut, das langfristig an Löhnen und Renten fressen wird. Im Jahr 2010 wurden an den Devisenmärkten weltweit jeden Tag (!) 4 Billionen US$ umgesetzt. Es sind also extreme Milliardenbeträge in Schweizer Franken, mit denen die SNB im Ernstfall auffahren muss, um in diesem Meer von Geld überhaupt eine Wirkung zu haben.

2. Das Volumen an Staatsanleihen in der Eurozone betrug Ende 2010 6.5 Bio Euro, das entspricht ca. dem zwanzigfachen Bruttoinlandprodukt der Schweiz.

3. Die EU-Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien): Der Staatschulden dürfen nicht mehr als 60 %, die jährliche Neuverschuldung nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandproduktes ausmachen; die Inflationsrate darf höchstens 1,5% höher liegen als im Land mit der niedrigsten Inflation; der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

4. Zur Umverteilung von unten nach oben: 3100 der 121.800 Milliarden Dollar an weltweitem Privatvermögen liegen auf Banken in der Schweiz. Die Millionärsdichte beträgt hierzulande 9,9 Prozent. In der Schweiz sind es 330.000 Dollarmillionäre. Weltweit besitzen die 0,9 % Reichsten 39 % der Vermögenswerte (5).


Anmerkungen:

(1) Siehe aufbau 62
(2) siehe Kasten "Erläuterungen"
(3) DRS Mittagsmagazin 15.11.2011
(4) Das Kapital III, S. 260
(5) NZZ 01.06.2011


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012, Seite 7
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2012