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AUFBAU/303: "Quartieraufwertung" in Basel


aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Quartieraufwertung" in Basel

STADTENTWICKLUNG - In den letzten Monaten formierte sich an verschiedenen Orten Widerstand gegen die Stadtentwicklung.(1)


(rabs) Es ist klar, in welche Richtung sich die Stadt Basel entwickeln soll, wenn es nach den Verantwortlichen in der Regierung geht: zur "Life-Science-Welthauptstadt", zur "Forschungs- und Entwicklungshochburg in den Bereichen Pharmazie, Biochemie und Biotechnologie"(2). Dass nicht alle diese Entwicklung, die für die unteren Klassen in erster Linie Verdrängung aus den "aufgewerteten" Quartieren bedeutet, hinnehmen wollen, zeigte sich in den letzten Monaten in vielfältigen Initiativen. Vor allem in den Quartieren Kleinbasel und St. Johann, die die Stadtentwicklung momentan am meisten zu spüren bekommen, werden immer wieder Häuser oder Plätze besetzt, in einem Stadtspaziergang wurde an verschiedenen Orten die Folgen der Stadtentwicklung thematisiert und Transparente in Solidarität mit den vom Abbruch bedrohten Häusern an der Wasserstrasse sind an vielen Fassaden zu sehen. Der folgende Text stützt sich neben Flugblättern aus der Häuserszene vor allem auf verschiedene Gespräche mit Menschen, die auf dem Gebiet aktiv sind.


Von Party zu Stadtentwicklung

In den letzten Monaten fand unter den AktivistInnen eine Politisierung statt. Bei der ersten grossen Besetzung, stand die Forderung nach Party im Vordergrund; nur einzelne Stimmen versuchten, die Thematik von Freiräumen in die Diskussion einzubringen. Inzwischen ist neben den Freiräumen, die nun für einen grösseren Teil der Leute einen wichtigen Stellenwert einnehmen, die Stadtentwicklung zu einem zweiten inhaltlichen Strang geworden. Je nach Projekt steht das eine oder das andere Thema im Vordergrund, was auch mit der jeweiligen Form zusammenhängt: Eine Besetzung bietet sich an, die Spekulation mit Immobilien anzuprangern und Raum für selbstbestimmte Projekte zu erkämpfen. Der Ort der Besetzung muss dabei nicht unbedingt innerhalb der von Stadtentwicklung und Aufwertung betroffenen Quartiere liegen. Um der von Wirtschaft und Regierung geplanten Stadtentwicklung etwas entgegen zu setzen, ist es wichtig, sich in den einzelnen betroffenen Quartieren zu vernetzen. Durch Druck der Quartierbevölkerung und der Medien können Grossprojekte verlangsamt oder gar verhindert werden. Die inhaltlichen Schwerpunkte werden unter den AktivistInnen in jedem Projekt neu diskutiert. Eine vertiefte inhaltliche Diskussion, an der sich alle beteiligen, ist aber schwierig, da in den einzelnen Gruppen unterschiedliche Menschen zusammen kommen. Auch über gesellschaftliche Perspektiven findet in übergeordnetem Rahmen zur Zeit kaum eine Auseinandersetzung statt.


Das St. Johann als Zentrum des Widerstands

Die Stadtentwicklung wird im Moment meist in Zusammenhang mit dem St. Johann thematisiert. Ein Grund dafür ist sicher der Novartis Campus und die in diesem Zusammenhang durchgeführten und geplanten Veränderungen im Quartier(3). Was der Bevölkerung als Aufwertung ihres Lebensraums verkauft wird, ist einzig Aufwertung der Wohnungen und der Mieten(4). Für Menschen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, wird der Raum immer enger. Viele der AktivistInnen mussten selbst wegen steigender Mieten in eine andere Wohnung ziehen. So engagieren sie sich auch für ihre eigene Wohnsituation. Der Widerstand gegen diese Entwicklung konzentriert sich an der Wasserstrasse und auf der Voltamatte, auf der seit Ende Mai ein hölzerner Turm steht. Beide Orte sollen eine kritische Auseinandersetzung über die Stadtentwicklung ermöglichen, die von den Betroffenen geführt wird. Dabei gerät auch der Beitrag der Stadtplanung und der Architektur zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung von Macht- und Besitzverhältnissen ins Blickfeld. Die Neugestaltung von Plätzen etwa zielt auf eine bessere Möglichkeit zu deren Kontrolle, sie sind offen, überschaubar, gut beleuchtet und an Überwachungskameras mangelt es nicht. Im St. Johann lässt sich auch ein Gentrifizierungs-Prozess beobachten: Ins Quartier zieht eine Übergangsgeneration von StudentInnen, KünstlerInnen und Leuten aus dem alternativen Milieu, die nach und nach die ursprüngliche Bevölkerung, die vor allem aus ArbeiterInnen und MigrantInnen besteht, verdrängt. Mit der Eröffnung von Cafés und kleinen Läden wandelt sich der Ruf des Quartiers, es zieht eine besser verdienende Schicht an, die ihrerseits die Übergangsgeneration verdrängt.


Auf die eigene Stärke setzen

In einer solchen Situation ist es wichtig, auf eine breite Quartiervernetzung hin zu arbeiten; die bereits gemachten Anstrengungen können Ansatzpunkte dafür sein. Viele QuartierbewohnerInnen bekommen die negativen Folgen der Stadtentwicklung zu spüren, trotzdem fehlt oft das Bewusstsein, um die persönliche Betroffenheit in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Ausserdem handelt es sich um eine heterogene Bevölkerung, die nur bedingt gleiche Interessen hat. Die Vernetzung in den Quartieren ist zentral, um die gesellschaftliche Isolierung zu durchbrechen und kollektiv Lösungen für Probleme zu entwickeln. Die eigene Stärke wird Schritt für Schritt weiterentwickelt, um so der Stadt die Kontrolle über die Quartiere möglichst weit zu entziehen und dafür eigene Strukturen aufzubauen. In Hunderten kleinräumigen Nachbarschaftsnetzen kann eine "Wiederaneignung der Stadt" geschehen(5). Bestimmung über den Wohn- und Lebensraum würde in den Händen der Bevölkerung liegen. In den Quartieren präsent zu sein, bedeutet auch, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die nicht schon politisch aktiv sind. In den gemeinsamen Aktivitäten gibt es die Möglichkeit, revolutionäre Positionen verständlich zu formulieren. Eine kollektive Kraft in den Quartieren kann in einer revolutionären Situation von entscheidender Bedeutung sein.


(1) Der folgende Text stützt sich neben Flugblättern aus der Häuserszene vor allem auf verschiedene Gespräche mit Menschen, die auf dem Gebiet aktiv sind. Aus Platzgründen verzichten wir an dieser Stelle auf eine kritische Auseinandersetzung mit den hier vertretenen autonomen Positionen und verweisen dafür auf die um einen Kommentar ergänzte Version des Artikels, welche sich in unserer Online-Zeitung findet.

(2) WoZ vom 19.5.2011.

(3) Siehe dazu aufbau Nr. 54, S. 3.

(4) Die neuen Preise liegen etwa bei 186O.- für eine 2 1/2 Zimmer Wohnung, bzw. bei 2850 für 4 1/2 Zimmer.

(5) Flyer der Wasserstrasse.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011, S. 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2011