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AUFBAU/270: Die Grossfabriken der Bildungsmaschinerie


aufbau Nr. 62, September/Oktober 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die Grossfabriken der Bildungsmaschinerie


UNIVERSITÄT - Die "Bologna-Reform" der europäischen Unis ist unübersichtlich. So unübersichtlich, dass nun die Reform der Reform ansteht. Wer treibt den Prozess voran? Wem nützt's? Was bedeutet die europäische Dimension dann?


(az) Ein Studium in Basel, Paris und Heidelberg, dazwischen ein Sprachaufenthalt in Edinburgh oder Madrid: Mit solchen Argumenten wurde der Umbau des Hochschulwesens verkauft, der nach einem Abkommen von 1999 "Bologna-Reform" genannt wird. Ein Jahr später, 2000, haben dieselben europäischen MinisterInnen in Lissabon einen Plan unterzeichnet. Innert zehn Jahren sollten in jedem Unterzeichner-Land 3% des Bruttoinlandprodukts für Forschung aufgewendet werden, um einen europäischen Forschungsraum in Konkurrenz zu den USA und Japan zu schaffen. Die Absichtserklärung war ein Projekt der neoliberalen Sozialdemokratie, zur Zeit der Unterzeichnung wurden 11 der 15 teilnehmenden Staaten sozialdemokratisch regiert. Seither ist ein Jahrzehnt vergangen. Das Ziel von "Lissabon" ist nicht erreicht. Und was "Bologna" bedeutet, ist heute allen klar: mehr Stress, mehr stromlinienförmiges Wissen. Der Anteil der Austausch-StudentInnen ist seither nicht gestiegen, sondern massiv gesunken.

Die Uni ist eine Konformitätsmaschine, die heute schneller taktet denn je. Häufig wird von einer "Ökonomisierung der Bildung" geredet. Doch dabei wird übersehen, dass schon immer die Bildung "den Erfordernissen kapitalistischer Reproduktion angepasst" wurde, wie Thomas Sablowski in einem nützlichen Artikel in der Zeitschrift "Sozialismus" schreibt. Man braucht nicht der Ansicht zu sein, wir lebten heute in einer "Wissensgesellschaft" (eine Diagnose, mit der akademische Mittelstandsleute ihre eigene Umgebung auf die ganze Gesellschaft übertragen). Aber die Ausbeutung der Arbeitskraft ist in der Krise verstärkt auf Wissenschaftlichkeit, auf Rationalisierung und optimierte Ablaufsplanung, angewiesen. Dieses Wissen herzustellen und zugleich die Uni selbst zu rationalisieren, das ist die Agenda von "Bologna" und der "Strategie von Lissabon".


Ein europäischer Forschungsraum

Die Reformen haben auf unterschiedlichen Ebenen verschiedene Konsequenzen. Zunächst einmal ist "Bologna" schlicht ein Mittel, um Sparmassnahmen durchzudrücken. So gab es in Deutschland und Italien bereits zuvor Pläne zu einer Verkürzung der Studienzeit. Indem die Massnahmen auf eine europäische Ebene gehievt wurden, sollte innenpolitischer Widerstand ausgehebelt werden. Nun kann jeder Rektor flugs behaupten, er würde die "vernünftigen" Anliegen der protestierenden StudentInnen verstehen, allein ihm seien - bedauerlicherweise - die Hände gebunden. Die EU bietet hier (auch für die mit-unterzeichnenden Staaten wie die Schweiz) eine verbindende Klammer. Das bedeutet nicht, dass die Konkurrenz unter den europäischen Imperialisten verschwindet. Vielmehr stellt die EU den Hebel, um den globalen Konkurrenzkampf in die nationalen Forschungsräume einzupflanzen. Das wird beim Abkommen von "Lissabon" besonders deutlich: Regionale "Clusters", am Reissbrett erstellte "Innovationsregionen" sind der gezielte Versuch, in bestimmten Gegenden Forschungsprojekte und Uni-Labors zu konzentrieren. Dabei wird eine kritische Grösse gesucht, um die Gegend auf Weltmarktbedingungen zu trimmen. Aber nur wenige dieser "Clusters" gehen über Ländergrenzen hinaus. Das Wettrüsten der Forschung und Entwicklung bleibt eine Sache zwischen Nationalstaaten. Ein EU-Imperialismus wirkt hauptsächlich auf der Ebene der Normensetzung und allenfalls in einigen Kooperationsprojekten.

Mit der "Cluster"-Bildung wird in manche Regionen Geld gepumpt und umgekehrt werden andere Gegenden bildungspolitisch abgewrackt. Dieses Prinzip gilt für die Hochschulbildung insgesamt. Mit "exzellenten" "Graduierten-Schulen" wird von der verdeckten zur offenen "Elitenformierung" übergegangen, während nach dem dreijährigen "Bachelor"-Abschluss die AbgängerIn möglichst rasch auf den Arbeitsmarkt geworfen werden soll. Einer der grössten Widersprüche besteht zwischen der Absicht der Elitenbildung, einer schärferen Trennung von oben und unten einerseits und einer breiten Masse passabel ausgebildeter Arbeitskräfte andererseits, für deren gesellschaftliche Aufstiegswünsche die Reform verkauft wird. An diesem Spagat zwischen sozialer Verschärfung einerseits und einbindender Befriedung andererseits scheint "Bologna" in einigen Punkten auch zu scheitern. Vor Vollendung der Reform kommt die Reform der Reform.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Arbeitsgruppe Jugend (agi), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 62, September/Oktober 2010, S. 12
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2010