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AUFBAU/260: Volkskrieg und Kampf in den indischen Städten


aufbau Nr. 61, Mai/Juni 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Volkskrieg und Kampf in den indischen Städten

URBAN PERSPECTIVE - Im ländlichen Indien entwickelt sich eine der weltweit grössten revolutionären Bewegungen mittels maoistischem Konzept. Die zunehmende Arbeiter/innenklasse in den Städten nimmt die CPI(Maoist) zum Anlass, nun ebenfalls einen umfassenden strategischen Plan für die Städte zu entwickeln.


(agkk) Die Urwälder Indiens sind schon seit Tausenden von Jahren bewohnt von verschiedensten kleineren und grösseren Bevölkerungsgruppen, die dort im Einklang mit der Natur lebten. Manche von ihnen leben noch heute dort, führen denselben Lebensstil wie ihre Vorfahren, doch im Indien um sie herum hat sich seit damals einiges getan.

Mitte des 18. Jahrhunderts begann die britische Ostindien-Kompanie Indien zu kolonialisieren, die Grundsteine für die heutigen Grossstädte wurden gelegt. 1947 erlangte Indien die politische Unabhängigkeit von Grossbritannien. Heute herrscht ein wirtschaftlicher Aufschwung, das Wirtschaftswachstum Indiens beträgt noch immer um die 7% jährlich. Die Metropolen werden rasant grösser, insbesondere der Dienstleistungssektor boomt, während die Landwirtschaft an Bedeutung verliert. Indiens Grossstädte sind also hochmodern, Software und Kommunikationsindustrien blühen, der indische Staat hat sogar Pläne, in die Raumfahrt einzusteigen.


Die Schattenseite

Dies alles sind Zahlen, die häufig in den Medien genannt werden, die Schattenseiten dieser Entwicklung wird dabei meistens vernachlässigt. 44% der ca. 1.2 Milliarden EinwohnerInnen Indiens müssen täglich mit weniger als einem US-Dollar überleben, 80% der Bevölkerung Indiens lebt in Armut und hat nicht genug zu essen. Die Entwicklung von Riesenstädten in Indien hat daran einen wesentlichen Anteil, die Landwirtschaft hat stark an Bedeutung verloren. Das hat dazu geführt, dass viele Bauern nicht mehr genug verdienen, um auf dem Land überleben zu können, deshalb ziehen sie in die Städte. Dort herrscht eine derart hohe Arbeitslosigkeit, dass die Meisten von ihnen in Elendsvierteln und Slums enden. Diese ausgedehnten Armutsviertel, die zum Teil mehr als eine Million Menschen umfassen, bieten kaum eine Verbesserung zum Landleben. Kriminalität, ethnische, religiöse oder nationalistisch bedingte Übergriffe oder Repression durch die Behörden, die ein sauberes Stadtbild erhalten wollen, sind an der Tagesordnung, die Ghettoisierung nimmt stetig zu.

Die elenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse eines grossen Teils der Menschen haben auch in den Städten breiten und organisierten Widerstand ausgelöst. Die veränderten Bedingungen haben eine äusserst differenzierte Klassensituation geschaffen, auf die für eine revolutionäre Entwicklung eine konkrete Antwort gesucht werden muss.


Kampf in der Stadt

Der Stein trifft den Streikbrecher am Kopf. Er sinkt in die Knie, seine Kumpanen sind einen Moment lang irritiert. Wie üblich rufen sie die rechten bewaffneten Milizen zur Unterstützung. Doch diesmal bleibt die Hilfe aus, die Bürgerwehr ist in einem Hinterhalt der Volksguerilla-Befreiungsarmee aufgerieben worden

Eine erfundene Geschichte, doch ein politisches Szenario, das bald indische Realität werden kann. Allerdings nicht von heute auf morgen, sondern als Resultat eines langfristigen Prozesses. Auch Schweizer Konzerne, die in Indien ihre trüben Geschäfte tätigen, werden davon betroffen sein. Die oben beschriebenen ökonomisch und sozial veränderten Bedingungen, drängen die Maoist/innen dazu, die Perspektiven des Volkskrieges in den industriellen Zentren Indiens zu studieren und eine adäquate Strategie dazu vorzulegen.

Die indischen MaoistInnen verfügen mit dem Konzept des langandauernden Volkskrieges über eine vielfach erfolgreich erprobte Grundstrategie, die von den chinesischen KommunistInnen erstmals 1926-1949 erfolgreich angewandt wurde. Mao Tse-tung hat diese Erfahrungen theoretisch verallgemeinert. Entstanden ist ein strategischer Vorschlag zur revolutionären Veränderung von Länder mit kolonialen/halbkolonialen und feudalen/halbfeudalen Gesellschaften im Trikont. Den jeweiligen spezifischen Verhältnissen angepasst, wurde dieses Konzept in zahlreichen revolutionären Kriegen angewandt, erfolgreich wie in Vietnam, Angola, Guinea Bissau und weniger erfolgreich in Malaysia, Thailand, Peru etc.

Der langandauernde Volkskrieg besteht aus der Analyse der Gesellschaft, aus einem revolutionären Programm und einer politisch-militärischen Strategie, die sich aus Guerillakrieg, Bewegungskrieg und Stellungskrieg zusammensetzt. Strategisches Ziel ist der Aufbau von Stützpunktgebieten, die sich in einem langandauerden Kampf immer weiter ausdehnen und schliesslich die metropolitanen Zentren umzingeln.

Die CPI(Maoist) geht in Indien von einer dynamischen Klassensituation aus. Der Übergang des Feudalismus/Halbfeudalismus zum Kapitalismus hat einen doppelseitigen Charakter der Revolution: einerseits antiimperialistisch und antifeudal, andererseits auch den Kampf in den ruralen wie urbanen Gebieten. Mittlerweile leben 28,7% der Bevölkerung in den Metropolen, in denen 60% des BIP erarbeitet wird.


Die urbane revolutionäre Bewegung

Der Kampf in den urbanen Zentren des Trikonts hatte entsprechend den objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen schon immer eine wichtig Rolle im revolutionären Prozess. Doch während in der Vergangenheit die uruguayische MLN Tupamaros von einem Stadtguerilla-Konzept ausgingen, die brasilianische ALN Marighellas die Stadtguerilla als Ausgangspunkt für den Kampf in den ländlichen Gebieten konzipierte und die argentinische PRT/ERP Guerilla im ländlichen Tucuman und Stadtguerilla kombinierte, erweiterte die CPI(Maoist) den langandauernden Volkskrieg um ein umfassendes Konzept für den Kampf in den urbanen Zentren. Zwar gibt es Erfahrungen des langandauernden Volkskrieges mit dem Kampf in den Städten, wie sie beispielsweise die PCP in Lima/Peru gemacht hat, doch das Einzigartige des vorliegenden Dokuments der CPI(Maoist) ist sein strategischer Ansatz. Es ist eine eigentliche Ergänzung, bzw. Anpassung, des klassischen langandauernden Volkskrieges an veränderte gesellschaftliche Bedingungen. Das Fehlen dieses Ansatzes in der Vergangenheit war der Grund für die meisten Niederlagen der CPI(Maoist) auf städtischem Territorium.

Die indischen Maoistinnen verfügen seit dem Aufstand in Naxalbari 1970 über reichhaltige Erfahrungen im Kampf in den Städten. In verschiedenen Grossmetropolen wie Durgapur, Coimbator, Jamshedpur, Dhanbad und vor allem in der zur damaligen Zeit grössten Stadt Indiens, in Kolkata, verfügte die Partei über beträchtlichen Einfluss und Bedeutung. Die Konzentration auf den Kampf der Stadtguerilla und ein reduziertes Verständnis der Massenmobilisierung führte zu einem kontinuierlichen Verlust des Einflusses in den Städten. 1973, 1978 und 1995 gab es Versuche, neue Richtlinien für die urbane politische Arbeit zu entwickeln. Insbesondere das Dokument von 1973 spielte für die neue Richtung der Parteiarbeit eine wichtige Rolle, doch es war kein umfassendes Papier zur urbanen Arbeit mit strategischen Perspektiven. Zwar hat der Volkskrieg in den ländlichen Gebieten nach wie vor erste Priorität, doch wird die fehlende strategische Konzentration betreffend der urbanen Bewegung im vorliegende Dokument "CPI(Maoist) Urban Perspective"(1) korrigiert.


Die Perspektive des Volkskrieges in den Städten

Das Dokument gibt einen aussergewöhnlich tiefen Einblick in die Richtlinien zur politischen Arbeit in den städtischen Zentren. Ausgehend von einer Analyse der gesellschaftlichen Situation, insbesondere der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen in den Metropolen und ihren Slums, entwickelten die Maoistinnen sehr differenzierte politische und organisatorische Antworten. Dem Aufbau der klandestinen Parteiorganisation innerhalb der Arbeiter/innenschaft wird zur Mobilisierung der städtischen Massen eine Vielzahl von unterschiedlichen Organisationsmöglichkeiten zur Seite gestellt: Klandestine und offene Massenorganisationen, Fraktionen innerhalb der Gewerkschaften, themenbezogene und permanente Aktionseinheiten usw. Nicht nur die ArbeiterInnen sollen angesprochen und organisiert werden, sondern auch die anderen urbanen ausgebeuteten Klassen.

Zentral ist auch die Antizipation der Konterrevolution auf allen Ebenen. Gerade die Vernachlässigung dieses Aspektes hatte in der Vergangenheit zu grossen Verlusten geführt. So werden die politischen Richtlinien mit militärischen Aufgaben koordiniert. Dies reicht vom Selbstschutz der Massenorganisationen, zur logistischen Unterstützung der Guerilla-Volksarmee, bis zu eigenständigen Aktionen einer Stadtguerilla. Differenziert wie die Lage ist, so differenziert soll die revolutionäre Strategie und Taktik sein. Entsprechend dem langandauernden Volkskrieg ist der Kampf der urbanen revolutionären Bewegung nachhaltig und langfristig. Die Integration des städtischen Kampfes in den Volkskrieg ist eine gewaltige Aufgabe und wird für den Kampf der Maoistinnen in Indien entscheidend werden.


Anmerkung:

(1) Dokument auf:
www.bannedthought.net/India/CPI-Maoist-Docs/UrbanPerspective.pdf (kann auch über den "aufbau" in deutscher Übersetzung bezogen werden)


Stop "Green Hunt"

Seit Ende 2009 findet die "Operation Green Hunt" statt, ein Krieg, der von der indischen Regierung gegen die maoistischen Revolutionärinnen und die Adivasi-Völker entfesselt wird. Dieser Krieg muss gestoppt werden! Bereits haben sich breite Kreise in Indien und auch International gegen die Militäroffensive mobilisiert. Eine Website informiert Über internationale Aktionstage, wo wir unseren Protest vor die indischen Botschaften und Konsulate tragen können. Solidarisieren wir uns mit der revolutionären indischen Bewegung, beteiligen wir uns an der internationalen Kampagne!

Informationen auf: http://www.icawpi.org/index.php


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Arbeitsgruppe Jugend (agi), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 61, Mai/Juni 2010, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2010