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AUFBAU/213: Ein Bollwerk für die freie Ausbeutung


aufbau Nr. 56, März/April 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Ein Bollwerk für die freie Ausbeutung


BILATERALE - Das schweizerische Stimmvolk hat erneut gegen die Interessen der Mehrheit gewählt. Die sogenannte Personenfreizügigkeit bedeutet verschärfte Lohnkonkurrenz. Und die nimmt auch ganz unten weiter zu.


(az) In einem Punkt hat Blocher recht: Das schweizerische Stimmvolk folgt der Obrigkeit. Aber das hat nichts mit Verhältnissen wie in Nazi-Deutschland zu tun, wie Blocher nach seiner Abstimmungsniederlage zu den Bilateralen absurd und wohlkalkuliert gegiftelt hatte. Ganz im Gegenteil - so geht der Alltag der bürgerlichen Demokratie. Wie weisse Schafe wird für Verschlechterungen bei der Arbeitslosenversicherung und gegen Verbesserungen bei der AHV gestimmt. Nun kann man sich zu Recht fragen, was die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung dazu treibt, eine Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen abzunicken. Auf jeden Fall hat sich eine Allianz von Economiesuisse und aller Gewerkschaften unter der Führung des SGB durchgesetzt.

Tatsache bleibt, dass Sinn und Zweck der sogenannten Personenfreizügigkeit die verstärkte Lohnkonkurrenz ist. Wir dürfen uns von Gewerkschaften und andern ReformistInnen nicht einreden lassen, wer sich dagegen wehrt, sei eine protektionistische RassistIn. Der Internationalismus à la EU ist ein Projekt des Kapitals. Ihre über-nationalen Richtlinien sind den ArbeiterInnen feindlich bis ins Mark. Und die Festung Europa selbst schliesst vier Fünftel der Weltbevölkerung aus; häufig genug in mörderischer Weise.

Bis jetzt hat die Personenfreizügigkeit "oben", bei den Hochqualifizierten Druck ausgelöst. Es kamen Fachkräfte aller Art, von höheren Angestellten bis zu gelernten HandarbeiterInnen. Diese Tatsache machte den Rassismus über "die Deutschen" in den Zeitungen salonfähig. Denn nun kam der akademische Freundeskreis der JournalistInnen selbst in die Mangel. Im sich zuspitzenden Krisenverlauf wird sich das ändern. Die Krise ist international. In Zukunft werden - nebst gezielten Krisenangriffen auf die Kernbelegschaften - die Konkurrenzverhältnisse dort noch weiter ausgebaut, wo sie sowieso schon am grössten sind: Bei den wenig Qualifizierten, prekarisiert Beschäftigten.

Wie weit die flankierenden Massnahmen greifen, ist schlicht eine Glaubensfrage. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, an die Kontrollen irgend taugliche Massstäbe anzusetzen. Denn die Kantone kontrollieren höchst unterschiedlich: Der kleine Tessin verzeichnete 130 Sanktionen, der Aargau 200, aber der Wirtschaftskanton Zürich nur 87. In 26 Prozent der kontrollierten Betriebe mit GAV gab es Verstösse, aber nur in 8 Prozent der Betriebe ohne GAV. Das ist kein Wunder, schliesslich kann in Firmen ohne GAV kaum kontrolliert werden (was sollte man denn messen, ausser den völlig schwammigen "ortsüblichen Löhnen"?). Zwei Drittel aller Lohnabhängigen in der Schweiz arbeiten in Betrieben ohne GAV.

Als InternationalistInnen haben wir natürlich nichts gegen ArbeiterInnen aus dem Ausland. Wir haben etwas gegen die Arbeitsbedingungen aus dem Ausland, an die sich - bei gleich bleibenden Lebenshaltungskosten - die Bedingungen hier angleichen werden. Vielfach waren es MigrantInnen aus Ländern mit starker Kampftradition, die ihren schweizerischen KollegInnen erst gezeigt haben, wie man sich wehrt. Es ist möglich, dass sich das Blatt wieder in eine solche, offensive Richtung wendet: Migration ist auch ein Austausch von Erfahrung und Wissen in der Klasse, während sich die Klasse neu zusammensetzt. Aber im Moment sieht es eher so aus, dass die bereits ansässigen Arbeitskräfte in den Kampf ziehen gegen eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen.

In ihrem stumpfen Chauvinismus will die SVP das Modell der 1970er Jahre fortsetzen, wonach die Arbeitslosigkeit einfach exportiert wird. Als damals die Wirtschaftskrise einsetzte, hat das Schweizer Kapital im Namen des nationalistischen Schulterschlusses die Saisonniers rausgeworfen. Dieses Modell ist vorbei. Aber die SVP malt ein Horrorszenario ausgehöhlter Sozialwerke. Im heutigen kapitalistischen System ist die Reservearmee der Nicht-Erwerbstätigen tatsächlich ein Problem, und bedeutet für den Sozialstaat ebenso Konkurrenz wie für die Arbeitsbedingungen. In ihrer reaktionären Argumentation macht die SVP aber Menschen verantwortlich, statt dieses System. Sie unterstellt rassistisch, dass die Leute nur die Absicht hätten, "Sozialgelder abzuzocken". Angesichts der Mammutzahlungen an die UBS gehts um lachhafte Beträge. Sichere Renten für alle haben wir erst, wenn die KapitalistInnen enteignet sind. So bleibt das einzig Gute an der Abstimmung, dass die SVP richtig abgeschifft ist - zusammen mit ihrer modernden Gallionsfigur Blocher.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 56, März/April 2009, S. 8
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009