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AUFBAU/208: Politische Ökonomie - W'..??..G'


aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Politische Ökonomie
W'..??..G'


ROSA LUXEMBOURG - Kapital muss akkumuliert werden, Mehrwert muss erzeugt werden, die Mehrwert-Produkte müssen verkauft werden, das Mehrwert-Geld wieder investiert werden. Rosa Luxemburg schrieb 1913, was das Kapital braucht, um zu akkumulieren. Vielerorts kontrovers diskutiert, ist dieser Beitrag unverzichtbar. Früher wie heute.


(agfk/az) Neunzig Jahre ist es her, seit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 ermordet wurden. Raya Dunayevskaya schreibt in ihrer Biografie: "Es war der 14. Januar. Die Lynchkampagne der Sozialdemokratie war auf ihrem Höhepunkt, und die Freikorps waren ihre Exekutoren..." Anneliese Laschitza fügt in ihrer Luxemburg-Biografie hinzu: "Am Abend wurden sie ins Eden-Hotel, das Stabsquartier der Gardekavallerieschützendivision, verschleppt, in dem Hauptmann Papst Ermordung der beiden de facto einen Freibrief verschaffte." Die Revolutionärin und Mitbegründerin der KPD wurde von der Reichswehr der sozialdemokratischen Regierung Noske getötet und in den Berliner Landwehrkanal geworfen. Rosa Luxemburg suchte als Kommunistin ihr Leben lang Antworten zu finden auf praktische Situationen des Klassenkampfes. "Revolutionäre Realpolitik" war für Luxemburg die Verbindung von Tagesforderungen mit einer revolutionären Perspektive. Diese Verbindung von Nah- und Fernziel setzte sich auf der Ebene ihres Schreibens und Sprechens fort, indem sie hin und her wechselte zwischen Empirischem und Theoretischem. Dieses Wechselspiel war nicht Selbstzweck, sondern stand immer im Dienst politischer Praxis im Konkreten. Eine wichtige Frage in ihrer politischen Tätigkeit war die nach dem Imperialismus und dem Fortleben oder Zusammenbrechen des kapitalistischen Systems. Um die Auseinandersetzung mit dieser Frage geht es in diesem Artikel.

Heute müssen wir als KommunistInnen uns auf ähnliche Weise Fragen stellen, auch wenn die Situation eine Andere ist. Luxemburg hat ihre Thesen nicht nur in Auseinandersetzung mit ihrer Praxis entworfen - sie hat sie auch innerhalb der Debatten in der kommunistischen Bewegung entwickelt. Die Fruchtbarkeit von Luxemburgs Ansätzen machen nicht irgendein unfehlbares Theoriegebäude aus - sondern gerade diese kollektive Dimension einer Bewegung. Hier regt sie bis heute Debatten an. Ein theoretischer Fehler kann an anderer Stelle zum Durchbruch verhelfen. Um einen solchen produktiven Fehler handelt es sich bei Luxemburgs Vorstellung von der Akkumulation des Kapitals.


"... Die Realisierung des Mehrwerts zu Zwecken der Akkumulation ist also in einer Gesellschaft, die nur aus Arbeitern und Kapitalisten besteht, eine unlösbare Aufgabe." Das schrieb sie in ihrer Schrift "Akkumulation des Kapitals", erschienen im Jahre 1913.


Die Akkumulation des Kapitals ist für Luxemburg in einem geschlossenen kapitalistischen System also nicht zu erklären. Kapital muss akkumuliert werden. Sonst wäre es kein Kapital. Es werden mehr Waren produziert. Diese müssen verkauft werden. Rosa Luxemburg geht also der Frage nach, wo diese Waren realisiert werden. Der Frage also, wo die Kapitalisten ihre Waren verkaufen, um ihr Kapital auf einer höheren Stufe wieder in Geld zu verwandeln. Luxemburg nennt diesen Vorgang in Anlehnung an Marx, die erweiterte Reproduktion des Kapital. Sie kommt darauf, dass Marx den Übergang von der einfachen zu der erweiterten Reproduktion zu wenig betrachtet hat. Aus ihrer Analyse folgt, es müsse ein "Ausserhalb" des Systems geben, um die Waren zu realisieren. Schauen wir uns ihre Lösung nun inhaltlich genauer an.


Luxemburgs Lösung

Wenn die Kapitalisten die ArbeiterInnen ausbeuten und die Produktion ständig ausweiten (erweiterte Reproduktion), werden zu viele Waren produziert. Es entsteht, so Luxemburg, eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. Die Warenüberproduktionskrise tritt ein. Es braucht zusätzliche AbnehmerInnen für die vielen Waren. Der Handel mit nichtkapitalistischen Staaten bietet hier die einzige Möglichkeit diese Waren abzusetzen, also zu realisieren. Die AbnehmerInnen ausserhalb der kapitalistischen Produktionsprozesse können kleinbürgerliche Schichten im eigenen Land sein, vor allem aber Bevölkerungen in den Kolonien. Gleichzeitig aber zerstört der Kapitalismus immer wieder diese Bereiche und beraubt sich somit seiner eigenen Existenzgrundlage. Mit diesem Vorgang erklärt Rosa Luxembourg eine beschleunigte Tendenz zum Zusammenbruch des [...]


Unmöglichkeiten ihrer Lösung

Soviel stimmt: Der Kapitalismus produziert, im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage, zu viele Waren. Dies führt zu den bekannten zyklischen Krisen. Was aber, wie wir heute wissen leider nicht stimmt, ist, dass er daran beschleunigt zu Grunde gegangen wäre. Es wurden immer wieder Möglichkeiten geschaffen, in Phasen stark zu akkumulieren und damit zeitweilig aus den Krisen heraus zu kommen. Hier genannt seien das Wachstum in den sogenannten goldenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und das Wachstum in China in den letzten zehn Jahren.


Wir wollen im Folgenden drei Irrtümer von Rosa Luxemburg aufgreifen:

1. Luxemburg sagt, es werden bei der erweiterten Reproduktion zu viele Waren produziert.
Ihr Irrtum: Sie postuliert einen historischen Übergang von der einfachen zu erweiterten Reproduktion, den Marx zuwenig analysiert habe. Die sogenannte einfache Reproduktion ist nicht eine real existierende historische Phase der kapitalistischen Entwicklung, sondern eine Abstraktion, die Marx aus methodischen Gründen einführte. Kapitalistische Produktion ist also immer erweiterte Reproduktion. Kapital muss wachsen, es muss auf einer höheren Stufe in mehr Geld verwandelt werden, dabei muss Arbeitskraft ausgebeutet, muss Konkurrenz vernichtet und müssen profitable Investitionsmöglichkeiten gefunden werden. Kapital wäre ohne dies kein Kapital.

2. Luxemburg sagt, es entstehe eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. Es brauche zusätzliche AbnehmerInnen für die vielen Waren.
Ihr Irrtum: In Phasen der starken Kapitalakkumulation entsteht der Markt für mehr Waren aus dieser Akkumulation selbst: Es braucht mehr Produktionsmittel und mehr Konsumtionsmittel für die zusätzlich angestellten ArbeiterInnen und ihre Familien. Die Arbeitslosenzahl sinkt vorübergehend, die technologische Entwicklung ist rasant und die Produktion läuft auf Hochtouren. Durch die schnelle Entwicklung der Produktivkräfte sind dieser Entwicklung jedoch Grenzen gesetzt.

3. Deshalb ist der schon erwähnte Handel mit nichtkapitalistischen Staaten, den Luxemburg als einen Kernpunkt ihrer Imperialismusanalyse definiert, für den Kapitalismus nicht überlebenswichtig. Trotzdem wurden und werden die nichtkapitalistischen Staaten, wenn nötig mit Gewalt zu ihrem "Handelsglück" gezwungen. Mit dem Einmarsch in den Irak, der Besetzung des Landes und der langfristigen Destabilisierung durch Bürgerkrieg. Ein noch aktuelleres Ereignis imperialistischer Kriegsstrategie ist Georgien. Ihr Irrtum: Das Kapital sucht im Trikont oder heute in den ex-sozialistischen Ländern nicht in erster Linie nach zusätzlichen Absatzmärkten, sondern nach profitablen Investitionsmöglichkeiten, nach billigen Rohstoffen und billigen Arbeitskräften. Gelingt dies, entsteht auch dort aus der kapitalistischen Logik selbst heraus eine zusätzliche Nachfrage. Die Widersprüche zwischen den Kapitalfraktionen der Metropolen und der abhängigen Länder und der damit verbundene Klassenkampf drehen sich in erster Linie um Investitionsmöglichkeiten. Aber auch, und da gehen wir mit Luxemburg einig, um Absatzmärkte. Denn das Kapital versucht mit Gewalt Strukturen durchzusetzen, in denen die Realisation stattfinden kann. National wie, international. Das galt für die Kolonialpolitik der europäischen Mächte um 1900 genauso wie für den Zwang zur Marktöffnung, den die WTO heute ausübt.


Wundervolle Weiterführung

Rosa Luxemburgs Ausführungen sind dennoch sehr interessant. Der Gedanke, der Kapitalismus muss etwas [...] möchte weiterverfolgt werden. Es handelt sich um eine innere Dialektik, die ihn zwingt nach äusseren Lösungen suchen, um stabil zu bleiben. Auf internationaler Ebene: Die Jagd nach Rohstoffen, neuen Investitionsmöglichkeiten, billigen Arbeitskräften und nach Absatzmärkten. Auf nationaler Ebene: Vor allem die Jagd nach billigen Arbeitskräften für den Produktionsprozess und gratis Arbeitskräften für die private, unbezahlte Sorge- und Hausarbeit. Luxemburgs Kunst der Politik, so schreibt Frigga Haug in ihrem gleichnamigen Buch, ist vor allem, Politik im Grossen mit Alltag im Kleinen zu verbinden. Theorie mit Erfahrung zu verbinden. Für sie war "revolutionäre Realpolitik", die sozialistische Perspektive mit dem hier und heute Machbaren zu verbinden. Mit jedem Schritt sollten die Menschen, das Volk mehr in der Lage sein, ihre Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008, S. 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2009