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ARBEITERSTIMME/369: Sozialismus der Steppe


Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Sozialismus der Steppe
Der zweite sozialistische Staat der Erde: die Gründung der Mongolischen Volksrepublik


Die Quellenlage zur mongolischen Geschichte vor und zur Gründungszeit der Volksrepublik ist sehr dünn und schwer zugänglich. Die Faktendarstellung bezieht im Wesentlichen deutsch- und englischsprachige Wikipedia-Einträge(1) ein, wobei die Darlegung diejenigen Entscheidungsstränge, ihre Ursachen und Zusammenhänge in das Zentrum stellt, die auf den Umsturz der alten Verhältnisse gerichtet sind. Für die Auswertung der Fakten und die politischen Folgerungen übernimmt der Verfasser die Verantwortung.

Was macht ein Gebiet, das so rückständig und abgelegen ist wie kein zweites, zu einem Staat, der eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufbauen will? Eine der erstaunlichsten Auswirkungen im Durchsetzungsprozess der Oktoberrevolution hat sich im Fernen Osten gezeigt, als die Gründung eines Nationalstaats in die Proklamation der Mongolischen Volksrepublik mündet.

Die Anfänge einer Nation

Die alten Bezeichnungen für die Siedlungsgebiete der Mongolen sprechen Bände: die "Äußere" wie die "Innere" Mongolei geben die Perspektive Chinas wider. Die Qing-Dynastie, die Herrschaft der Mandschu in China, hatte ihre Einflusssphäre seit dem 17. Jahrhundert über die Kernregionen der Han-Chinesen hinaus nach Norden und Westen (Tibet) ausgedehnt. Die russische Expansion nach Osten macht es schließlich notwendig, die Interessen beider Seiten genauer abzustecken. So gerät eine Region in den Schnittpunkt expansionistischer Ansprüche Chinas und Russlands, die selbst extreme Bedingungen aufweist. Die (spätere) Mongolei umfasst knapp 1,6 Millionen km² (= das viereinhalbfache der Größe der BRD), in ihr leben um 1900 etwa eine halbe Million Menschen, die als Tierzüchter und Hirten ihre Herden von Weideplatz zu Weideplatz treiben. Ackerbau ist wegen der mehr als sechsmonatigen Vegetationsruhe und Wintertemperaturen von -40°C kaum möglich. Nomadisches Denken und Handeln in Stämmen und Familienverbänden prägt die spärliche Existenz der Menschen. Der tibetische Buddhismus hatte sich erst im 16. Jahrhundert gegen indigene Religionsformen und den Islam durchgesetzt, Hunderte von Klöstern nahmen einen großen Teil der heranwachsenden jungen Männer auf, Schätzungen sprechen von 40 %. Im engen Korsett zwischen den Vorgaben der Stämme und denen der religiösen Autoritäten, den Zwängen der ärmlichen Viehweidewirtschaft und den Abgabeleistungen an den (Grund-) Adel führte die große Mehrheit der Mongolen ein hartes, dafür aber umso kürzeres Leben. Eine durchschnittliche Lebenserwartung von 22 Jahren wird für das Jahr 1921, das Gründungsjahr der Republik, genannt.

1911 bricht die Qing-Dynastie und damit die monarchische Herrschaft in China zusammen. Rebellionen begleiten die Auflösung der chinesischen Unterdrückungsordnung in den riesigen nördlichen Außengebieten. Mit der Lockerung und der formalen Ablösung chinesischer Staatsgewalt in der "Äußeren Mongolei"(2) wird zugleich der mongolische Siedlungsraum gespalten. In der "Inneren Mongolei" werden die Unabhängigkeitsbestrebungen vom neuen Kriegsherrn Chinas, Yuan Shikai, ausgemerzt. Dies gelingt deshalb, weil Mitglieder der adligen mongolischen Führungskaste Grundbesitz sowohl in der Mongolei als auch im Kernland Chinas besitzen und die Unabhängigkeit deshalb unabsehbare Folgen für deren Eigentum bedeuten kann.

Die (äußere) Mongolei wird im September 1911, unter Beibehaltung der theokratisch-feudalistischen Ordnung, unabhängig. Ein buddhistischer Lama wird mit dem Titel Bogd Gegen Khan Staatsoberhaupt und bleibt dies bis zu seinem Tod 1924 mit kurzen Unterbrechungen. Fortschritte in der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft gibt es für die Zeit bis zur sozialistischen Revolution nicht.(3)

Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Viehhirten und -züchtern, die als Nomaden Herden, die größtenteils Adeligen und Klöstern gehören, über die kargen Böden des Landes führen. Arbeitsfähige Männer werden von den Klöstern absorbiert und die Bevölkerung ist analphabetisch. Was nach einer sozialen Revolution schreit, wird in einer rückwärtsgewandten Herrschaftsform paralysiert, die Herdenbesitzer, buddhistischen Klerus und die vorwiegend chinesischen Monopolisten des Banken-, Handels- und Dienstleistungssektors vereint.

Das zaristische Russland unterstützt aus strategischen Gründen die mongolische Unabhängigkeit gegen China, in Einzelfällen auch mit Waffen. Diese setzen mongolische Gruppen gegen einzelne chinesische Siedlungen ein, wobei sie Händler vertreiben und mehrheitlich töten. Damit sind auch die Schulden bei den Chinesen "getilgt". Die rabiate und urwüchsige Form eines sozialen Aufbegehrens findet keine Fortsetzung, vor allem können weder die verlassenen Bergwerke noch die landwirtschaftlichen Anbauflächen genutzt werden. Es fehlen schlicht und einfach die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine Weiterführung der Betriebe durch Mongolen. Die Kämpfe erweisen sich als spontane Aufstände gegen die soziale Unterdrückung, deren Ziel mit der Vernichtung des Gegners erreicht ist.

Russland hatte bereits 1907 in einem Geheimabkommen seine Interessen mit Japan,(4) die mongolischen Gebiete betreffend, abgesteckt. 1912 schließen beide Länder einen Folgevertrag über die Interessensphären in der Inneren Mongolei. Japan und China stecken 1915 ihre gegenseitigen Ansprüche auf die südliche Mandschurei und den Ostteil der Mongolei ab. Im Geschacher der Regionalmächte Russland, China und Japan bleibt, trotz aller Konflikte zwischen den Ländern, die Mongolei Verhandlungsmasse und Spielball, ohne eigene Interessen durchsetzen zu können.

Das Ende des Weltkrieges

1917 siegen die Bolschewiki in Russland, der Weltkrieg ist damit im Osten vorbei. Im Gefolge des Friedensvertrages mit Deutschland kommt das revolutionäre Russland mit der Entente überein, die im Land stationierten und kämpfenden Angehörigen der tschechoslowakischen Auslandsarmee(5) nach Frankreich zu überführen, damit sie dort den Krieg auf der Seite der Entente weiterführen können. Beide Seiten vereinbaren, dass der Weg nach Frankreich über den Fernen Osten und die USA führen soll.(6)

Die offizielle Begründung ist die Sicherheit der Truppe, die bei einem Abzug nach Westen wegen der dort aufflammenden Nachkriegskämpfe und des beginnenden Bürgerkriegs nicht mehr gewährleistet sei. Die Bolschewiki müssen befürchten, die Auslandsarmee könne zugunsten der weißen Truppen eingreifen, die Entente befürchtet, die Soldaten könnten mit Sympathien für die sozialistische Revolution zurückkommen. Damit werden sie zum Unsicherheitsfaktor.

Auf dem Papier gelingt es der sowjetischen Verhandlungsseite, die Neutralität der Fremdtruppen in der russischen Auseinandersetzung zu vereinbaren und die Bewaffnung zu minimieren. Die abziehenden Kontingente sollen auf nicht kampffähige Größenordnungen reduziert werden. Weil die militärische Führung der Tschechoslowaken gegen diese Bestimmungen von Anfang an verstößt, befiehlt Trotzki, die Soldaten zu entwaffnen und bei Gegenwehr zu erschießen.

Innerhalb weniger Wochen wird die tschechoslowakische Armee zur Kriegspartei, die wahllos auf der Seite russischer Antibolschewisten eingreift und den Bürgerkrieg sukzessive - da ihr eigentliches Ziel in Wladiwostok liegt - nach Osten trägt. Schwache bolschewistische Kräfte sind, statt im Westen in den Bürgerkrieg eingreifen zu können, an der Route der Transsibirischen Eisenbahn militärisch gebunden und werden in der Auseinandersetzung mit den gedrillten, kompakten Truppen der Armee zerrieben. Der mittlere und fernere russische Osten wird Feindesland, das bedeutet Rückzugsgebiet und Reorganisationsraum der Weißen. Verschiedene "Staats-" und Autonomiegründungen auf dem Weg nach Osten legen davon Zeugnis ab.(7)

Die Folgen für die Mongolei

Nach 1915 wird der Einfluss Russlands in der Mongolei kriegsbedingt schwächer, China erobert Machtpositionen zurück. Mongolische Tributleistungen an China zeigen eine Unterwerfung wie früher an. Die Oktoberrevolution stört den Bogd Khan auf, so dass der chinesische Hochkommissar Chen Yi mit dem Einverständnis der mongolischen Regierung die Entsendung eines Bataillons aus Peking veranlasst. Im August 1918 kommen die chinesischen Truppen in Urga, dem späteren Ulan Bator, an. Gleichzeitig versucht der antibolschewistische Führer der Baikalkosaken, Gregori Semjonow, einen unter seiner Führung stehenden panmongolischen Staat der Burjäten Russlands und der Mongolen zu schaffen. Der doppelte Druck aus dem Norden und dem Süden spaltet die adelige Führungskaste in der Mongolei; ein Teil sucht sein Heil darin, die Chinesen erneut zur offiziellen Machtübernahme aufzufordern. Diese Fraktion setzt sich schließlich durch und lässt unter entwürdigenden Umständen ihren "Herrscher", den Bogd Khan, sich Chinas Hochkommissar und dessen Hoheitszeichen unterwerfen. Im Januar 1920 hat, aus der Perspektive der chinesischen Machthaber und der mongolischen Stammesführer, der mongolische Staat aufgehört zu existieren, weil er disfunktional geworden bzw. geblieben war.

Lediglich zwei kleine Widerstandsgruppen gegen den Anschluss an China formieren sich. Vertrieben durch chinesische Truppen, organisieren sie sich, anfangs unabhängig voneinander, in Rückzugsräumen bis Sibirien. Die Gruppen "Ost-Urga" unter dem jungen Süchbaatar(8) und "Consular Hill" unter dem intellektuellen Lama Bodoo und dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Militär Tschoibalsan(9) suchen militärische und schließlich auch politische Hilfe bei den Bolschewiki, nachdem der Bogd Khan jegliche Unterstützung gegen die chinesische Übernahme verweigert. So klein beide Gruppen gewesen sein mögen,(10) so spiegeln sie doch unterschiedliche Beweggründe der mongolischen Revolutionäre wider. Die Süchbaatar-Fraktion vertritt stärker die Idee der Unabhängigkeit, die auf einem neuen, schwach entwickelten Nationalismus fußt. Die Tschoibalsan-Anhänger bringen den Gedanken der sozialen Revolution ein. Doch in beiden Lagern ist die ideologische Ausrichtung vorerst nachrangig und wird vom gemeinsamen Ziel, die Fremdbestimmung abzuschütteln, überlagert.

Bedeutsam für das Gelingen der gesellschaftlichen Umwälzung ist die Hilfe der russischen Revolutionäre, die gleichzeitig im Bürgerkrieg um das Überleben der neuen Gesellschaftsordnung ringen. Nach anfänglichem Zögern sichert das (in Gründung befindliche) Komintern-Sekretariat für den Fernen Osten einer fünfköpfigen mongolischen Delegation in Irkutsk Militärausbilder und bescheidene Waffenhilfe zu. Während die Bewilligung und Durchführung sehr schleppend verlaufen, tritt in der Mongolei eine neue Verschärfung der Situation ein. Das Land gerät in den Fokus der russischen Weißen Armee.

Der russische Bürgerkrieg im Fernen Osten

Semjonow, der Kosakenführer im Osten, kämpft seit 1917 gegen die Bolschewiki in Sibirien mit dem Ziel, ein Ostreich als Zusammenschluss regionaler Völker unter seiner Führung zu schaffen. Als Feindbilder fungieren die revolutionären Russen ebenso wie die Chinesen. Die zeitliche Überschneidung der Kriegsereignisse in Russland mit dem Umbruch in China gibt dieser separatistischen Zielstellung eine sonst unvorstellbare Chance, damit werden weitere Abenteurer und Desperados angelockt. Der skrupelloseste unter ihnen ist der deutsch-baltische Baron Roman von Ungern-Sternberg,(11) der im Krieg als Haudegen an allen Fronten Russlands kämpfte. Er hatte schon früh seine Neigung zu östlichen Kulturen entdeckt und sah in den gehorsamen und furchtlosen reitenden mongolischen "Freiwilligen", die zu einem hohen Anteil mit Erpressung und Drohungen gewonnen und bei Befehlsverweigerung erschossen wurden, das Gegenbild zu den Russen, die ihre zaristische Herrschaft abschütteln oder dies zulassen, sowie zu den Juden.

Nach 1917 folgt Ungern seinem Kameraden Semjonow in den Fernen Osten. Beide sind nach der Revolution damit beschäftigt, aus einem Stützpunkt im russisch-mandschurischen Grenzgebiet heraus revolutionäre russische Truppen zu bekämpfen und zu "entwaffnen", was bedeutet: zu liquidieren. Ab August 1918 ändern sich die Voraussetzungen und damit ihre Ziele. Die japanische Intervention im Fernen Osten und die kämpfenden tschechoslowakischen Truppen öffnen den weißen Soldaten Semjonows und Ungerns ganz Ostsibirien. Die riesige Region östlich des Baikalsees wird besetzt, Semjonow beansprucht die Führerschaft. Ungern wird Kommandant der Region Daurien, östlich des Baikal mit einer Nord-Süd- und einer West-Ost-Erstreckung von jeweils 1.000 km. Er plündert die erreichbaren Orte, kujoniert die einheimische Bevölkerung, greift zu willkürlichen und tödlichen Strafen für selbst verhängte "Vergehen" und zwingt die jungen Männer und Kinder in seine Reiterarmee. Er lebt mit seiner Truppe davon, Züge der Transsibirischen Eisenbahn zu überfallen und auszurauben. Grausame Rache übt er an allen Fahrgästen, die er für Rote oder Juden hält. Im fortschreitenden Bürgerkrieg, als keine Gefangenen mehr gemacht oder ausgetauscht wurden, werden die Opferzüge nach Osten, besetzt mit Gefangenen jeglicher Herkunft, zum Todesurteil für Zehntausende. An Ort und Stelle werden sie von Ungerns Soldateska ermordet. In diese Verbrechen sind nicht nur Ungern-Sternberg und Semjonow, sondern neben anderen weißen Heerführern auch sämtliche Interventionsstreitkräfte der (Ex-)Alliierten zutiefst verstrickt.

Die Revolution in der Mongolei

1920 gelingt es der Roten Armee mehr und mehr, Russland gegen die Weißen unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Herbst 1920 ist das Gebiet jenseits des Baikal das letzte große, zusammenhängende Territorium der Konterrevolution - ihre Tage sind gezählt. Ungern erhält einen Hilferuf ausgerechnet des mongolischen Bogd Khan, der sich durch die drohenden chinesischen Reformen in seinem gesellschaftlichen Einfluss beschnitten sieht. Er nimmt diese Einladung auf seine Weise gern an. Mit seiner Truppe, etwa 1.500 Mann, zieht er an die mongolische Grenze, besetzt den Ort Aksha als neuen Stützpunkt und greift, verstärkt durch einige hundert tibetische Reiter des 13. Dalai Lama, die in der Hauptstadt Urga stationierten chinesischen Truppen an. Gegen die vierfache Übermacht der Chinesen hilft vor dem Wintereinbruch nicht einmal die militärische Skrupellosigkeit Ungerns. Er begreift sich, da seine antibolschewistische Mission in Russland gescheitert ist, als Warlord, der nur mehr gegen Geld und auf eigene Rechnung handelt.

Ein zweiter Angriff im Januar/Februar 1921 bringt ihm den Erfolg auf der ganzen Linie. China räumt alle Garnisonen in der Mongolei, der Bogd Khan lässt sich von Ungern wieder auf seinen angestammten Thron zurückführen. Als Gegengabe erhält Ungern diktatorische Rechte im Land und nutzt sie umfänglich aus. Eine Terrorherrschaft überzieht das Land. Mord ist sein Mittel gegen politische Gegner und rassisch "Minderwertige", seine Truppen plündern die mongolische Bevölkerung nach seinen Befehlen. Erneut werden junge Männer zwangsrekrutiert, um seine Armee für diverse militärische Abenteuer aufzufüllen. Im Mai 1921 greift er sowjetisches Territorium an; er wird aber nach einigen Wochen entscheidend zurückgeschlagen.

Im Herbst 1920 waren die mongolischen Emissäre inzwischen in Moskau. Sie waren mit einer sowjetischen Hilfszusage und dem Auftrag, den Partei- und den Armeeaufbau voranzutreiben, in die Mongolei zurückgesandt werden. Angesichts der zunächst gescheiterten Offensive Ungerns verzichteten die Sowjets darauf, eine Armee zu entsenden. Erst nach dessen Erfolg und der Machtübernahme 1921 handeln mongolische Revolutionäre und die Sowjets rasch, entschlossen und einig. Im Februar beschließt die Komintern in Irkutsk, den Kampf des mongolischen Volkes mit allen benötigten Mittel zu unterstützen. Die Mongolische Revolutionäre Volkspartei wird auf einem ersten Parteitag organisatorisch und programmatisch zusammengeschlossen durch Proklamation eines Zentralkomitees und eines Parteiprogramms. Von der Partei geht die Konstituierung der Armeeführung aus. Zehn Tage nach dem Parteitag bilden die Revolutionäre eine provisorische Regierung, besetzen die verlassenen chinesischen Garnisonen und rufen alle Mongolen dazu auf, sich gegen die weißen Truppen Ungerns zu bewaffnen. Ein Volkskongress soll die künftige Regierung wählen. Der Hof des Bogd Khan verbreitet seine Propagandaaufrufe, die Revolutionäre wollten den mongolischen Staat zerstören(12) und die Grundlagen des Buddhismus vernichten.

Die Kräfteverhältnisse in der Mongolei kippen zugunsten der Revolutionäre, deren Programmatik mehr Menschen in den Siedlungen erreicht als die Tiraden des Bogd Khan, dessen politisches Lavieren um des Machterhalts willen offenkundig und öffentlich geworden ist. Sowjetische Truppen und Hilfslieferungen kommen ins Land, als China die Gespräche mit der Sowjetregierung abbricht. Ende Juni 1921 werden Ungerns Truppen nach dessen gescheitertem Angriff in der Mongolei attackiert, die mongolische Volksarmee besetzt zusammen mit sowjetischen Verbänden Urga. Ein Albdruck wird von den Mongolen genommen, Ungerns eigene Truppen liefern ihn an die Rote Armee aus. Nach einem Militärprozess wird Ungern in Nowosibirsk verdientermaßen umgehend erschossen.

Die Revolutionäre verkünden in einem Brief an den Bogd Khan, dass die Macht ab sofort in den Händen des Volkes liege. Für das politische Desaster seien das Versagen der bisherigen Führer und eine überkommene Ordnung verantwortlich, die nicht mehr zeitgemäß seien. Alles, mit Ausnahme der Religion, werde verändert werden. Diese Ankündigung wird zwei Tage später mit einer neuen revolutionären Regierung und dem Ex-Bogd Khan als repräsentativem Monarchen umgesetzt.


Anmerkungen

(1) Folgende Wikipedia-Artikel wurden in die Darstellung einbezogen:

Mongolei (deutsch)
Geschichte der Mongolei (d)
Economy of the Mongolian People's Republic (englisch)
Mongolia (1911-24) (e)
Mongolian People's Republic (e)
Mongolian Revolution of 1921 (e)
Mongolische Revolutionäre Volksarmee (d)
Mongolische Volkspartei (d)
Mongolische Volksrepublik (d)
Russischer Bürgerkrieg (d)
Tschechoslowakische Legion (d)
Chorloogin Tschoibalsan (d)
Damdiny Süchbaatar (d)
Pelschidiin Genden (d)
Roman von Ungern-Sternberg (d)

(2) Aufständische Khalka-Mongolen, die nur den Qing verpflichtet waren, vertreiben chinesische Verwaltung und Militäreinheiten, die von der neuen chinesischen Republik entsandt worden waren.

(3) So spricht der Artikel "Economy of the MPR" davon, dass die Mongolei bis 1921 von einer unterentwickelten, stagnierenden Wirtschaft auf der Basis nomadischer Viehhaltung geprägt war. Landwirtschaft und Industrie seien kaum existent gewesen, Transport und Kommunikation zurückgeblieben.

(4) Japan baute ab 1905 die südmandschurische Eisenbahn, die 1909 die Grenze der "Inneren Mongolei" erreichte.

(5) Die tschechoslowakische Freiwilligenarmee war von Exilanten gebildet werden, um die Unabhängigkeit des Landes gegen Österreich-Ungarn zu erkämpfen. Dafür sollte sie an mehreren Fronten gegen die Mittelmächte eingesetzt werden. Knapp 10.000 Soldaten, je zur Hälfte bestehend aus Exilanten und Überläufern von der Balkanfront, standen in Frankreich, wesentlich weniger ab 1917 in Italien. Das weitaus größte Kontingent dieser Truppe befand sich in Russland. Aus ursprünglich 1.000 Mann, in der zaristischen Armee integriert, wurden bis Ende 1917 mit Einbeziehung tschechoslowakischer Kriegsgefangener ca. 35.000 bis 50.000 Soldaten in eigenständigen Einheiten.

(6) 1918 waren japanische und britische Verbände als Vorhut in Wladiwostok gelandet, kurze Zeit später folgte ein Expeditionsheer mit 8.000 Soldaten aus den USA. Sie sollten den Nachschub für die weißen Verbände ebenso wie die zaristischen Waffendepots gegen die Bolschewiki sichern und weitere konterrevolutionäre Eingriffe wie die Gründung einer (japanischen) Küstenrepublik flankieren. Schließlich begründeten die Invasoren ihre Anwesenheit auch mit dem Argument, den Abzug der tschechoslowakischen "Freiwilligen" sicherzustellen.

(7) So etwa die "Provisorische Regierung Sibiriens" unter Wologodski in Omsk 1918 oder die "Küstenrepublik" 1921 unter japanischer Herrschaft

(8) Süchbaatar, der "große Held der mongolischen Revolution", trat 1911, mit 18, in die neue Armee ein, bewährte sich in den Grenzkonflikten mit China und wurde 1918 entlassen. Außerhalb der offiziellen Strukturen führte er eine Gruppe von etwa 50 Mitkämpfern an.

(9) Tschoibalsan, der Mitbegründer der Mongolischen Revolutionären Volksarmee, galt nach dem Sieg in der Mongolei als Anhänger der sowjetischen Politik und von Stalin im Besonderen. Er bestimmte die politische Ausrichtung des Landes als Partei- und Regierungschef ab 1936 bis 1952.

(10) Die Vereinigung beider Gruppen 1921 zur Mongolischen Revolutionären Volkspartei und der Zusammenschluss zur Mongolischen Revolutionären Volksarmee bedeutete anfangs eine Größenordnung von 400 Mann.

(11) Ungern-Sternberg verkörperte das Idealbild des antibolschewistischen Todfeindes. Disziplinlos und eigenmächtig lebte er seine soldatischen Gewaltphantasien in unverbrüchlichen Männerbünden aus. Nur das in seinen Augen Starke hat ein Überlebensrecht, jeder "Verrat" ist todeswürdig. Einschließlich seines Judenhasses vertrat er ein faschistisches Weltbild, dessen rassistische Koordinaten zwar leicht verschoben waren, das aber nichtsdestoweniger auf Ausmerzung des Feindes zielt.

(12) Dies ein Jahr, nachdem derselbe Bogd Khan sich der chinesischen Oberhoheit über die Mongolei unterworfen hatte.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018, Seite 21 bis 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2018

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