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ARBEITERSTIMME/366: Ché! Person, Programm, Scheitern.


Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Ché! Person, Programm, Scheitern.
Zu Ernesto Che Guevaras Tod vor 50 Jahren


Ernesto Rafael Guevara de la Serna (14.6.1928 - 9.10.1967), genannt Che, war schon zu Lebzeiten ein Mythos, wurde nach seinem gewaltsamen Tod zur Legende. Linke verehrten ihn wie eine Ikone, hielten bei Demonstrationen auf Plakaten sein Porträt hoch. Der kubanische Fotograf Alberto Korda hatte das Glück, 1960 bei einer Trauerfeier das vielleicht berühmteste Foto ("Guerrillero Heroico") aller Zeiten zu schießen: Es zeigt Guevara in schlichter Lederjacke in fast entrückt wirkender Christuspose, den Blick visionär in die Ferne gerichtet. Als Kopfbedeckung die berühmte Baskenmütze mit dem Stern vorne in der Mitte. In seinem letzten Brief an seinen Vater ("Don Ernesto") verglich Che sich selbst mit Don Quijote von La Mancha, dem spanischen Ritter von der traurigen Gestalt. Jener kämpfte vergeblich gegen Windmühlen an, die er für seine Gegner hielt.

Die Person.

Guevara war Arzt, Revolutionär, Guerillero, ein Kämpfer aus Leidenschaft und Überzeugung für die Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung durch eine soziale Revolution. Sein wenig bescheidenes Motto lautete: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!" Er hatte ein ausstrahlendes, freundliches, sympathisches, dabei sehr energisches Wesen, ein offenes, ehrliches Gesicht, besaß sprichwörtlichen Humor, trieb Sport (Golf, Baseball) und interessierte sich für alles Mögliche. Er war zweimal verheiratet und hatte aus den beiden Ehen fünf Kinder. Che lebte und wirkte ganz für die Idee des "neuen Menschen", verfasste Artikelbeiträge, die in den Ausgewählten Werken unter dieser Überschrift erschienen (AW, Bd. 6). Er war auch - und dabei nicht weniger im Rampenlicht - Staatsmann, Industrieminister und Präsident der Bank Kubas. Sein vielleicht wichtigster theoretischer Beitrag zur Wirtschaftsthematik war sein Aufsatz "Über das Haushaltsmäßige Finanzierungssystem" (Februar 1964; AW, Bd. 3). Darin erläutert er unter Bezug auf Schriften von Marx, Lenin, Stalin und Oskar Lange (Polen) die wichtigsten Aspekte und Probleme des neuen ökonomischen Systems und Wegs auf Kuba bis hin zu Wertgesetz, Preisbildung und dem System kollektiver Prämien. Praktisch wollte er den Schwerpunkt auf die Industrialisierung Kubas und den Handel mit allen sozialistischen Ländern legen, kollidierte dabei aber bald mit dem Agrar-Kurs Castros allein in Abstimmung mit dem Bündnispartner Sowjetunion (SU), die monokulturelle Zuckerrohrproduktion oben anzustellen. Zunehmend orientierte er sich politisch und wirtschaftlich an China statt Moskau und kritisierte öffentlich (Rede in Algier im Febr. 1965) die SU für ihre Politik gegenüber der Dritten Welt.

Che trat auch als Redner vor der UNO in New York auf, war reisender Delegierter in Sachen PR für Kubas Revolution durch die zumeist staatsbürokratischen sozialistischen Länder der Welt. Er begegnete vielen Großen seiner Zeit: Chruschtschow, Breschnew, Mao Tse-tung, Ben Bella (Algerien), Sartre und Simone de Beauvoir, Frantz Fanon, Ägyptens Präsident Nasser u. a. Er hatte die Schriften von Marx und Mao Tse-tung gelesen, vor allem dessen Aufzeichnungen über die Theorie und Praxis des Guerillakriegs. Mit Strohhut und nacktem Oberkörper, nur mit einer Kakihose bekleidet und Militärstiefeln, posierte er in Ernte- und Arbeitseinsätzen. Statt des Gewehrs die Schaufel in der Hand. Seht her, ein Guerillero ist auch ein Arbeiter an der Agrar- und Arbeitsfront und sich dafür nicht zu schade. In Kuba war Castro und seinen etwa 800 bis 1.000 Mitkämpfern der Sieg zuletzt fast kampflos in die Hände gefallen. 1967 in Bolivien, in den östlich auslaufenden Andenkordilleren am Rio Grande Oberlauf, waren Che und sein kleiner Guerilla-Fokus von vornherein in der Defensive. Überdies scheiterte man an eigenen Unzulänglichkeiten und Fehleinschätzungen, aber auch an einem übermächtigen, vom US-Geheimdienst CIA in Antiguerilla-Taktiken bestens beratenen und angeführten bolivianischen Militär. Die erhoffte Unterstützung aus der Bevölkerung blieb aus.

Der Hinterhof

1967 war vor Nixon noch die Zeit der Regentschaft des Demokraten Lyndon B. Johnson in Washingtons puristisch strahlendem Weißen Haus, als hätte sich darin niemals jemand die Hände schmutzig gemacht. Noch immer galt die sog. Monroe-Doktrin, die den mittleren und südlichen amerikanischen Kontinent unter den vorrangigen Interessensprimat der USA stellte. So was wie in Kuba sollte den Amerikanern in ihrem angestammten Hinterhof nicht noch einmal passieren. Man war gut vorbereitet. Boliviens Diktator Barrientos (1969 tödlich verunglückt bei einem mysteriösen Hubschrauberabsturz) war nicht Batista in Kuba. Ches Fokus-Theorie hatte die Wahl für den südamerikanischen Aufstand ausgerechnet auf das wirtschaftsschwache agrarische Binnenland Bolivien mit seinen armen Indios und ausgebeuteten Minenarbeitern fallen lassen. In Kolumbien kämpfte seit kurzem die ELN, dort war nur ein Jahr zuvor der Priester-Guerillero Camilo Torres gefallen. In Uruguay am La Plata waren die Tupamaro-Stadtguerilleros aktiv. Douglas Bravo hatte in Venezuela einen revolutionären Aufstand angeführt. Lateinamerika war ein gäriger Kontinent unter der Knute, aber auch im Aufruhr gegen einige Militärdiktaturen. In vielen Ländern existierte ein bewaffneter linker Widerstand. Was lag scheinbar näher, als hier die Lunte nur noch anzuzünden? Es gab revolutionäre Traditionen. Viele aus südeuropäischen Ländern, Spanien und Italien vor allem, eingewanderte, aus ihren Ländern exilierte politische Aktivisten, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten, Syndikalisten. Ein Vielvölker-Kontinent wie geschaffen für die Theorie der permanenten Revolution Trotzkis und der Vierten Internationale. Trotzki war 1940 von einem von Stalin beauftragten Mörder in einem Vorort von Mexiko-Stadt umgebracht worden. Mexiko war das Land des Frühlings und der Revolution, die von 1910 bis 1920 gedauert hatte. Unter Präsident Cardenas gab es in den 1930er Jahren eine umfassende Landreform. Als eines der wenigen Länder überhaupt hatte es neben der Sowjetunion und den Internationalen Brigaden den Kampf der linken Republik im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) gegen Francos Faschistenarmee unterstützt mit Freiwilligen und einer Lieferung von ungefähr 100.000 Gewehren. Mexiko war in den 1940er Jahren auch das Land anderer berühmter Exilanten, darunter Thalheimer und Brandler, die einstigen deutschen KPD-Gründer an der Seite Luxemburgs und Liebknechts. Von Mexiko aus als Basis initiierte und bereiteten Castro und seine kleine Gruppe 1956 die Landung in Kuba vor, bei der die Truppe von 82 Mann bis auf 17 Überlebende fast aufgerieben wurde. Der Rest zog sich in die äußerste südöstliche Sierra Maestra zurück und schuf sich dort allmählich eine neue Basis. In seinem "Cubanischen Tagebuch" (AW, Bd. 2) beschreibt und hält Che Guevara seine Kampferfahrungen "fest. Er hatte sich der Truppe zuerst als betreuender Arzt angeschlossen. Als einer der besten Schützen während der Ausbildung in Mexiko führte er ab Anfang 1958 als Comandante eine eigene Truppe an, die selbständig operierte und beim Kampf um die Großstadt Santa Clara in der Mitte von Kuba hervortrat. Es wird berichtet, er habe bei einem Gefecht vor die Wahl gestellt, seinen medizinischen Koffer oder eine Kiste mit Munition zu retten, sich für die Munitionskiste entschieden.

Die Lehrjahre

Der junge Ernesto Guevara aus wohlhabender, angesehener Oberschichtfamilie, hatte sich 1955 Castro in Mexiko angeschlossen, In Argentinien war gerade der Populist Juan Perón gestürzt worden. Wie viele Argentinier benutzte er oft die Sprachfloskel "ché", was soviel wie "hei, du" bedeutet, das brachte ihm den weltberühmten Spitznamen ein. Bereits 1953, dem Jahr seiner Promotion zum Arzt, knüpfte er erste Kontakte zu linken Exilkubanern um Raúl und Fidel Castro, der nach seinem fehlgeschlagenen Sturm auf die Moncada-Kaserne für zwei Jahre ins Gefängnis musste. Noch als Medizinstudent hatte Guevara ab 1949 auf insgesamt drei Reisen mit Fahrrad (1. Reise) und Motorrad, 2. T. zusammen mit dem Freund Alberto Granada (5. sein eigener Reisebericht), einem angehenden Biochemiker, den Kontinent kreuz und quer bereist. In Argentinien nach Patagonien, von dort über die Anden nach Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien bis Venezuela, Guatemala und Florida, was er auch in journalistischen Tagebuch-Reportagen (The Motorcycle Diaries u. a.) festgehalten hat. Mitunter führten die Reisen per Anhalter oder selbst gebautem Floß namens Mambo-Tango weiter. Es waren die frühen bis mittleren 1950er Jahre, die den verwöhnten Muttersohn das Unrecht und die tiefe soziale Not der Menschen in den bereisten Ländern lehren sollten und einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterließen ("Dieses ziellose Streifen durch unser riesiges Amerika hat mich stärker verändert als ich glaubte"). In Peru arbeitete er eine Zeitlang mit seinen fortgeschrittenen medizinischen Kenntnissen im Leprosorium San Pablo, einer Lepra-Kolonie, die Geißel der Armen des südlichen Kontinents. Guevaras politisches Bewusstsein und soziales Gewissen formte sich entscheidend unter dem Einfluss der Reiserlebnisse und den Eindrücken von Not, Krankheit und Elend in den einzelnen Regionen, die im Kontrast zum Reichtum in den Metropolen geradezu nach einer Veränderung schrien und verlangten. Aber die Massen blieben meist passiv oder folgten populistischen Führern wie Perón Auf die Reisen folgte Antworten suchend eine anwachsende Lektüre an marxistisch-leninistischer Literatur, außer ausgewählten MW und LW Schriften von Mao Tse-tung, Trotzki, Stalin, dazu Werke zur politischen Ökonomie (Politische Ökonomie, Lehrbuch, Baran, C. Bettelheim, O. Lange, Mandel, Pareto) und zu Lateinamerika (Bolívar, Castro, Martí). Sowie auch Werke von Gandhi und Nehru und eine Reihe belletristischer Titel, darunter Goethe und südamerikanische Autoren. Michael Löwy führt an "Lektüre des Che" in seinem Che Guevara-Buch eine durchaus stattliche Liste von als sicher gelesenen Büchern auf (S. 125 ff.; 5. Literatur). Es fällt dennoch auf, dass Che Engels völlig aussparte, wie überhaupt spezielle Werke des dialektischen Materialismus und er rezipierte auch keine Diskussion unter marxistischen Strömungen und Positionen, wie sie in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiv geführt wurde. Was natürlich auch mit dem beschränkten Angebot von auf Spanisch vorliegender Literatur zu tun haben mag. Er sprach ( nicht einmal Englisch, las jedoch französische Autoren im Original. Sein revolutionäres Weltbild war demnach, obwohl er sich als Internationalist verstand, eher begrenzt, d. h. lateinamerikanisch zentriert.

Der Fokus

Es brauchte Ches Auffassung nach offensichtlich eines Impulses, eines Beispiels, einer Vorhut, die wie in Kuba voraus ging und einen revolutionären Kern bildete, den Fokus. Um diesen herum und sich von diesem ausweitend, müsste es möglich werden, unter bestimmten günstigen Bedingungen eine soziale Umwälzung vor allem in der Landbevölkerung zu organisieren und reaktionäre Regimes zu stürzen. Soweit in etwa verkürzt die Theorie, die stark durch den kubanischen Weg vorgegeben und geprägt war. Vorhandene revolutionäre Bewegungen, Parteien und aktive Gewerkschaften sollten dabei als Transmissionsriemen eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn die Fokus-Theorie postuliert, dass es in gewissen Situationen (wie in Kuba) ohne die Beteiligung einer Arbeiterbewegung geht. Sie gilt deshalb auch als voluntaristisches Konzept und wird von Marxisten kritisiert, da sie dem Prinzip der Befreiung der Arbeiterklasse durch sie selbst widerspricht. Die vor allem von Guevara u.a. (Régis Debray) formulierte Theorie hatte nicht unbeträchtliche Auswirkungen auf lateinamerikanische Stadtguerilla-Konzepte und den "bewaffneten Kampf in Westeuropa" (Rote Brigaden, RAF, action directe), weil sie einen entschiedenen Willen zur Aufnahme eines bewaffneten Kampfs ausdrückte und bündelte. In Bolivien waren Ches Ansprechpartner vor allem die studentische Jugend und Kommunistische Partei mit ihrem Vorsitzenden Mario Monje, in der nicht wenige Mineros organisiert waren. Es kam im Dezember 1966 zu Verhandlungen von Che Guevara und seinen wichtigsten Vertrauten mit Monje und weiteren Abgesandten der KP im Guerilla-Camp. Die aber nicht zu den aus Ches Sicht erforderlichen unterstützenden Konsequenzen führten. Monje beanspruchte die politische Leitung der Guerilla, was Che ablehnte. Boliviens KP war eine Moskau treue und hörige Partei, die im eigenen Land nichts ohne das billigende Placet aus dem Kreml unternahm. Dort bestimmte seit kurzem der friedliche Koexistenzler Breschnew. Guevara hatte sich schon früher mit seinen Parteinahmen für China, gegen die USA und auch seiner "Botschaft an die Völker der Welt" im April 1967 (AW, Bd. 4), zwei, drei Vietnams zu schaffen, bei den gemäßigten Sowjets wenig beliebt gemacht. Während der Kubakrise war er sogar dafür, im Falle einer US-Intervention atomar zurückzuschlagen.

Die Moral

Guevara war in seinen Forderungen radikal und maximal, ein bisschen oder Kompromisse gab es für ihn nicht. Einsatz des ganzen Menschen. Für das volle Revolutionsprogramm. Es gibt markante Stellen in seinem hinterlassenen Werk, die in diesem Sinn seine Überzeugung zum Ausdruck bringen. Der Revolutionär wurde bei Che fast zu einem heroischen "Heiligen" überhöht. Immer wieder gab es in Bolivien auf den Märschen in den Bergen und durch die Täler kleinliche Zwischenfälle unter den Männern mit Egoismen im Verhalten und Disziplinlosigkeiten, die Che zuwider waren, aber nicht dulden konnte und die deshalb sein regelndes Eingreifen erforderten. Man war eben auf einem langen Weg bei der Erziehung zum "neuen Menschen" und zur Emanzipation von der charakterlich stark verinnerlichten Entfremdung im Marxschen Sinn. Der Basis für fehlendes Klassenbewusstsein und kleinbürgerliches Denken. Das Wort sei erinnert des idealistischen deutschen Philosophen J.G. Fichte: "Was man für eine Philosophie wählt, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist". Man könnte vielleicht sagen, Che Guevara hat dabei sich und seine Weggefährten und Mitkämpfer überfordert, die "Furcht vor der Freiheit" (E. Fromm) des Menschen hingegen unterschätzt. Er wollte und konnte nicht von der Auffassung ablassen, dass Revolution der Erziehung (und Umerziehung) des Menschen zum Guten dient, so wie in der chinesischen Kulturrevolution, die er begrüßte. Das war einst natürlich auch der Inhalt und Kern der sowjetischen Makarenko-Pädagogik in Gestalt der Menschen- und Charakterbildung. Aber wie weit hatten sich der Stalinsche Bürokratismus und das System der Vorteilnahme und Begünstigung davon entfernt! Alle Schweine sind gleich, aber einige Schweine sind gleicher, wie es George Orwell in seiner konterkarierenden Tierparabel Animal Farm zum Prozess der Entartung der neuen Führung formulierte. Der Kampf um den "neuen Menschen" in der Schule der Revolution ist in Guevaras Theorie und Philosophie ein zentraler, unverzichtbarer Gedanke und Eckpfeiler, der die kulturelle Dimension mit einschloss. Kein Sozialismus und Kommunismus ohne neue Kultur, neue egalitäre Beziehungen unter den Menschen. Dieser Aspekt strahlte in der Che-Rezeption der 1960er und 1970er Jahre wohl am stärksten auf eine rebellisch eingestellte Jugend in der ganzen Welt aus. Der Philosoph J.P. Sartre nannte Che Guevara den vollkommensten Menschen unserer Zeit (siehe zu Moral und Disziplin in: AW, Bd. 1, S. 209-214).

Die Entscheidung

Als sich Che Guevara Anfang 1965 dazu entschied, alle seine politischen Ämter aufzugeben und wieder in den Guerillakampf zu ziehen, gab es schon beträchtliche Differenzen mit Castro, der Kuba immer mehr an den sowjetischen Handelspartner band und verpflichtete. Mit bekannt großer rednerischer Theatralik las Castro öffentlich Ches Abschiedsbrief (AW, Bd. 4) an ihn und das kubanische Volk vor. Im Grunde aber war er froh, dass er den unbequemen, rastlosen Che auf diese Weise los war. Der hatte mit seinem Brief an Fidel in solidarischem Ton zwar, aber mit ihm gebrochen und einen radikalen Schlussstrich gezogen. Che tauchte unter und erst im Kongo wieder auf. Sogar die CIA hielt ihn in dieser Zeit für tot. Doch der Guerillakampf in Zentralafrika war ein einziges Desaster, unzureichend geplant, mit unzuverlässigen, teils korrupten Anführern, die ihr Vergnügen mit Frauen und Whiskey höher stellten als ihren Kampfeinsatz. Vom Kongo kehrte Che im Sommer 1966 für ein knappes Vierteljahr geheim nach Kuba zurück, absolvierte ein weiteres Guerilla-Training und traf im Oktober als Beamter aus Uruguay getarnt mit dicker Hornbrille, Halbglatze und ohne Bart über Madrid und Sao Paolo reisend schließlich in La Paz in Bolivien ein. Von dort begab er sich Anfang November 1966 mit dem Jeep in unwegsamem Gelände in das schon vorbereitete, als Farm getarnte, Basislager am Nancahuazú. Die Truppe bestand im Kern aus: 1 Argentinier-Kubaner, 1 Deutsch-Argentinierin (Unterstützerin), 16 Kubaner, 29 Bolivianer, 3 Peruaner und auch der französische Journalist Debray war zeitweise daran beteiligt (lt. Auflistung im Tagebuch, AW, Bd. 5). Es gab zwei Hauptgruppen, die größere führte Che selbst an, die kleinere, die auch Vor- und Nachhutaufgaben übernahm, wurde von Ches kubanischem Vertrautem und Freund Juan Acunia Núnez ("Joaquin") geleitet. Im Nachhinein erwies sich dies als gravierender Fehler, denn einmal getrennt und ohne Funkkontakt, waren die beiden Gruppen in paralleler Bewegung auf den Rio Grande zu nur wenige Tagesmärsche voneinander entfernt vier Monate auf der Suche nacheinander.

Der Companero

Jules Régis Debray (*1940), deutlich jünger als Che, von ihm nur "der Franzose" oder "Danton" genannt, war Weggenosse und Co-Fokustheoretiker. Der Rechtsanwaltssohn hatte in Paris bei Louis Althusser Philosophie studiert. 1967 verfasste er die guevaristische Schrift zur Fokustheorie "Revolution in der Revolution? Bewaffneter Kampf und politischer Kampf in Lateinamerika". Nach seiner Festnahme Anfang April 1967 in Muyupampa wurde er harten Verhören unterzogen und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Bereits 1970 kam er auf Betreiben der französischen Regierung frei, während der kurzen Phase einer linksgerichteten Militärregierung von Präsident Torres in Bolivien. Er wandte sich darauf Chile zu und unterstützte dort die demokratische Volksbewegung Unidad Popular als Berater Salvador Allendes, konnte nach dem Pinochet-Putsch 1973 nach Frankreich zurückkehren. In den 1980er Jahren wurde Debray außenpolitischer Berater der Mitterand-Regierung. Eine weitere Schrift, die sich mit der Gewaltfrage auseinandersetzte, ist "Kritik der Waffen. Wohin geht die Revolution in Lateinamerika?" (1975).

Die Companera

Tamara Bunke Bíder (1937-1967) war eine deutschstämmige Argentinierin, deren politisch aktive, kommunistische Eltern vor den Nazis nach Argentinien geflüchtet waren und ab 1952 mit ihren beiden Kindern in die DDR zurückgekehrt waren. Sie betätigte sich in Stalinstadt (später Eisenhüttenstadt) in der Clara Zetkin-Oberschule als FDJ-Pionierleiterin, machte das Abitur und begann ein romanisches Sprachenstudium. Sie sehnte sich wieder zurück nach Argentinien, fasste Pläne für politische Aktivitäten und betrieb ihre Ausreise dahin. Nach ihrer Begegnung als Dolmetscherin mit Che bei dessen Besuch 1960 mit einer kubanischen Wirtschaftsdelegation in der DDR, änderte sich ihr Reisewunsch, der jetzt Kuba lautete. Die DDR-Staatssicherheit, Hauptverwaltung Ausland (HVA), wollte sie ab 1960 als Perspektivagentin für spätere Einsätze in Argentinien und den USA aufbauen. Das SED-Politbüro genehmigte dennoch ihre Ausreise. Kurz davor war ihr MfS-Führungsoffizier, Günter Männel, in den Westen übergelaufen und enttarnte viele Ost-Agenten. Männel hatte Tamara Bunke nach eigenen Angaben auf Che Guevara angesetzt. Nun aber war Bunke, wie man in Agentenkreisen sagt, "verbrannt". Ihr inoffizieller Kontakt zum MfS endete damit.

Bunke studierte in Kuba nun Journalismus und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin für Behörden, das Erziehungsministerium und den Frauenverband. Ab 1963 schloss sie sich der neu gebildeten revolutionären Volksmiliz an. Che Guevara wählte sie da schon als Unterstützerin für sein künftiges Südamerika-Unternehmen aus. Sie erhielt eine erste militärische und geheimdienstliche Ausbildung durch den kubanischen Geheimdienst und nannte sich nun mit Decknamen "Tania". Einer ihrer Ausbilder war Dariel Alarcón Ramírez ("Benigno"), ein langjähriger enger Gefährte Guevaras, der als einer der drei überlebenden Kubaner von Ches Himmelfahrtskommando in Bolivien nach Kuba zurückkehrte. 1995 veröffentlichte er dort sein Buch "Die Überlebenden" und kehrte ein Jahr später der kubanischen Revolution den Rücken. Ab Oktober 1964 war Bunke getarnt als Privatlehrerin für Deutsch und volkskundlich Interessierte auf Agentenmission in Bolivien. Durch eine Scheinheirat (und baldige Scheidung) wurde sie Bolivianerin. Es gelang ihr sogar, persönliche Sekretärin des Pressesprechers von Präsident Barrientos zu werden. Als Moderatorin einer Frauen-Hörfunksendung sandte sie Ende 1966 per Radio verschlüsselte Botschaften an Che und die Guerilleros. Che wollte sie von seiner Männer-Truppe fernhalten, untersagte ihr auch nach einem ersten Besuch im Camp und ausgeführten Auftrag in Argentinien zur Guerilla zurückzukehren.

Entgegen dieser Anweisung stieß sie im März 1967 erneut zu Ches Truppe und brachte Régis Debray und einen weiteren Unterstützer, Ciro Bustos, vom argentinischen Widerstand mit. Das Militär fand unterdessen ihren im Busch abgestellten Jeep und darin auch ein Notizbuch, in dem wichtige logistische Angaben und Informationen vermerkt waren. Damit war ihre Tarnung aufgeflogen. Als Che davon im Radio erfuhr, vermerkte er Ende März in sein Tagebuch, dass damit zwei wertvolle Jahre Arbeit umsonst gewesen wären. Gegen Ches ursprünglichen Willen musste sie nun bei der Guerilla bleiben und wurde zur Mitkämpferin, der einzigen unter mehreren Dutzend Männern. Sie blieb wegen einer fiebrigen Erkrankung bei der kleineren Gruppe zurück, die wegen des Ausfalls des Funkgeräts bald orientierungslos war. Am 31. August geriet die Gruppe unter ihrem erfahrenen Anführer Juan Acuna Núnez beim Durchqueren des Rio Grande in der Yeso-Furt (Kreidefurt) in einen Hinterhalt des Militärs. Er, einige andere und Bunke wurden dabei erschossen, Bunkes Leiche erst Tage später im Fluss treibend gefunden. Einiges über Tamara Bunkes Leben und Mission bleibt trotz vorliegender Biographien Spekulation und Annahme. War sie zeitweise die Geliebte des verheirateten Che? Sollte sie im kubanischen Auftrag Che beschatten, wofür einiges an ihrem Verhalten spricht? Gab es, wie immer behauptet wird, noch andere Verbindungen zu östlichen Geheimdiensten (KGB?), wenn ja mit welchem Auftrag? Hatte sie womöglich auch ein Verhältnis mit dem Präsidenten, der persönlich nach Vallegrande kam und ihr, der Staatsfeindin, die, wie General a.D. Prado (damals Hauptmann) wissen will, anscheinend an Unterleibskrebs erkrankt war, eine ehrenvolle Bestattung zukommen ließ? War sie vielleicht sogar eine Doppel-Agentin geworden? Vor allem arbeitete ihre Mutter Nadja Bunke, eine resolute Lehrerin, bis zu ihrem Tod 2003 mit Elan und allerlei juristischen Winkelzügen gegen Bunkes Biographen (darunter auch Eberhard Panitz) vehement an der Glättung und Schönung des Bilds ihrer Tochter. Als Tania, La Guerrillera genoss sie in der DDR bis zur Wende offiziell ein hohes Ansehen und genießt es populär in Kuba noch immer.

Das Scheitern

Mehrere Bedingungen erschwerten von Anfang an Ches Unternehmen: Da war zum einen sein chronisches Asthmaleiden, das ihn manchmal trotz seiner sonst zähen Konstitution ("ich habe sieben Leben") und der trockenen, hoch gelegenen Gegend tagelang quälte und in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und auch mental beeinträchtigte. Als Arzt hatte er Mittel (Tabletten, Sprays und Spritzen) bei sich, die ihm erlaubten, die wiederkehrenden Anfälle meist unter Kontrolle zu halten. Doch insgesamt verschlimmerte es sich. Manchmal musste er erschöpft von anderen getragen werden, wenn keine Maultiere vorhanden waren. Dann gab es immer wieder Spannungen zwischen den "Erfahrenen" aus Kuba und den Neulingen, darunter Studenten aus La Paz, die noch viel über den Alltag des Kampfes lernen mussten und es mitunter an Selbstdisziplin mangeln ließen. Einige unter ihnen wurden diskriminierend von Che als "die Schwächlinge" bezeichnet. Der Ausfall der Unterstützung und Zuführung neuer Leute durch die KP Boliviens war ein weiterer, so nicht eingeplanter Schlag gegen die Operationsfähigkeit. Einige wenige von den Neuen setzten sich ab und desertierten. Gerieten sie in die Hände des Militärs, verrieten sie diesen nicht selten auch logistische Einzelheiten ihrer Beobachtungen und Kenntnisse. Das Hauptlager vom Anfang wurde so bald ausgehoben. Dort lagerten Lebensmittel, Medikamente und Ausrüstung, waren Waffen und Munition versteckt. Auch die wenigen Begegnungen mit den Landbewohnern, meist mittellose, verängstigte Indio-Bauern, die zudem nur das indigene Quechua sprachen, brachte von deren Seite keinen Zulauf. Das Militär schüchterte sie mit desinformierender Gräuelpropaganda ein, die Rebellen würden sie ausrauben, töten und ihre Frauen und Mädchen vergewaltigen. Einige, vor allem Kinder, konnten durch Che medizinisch behandelt werden. Andere verrieten die Rebellen ans Militär. Elmar May schreibt in seiner Che-Monographie, warum Che scheiterte u.a.: "1. Mangelhafte und unrichtige Informationen über Bolivien, die politische Einstellung der Menschen und die Position des Barrientos-Regimes. 2. Die Revolution in Bolivien vom Jahre 1952 hatte bereits eine Landreform durch Selbstaufteilung zahlreicher Großfarmen zugunsten von Landarbeitern und Kleinbauern zustande gebracht. Neugeschaffene Agrarsyndikate bildeten eine beträchtliche politische Macht." (Elmar May: Che Guevara; S. 112). Das Gros der bolivianischen Bevölkerung erfuhr über widersprüchliche Radiomeldungen nur bruchstückhaft etwas über eine in den östlichen Bergen operierende Guerilla. Es wurden von den Rebellen fünf Kommuniqués abgesetzt, vier an die bolivianische Bevölkerung, eines speziell an die Bergarbeiter (enth. im Anhang, Bolivian. Tagebuch; 2008). Ihre Wirkung blieb ungewiss. Selbst empfingen Che und seine Truppe Nachrichten und Meldungen per Kurzwellenempfänger von Radio Havanna, dem Sender Stimme Amerikas und bolivianischen Rundfunk.

Die Guerilleros vermieden in ihrem Operationsgebiet weitgehend die Berührung mit der einheimischen Landbevölkerung, es sei denn zum Kauf von Lebensmitteln, der immer ein hohes Risiko darstellte und zunehmend schwieriger wurde. Die Bergbauern in karger, tierloser Höhenregion zwischen 1.000 und 2.000 m hatten selbst nicht viel abzugeben. Zu Erschöpfungen aufgrund langer Märsche kam immer öfter der quälende Hunger dazu. Man aß zur Not und unter Widerwillen das zähe Fleisch mitgeführter Pferde oder Maultiere. Verdruss und Unzufriedenheit machten sich breit. Das Militär war schon ziemlich früh nachrückend auf den Spuren der Rebellen, ohne dass es zunächst zu nennenswerten Gefechten kam. Das Aufgebot der Armee betrug insgesamt etwa 1.500 Mann, davon ungefähr 6-800 von US Green Berets speziell ausgebildete Antiguerilla-Ranger. Man vermerkte zwischen März und Oktober Gefechte an 18 Orten mit 48 getöteten Soldaten. Die geringeren Verluste der Guerilla erfährt man aus Ches Tagebuch. Die in zwei Gruppen operierende Guerilla war spätestens von dem Zeitpunkt an in einer prekären und bedrohlichen Lage, als nacheinander die Funkgeräte beider Trupps ausfielen und es keinen Ersatz für sie gab. Dazu blieb auch die erwartete Unterstützung aus Kuba durch Nachschub und neue Leute nach fünf Monaten völlig aus. Che Guevaras Einheit war zuletzt wegen der Entbehrungen und Probleme in einem desolaten und demoralisierten Zustand, einige glaubten schon, allmählich den Verstand zu verlieren. Zudem von Krankheiten wie Durchfall heimgesucht wie Che selbst. Zu allem hin hatte Che noch eine Tasche mit Medikamenten verloren, was lebensbedrohlich für ihn werden konnte. In der Tagebuch-Analyse des Monats September spricht Che erstmals vom Eintreten einer gefährlichen Lage. Er vermerkt weiter: "Die wichtigste Aufgabe ist es, hier abzuhauen und geeignetere Gebiete zu suchen" (AW, Bd. 5). Doch wollte er bis dahin diesen Schritt nicht ohne seine anderen Männer um Acuna beschließen, die er aber nie wieder treffen sollte. Die Lage war in Wahrheit noch schlimmer und nahezu aussichtslos geworden. Che hatte in dieser angeschlagenen Verfassung und bedrängten Situation im Grunde nur noch die Wahl irgendwie zu überleben und entkommen oder unterzugehen.

Die Gefangennahme

Die Armee hatte am 8. Oktober bei dem kleinen 100-Seelen-Gebirgsort La Higuera (Der Feigenbaum), dem östlichsten Punkt der Guerillaoperation, in der Yuro-Schlucht (Schnecken-Schlucht) Ches kleinen versprengten Trupp von noch 17 Mann gestellt. Che und die Männer waren isoliert und wurden von der Armee am Boden und aus der Luft getrieben. Es kam zu einem stundenlangen Gefecht, Schüsse peitschten in das Flusstal und wurden von unten erwidert. Eine Kugel traf Che im Unterschenkel, genug, um ihn am weiterflüchten zu hindern. Sein M-2 Karabiner war ihm aus den Händen geschossen worden und danach unbrauchbar. Es folgten am späten Nachmittag die Gefangennahme und bald danach das Verhör durch Hauptmann Prado von der Armee und den exilkubanischen CIA-Angehörigen und Bunker Felix Rodriguez. Der war zwar nicht der wichtigste und auch kein führender CIA-Repräsentant, aber als ihr Mann vor Ort mit Beratungs- und Ermittlungsaufgaben betraut und sollte die bei Che gefundenen Dokumente abfotografieren.

Che schwieg zu allen militärischen Fragen, wurde aber soweit korrekt und mit Respekt behandelt. So konnten drei seiner Leute (andere Quellen sprechen von fünf), vom zuverlässigen kubanischen Kern, noch entkommen und später über Chile nach Kuba zurückkehren. Die Entscheidung über Ches Schicksal war entgegen vieler Mutmaßungen keine der USA oder der CIA, sondern fiel in der Nacht zum 9.10. im Präsidentenpalast allein zwischen Barrientos und ranghöchsten Generälen seiner Armee. In Bolivien gab es keine Todesstrafe. Die Vorstellung, Che irgendwo in einem bolivianischen Hochsicherheitsgefängnis einzusperren und. ihm vor den Augen einer beobachtenden Weltöffentlichkeit den Prozess machen zu müssen, war deren Albtraum.

Die Hinrichtung

Die Order zur Erschießung erging am frühen Morgen des 9. Oktober, ohne irgendeinen Prozess, ohne Beweis einer Schuld. Und gegen den Willen der CIA, wie Rodriguez im Interview mit History Channel versichert, die den gefangenen Che zu weiteren Verhörzwecken in ihr Antiguerilla-Ausbildungszentrum nach Panama bringen wollte. Es wäre vermutlich seine Lebensrettung gewesen, doch zu welchem Preis? Politisch wäre der erneut Gescheiterte erledigt gewesen, es hätte nur noch ein privates Weiterleben für ihn gegeben. Che wurde gerade auch durch die Art seines Todes zur Legende. Er selbst rechnete damit, dass man ihn seiner Berühmtheit wegen am Leben ließe und er von einem gewissen Wert für die Gegenseite vielleicht in einem Austausch wäre. Die Lehrerin Julia Cortés brachte Che eine Suppe und unterhielt sich mit ihm. Eigentlich sollte sie an Volkes Stelle Che die Meinung sagen, kehrte aber von der Begegnung sehr nachdenklich und betroffen zurück. Mit Che wurden noch zwei andere gefangen genommene Guerilleros erschossen, einer davon war Simón Cuba Sarabia ("Willy"), bolivianischer Bergarbeiter aus Cochabamba, der den Verletzten noch gestützt und eine Strecke weit mitgeschleppt hatte. Ein junger Sergeant, Mario Terán, den man per Los auswählte, sollte die Tat ausführen, den berühmten Che erschießen. Er sollte vom Hals an abwärts zielen, es sollte laut Rodriguez so aussehen, als sei Che im Kampf erschossen werden. Die ganze Nacht durch hatten Soldaten ihren Erfolg gefeiert und viele waren betrunken. Der auch nicht mehr nüchterne Terán trat am späten Vormittag in den düsteren Nebenraum der kleinen Schule (heute ein kleines Che Guevara-Museum), der eher einem Schuppen glich, und gab aus seinem Schnellfeuergewehr nacheinander zwei Salven auf den gefesselten Che ab, der von neun Kugeln getroffen wurde. Eine davon drang in den oberen Brustraum ein und durchschlug Herz und Lunge, Che erstickte an seinem eigenen Blut. Der Gefangene soll dem erst zögernden Schützen noch sinngemäß zugerufen haben, schieß, Feigling, du triffst nur einen Menschen, aber meine Ideen kannst du nicht töten. Ein Ruf patria o muerte unterblieb, Che hatte keine Heimat mehr. Ein schmähliches Ende.

Ches Leichnam wurde mit einem Hubschrauber ins nahe Vallegrande geflogen. Dort präsentierten ihn hochrangige Offiziere, die die Militäraktion gegen die Guerilla leiteten, im Waschhaus des Krankenhauses den bestellten Fotografen wie eine Jagdtrophäe. Che, wie erlegtes Wild auf der Bahre über einem steinernen Waschbecken liegend, wo man ihn danach auch unter Anwesenheit von Publikum und Fotografen obduzierte. Der Kopf durch eine Stütze angehoben, mit starren offenen Augen, zerzaustem Bart, dichtem wolligem, wirrem Haar. Er sah jetzt anders aus, so schmucklos drapiert mit den vom Blut gereinigten Einschusslöchern im nackten Oberkörper, abgemagert, gespenstisch fast, und dennoch hatte die würdelose Szenerie etwas von der Aufbahrung Christi. Man trennte noch seine Hände ab und konservierte sie in Formaldehyd, die später wieder in Kuba auftauchten. An einer unbekannten Stelle am Rand der Landebahn des Flugplatzes von Vallegrande, südwestlich der Millionenstadt Santa Cruz, wurde Ches Leiche verscharrt, wo sie jahrelang verborgen lag. 1995 brach einer der beteiligten Offiziere sein Schweigen. 1997 fand ein argentinisch-kubanisches Expertenteam dann von Che und einigen Mitkämpfern sterbliche Knochenüberreste, worunter jene Ches identifiziert und in einem kleinen Reliquiensarg nach Kuba überführt wurden. Der Maximo Lider, Freund und Weggefährte Castro, der einmal geschworen hatte, Che nie im Stich zu lassen, bestattete sie unter großer Trauerrede-Geste im eigens dafür hergerichteten Che-Mausoleum in Santa Clara. Ein Wallfahrtsort für Kubas Schulklassen und Touristen aus aller Welt.

Idol und Dämon

Wie häufig folgte in der Linken, auch der deutschen, oder bei denen, die ihr mal angehörten, auf die unkritische Idealisierung Che Guevaras (Wolf Biermann: "Christus mit der Knarre") seine kaum weniger reflektierte Dämonisierung. Guevara war nüchtern betrachtet ein bewusster Vertreter revolutionärer Gewalt, überzeugter Antiimperialist im Leninschen Sinn und Gegner des Neokolonialismus. Für ihn folgte die neue Macht aus den Gewehrläufen. Kuba hat im Kalten Krieg den Kontext bewaffneter Wehrhaftigkeit weitgehend bestätigt. Es gäbe sonst das sozialistische Land auf der karibischen Landkarte nicht mehr (siehe die US-Invasion in Grenada). Die USA hätten nicht gezögert, sich eines günstigen Tages die Insel im Invasionsstreich zurückzuholen. Der Preis dafür angesichts des Bündnisrückhalts durch die Sowjetunion war den Amerikanern immer zu hoch. Der Stationierungsversuch sowjetischer atomarer Mittelstreckenraketen auf Castros Wunsch, die die ganze USA erreichen und zerstören konnten, war ein gewagtes Vabanquespiel der Achse Havanna-Moskau und hätte um ein Haar zu einem dritten Weltkrieg geführt. Im letzten Moment wurde hinter den Kulissen an der kubanischen Führung vorbei ein bilateraler Deal zwischen Washington-Moskau ausgehandelt. Die USA gaben gegen Raketenabzug die Garantie der Nichtintervention. Dafür verhängten sie auf Jahrzehnte den totalen Handelsboykott und gaben ihre auf die SU gerichteten, veralteten Jupiter-Raketenstellungen an der türkischen Nordgrenze auf. Vom CIA unterstützte Kommandounternehmen wie 1961 mit der Landung von weit über tausend exilkubanischen Söldnern in der sog. Schweinebucht, scheiterten kläglich. Ebenso wie alle Pläne, Castro etwa durch Giftpillen im Essen zu ermorden. Er starb 2016 90-jährig eines natürlichen Todes. Die Bedrohung von außen kostete die antikommunistische "freie Welt" aber den hohen Preis der politischen Unterdrückung und Verfolgung jedweder Opposition auf Kuba als Reaktion, ein Zusammenhang, der so nicht gesehen bzw. stets ignoriert wurde.

Che Guevara war ein Befürworter des revolutionären Kriegs, notfalls auch eines Großen Kriegs zwischen den Supermächten. Eines seiner Vorbilder war der nordvietnamesische Theoretiker des Guerillakampfes und Militärführer im Volkskrieg der Vietminh, Vo Nguyen Giáp (1911-2013). Dessen Sieg 1954 bei Diên Biên Phu beendete Frankreichs Kolonialherrschaft in Indochina. 1968 plante und befehligte er vom Ho Chi Minh-Pfad in Kambodscha aus die überraschende Têt-Neujahrsoffensive, die, militärisch ein Fehlschlag, die politische Wende im Vietnamkrieg brachte. Der Systemwiderspruch und Antagonismus des Kapitalismus und Imperialismus zur Freiheit des Menschen von Entfremdung, Unterdrückung und Ausbeutung, lief für Che zwangsläufig auf diesen unausweichlichen Kampf in einem möglichen Weltkrieg hinaus. Seine Bereitschaft zu einem Atomkrieg mit den USA, kann man bei ihm nicht als politisch unreflektiert ansehen, sondern muss sie als schweren politischen Irrtum und fahrlässig ansehen, die dessen verheerende Folgen für die Menschheit weder einzuschätzen vermochte noch offenbar konnte. Chruschtschow und die sowjetische Militärführung sind der, seiner Auffassung von der Unvermeidbarkeit eines Weltkriegs Guevaras nicht gefolgt. Jede Revolution für die Belange des Menschen sollte so stark sein und menschlich ausstrahlen, dass sie gegenüber ihren Gegnern Milde und eine neue Gerechtigkeit walten lässt, nicht Willkür und neue Unterdrückung ausübt. Oder sie verdient ihren Namen nicht. Che Guevara hat den "revolutionären Hass" befürwortet und dazu aufgerufen. Als Arzt war er aber dem Erhalt und der Rettung des Lebens verpflichtet.

Gerd Koenen, einstiges Mitglied einer kommunistischen K-Gruppe und Buchautor ("Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt"; 2008) begeht genau den Fehler, dem Idol undifferenziert im Zeitwandel den Dämon folgen zu lassen. Gewiss hatte Che als Vorsitzender des Revolutionstribunals zu verantworten, dass nach Prozessen und auch standrechtlich vermutlich einige hundert Gegner der kubanischen Revolution, darunter viele höhere Militärs, hingerichtet wurden (nachgewiesen scheinen 216 Fälle), die sicher nicht unschuldig waren. Jede Todesstrafe aber, wo und gegen wen auch immer, ist als inhuman zu verurteilen und abzulehnen. Die Frage von Gewalt und Gewaltlosigkeit in einem revolutionären Umbruch - und nur für diesen ist sie überhaupt von Bedeutung -, ist eine nach den bestehenden Kräfteverhältnissen. Je stärker und massenhafter die revolutionären Kräfte sind und auftreten desto eher können sie Gewalt minimieren und beschränken. Was Che wohl zum bolivarischen Prozess gesagt hätte, der in Bolivien seit 2005 zu einer progressiv ausgerichteten Regierung führte mit einem indigenen, antiimperialistisch eingestellten Präsidenten Evo Morales? Die Menschen in Bolivien sind wach geworden und kamen in Bewegung, aber das brauchte seine Zeit und Entwicklung. Dieses Jahr fand in Bolivien im Oktober sogar ein mehrtägiges nationales Staatsgedenken in Erinnerung an Ches Ermordung durch das Militär statt. Man kann Che Guevaras Handeln nur aus seiner Zeit heraus unter der damaligen weltpolitischen Konstellation richtig verstehen und beurteilen. Und natürlich aus seiner Person selbst, die Geschichte machen wollte und machte. Diese Geschichte aber (und damit auch die Widersprüche), hat sich weiter entwickelt: Chile 1973 - Nicaragua 1979 - Zapatistischer Aufstand in Chiapas/Mexiko 1994 - Venezuela 1999 - Bolivien 2005 - ??

Neue Eine Welt?

Zwei scheinbar konträre Erkenntnisse lassen sich aus Ches gescheiterter Strategie gewinnen: sozialistische und revolutionäre Modelle lassen sich nicht linear von einem auf ein anderes Land übertragen ("exportieren"), ohne die jeweils einzelnen sozioökonomischen, politischen, kulturellen und historischen Bedingungen zu bedenken und berücksichtigen. Bolivien war nicht Kuba, so, wie Jugoslawien, China und Russland nur bedingt miteinander vergleichbare, sozialistisch-kommunistische Wege gingen. Jede revolutionäre Arbeiterbewegung eines Landes muss ihre eigenen Analysen und Lösungen finden und Strategien entwickeln. So erwies es sich im Fall Deutschland nach 1923 für die KPD als fatal, dass sie sich kritiklos dem Parteidiktat und den Interessen Moskaus und der Komintern unterwarf. Sozialfaschismustheorie und der Kurs der "Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO)" entfremdeten die sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen und kommunistischen Kräfte unnötig voneinander und schwächten ihr Potenzial entscheidend. Der zweite Aspekt ist, das mahnt Ches Beispiel ebenso an: Seit den schweren zyklischen Krisen und Wirtschaftsrezessionen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, der allgemeinen Globalisierung und informellen digitalen Revolution seit Anfang der 1990er Jahre sowie dem Ende des "Systemgegensatzes" gleichen sich die neoliberalen Verhältnisse weltweit einander mehr.und mehr an. Nationale Arbeiterklassen, sozialistische und soziale Bewegungen stehen so zunehmend global vor Aufgaben, sich transnational zu orientieren, solidarisieren und verbünden, um zu wirksamen über- und durchgreifenden Antworten und Aktionsformen dagegen zu finden.

EK/HB, 9./14./21.10.2017


Literatur/Quellen (komment. Auswahl):

Biographisches: Che Guevara - Geschichte eines Rebellen. Filmdokumentation von History Channel (teilw. ungenau und einseitig!). Buch+Regie: Maria Berry (2006). Jorge G. Castaneda: Che Guevara. Biographie. Frankfurt/M. 1998 (solide, genaue Darstellung). Alberto Granada: Mit Che durch Südamerika. Reisebericht. Köln 1988. Waltraud Hagen/Peter Jacobs: Ernesto Che Guevara. Eine Chronik. Berlin 2007 (ehem. DDR-Autoren-Perspektive; detaillierte Zeittafel). Daniel James: Che Guevara. Mythos und Wahrheit eines Revolutionärs. München 1969/97 (Detailreiche, kritische Sicht eines US-Journalisten m. v. Fotos). Elmar May: Che Guevara in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek b. Hamburg 1993 (14. Aufl.). Paco Ignacio Taibo II: Che. Die Biographie des Ernesto Guevara. Hamburg 1997 (Umfangr. Standardwerk des mexikan. Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlers).

Schriften und (Reise-)Tagebücher: Ernesto Che Guevara: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. hrsg. u. übertragen von Horst Eckart Gross. Bd. 1: Guerillakampf und Befreiungsbewegung; Bd. 2: Cubanisches Tagebuch; Bd. 3: Aufsätze zur Wirtschaftspolitik; Bd. 4: Schriften zum Internationalismus; Bd. 5: Das vollständige Bolivianische Tagebuch; Bd. 6: Der neue Mensch - Entwürfe für das Leben in der Zukunft. Dortmund - Bonn - Köln 1986-1992.
Ders.: The Motorcycle Diaries. Latinoamericana. Tagebuch einer Motorradreise 1951/52. Köln 2004. Ders.: Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein. Das Tagebuch der Lateinamerika-Reise 1953-1956. Köln 2004. Ders.: Der afrikanische Traum. Das wieder aufgefundene Tagebuch vom revolutionären Kampf im Kongo. Köln 2001. Ders.: Bolivianisches Tagebuch. Köln 2008 (m. zwei Lageskizzen u. d. Vorw. v. Ches Sohn Camilo Guevara March)

Politische Theorie und Praxis: Roberto Massari: Che Guevara. Politik und Utopie. Das politische und philosophische Denken Ernesto Che Guevaras. Frankfurt/M. 1987. Michael Löwy: Che Guevara. Köln 1993

Hintergrund: Charles Bettelheim, Fidel Castro, Ernesto Che Guevara, Ernest Mandel, Alberto Mora: Wertgesetz, Planung und Bewußtsein. Die Planungsdebatte in Cuba; hrsg. u. eingel. v. Wolfgang Müller. Frankfurt/M. 1969. Reynaldo Escobar: Mission Kongo: Gesang auf die Niederlage. TAZ, 24.9.1996 (Buchbespr. zu Paco Ignacio Taibo II u. a. über Che und die afrikanische Guerilla). inprekorr (Internat. Pressekorrespondenz), Heft 1/2015 (Jan./Feb.): Lateinamerika - Das Ende der Emanzipation? Ein Dossier mit 7 Beiträgen, S. 30-46. Frankfurt/M. 1988. Eberhard Panitz: Der Weg zum Rio Grande. Ein biographischer Bericht über Tamara Bunke. Berlin 1989 (6. Aufl.). Günther Schaaf: Che Guevara. Begegnungen und Gespräche 1961-1964 in Kuba. Bonn 2002 (Vom ehem. Leiter der DDR-Handelsvertretung in Kuba).

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018, Seite 29 bis 36
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2018

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