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ARBEITERSTIMME/365: Hasta el sobrevivir siempre! - Wie Kuba die Zeitläufe übersteht


Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Hasta el sobrevivir siempre!
Wie Kuba die Zeitläufe übersteht

von Gerhard Armanski


Er war für viele Kubaner die Revolution. Als man seinen Leichnam über die Insel fuhr, säumten Hundertausende die Straßen.


Statt des Revolutionsslogans "Hasta la victoria siempre" scheint mir "sobrevivir" (überleben) angebrachter. Denn wie immer man den Sozialismusansatz auf der Insel einschätzt, bemerkenswert ist allein schon, dass er gegen heftigste US-imperialistische Strangulierungsversuche bis heute überlebt hat. Und das spürt man auch auf der Reise durchs Land. Die Kubaner/innen mögen nicht durchweg Sozialisten sein, Patrioten sind sie allemal. Seit die USA 1898 den Sieg der Aufständischen gegen die spanische Kolonialherrschaft nach langen blutigen Kämpfen für sich ausnutzten und die Insel zu einer Semikolonie umwandelten, sind die Fronten für die Kubaner klar. Eigenständigkeit ist nur gegen den machtvollen Nachbarn im Norden zu haben. Die neuerliche vorsichtige Öffnung des Landes setzen manche vorschnell mit einer kulturellen und politischen Yankee-Invasion gleich. Wenn sie sich da mal nicht getäuscht haben! Nach meinem Eindruck wissen die Kubaner durchaus, was sie an ihrem "Wohlfahrtsstaat" haben. Und ihr Lebensstil will so gar nicht zur kapitalistischen Superbeschleunigung passen. Das ist gut so und kommt jedenfalls dem Reisenden zupaß.

Ich habe mich seit den 60-er Jahren mit Kuba beschäftigt, das damals geradezu als revolutionäres Aushängeschild galt, und auch immer wieder darüber geschrieben, in kritischer Leidenschaft. Ich habe Che Guevaras Ansinnen, mit der neuen Gesellschaft einen neuen, solidarischen Menschen zu schaffen, sein Anliegen der permanenten Revolution sowie den Glanz und die Mühen der nachrevolutionären Jahre verfolgt. In jenen Jahren bildete Kuba, die kleine Insel mit gerade mal zehn Millionen Einwohnern, geradezu die Blaupause der revolutionären Bemühungen in den "Metropolen" des Kapitalismus. Nach gelegentlichen Stippvisiten dort unternahm ich im vergangenen Jahr erstmals eine längere Reise durch das Land. Die Eindrücke derselben, unterfüttert mit strategisch-politischen Erwägungen, bilden die Achse des folgenden Berichts.

Die eingefrorene Revolution

Kuba weiß sich als letzter Antipode des Imperialismus und ist angesichts seiner mageren Ressourcen schier überfordert. Totgesagte leben länger. Allen Prophezeiungen zum Trotz hat die Revolution bis heute überlebt. Sie bietet den Kubanern einen im osteuropäisch-russischen Vergleich einen hochentwickelten Wohlfahrtsstaat mit ausgezeichnetem Gesundheits- und Bildungswesen und eine - hierzulande kaum wahrgenommene - partizipative Demokratie. Kuba praktiziert eine ärztliche Entwicklungshilfe, hinter der sich die reichen Länder verstecken können. Nach Ansicht des uruquaischen Schriftstellers Eduardo Galeano ist es das solidarischste Land der Welt. Die Kosten dieser Vorzüge sind hoch, zumal in Zeiten der lang andauernden Krise. Versorgungsmängel und Dollarisierung reiben auf, aber Reformen sind nicht in Sicht. Mühsam wird die Festung gehalten.Aber die reaktionäre Hochstimmung unter den Exilkubanern in Miami ist vorbei.

Auf dem Flug sinne ich über Kolumbus nach. Gemäß einem Bonmot der Philosophen H.Chr. Lichtenberg machte der Indianer, der die Weißen erstmals sah, eine "böse Entdeckung", in deren Gefolge während der nächsten hundert Jahre ca. 50 Millionen "Indios" starben - durch Krankheiten, Hunger, massive Ausbeutung, Krieg und generell tiefgreifende Entfremdung. Der Schock saß so tief, dass die Frauen von Hispaniola nicht mehr gebaren. Er ist bis heute nicht ganz abgeklungen und in vielen Verästelungen zu spüren. In seinem Bordbuch notierte der 'Entdecker': Die Einwohner von Guanahani seien wohl gestaltet und gesittet. Was fällt ihm dazu ein? "Sie müssen gewiß treue und kluge Diener sein, da sie in Kürze alles, was ich sage, zu wiederholen verstanden.; überdies glaube ich, dass sie leicht zum Christentum übertreten können ..." (Sonntag, 12. Oktober 1492)

Die ersten Eindrücke meines ersten längeren Besuchs der Insel. Wohl bestelltes Land in üppigem Grün, gelassener Trubel auf dem Flughafen und auf der langen Fahrt nach Havanna. Gleich hier stießen wir auf die erste "Ente", wonach alle in uralten US-amerikanischen Straßenkreuzern führen. Wir sollten noch auf mehr dieser ideologischen Flugfehlbotschaften stoßen. Die Stadtteile, die wir durchfahren, machen einen gut gehaltenen Eindruck. Natürlich, und da schlägt ein linkes Herz höher, überquerten wir auch die riesige Plaza de la Revolución, auf der Fidel Castro seine stundenlangen Reden zu halten pflegte. Wir kommen in einem alten Pflanzerpalast aus dem 19. Jh. unter, in dem es verwunschen und verblichen zugeht. Drei Frauen hüten ihn im Auftrag des Besitzers. Die Miete ist moderat und sollte es auch anderwärts sein, ca. 25 Euro pro Nase. Bei den Frauen und in vielen späteren Begegnungen fällt zweierlei sofort auf: Sie fühlen sich nicht im Mindesten dem Mann nachgesetzt. Ihre Bemerkungen und Hantierungen geschehen mit ruhiger Selbstverständlichkeit, denen so gar nichts Unterwürfiges gegenüber den (für sie) reichen Westlern eignet. Eher ist so etwas wie verhaltener Stolz zu bemerken. Ich muß an den revolutionären Schwarzen auf Haiti in dem Film "Quemada" (mit Marlon Brando) denken. Apropos schwarz. Ca. ein Drittel der Kubaner sind es, die anderen in allen möglichen Mischungen. Die Schwarzen litten unter dem alten Regime am meisten; heute sind sie jedenfalls formell gleichgestellt. Besonders ansprechend sollte mir die café con leche - Erscheinung werden.

Am nächsten Morgen brechen wir in die Ciudad Vieja, die Altstadt, auf, in der ich vor Jahren schon einmal gewesen war. Damals wirkte sie wie ein Ansammlung von Bauruinen. Heute sind die meisten Straßenzüge schmuck gehalten, auch wohl mit Geldern der UNESCO. Havanna ist Weltkulturerbe, da sich in keiner anderen lateinamerikanischen Stadt 500 Jahre Kolonialgeschichte derart deutlich und vollständig abgedrückt haben. Das Straßenleben, fast nur Fußgänge, ist heiter, bunt und unaufdringlich. Die soziale Schichtung von relativ wohlhabend bis arm gibt es, aber kein Elend wie z.B. in Lima oder Honduras. Die Menschen wirken aufgeschlossen, nicht aber neugierig. Im Museum der Schönen Künste werden aus der Zeit gefallene architektonische Experimente und vor allem vielfältige, phantasievolle und meist farbenfrohe Bilder ausgestellt, in jüngerer Zeit lehnen sie sich an den Naivismus von Ernst, Magritte oder Dali an, hingegen kaum an lokale Traditionen - hat ja ohnehin nur eine Handvoll Indianer überlebt. Wir schlecken ein wunderbares Eis und schließen den ersten Tag ab - um wieder zu kommen.

Gringos y cubanos

Die USA stahlen den Kubanern 1898 die von den Spaniern blutig erkämpfte, zum Greifen nahe Unabhängigkeit und zwangen das Land in einen demütigenden halbkolonialen Status. Die Gesellschaft wurde um ihre Identität betrogen. Die Yankees und ihre kubanischen Kumpels dominierten in der Zuckerproduktion (vgl. das wunderbare Buch von Rudolf Brunngraber: Zucker aus Cuba), Telekommunikation, Glücksspiel, Drogenhandel und Prostitution. Havanna mutierte zu einem riesigen Las Vegas. Wer diesen Hintergrund und das Massenelend der Bevölkerung damals nicht kennt, wird die Kubaner nie verstehen. In seiner berühmten Rede vor Gericht, "La historia me absolverá" (Die Geschichte wird mich freisprechen) listete Fidel Castro diese Situation minutiös auf. Hier liegen die Wurzeln des hochsensiblen Souveränitätsbewußtseins der Kubaner und ihrer mannigfachen Revolutionsversuche, die im siegreichen Aufstand der "barbudos" 1958/59 gipfelten. Und die Kubaner haben das nicht vergessen. Wer könnte glauben, dass die Millionen, die dem toten Castro auf seinem letzten Weg durch die Insel die Ehre gaben, auf die Straßen beordert werden und nicht aus Überzeugung und Trauer hingegangen wären! Übrigens verbat sich der máximo líder jedweden Kult um seine Person.

Wir sprechen mit einem Passanten. Mit breitem Lächeln läßt er sich über den socialismo aus. Auf dem Weg von Havanna nach Pinar del Rio erleben wir den ländlichen Alltag. Es ist eine eintönige Landschaft, flach, mit Robinien, Mimosen, Büffeln und Reihern besetzt. P. Ist ein ganz normaler kubanischer Ort ohne sonderliche touristische Glanzpunkte, aber quirlig. Die Versorgung scheint sich in eine der Basisbedürfnisse und solche des gehobenen Konsums zu gabeln. Die Provinz ist für ihrem Tabak berühmt, und so besuchen wir eine ehrwürdige fábrica de tabaco. Wie in der Volksschule sitzen die Frauen und Männer an Tischen und rollen Zigarren - keineswegs, wie eine lüsterne Männerphantasie will, auf den nackten Oberschenkeln. Das Radio läuft, die Unterhaltung ist munter, jedenfalls keine besondere Belastung zu spüren.

Hinter Pinar del Rio beginnt ein reizvolles Hügelland mit urig-üppiger Vegetation. Es geht alles geordnet und ruhig zu. Dort wie auch anderwärts haben wir kaum je einen Polizisten oder Soldaten gesehen. Die Straßen sind passabel, die Erzählung von unendlichen Schlaglöchern ist, wenn sie denn je wahr war, augenscheinlich überholt.

Ein (Tag)Traum von Fidel Flohito, dem bayerischen Floh auf Kuba. Sein Vater heißt Seppelito von Flohhausen. Im Englischen Garten von München schlägt sich ein dickes Mädchen mit Hunden herum. Der sie mit eins anspringende Floh ist vom mitgeführten und ausgetanen Insektenspray keineswegs beeindruckt. Im Flugzeug nach Kuba fällt er in Schreckstarre. Schließlich schläft er ein und erwacht erst, als sie bereits in Havanna sind. Er reibt sich die Augen, die calles (Straßen) erscheinen ihm allzu schmutzig Kubanische Flöhe machen ihn an und wollen seinen Bierbauch ausdrücken. Er ist allein und fühlt sich einsam, magert vor Kummer und Hunger ab. Ein Oldtimer hätte ihn beinahe überfahren, aber Leute retten ihn. Flohito schließt druschba, Freundschaft, mit seinen kubanischen Genossen. Sie gehen ins Café, wo eine schöne, fette Flohin mit ihm liebäugelt. Gegen sein Eheversprechen wolle sie ihm reiche Nahrungsquellen zeigen. Ihr Bruder will ihn nach China schmuggeln, wo auch Kolumbus meinte, gelandet zu sein, aber es reicht nur bis Varadero. Dort trifft er auf einen Flohzirkus und lernt eine blonde deutsche Flöhin kennen. Indessen sucht ihn die Flohpolizei, da er angeblich Honig harte. Sie werden umsomehr dicke Kumpels, als der lokale TUI-Vertreter eine Hilfeleistung ablehnt. Gemeinsam beklauen sie Touristen, von denen es dort zahlreiche gibt. Aber der kubanische Flohclan wird mißtrauisch, es kommt zum Kampf und Flohito verliert ein Bein. Dann ergibt er sich ganz dem dolce vita und vergißt auch, die Kollegen des Flohzirkus zu befreien. Im Traum erscheinen ihm Fidel und Che, geben ihm den Auftrag, die Flohsklaven zu befreien. Sie gründen eine eigene colonia Saba, wo sie abends Salsa hören und schuhplattln. Seine Freundin erweist sich jedoch als Xanthippe, und er beginnt, sich nach Hause zu Weib und Kind zu sehnen. Leicht bedröppelt reist er zurück und gründet die deutsch-kubanische Flohassoziation, der sich alsbald große Chancen eröffnen ...

(Wer das lesen mag, tue es, wer nicht, lasse es.)

Es ist jene tiefe Kränkung des kubanischen Nationalgefühls, das bis heute einen gesellschaftlichen Kitt darstellt, noch unabhängig von Realität und Mythos der Revolution. Im aufrechten Gang Davids gegen Goliath konnte zeitweise gar die ideelle Universalisierung der Revolution mit der vanguardia cubana blühen. Die Kubaner wissen sehr gut, was ihnen im Bannkreis der USA droht. Es ist ihnen auch bekannt, dass zwei Drittel der Insel geflohenen Exilkubanern gehören, die in Miami auf ihre Stunde warten, die allerdings reichlich fern gerückt ist. Noch immer stellt Kuba für die Nordamerikaner nicht gerade einen Pfahl im Fleisch mehr, wohl aber ein ständiges Ärgernis dar, das es lieber heute als morgen auszumerzen gelte. Mr. Trump kann sich derzeit angesichts seiner sonstigen troubles nicht noch auch mit Kuba auseinandersetzen. Das wird sich ändern. Mit einem über 50 Jahre währenden völkerrechtswidrigen Embargo, massiver ideologischer Kriegsführung und dem militärischen big stick im Hintergrund versuch(t) die USA, den ehemaligen Klientelstaat zurück zu zwingen. Auch die anderen kapitalistischen Länder, mit Ausnahme Kanadas, haben sich gegenüber dem Großen Bruder botmäßig erwiesen.

Muntere und blitzsaubere Schulkinder begegnen uns. Auf Fidel Castros Geheiß erhält jedes einen halben Liter Milch am Tag. Wir sind auf dem Weg nach Vinales, einer touristisch hoch angesagten Stadt, ja schier Partymeile, wie wir merken. Es gibt zahllose casas particulares (Privatunterkünfte) und paladares (einfache Restaurants). Schmuck sind die Häuschen im Ort. Vom Vogelnest "Los Yasmines" in den Bergen nahebei hat man einen weiten Blick ins fruchtbare Land, Der Fußweg hinunter windet sich auf roter Erde entlang an bohíos (Hütten). "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein." (Goethe) Vollends in der Begegnung mit einem Tabakbauern, Er bietet seine Zigarren an, und wir paffen gleich eine zusammen.

Das örtliche Museum (!) der Revolution wirkt reichlich verstaubt und pädagogisch eng geführt. Es besteht vorwiegend aus markigen Fotos und Zitaten, die allesamt auf eine Heldenlegende hinaus laufen. Ich kenne keine derart fotogene Revolution, der (höhnisch gesprochen) mehr an guten Bildern als an Kämpfen mit dem Feind, der übrigens nie auftaucht, gelegen zu sein schien Che Guevara liest und raucht eine Zigarre; Fidel Castro diskutiert mit den companeros. Die Verwandlung in einen Mythos ist mit Händen zu greifen. Immerhin ist die kubanische Revolution eine der wenigen der Neuzeit mit mindestens passiver Mitwirkung des Volkes. Ohne den vollkommen moralischen und sozialen Bankrott des Batista-Regimes wäre sie wohl nicht gelungen. Es ist dieser Sachverhalt, der die Revolution, die im Grunde am Schluß eher ein Putsch war, nach wie vor im Volksbewußtsein verankert. Es war dennoch nicht wie der Sturm auf das zaristische Winterpalais 1917 ein vereinzeltes entscheidendes Ereignis, sondern eine lang andauernde Revolte mit unabsehbaren Folgen, welche die Kippe brachte.

Dialektik der Geschichte

Im "roten Jahrzehnt" nach 1959 sah sich Kuba als Speerspitze der Weltrevolution und wurde bis in linksliberale Kreise hinein auch so wahr genommen. Ähnlich wie die junge Sowjetunion schäumte die Insel vor kulturellem und politischem Schöpfertum. Die Utopie schien machbar, und Che Guevara war ihr Prophet, der in "Hombre y socialismo" ein an Marx angelehntes Bild des neuen nachrevolutionären Menschen entwarf. Es sei das Unmögliche realistisch. Mit der Alphabetisierung startete eine wahre Massenveranstaltung, die das Bildungsmonopol der Oberklasse brach. Milizen, Komitees zur Verteidigung der Revolution, Frauenverbände entstanden. Sie sind bis heute der Kern des kubanischen Projekts, das sich insoweit drastisch von einer Parteiendiktatur unterscheidet.

Nach einem Wort von Maximo Gomez, des Generals des antispanischen Aufstandes, allerdings kommen die Kubaner nicht an oder schießen übers Ziel hinaus. Denn alsbald traten Gebrechen auf, die bis heute nur teilweise behoben sind. Statt die ökonomische Basis zu diversifizieren, führte die Integration in die Ostblockwirtschaft zu einer alt-neuen Arbeitsteilung, welche Kuba die Rolle eines Orangen- und vor allem Zuckerproduzenten zuwies. Mit dem Weggang und Tod Che Guevaras 1967 waren die Mühen der Ebene erreicht, die Revolution institutionalisierte sich. Es begann die decada gris, das graue Jahrzehnt. Der 1. Kongreß des neugegründeten kubanischen KP 1975, eine neue Verfassung und ein Wahl- und Vertretungssystem von unten nach oben schlossen diese Entwicklung ab. Unangefochten übte Fidel Castro den mando único, die gesammelte Regierungsmacht, aus. Schwierige Zeiten für die Opposition begannen. Ein ausgezeichnetes Gesundheits- und Bildungssystem wurde aufgebaut. Im satten Schatten des RGW entstand ein bescheidener Wohlstand der Arbeiter und Bauern, weswegen die Zeit nach 1975 als goldenes Jahrzehnt galt.

Auf dem Weg nach Cienfuegos passieren wir endlose Zuckerrohrfelder und Palmwälder. Aber die Landwirtschaft macht keinen guten Eindruck. Viele Felder liegen brach. Das ist eine Achillesferse der kubanischen Sozialismus. Trotz bester Boden- und Klimabedingungen muß das Land Lebensmittel importieren. Das ist schon keine Entschleunigung mehr, sondern Stillstand. jene können wir in den ansprechenden Raststätten genießen; eine ist im luftigen Taino-Langhausstil gebaut. Auf der Fahrt nach Playa Girón (Schweinebucht) kommen wir an complejos agropecuarios vorbei, die wir uns leider nicht näher ansehen können. Dortselbst gibt es natürlich ein Museum, das den erhebenden Sieg der Kubaner gegen exilkubanische Invasoren unter dem Schirm der CIA darstellt. Danach besuchen wir den hellsandigen Stand am türkisfarbenen Meer. Es geht unaufgeregt zu, doch lärmt wie oft im Land (über)laute Musik vom Kokosmilchstand her. Im geschäftig-freundlichen Cienfuegos erleben wir das kleine Glück einer anscheinend zufriedenen (bedürfnisarmen?) Bevölkerung. Die Gebäude weisen eine 'französische' dünnsäulige Eleganz auf. Es gibt keinen Zeitdruck und null Reklame, dafür einen beständigen gesprächigen und musikalischen Kommunikationsstrom der Menschen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachen für Kuba, das auf deren Subventionen angewiesen war, harte Zeiten an. Und die Imperialisten frohlockten schon, gefallen ist die Stadt Havanna. (Anlehnung an ein Lied von Ernst Busch) Aber die kubanische Zähigkeit und Fähigkeit zur Improvisation schafften das Überstehen des heftigen Mangels in der periodo especial, die folgte. Der Standard öffentlicher Dienstleistungen konnte einigermaßen aufrecht erhalten werden, und das ist für die Kubaner mindestens die halbe Miete. Aber die Ökonomie zerfiel fortan in einen öffentlichen Sektor, Dollar-Enklaven etwa im Tourismus, einen informellen und den Marktsektor. Der Peso ging in den freien Fall, die Währung spaltete sich in einen konvertiblen und einen ordinario. Außerdem wurde der Dollar als Zweitwährung eingeführt, um den Pesoüberhang abzuschöpfen.

Die dadurch erreichte relative Stabilisierung konnte die strategischen Defekte der kubanischen Wirtschaft gleichwohl nicht aufheben: eine niedrige Arbeitsproduktivität und Investitionsrate, die schleppende Weltmarktintegration vor allem biotechnischer Produkte, ein vernachlässigter Binnenmarkt sowie eine offene und/oder verdeckte (aufgeblähte) Bürokratie Reservearmee von Arbeitskräften. Und noch immer, bis heute, die würgenden Folgen der US-Blockade. Die Erholung seit Mitte der 90-er Jahre, das zweite milagro der neueren kubanischen Geschichte, beruhte letztlich auf den remesas (Geldüberweisungen der Exilkubaner), Almosen und Pump.

Das kleine Glück

Der ausgewogen harmonische Parque de José Martí (Urvater der kubanischen Revolution) in Cienfuegos (= hundert Feuer) weist an einer Seite das intime Teatro Terry auf, ein Gesamtkunstwerk des 19. Jhs. Durch gefälliges Hügelland gelangen wir nach Trinidad. Es ist ein koloniales Dornröschen, das aber nicht von einem Prinz wachgeküßt wird, sondern sich mit eins in einer lärmigen Partymeile wieder findet. Der turismo sucht überall auf der Welt nach unverfälschtem Leben - und zerstört es just dadurch. Aber die Altmännerband an der Plaza, die einfach zu ihrem Vergnügen spielt, ist umwerfend. (vgl. den Film Buena vista. Social club). Das nahe gelegene museo contra los bandidos zeigt, dass die Nachwehen der Revolution alles andere als ein Zuckerschlecken waren, denn es waren umfangreiche und blutige 'Säuberungen' der Insel von aktiven Konterrevolutionären nötig.

So unaufdringlich das dokumentiert, so klotzig ist das Che Guevara-Monument in Santa Clara, wo Che einen Munitionszug des Batistaregimes in die Luft sprengte und ihm damit einen entscheidenden Schlag versetzte. Vermutlich drehte er sich angesichts dessen im Grabe um. Es ist das einzige Mal, dass wir auf einen derartigen, künstlerisch minderwertigen, aber weihevoll inszentierten Heldenkult stoßen, der auch allem Augenschein nach auch die Kubaner wenig begeistert.

Es geht nun nach Norden, durch Städtchen und über staubige Straßen. Über den Damm zwischen Mangrovengehölzen (UN-Biosphäre) gelangen wir im Cayo Sta. Maria an. Ich höre schon der Hotels Getümmel, hier ist des Tourismus wahrer Himmel, zufrieden jauchzet groß und klein, hier bin ich Gast, hier darf ich's sein. (frei nach Goethes Osterspaziergang) Es sind geographische und sozial entlegene konsumistische kapitalistische Inseln. Aber das arg strangulierte Land braucht Devisen und wir nach mehreren Wochen ein Abhängen, machen daher das Beste aus der Situation. Unaufhörlich tingelt laute Musik. Die kubanischen Angestellten nehmen's ziemlich gelassen, ein diszipliniertes 'Leistungsbewußtsein' ist auch nicht zu erkennen. Sie sind bestimmt doppelt so einverständig und fröhlich wie die häufig kanadischen Touristen. Etliche dieser fressen, saufen (Rum) und lärmen wie verrückt. Es ist gleichwohl ein kleines kommunistisches Paradies - für diejenigen, die es bezahlen können und wollen. Die Anlage ist hübsch angelegt, aber (die Häuser) leicht verlottert. Wir werfen uns an die atmende Meeresbrust, in das türkise, dann wieder flaschengrüne Wasser, über das auch ein Sturm brausen mag. Oft sind wir mit Pelikanen und Möwen, die in der Luft schaukeln und jagen, allein. Unseren Gedanken nachgehend. Viele geläufigen Vorurteile haben sich widerlegt, obschon es Mangel und Mängel gibt. Manana geht es wieder in die 'Heimat'. Adiós Cuba! Wir kommen wieder.

Kuba ist aus der großen Geschichte gefallen, kein geostrategischer Dominostein und kein revolutionärer Unruheherd mehr. Dennoch zieht es sich weiter Zorn und Feindschaft des übermächtigen Nachbarn im Norden zu. Vielleicht, weil es sich als ziemlich letzter Antipode des Imperialismus weiß. Alle Kubaner/Innen, mit denen ich sprach, fürchten sich nicht vor ihm, betonen, dass sie auch die nächste Attacke, die sich bereits abzeichnet, überstehen würden. Der maximo líder ist gerade nach seinem Ableben zur linken Weltlegende geworden, eine Art sozialmoralische Instanz der armen Länder. Totgesagte leben länger. Allen Prophezeihungen zum Trotz hat die Revolution bis heute überlebt. Hasta el sobrevivir siempre. Überleben wäre schon der halbe Sieg. Und immerhin weist das Land beachtliche Leistungen im Gesundheits- und Bildungssektor auf, auch einige moderne Industriezweige sind international Spitze oder jedenfalls konkurrenzfähig. Auf die Frage der Dissidenten will ich hier nicht eingehen, das würde den Rahmen sprengen. Solange die Einwohner ihren selbstbewußten Stolz behalten, werden sie nicht untergehen.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018, Seite 24 bis 28
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2018

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