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ARBEITERSTIMME/339: Wie der Kommunismus nach China kam - Teil 2


Arbeiterstimme Nr. 193 - Herbst 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Wie der Kommunismus nach China kam

(Teil 2) Eine Rekonstruktion revolutionärer Politik in China


Das Ende des Kaiserreiches und ein halbherziger Neubeginn

Am Ende des 19. Jahrhunderts stand China vor dem Zerfall. Die Katastrophen der vergangenen sechzig Jahre mündeten in die Existenzfrage und nirgendwo waren Ansatzpunkte für eine Lösung der Krise erkennbar. Die Qing-Dynastie hatte sich durch ihren Schlingerkurs im Kampf gegen die Rebellionen im Taiping-Aufstand und in moslemischen Siedlungsgebieten sowie der vollkommen unzureichenden Abwehr imperialistischer Ansprüche aufgerieben und sie hatte sich unfähig gezeigt, das Land zu modernisieren. Sie hatte sich in einem solchen Maße als unfähig erwiesen, dass das Kaisertum selbst auf breitester Basis in Frage gestellt wurde.

So zeigten sich Reformversuche, die aus den Reihen der Hofbeamten angeregt wurden, als Rückzugsgefechte einer untergehenden Macht.(1)

Die neue Strahlkraft in Ostasien um die Jahrhundertwende ging eindeutig von Japan aus. Das Land "am Ende der Welt" war Mitte des 19. Jahrhunderts von der US-Flotte zwangsgeöffnet werden, die Abschottungsideologie des Schogunats endete zusammen mit der Regierungsform der Schogune. Eine konservative Revolution durchzog die Inseln, gegen schwach gewordene Widerstände des Adels wurde die kaiserliche Macht restituiert, der "chinesische" Buddhismus zu Gunsten der "eigenen" Religion, dem Shinto, zurückgedrängt und gleichzeitig nationalistisch aufgeladen. Die Meiji-Restauration vermocht im Zeitraffertempo Japan umzugestalten, Adelsprivilegien abzubauen und eine moderne Staatsidee zu implantieren: den Nationalismus, der, auf kapitalistischer Grundlage und geschützt durch einen dem Westen ebenbürtigen Staat, seine Ziele innerhalb und außerhalb Japans neu definiert.

Alle chinesischen Reformer dieser Zeit waren von der japanischen Entwicklung fasziniert und konnten sich auch bei massiven Konflikten zwischen China und Japan innerlich nicht vom Vorbild lösen. So startete Sun Yat Sen seine Umsturzversuche von Japan aus und er kehrte wieder zurück, wenn ihm in China Verfolgung drohte.

In den Augen aller chinesischer Kritiker war die Regierung gescheitert, weil sie das Land nicht in die Moderne führen konnte. Der eklatante Rückstand in der gesellschaftlichen Entwicklung musste reduziert werden und das konnte nur dadurch eingeleitet werden, dass man von den Usurpatoren lernte, ihre gesellschaftliche Organisierung, ihre Ideen und ihre Technik übernahm. So wie es die Japaner, allem Anschein nach, erfolgreich taten.

Eine Kostprobe dieser Adaptionsfähigkeit sollte das chinesische Reich 1894/95 erhalten, als Japan Ansprüche auf die koreanische Halbinsel erhob und diese im Kampf gegen die chinesische Flotte durchsetzte. Die Regierung in Peking stand kurz vor der Invasion, als im Frieden von Shimonoseki die japanischen Forderungen in Bezug auf das traditionell von China abhängige Korea anerkannt wurden und zusätzlich die Insel Taiwan an Japan übergeben werden musste. Der neuartige Nationalismus Japans berief sich auf volkstümliche Traditionen und einen Ethnozentrismus, der nach westlichem Vorbild sozialdarwinistisch gefüllt war. Er stellte die Kräfteverteilung in Ostasien radikal in Frage. Mehr noch, die Vernichtung der russischen Flotte bei der Inselgruppe Tsu Shima im Jahr 1905, die erste neuzeitliche Niederlage eines europäischen gegen ein asiatisches Land, kündigte eine Zeitenwende an. Japan war spät, aber umso aggressiver in den Wettlauf der Kolonialmächte eingetreten.

Die chinesischen Reformer, aber auch die Umstürzler gerieten in einen nicht auflösbaren Zwiespalt: einerseits schien das Konzept Japans, der Modernität des Westens zu folgen, dabei aber die westlichen Regeln an die eigenen gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen, der Schlüssel für Chinas Modernisierung. Andererseits war das Meiji-Regime zum Todfeind des schwachen, rückständigen Reiches der Mitte geworden. Der Widerspruch zwischen der Nachahmung des Vorbildes und dem Kampf gegen die japanischen Ansprüche in und auf China konnte politisch nicht gelöst werden. Weder mit der Wendung hin zu den europäischen imperialistischen Mächten Großbritannien und Frankreich noch durch Sympathien gegenüber den Neoimperialisten aus den USA.

Verglichen mit den ungeheuren Verwerfungen der Herrschaft der ausgehenden Qing-Dynastie verlief die Abschaffung der Monarchie zwar, mit mehreren tausend Todesopfern, "friedlich", die Gründung einer Republik zeigte aber auch von Anbeginn an die Halbherzigkeit des Umsturzes und offenbarte, dass die Revolutionäre um Sun Yat Sen, die Tongmenghui, die "Gesellschaft der revolutionären Allianz", mehr Geheimbund als Spitze einer revolutionären (bürgerlichen) Bewegung waren.

Sie hatten nur phasenweise militärische Kräfte an sich gebunden und mussten ständig Kompromisse mit Gegnern des Regimes eingehen, die genauso ihre eigenen Feinde waren. Deshalb entspricht es nicht den gesellschaftlichen Gegebenheiten in China, von einer bürgerlichen Revolution zu sprechen.

Der Wechsel der Regierungsgewalt konnte die kapitalistische Produktionsweise weder in der Fläche noch für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.

Der Anspruch der Revolutionäre, China zu modernisieren, blieb auf eine konstitutionelle Fassade beschränkt, die ein Wunschbild wiedergeben konnte, aber die tatsächlichen Machtverhältnisse weder zivilisierte noch lenkte. Die sozialen Fragen, allem voran die Pacht- und Besitzverhältnisse auf dem Land und die ungezügelte Ausbeutung der Arbeitskraft in den Städten, wurden nicht einmal oberflächlich thematisiert. Und ein Bürgertum, das die politische Macht benötigt, um die kapitalistischen Verhältnisse durchzusetzen, war nicht vorhanden. Ebensowenig wie eine Arbeiterklasse, die diesen Namen verdient. Letzteres sollte sich aber innerhalb eines Jahrzehntes - immer im Rahmen der Verhältnisse gesehen radikal verändern.

Die Gründung der Republik vollzog sich also unter den Bedingungen höchst seltsamer und stets brüchiger Allianzen. Interessen an der Ablösung der Manchu-Dynastie hatten ihr eigener Großminister Yuan Shi Kai ebenso wie die Militärstatthalter des Regimes in den Provinzen. Die Revolutionäre, die einen Verfassungsstaat nach westlichem Vorbild in Kombination mit einer von oben gelenkten Erziehungsdiktatur anstrebten,(2) waren mehr und mehr die nützlichen Idioten der zentrifugalen Kräfte im Reich geworden. Diese "Warlords", die allein Macht und Einfluss des eigenen Clans im Auge hatten und ihre Bündnisse nach persönlichem Nutzen eingingen, sahen in der Abschaffung der Zentralmonarchie, in deren Diensten sie "eigentlich" standen, die Chance zur persönlichen, unumschränkten Herrschaft. Die Methoden der Herrschaftsausübung unterschieden sich um kein Jota von denen der Vergangenheit. Natürlich war keiner der chinesischen Nachfolgestaaten, die als abtrünnige Provinzen ihre "Unabhängigkeit" erklärt hatten, bereit, sich eine Verfassung zu geben oder sich an eine republikanische Zentralverfassung zu binden.

Yuan Shi Kai, dem das kaiserliche Regime im November 1911 noch die Befehlsgewalt über die Regierungstruppen gegeben hatte, einigte sich mit Sun Yat Sen auf einen Machtübergang und wurde nach einer kurzen Übergangsphase, einer sechswöchigen (!) Präsidentschaft Suns, selbst Präsident der Chinesischen Republik bis zu seinem Tod 1916. Das Parlament, das aufgrund einer bürgerlichen Verfassung gewählt wurde und das ohne den Wahlsieger, die Fraktion der Guomindang (GMD), nicht handlungsfähig gewesen wäre, schaltete Yuan nach kurzer Zeit aus und verbot die GMD. Sun Yat Sen stand wieder einmal mit dem Rücken zur Wand.

Die Fiktion einer parlamentarischen Demokratie konnte mühelos aufgegeben werden, weil jegliche Substanz fehlte, die eine bürgerlich-demokratische Entwicklung gefördert und benötigt hätte. Die Märkte waren für Kapital aller imperialistischen Länder geöffnet worden, das sich, genauso wie die wenigen chinesischen Unternehmer, an die Warlords hielt und die legitime Regierung des Landes überging. Man war der Republik China in keiner Weise entgegengekommen, was die Auflösung der Ungleichen Verträge betraf. Die Staatsausgaben waren konzentriert auf die Ausgaben für die zahlreichen Feldzüge gegen abtrünnige Provinzen, Parlamentsbeschlüsse dafür waren überflüssig.

Der Eintritt sozialistischer Politik in die chinesische Gesellschaft

Es gab um die Jahrhundertwende durchaus Arbeiterorganisationen auf lokaler Ebene, die für ihre Rechte kämpften und streikten und dadurch Feinde des Regimes waren.(3) Diese Aufstände wurden durchgehend mit brutaler Gewalt durch Regierungen und Militär beendet, Anführer wurden reihenweise hingerichtet. Sowohl ihrer meist spontanen Erscheinungsform wie der Entschlossenheit ihrer Kämpfer nach reihen sich diese Verzweiflungsaktionen nahtlos in die gesellschaftlichen Großkonflikte des 19. Jahrhunderts ein.

Sie betrafen in diesem Land mit etwa 400 Millionen Menschen allerdings nur wenige Hunderttausende, die konzentriert waren auf die Hafenstädte, die von den Ausländern geöffnet worden waren und vor allem Shanghai, der größten Stadt der Erde zu dieser Zeit. Dort bildeten sich zögernd Ansatzpunkte für Arbeiterorganisationen, die konspirativ, aber theoriefern agierten und ohne überlokale Organisationsstrukturen blieben. Sie waren in ihrer Entwicklung nicht nur durch die ungeheure Repression von Regierung, Militär und Kapital gehindert, sondern auch durch ihre eigenen Traditionen. Man war dem Denken der Gilden und Hilfsvereine, die länger als 1000 Jahre existierten, verhaftet und sah demzufolge als den ersten Feind die modernen Produktionsmittel an, welche von den Kapitalisten ins Land gebracht wurden. In blutigen Auseinandersetzungen lernte man die Kampfziele zu verändern und Streiks fanden ab Mitte der 1890er Jahre eher für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen oder gegen die imperialistischen Invasoren statt.(4)

Eine Politisierung nach europäischen Maßstäben ging damit nicht einher, auch die Tongmenghui von Sun Yat Sen interessierte sich nicht für die sehr wenigen Arbeiter.

Allein einige Anarchisten versuchten politisierte Organisationen und Bildungsvereine in Kanton und der Provinz Hunan zu gründen. Vorbilder waren die russischen Anarchisten der Zarenzeit, aus deren Schriften etwas Material ins Chinesische übersetzt worden war.

Dabei war der Hunger nach Informationen aus dem Westen groß, denn der Westen hatte sich als überlegen gezeigt und nach ihm musste man seinen künftigen Weg ausrichten, wollte man als einheitlicher Staat überleben.

Während Studierende wie Lehrende in westliche Länder reisten, um dort zu lernen und zu arbeiten, war dieser Weg der Masse der Lohnarbeiter lange versperrt geblieben. Erst die Ausstellung von Arbeitskontrakten für den transkontinentalen Eisenbahnbau in den USA öffnete China für einige Arbeiter. Allerdings wurden die Einwanderer im dünn besiedelten Westen der USA vollständig absorbiert, es flossen also keine Erfahrungen zurück, die den chinesischen Arbeiterorganisationen hätten helfen können.

Aufklärung, Individualismus, Religionskritik, Nationalismus, Rassismus, Verfassungsmodelle - alle Denkansätze und Konzepte wurden auch nach China getragen, sie blieben aber auf Diskussionen intellektueller Zirkel beschränkt und konnten nicht für gesellschaftliche Reformen funktionalisiert (oder begründet verworfen) werden. Eine Ausnahme gibt es dabei: den Nationalismus.

Die Schriften von Karl Marx lagen bis auf eine gekürzte Version des "Kapitals" und der "Kritik des Gothaer Programms" vor den 1920er Jahren nicht in chinesischer Sprache V0r. Das Interesse am Marxismus blieb auf eine winzige Zahl junger Intellektueller innerhalb eines kleinen Kreises von Gesellschaftswissenschaftlern beschränkt. Dass der Kommunismus wenige Jahre später zur Befreiungstheorie einer erwachenden Arbeiterbewegung, wenn auch auf schmaler Grundlage, werden sollte, war 1911 noch unvorstellbar. Diese Entwicklung wurde durch das Ende des 1. Weltkrieges entscheidend beschleunigt, durch das Chaos der Warlord-Zeit begünstigt und durch die schließliche Vernichtung der Arbeiterbewegung in den Millionenstädten endgültig auf den Weg zu einem "chinesischen Sozialismus" gebracht.

Die 4.Mai-Bewegung von 1919

Die dünne demokratische Fassade, die 1912 geschaffen wurde, konnte den Zerfall des Reiches nicht stoppen. Um Handlungsfreiheit im Inneren zu gewinnen, sollten die ausländischen Mächte, die seit den Ungleichen Verträgen verbriefte Besitzansprüche in China hatten, "hinausverhandelt" werden. Es ging um die Frage der Gegenleistung. Der Weltkrieg bot China eine scheinbar günstige Gelegenheit. Es schickte in die alliierten Staaten zwar keine Soldaten, aber 200.000 Arbeitskräfte(5) an die Front und erklärte den Mittelmächten den Krieg. Die Reden des US-Präsidenten über das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den Ohren, wurde Liang Qichao, ein prominenter konservativer Reformer und Intellektueller, als Vertreter Chinas entsandt, um bei der Pariser Friedenskonferenz, dem Gremium der Siegermächte zur (Neu-) Verteilung der Kriegsbeute, die Anliegen seiner Regierung vorzubringen. Er scheiterte auf ganzer Linie. Die westlichen Imperialisten hatten in Geheimverhandlungen mit Japan längst beschlossen, deren Besetzungen und Besitzansprüche anzuerkennen und China in seinem semikolonialen Status zu belassen.

Die Empörung über diesen Verrat befeuerte die sogenannte "4.Mai-Bewegung", sie führte nicht nur zu wütenden Demonstrationen, sondern auch zu Ausschreitungen gegenüber Ausländern. Die eigene, sowieso zu schwache Regierung war gedemütigt werden, weder die Adaption westlichen Gedankengutes und die Öffnung der Märkte waren belohnt worden, noch bestand die Aussicht, dass eine Rückbesinnung auf "chinesische Werte", den Konfuzianismus und den Isolationismus, welche die Krise vertieft hatten, zur Lösung der Probleme beiträgt.

Die Bedeutung dieser Bewegung, bis heute ein Ereignis von zentraler Wichtigkeit für die chinesischen Gesellschaftswissenschaften, besteht im Aufbruchscharakter verschiedener oppositioneller Strömungen, die nach eigenständigen Lösungen suchen. Es gibt Ansätze (und mehr als das) einer Öffentlichen Debatte in zahlreichen Milieus, bei unterschiedlichen Klassen, die wie ein Flächenbrand das Land ergreifen. Und es ist die Zeit, als das konfuzianische Denk- und Regierungssystem zum ersten Mal auf wirklich breiter Basis kritisiert wird. Damit werden die konservativen Gegenkräfte, für eine kurze Zeit, zum Verstummen gebracht und es eröffnen sich Spielräume für neue, revolutionäre Ansätze.

Eine imperialistische Macht war 1917 aus dem Weltkriegsgeschehen ausgeschieden, die Oktoberrevolution veränderte Russland grundlegend. In Bezug auf China ist von Bedeutung, dass die junge Sowjetregierung im Juli 1918 beschließt, auf russische Vorrechte in China zu verzichten, sie präzisiert ihre Absichten dazu im Juli 1919.(6)

Unterstützend wird in Irkutsk 1920 das Östliche Sekretariat des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationalen eingerichtet,(7) das u.a. Kontakt zu chinesischen Sympathisanten der UdSSR und Befürwortern des Sozialismus in China aufbauen sollte.

Die sehr, sehr schwachen Kräfte, die als Delegiertenversammlung im Juli 1921 die Gongchandang, die Kommunistische Partei, gründeten, wurden von dem Niederländer Maring im Auftrag der Komintern und von Nikolaevsky, dem Abgesandten des Östlichen Sekretariats, dabei unterstützt und beraten.(8) "Wahrscheinlich nahmen zwölf chinesische Vertreter teil, die für insgesamt 57 Mitglieder in sieben Zentren und 350 Mitglieder von Sozialistischen Jugendvereinigungen Sprachen."(9) Unter konspirativen Bedingungen wurde die Partei in der Nähe Shanghais, dem Sitz der größten Teilgruppe, gegründet. Chen Duxiu, der Redakteur einer kleinen sozialistischen Zeitschrift und Gründer des Sozialistischen Jugendverbandes, wurde ebenso in Abwesenheit zum Ersten Sekretär der Partei gewählt wie Zhang Guotao, ein Mitglied einer kleinen Studiengruppe für marxistische Theorie an der Universität Peking, zum Organisator der Partei.(10)

Chen blieb bis zu seiner Absetzung im August 1927 ein Parteisekretär, der Durchsetzungsvermögen und Ausdauer beim Aufbau der Organisation zeigte und die Partei innerhalb weniger Jahre zu einer auf die Städte konzentrierten Massenpartei machte. Er war während seiner Amtsführung bereit und in der Lage, die Mehrheit der Parteiführung darauf zu verpflichten, dem Kalkül der Komintern Folge zu leisten und die Gongchandang in die Mitgliedschaft bei der GMD und damit in die Abhängigkeit von ihr und ihren (nicht nur) finanziellen Mitteln zu führen.(11)

Aus Sicht der Sowjetunion war die Entwicklung in China eine nicht wiederkehrende Chance, die Verhältnisse im östlichen Nachbarland zu beeinflussen. Sun Yat Sen und mehr noch Chiang Kai-shek, der ihn nach Suns Tod 1925 politisch beerbte, arbeiteten in diesen Jahren eng mit der UdSSR zusammen. Chiang konnte 1923 eine von der Sowjetunion getragene und mit Ausbildern versehene Militärakademie einrichten, in der alle wichtigen Führer der nationalistischen Truppen ausgebildet wurden, die die Kämpfe gegen Warlords, gegen japanische Truppen, vor allem aber gegen streikende Arbeiter und Kommunisten und schließlich gegen die Truppen der Kommunistischen Partei führten. Und die sowjetische Militärhilfe für die GMD dauerte über das Wendejahr 1927 hinaus an, die Unterstützung der Nationalregierung (gegen die Volksbefreiungsarmee) wurde nach dem Abzug der Japaner 1945 sogar erneuert.

Die zahlenmäßige Schwäche der Bewegung, vor allem aber die fehlende Reife für eine sozialistische Revolution, ließen die Komintern ebenso wie die sowjetischen Regierungen, wenngleich selbst aus unreifen Bedingungen hervorgegangen, auf die GMD setzen. Dies zeitigte fürchterliche Konsequenzen für die chinesischen Kommunisten. Dies war aber auch die blutige Geburtsstunde eines "chinesischen Weges zum Sozialismus".


Anmerkungen

(1) Pankaj Mishra ("Aus den Ruinen des Empires", 2014) stellt das Wirken der beiden Hofbeamten Kang Youwei und Liang Qichao in den Mittelpunkt seiner Untersuchung über die Rezeption europäischen Gedankengutes in China. Dabei misst er ihrer Bedeutung und "Weitsicht" unangemessen großes Gewicht bei, zumal es beide nicht verstanden, ihre Analysen in eine praktikable und konsequente politische Konzeption zu überführen.

(2) Nath Roy (Revolution und Konterrevolution in China, Berlin 1930) unterzieht die "Drei Volksprinzipien" Sun Yat Sens als Zeitgenosse zu Recht einer scharfen Kritik. Er konstatiert, Sun fordere als notwendige Etappe zur Verwirklichung der Volkssouveränität "die Periode der Vormundschaft, während der das Volk unter väterlicher Diktatur der Sachverständigen über seine politischen Rechte und Pflichten aufgeklärt wird. " (ebd., 223) Damit werde die konfuzianische Grundausrichtung und somit die Rückwärtsgewandtheit Suns offensichtlich.

(3) Peter Schier: Die chinesische Arbeiterbewegung. (in: Lorenz (Hg.): Umwälzung einer Gesellschaft, Frankfurt/Main 1977), hier bes. 275-280

(4) nach einer chinesischen Untersuchung, die Schier S. 276 anführt, fanden im Zeitraum 1870-1895 insgesamt 16 (!) Streiks statt, 1896-1911 waren es 91

(5) Mishra, 235; aus Indien rekrutierten die Briten mehr als eine Million Soldaten und Arbeitskräfte, ebd.

(6) Kuhn: Die Republik China von 1912 bis 1937, Heidelberg 2007, 3. überarbeitete Auflage, 261

(7) ebd., 263

(8) ebd., 265

(9) ebd.

(10) Zhang Guotao, einer von sieben namentlich bekannten Teilnehmer des Studienzirkels, lief 1938, nach fünf Jahren Arbeit als politischer Kader der 4. Frontarmee, zur GMD über. Von den sechs anderen Teilnehmern, darunter Mao Zedong, wurden vier zwischen 1927 und 1935 von den Nationalisten als Kommunisten hingerichtet.

(11) Über die persönliche Position Chens in dieser Schlüsselfrage der Partei gibt es in der herangezogenen Literatur unterschiedliche Angaben. Das Verdikt der KP, Chen sei wegen " Opportunismus" seines Amtes enthoben werden, macht ein Urteil aus der Ferne nicht leichter.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 193 - Herbst 2016, Seite 17 bis 20
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2016

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