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ARBEITERSTIMME/272: Neues vom Bauarbeiterstreik in Großbritannien von 1972


Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die britische Regierung verweigert die Veröffentlichung von Dokumenten über den Bauarbeiterstreik von 1972

von Mike



Im Juni 1972 rief die Bauarbeitergewerkschaft UCATT auf Druck der Basis zu einem offiziellen Streik auf. Ihre Forderungen waren damals die Einführung der 35 Stunden Woche und ein Mindestlohn von 30 Pfund pro Woche.

Der Streik breitete sich wie ein Waldbrand aus. Die Kontrolle des Streiks lag in den Händen der regionalen Streik-Komitees. Der Anteil von nicht organisierten Arbeitern in diesem Bereich lag bei ca. 50 %; während des Streiks traten sie in großer Zahl in die Gewerkschaft ein. So konnte die Taktik der Arbeitgeber unterlaufen werden, die Arbeiter als angebliche Ein-Mann-Firma individuell zu bezahlen. Dieses Schema hatte seinen Ursprung Mitte der 60er Jahre, es war bekannt geworden unter der Bezeichnung "der Lump"; die, die es betraf erhielten nur einen "Pauschallohn", weit geringer als die gewerkschaftlichen Stundenlöhne, mit bezahlten Überstunden und anderen Extras. Die, die unter diesen Bedingungen arbeiten mussten, wurden als die "Lumpen" bezeichnet; für sie wurden keine Steuern bezahlt, der Arbeitgeber zahlte keine Sozialabgaben und nicht einmal Krankenkassenbeiträge - es war ein sehr gutes Geschäft für die Arbeitgeber. Natürlich untergrub dieses System die Gewerkschaften und ihre Mitglieder.

Die Streik-Komitees wandten bei ihrem Kampf die Praxis der Sogenannten "Flying Pickets" an. Hunderte von Pickets (Streikposten) wurden mit Bussen zu den Baustellen gefahren, an denen Unorganisierte arbeiteten um diese Unorganisierten in den Streik einzubeziehen. In der Bauindustrie kam es zu einem Stillstand und nach drei Monaten Streik kapitulierten die Arbeitgeber. Das Ergebnis war die größte Lohnerhöhung, die jemals in dieser Branche erkämpft worden war.

Die Unternehmer waren sauer und veröffentlichten ein Dossier mit angeblichen unrechtmäßigen Aktivitäten der Pickets. Sie wurden wegen Gewalt und Einschüchterung angeklagt. Dabei war der Einsatz einer so großen Zahl von Pickets an sich schon eine Einschüchterung, die nach dem Gesetz hätte unterbunden werden können. Es war damals die Zeit der großen Streiks der Bergarbeiter, der Hafenarbeiter und anderer Branchen. Sie hatten ihre Arbeitskämpfe alle gewonnen, weil sie die Taktik der "Flying Pickets" angewandt hatten.

Die Tories hatten ihren Industrie-Relation-Court seit Juli 1972 nicht mehr angerufen, als fünf Hafenarbeiter ins Gefängnis gesperrt worden waren; daraufhin wurde damals, ausgehend von der Basis, ein Generalstreik entfacht mit dem Ergebnis, dass die fünf wieder freigelassen wurden.

Es mussten also andere Methoden gefunden werden. Ein Team von 20 Detektiven aus Nord Wales und den West Midlands stellte eine Anklageschrift gegen 24 Aktivisten des Streik-Komitees aus Chester und Nord Wales zusammen. Sie wurde für über 200 Straftaten angeklagt, u.a. Gewalttaten, Einschüchterung, Sachschäden an fremden Eigentum; sie wurden aber auch der Verschwörung bezichtigt, nach einem Gesetz von 1875, das nur eine geringe Beweislast erforderte, aber zu lebenslanger Haftstrafe führen kann.

Der Schwerpunkt der Anklage-Schrift richtete sich gegen Aktionen der Pickets aus Chester und Nord Wales vom 6. und 7. September. Da hatten die Pickets Baustellen in der Region West Midlands Besuche abstatteten um das örtlichen Streik-Komitee zu unterstützen; in ihrer eigen Region standen zu der Zeit die meisten Baustellen, auch die, auf denen Unorganisierte arbeiteten still. Die Unternehmer prahlten in der Lokalpresse damit, dass sie einen Streikbrechertrupp zusammengestellt hätten, der bereit zum Widerstand sei; als die Pickets an einer Baustelle ankamen wurden sie vom Sohn des Bauunternehmers mit einem Gewehr im Anschlag empfangen. Sie entwaffneten ihn, machten das Gewehr unschädlich und übergaben es der Polizei. Hier ist zu erwähnen, dass die Polizei die Pickets dann zwar verfolgte, aber eingesperrt wurde damals keiner. Die Pickets fuhren weiter nach Telford und fanden eine Großbaustelle, auf der lauter unorganisierte Arbeiter als "Lumpen" arbeiteten. Es gab einige Schlägereien und eine Maschine ging zu Bruch. Der Bauunternehmer war Sir Alfred McAlpine einer der größten und rücksichtslosesten Unternehmer aus einer sehr mächtigen Familie.

McAlpine's Beteiligung ist der Schlüssel für die späteren Folgen. Die Familie hat sehr gute Beziehungen zur Polizei, zu Politikern in Nord Wales und zur Führung der Tories. McAlpine war Schatzmeister der Partei während der Thatcher Zeit.

Der Prozess wurde in Shrewsbury verhandelt und die Pickets wurden verurteilt; sechs von ihnen mussten ins Gefängnis, der Rest bekam Bewährungsstrafen.

Dea Warren, ein Kommunist, wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, Rick Tomlinson zu zwei Jahren. Warren stellte in seinem Plädoyer vor Gericht heraus, dass die eigentliche Verschwörung zwischen der Regierung, den Unternehmern und der Polizei stattgefunden hatte. Er warnte die Gewerkschaften, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen worden sei; es sei ein Angriff auf das Recht Pickets (Streikposten) einzusetzen und damit auf die Effektivität von Streiks überhaupt. Die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der Thatcher-Regierung, die von Blairs Regierung beibehalten worden waren, kriminalisierten das Picketing und machten es dadurch schwieriger, Streiks erfolgreich zu führen.

Üblicherweise findet eine Verschwörung im Geheimen statt, aber bis jetzt hielt das Streikkomites in Chester und Nord Wales öffentliche Versammlungen im Saal einer bekannten Gaststätte in Chester ab und jeder der sich am Streik beteiligt ist willkommen und hat auch Rederecht.

Warren und Tomlinson setzten ihren Kampf im Gefängnis fort. Sie weigerten sich zu arbeiten und führten einen Hungerstreik durch. Warrens Gesundheit wurde durch diese Erlebnisse stark angegriffen; eventuell tat auch der Drogencocktail, der ihm zur Ruhigstellung verabreicht worden war das Übrige. Er entwickelte ähnliche Symptome, wie sie bei der Parkinson Krankheit auftreten. Die letzten fünf Jahre seines Lebens musste er im Rollstuhl zubringen und starb 2004 im Alter von 66 Jahren.

Tomlinson war schon immer ein Entertainer, er spielte Banjo, sang und trat als Komiker in den Arbeiterclubs in der Gegend um Liverpool auf. Ken Loach, der marxistische Filmemacher, gab ihm Rollen in einer Reihe von Filmen. (Loach bevorzugt es die Rollen in seinen Filmen mit Menschen aus der Arbeiterklasse zu besetzen anstatt mit berühmten Stars) Tomlinson trat in einigen populären Fernsehserien auf, manche hatten einen ernsten Charakter, manche waren Kommedy. Er ist derzeit einer der bekanntesten Komiker im britischen Fernsehen.

Vor einigen Jahren rief er eine Kampagne ins Leben, um die Unschuld der Pickets zu beweisen und ihren guten Namen wiederherzustellen. (drei von ihnen sind bereits verstorben)

Am 23. Januar 2013 gab die Regierung 40 Jahre alte Papiere über den Streik der Bauarbeiter von 1972 zur Veröffentlichung frei, aber aus Gründen der "Nationalen Sicherheit" hält sie einige andere Informationen von damals für zehn weitere Jahre unter Verschluss. Das muss man doch - gelinde gesagt - als Vertuschung bezeichnen. Die Kampagne, die wahren Verschwörer von 1972 aufzudecken geht also weiter.

m.j. (29/1/13)


Mitte Februar sind nun 40 Jahre seit der Verhaftung der "Shrewsbury 24" vergangen; genau fünf Monate nach der Beendigung des dreimonatigen Streiks von 1972. Zwei Labour-Abgeordnete, einer davon Tom Watson, der zusammen mit anderen die Kampagne gegen die Abhöraffäre der Murdoch Zeitungen und die Londoner Polizei ins Rollen gebracht hatte und Grahame Morris stellten eine parlamentarische Anfrage warum der Schlüssel zu den Ereignissen von damals noch immer geheim gehalten wird. Alle möglichen Arten von Regierungsdokumenten sind auch 40 Jahre danach noch nicht freigegeben.

Eines der Schlüsseldokumente, das zurückgehalten wird, ist eine Antwort des damaligen Tory-Innenministers Robert Carr auf den Generalstaatsanwalt Sir Peter Rawlinson vom 25. Januar 1973. Rawlinson sprach sich dagegen aus, die Pickets anzuklagen - ihnen wurde 240 Vergehen zur Last gelegt - da die angebliche "Verschwörung" nur ein Gerücht und es hierfür keinerlei Beweise gegen irgendwelche Personen gab oder dass Gewalt gegen Sachen ausgeübt worden wäre. Rawlinson berichtete Carr außerdem, dass der gesetzliche Berater des Finanzministers auch die "Ansicht vertrat, dass die Anklage nicht in die Wege geleitet werden sollte." Aber ein paar Wochen später wurden die Pickets doch angeklagt. Vielleicht war Rawlinson's Brief nur aus Versehen veröffentlicht worden.

Es ist bekannt, dass an der Spitze der Heath-Regierung über die Streiks verhandelt wurde, einer Regierung in der mindestens sechs Ministern Verbindungen zur Bauindustrie nachgesagt wurden.

m.j. (2/5/13)

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013, Seite 17 bis 18
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2013